Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss dahin abgeändert, dass die Beschlüsse des Erstgerichtes vom 19. Juni 1968, ON 106 und 107, vollinhaltlich wieder hergestellt werden.
Text
Begründung
Mit einem vor drei Testamtenszeugen errichteten, eigenhändig unterfertigten Testament vom 3. Dezember 1957 setzte die Erblasserin Elisabeth M***** ihren Neffen Dipl. Ing. Christoph M***** zum Universalerben ein und verpflichtete ihn unter anderem, ihrer Tochter Ina Marie A***** von dem ihrem Todestag folgenden Monatsersten an bis zu deren Tod eine Leibrente in der Mindesthöhe eines Sektionschefsbezuges der höchsten Rang- und Altersklasse, die bei größeren Gewinnen aus dem vom Erben zu übernehmenden Viertel des Gutes S***** noch zu erhöhen sei, zu gewähren und die auf die Leibrente entfallende Erbschaftssteuer und Kosten sowie die auf die Leibrente entfallende Einkommens- und Vermögenssteuer zu entrichten; die Erblasserin vermachte ihrer Tochter auch ihre gesamte Wohnungseinrichtung und alle persönlichen Gegenstände, über die sie nicht anderwärts verfügte, ebenso das hinterlassene Bargeld, allfällige Bankguthaben und jenes Teils ihres Guthabens bei der Gutsverwaltung S*****, der nicht zur Deckung von Nachlassverbindlichkeiten gebraucht werde. Falls Ina Marie A***** die Bestimmungen des Testaments nicht oder nicht zur Gänze anerkennen und beachten sollte, wurde sie auf den Pflichtteil gesetzt. Da die Erblasserin befürchtete, dass Ina Marie A***** außerstande sei, größere Vermögensbeträge zu verwalten und zu erhalten, „verfügte" sie, dass ihre Tochter dann beschränkt entmündigt werde. Am 11. 7. 1964 gab der ausgewiesene Machthaber der erblasserischen Tochter Ina Marie A*****, Rechtsanwalt Dr. Ludwig B*****, in deren Gegenwart vor dem Gerichtsabgeordneten Notar Dr. Karl M***** nach Besprechung der Verlassenschaftssache die Erklärung ab, das Testament der Erblasserin vom 3. 12. 1957 vollinhaltlich anzuerkennen und auf allfällige Pflichtteilsverkürzungen zu verzichten und solche nicht geltend zu machen. Diese Erklärung wurde vom Machthaber des Erben, Rechtsanwalt Dr. Heinrich Kammerlander, zur Kenntnis genommen. Der Erbe gab späterhin die unbedingte Erbserklärung zum Nachlass ab, die mit Beschluss des Erstgerichtes vom 2. 9. 1964 zu Gericht angenommen wurde. Bei der Tagsatzung vor dem Gerichtsabgeordneten vom 27. 5. 1968 beantragte der nunmehrige Vertreter der erblasserischen Tochter Ina Marie A*****, Rechtsanwalt Dr. Ernst S*****, unter anderem die Inventierung und Schätzung des Nachlassvermögens, insbesondere des gesamten Realbesitzes, um der erblasserischen Tochter das Wahlrecht im Sinne des Testaments vom 3. 12. 1957 vorzubehalten, ob sie ihr Pflichtteilsrecht oder das Leibrentenlegat in Anspruch nehme. Das Erstgericht wies mit seinem Beschluss vom 19. 6. 1968, ON 106, unter anderem den Antrag der Legatarin Ina Marie A***** auf Inventur und Schätzung des Nachlassvermögens ab, legte das eidesstättige Vermögensbekenntnis des Erben der Abhandlung zugrunde, erklärte die Abhandlung für beendet und erließ die Einantwortungsurkunde (ON 107). Ina Marie A***** habe am 11. 7. 1964 die Erklärung abgegeben, auf allfällige Pflichtteilsverkürzungen zu verzichten; sie habe sich damit ihres Anspruchs auf Inventierung und Schätzung des Nachlassvermögens begeben.
Das Rekursgericht hob über Rekurs der Ina Marie A***** im oben erwähnten Rahmen den erstgerichtlichen Beschluss und die Einantwortungsurkunde auf und trug dem Erstgericht die Errichtung eines Nachlassinventars auf, das sodann der Abhandlung zugrunde zulegen sei, da Ina Marie A***** als Noterbin ein Pflichtteil gebühre. Durch die vor dem Gerichtsabgeordneten am 11. 7. 1964 abgegebene Erklärung, auf allfällige Pflichtteilsverkürzungen zu verzichten und solche nicht geltend zu machen, sei sie des Anspruchs auf den Pflichtteil nicht verlustig gegangen, weil in der Erklärung kein Verzicht auf das Erbrecht im Sinne des § 767 ABGB erblickt werden könne.
