OGH 1Ob400/61

OGH1Ob400/6127.9.1961

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Rat des Obersten Gerichtshofs Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zierer, Dr. Heidrich, Dr. Bachofner und Dr. Schopf als Richter in der Entmündigungssache gegen Albrecht F*****, vertreten durch Dr. Thomas Zimmert, Rechtsanwalt in Neunkirchen, infolge Rekurses des Albrecht F*****, gegen den Beschluss des Kreisgerichts Wiener Neustadt als Rekursgerichtes vom 19. Juli 1961, GZ R 280/61-30, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Neunkirchen vom 17. Mai 1961, GZ L 8/61-21, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Widerspruchsgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Das Erstgericht hat den 88 Jahre alten Albrecht F***** über Antrag seines Sohnes und Mitgesellschafters einer offenen Handelsgesellschaft beschränkt entmündigt. Es hat den zu Entmündigenden in Gegenwart eines Nervenarztes vernommen und auch vom Sachverständigen befragen lassen und ist dem Gutachten dieses Sachverständigen, das mit einem im Streitverfahren Cg 24/61 vom Kreisgericht Wiener Neustadt von Amts wegen eingeholten Gutachten des Sachverständigen für Psychiatrie Dr. Friedrich S***** übereinstimmt, gefolgt, wonach F***** an paranoiden Wahnideen im Sinne einer Verfolgung und Beeinträchtigung leidet. Er sei daher zur gehörigen Besorgung seiner Angelegenheiten, insbesondere der Tätigkeit in der offenen Handelsgesellschaft nicht in der Lage. Das Widerspruchsgericht bestätigte diese Entscheidung, nachdem es F***** selbst gefragt hatte. Es hielt die Beiziehung eines zweiten Sachverständigen, die vom F***** verlangt worden war, nicht für notwendig, weil der Zweck der Einholung des Sachverständigengutachtens im Rechtsstreite Cg 24/61 des Kreisgerichtes Wiener Neustadt wegen Auflösung der offenen Handelsgesellschaft der gleiche gewesen sei, wie im Entmündigungsverfahren, nämlich Feststellung der vorhandenen oder fehlenden Handlungsfähigkeit F*****. Es liege daher bereits ein zweites unbedenkliches Sachverständigengutachten vor.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Rekurs, worin die Nichtbeiziehung eines zweiten Sachverständigen bemängelt wird, ist begründet.

Da gemäß § 46 EntmO auf die Ermittlung des Sachverhaltes vor dem Widerspruchsgericht ua auch die Bestimmung des § 33 Abs 1 EntmO Anwendung findet, wonach die Entscheidung über die Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche nicht ohne vorausgehende Untersuchung durch einen oder zwei Sachverständige erfolgen darf, auf welche Untersuchung wieder § 18 Abs 1 und 3 und § 19 EntmO entsprechend anzuwenden sind, hätte gemäß § 19 Abs 3 EntmO dem Verlangen des zu Entmündigenden auf Zuziehung eines zweiten Sachverständigen entsprochen werden müssen. Durch den Gebrauch des Wortes „ist" in § 19 Abs 3 EntmO wird zum Ausdruck gebracht, dass der zu Entmündigende einen unbedingten Anspruch auf eine aufrechte Erledigung dieses Begehrens hat (vgl 1 Ob 341/61, 1 Ob 3113/60 ua). Durch die Verwertung des in einem anderen Verfahren erstatteten Sachverständigengutachtens ist diesem Anspruch nicht Genüge getan, denn im Entmündigungsverfahren gilt der Unmittelbarkeitsgrundsatz (vgl 3 Ob 213/59 = EvBl 1959/251).

Das Verfahren des Widerspruchsgerichtes ist deshalb mangelhaft geblieben, weshalb wie im Spruche zu entscheiden war.

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