Gegen diesen Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs des Erben. Der Rekurs ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 775 ABGB kann ein Noterbe, der nicht zu Recht enterbt wurde, den ihm gebührenden vollen Pflichtteil oder bei Pflichtteilsverkürzung die Ergänzung desselben fordern. Der Pflichtteilsberechtigte ist nicht Erbe, ihm steht nur ein Forderungsrecht gegen den Erben zu, das er im Klagewege geltend machen kann (Weiß in Klangs Komm² zu § 775 ABGB III/S 866 ff). Wie jedes Forderungsrecht ist auch ein Pflichtteilsanspruch verzichtbar (§ 1444 ABGB); ein gültiger Verzicht setzt nur einen Vertrag zwischen Schuldner und Gläubiger, im vorliegenden Falle also zwischen der Pflichtteilsberechtigten und dem eingesetzten Erben, voraus (EvBl 1955 Nr 127; Weiß aaO zu §§ 762 bis 764 ABGB bei Anm 21 III S 834). Die vom Vertreter der damals als Tochter der Erblasserin Pflichtteilsberechtigten Ina Marie A***** in deren Gegenwart abgegebene und vom Vertreter des Erben am 11. 7. 1964 angenommene Erklärung, das Testament der Erblasserin vom 3. 12. 1957 vollinhaltlich anzuerkennen, auf allfällige Pflichtteilsverkürzungen zu verzichten und solche nicht geltend zu machen, stellt einen solchen gültigen Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch bzw die Pflichtteilsergänzung dar. Damit hat Ina Marie A***** für das weitere Verlassenschaftsverfahren ihre Stellung als Pflichtteilsberechtigte verloren und kann daher im Verlassenschaftsverfahren nicht mehr Anträge stellen, die ihr nur als Pflichtteilsberechtigte zugestanden wären; ihre Rechte sind vielmehr auf die einer Legatarin beschränkt. Sie kann daher auch nicht mehr von dem dem Pflichtteilsberechtigten gemäß § 804 ABGB zustehenden Recht, die Errichtung eines Inventars zu verlangen, Gebrauch machen. Als Legatarin steht ihr vielmehr, wie sich aus der Bestimmung des § 92 AußStrG ergibt, ein Anspruch, die Errichtung des Inventars zu begehren, nicht zu. Die Entscheidung des Erstgerichts entsprach daher entgegen der Auffassung des Rekursgerichtes der Rechtslage.
Der Inhalt des Testaments der Erblasserin gab allerdings zu Bedenken Anlass, ob Ina Marie A***** die Tragweite der Verzichtserklärung vom 11. 7. 1964 zu überblicken und deren Folgen einzusehen in der Lage war. Das über Auftrag des Obersten Gerichtshofes in dieser Richtung eingeleitete Verfahren führte jedoch zu dem abschließend, dem Obersten Gerichtshof völlig unbedenklich erscheinenden Gutachten des Sachverständigen Dr. Richard Z*****, wonach keinerlei Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei Ina Marie A***** damals oder im Zeitpunkt der Bevollmächtigung ihres Rechtsanwalts Zeichen einer psychotischen Beeinträchtigung bzw einer wesentlichen Verminderung ihrer Handlungsfähigkeit bestanden hätten, sodass sie sich keineswegs im Zustand der Handlungsunfähigkeit befand; sie hat ihre Erklärung zudem erst nach eingehenden Erörterungen und Überlegungen abgegeben. Auch die aus dem Testament ersichtliche, rechtlich aber bedeutungslose Drohung einer beschränkten Entmündigung kann, da Ina Marie A***** anwaltlich beraten war, keine entscheidende Rolle gespielt haben. Ina Marie A***** ist daher an die am 11. 7. 1964 von ihrem Bevollmächtigten in ihrer Gegenwart abgegebene, gültig zustande gekommene und von der Gegenseite angenommene Erklärung gebunden. Dem Revisionsrekurs ist daher dahin Folge zu geben, dass die vom Rekursgericht aufgehobenen Teile des Beschlusses ON 106 sowie die Einantwortungsurkunde ON 107 wieder hergestellt werden.
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