Normen
HGB §346
HGB §407
HGB §411
HGB §346
HGB §407
HGB §411
Spruch:
Die Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen können nur als organisatorische Maßnahme innerhalb der Speditionswirtschaft angesehen werden.
Eine normative Wirkung gegenüber den Kunden der Spediteure kann nicht angenommen werden.
Entscheidung vom 4. Juli 1953, 1 Ob 282/53.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz.
Text
Das Erstgericht wies die Klage, die auf Bezahlung restlicher Zollgebühren in der Höhe von 5607.10 S gerichtet ist, ab. Zwischen den Parteien bestehe seit vier Jahren eine ständige Geschäftsverbindung und es sei zwischen ihnen üblich, daß die Klägerin gleich nach dem Einlangen eines Waggons mit Ware für die Beklagte dieser telephonisch die Höhe des Zolles bekanntgebe. Dies sei auch am 15. und 16. Jänner 1952 bezüglich zweier Waggons Nüsse in der Weise geschehen, daß die Zollgebühr der Beklagten mit je 5346.65 S mitgeteilt worden sei. Es habe sich dabei aber um einen Irrtum des Zolldeklaranten K. der Klägeringehandelt, da der Zoll in Wahrheit ja 8287.65 S ausgemacht habe. Am 18. Jänner 1952 sei der Irrtum bei der Beklagten aufgeklärt worden. Diese habe aber die Ware bereits kalkuliert und weiterverkauft gehabt. Da der Irrtum von der Klägerin daher nicht rechtzeitig aufgeklärt worden sei, seien die von der Klägerin zuerst mitgeteilten Zollgebühren von je 5347.65 S verbindlich geblieben und die Beklagte sei nicht verpflichtet, die eingeklagte Differenz zu bezahlen. Was die Berufung der Klägerin auf § 6 der Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen (AÖSp.) vom 30. Juli 1947 betreffe, so gingen diesen die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche, wie sie für den vorliegenden Fall festgestellt worden seien, vor.
Infolge Berufung der Klägerin hob das Berufungsgericht das erstrichterliche Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung an das Erstgericht zurück. Die Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen seien keine allgemein verbindliche Norm. Sie stellten nur Richtlinien dar, deren Einhaltung die Standesvertretung der Spediteure diesen empfohlen habe und die im einzelnen Falle von den Vertragspartnern vereinbart werden könnten. Hier sei etwas Derartiges aber gar nicht behauptet worden. In erster Linie sei vielmehr auf die zwischen den Parteien seit Jahren bestehenden und auf die allgemeinen Gewohnheiten und Gebräuche Bedacht zu nehmen. Wenn die Parteien seit Jahren den Brauch geübt haben sollten, die Höhe der Zollgebühren telephonisch bekanntzugeben, so sei die Schlußfolgerung gerechtfertigt, daß die beklagte Partei sich auf diese Auskünfte habe verlassen und sie zur Grundlage ihrer Kalkulationen nehmen können, weil angenommen werden müsse, daß die Auskünfte von der Klägerin mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes erteilt würden. Das Verfahren des Erstgerichtes sei mangelhaft. Denn es sei nicht aufgeklärt, was für eine Bewandtnis es mit dem von der Beklagten behaupteten Irrtum habe, ob sie demselben Irrtum wie der Zolldeklarant der Klägerin unterlegen sei und ob sie nicht als Inhaberin eines Südfrüchtegroßhandels den Irrtum von Anfang an hätte erkennen können und müssen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Was die Zulässigkeit des Rechtsmittels der Klägerin betrifft, deren Eventualantrag, wie er in der Berufungsschrift gestellt worden war, Erfolg hatte, ist die Möglichkeit der Anfechtung anzunehmen, weil der Hauptantrag im Berufungsverfahren dahin gegangen war, daß das erstgerichtliche Urteil im Sinne der Stattgebung der Klage abgeändert werde. Die Rechtsmittelwerberin hatte mit diesem Berufungsantrag keinen Erfolg. Sie obsiegte mit ihrem Rechtsmittel nicht vollständig und darum muß ihr die Möglichkeit eingeräumt werden, den Aufhebungsbeschluß anzufechten (OGH. vom 10. Oktober 1951, Spr. Nr. 32, SZ. XXIV/264). Darüber hinaus ist die Klägerin auch deshalb zum Rekurs befugt, weil sie die Rechtsmeinung, die das Berufungsgericht dem Erstgericht bindend vorgeschrieben hat, bekämpft (OGH. vom 6. Feber 1952, 3 Ob 587/51, vom 17. Mai 1950, SZ. XXIII/159, u. a.).
In der Sache selbst geht der Streit im wesentlichen darum, ob die Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen auf den vorliegenden Fall Anwendung zu finden haben. Diese Frage ist zwar nicht deshalb von Bedeutung, weil dort im § 6 vorgesehen ist, daß der Spediteur für die Befolgung mündlicher, telephonischer und telegraphischer Aufträge oder sonstiger Mitteilungen, die von keiner Seite schriftlich bestätigt sind, keine Gewähr übernehme. Denn diese Bestimmung betrifft nicht telephonische Mitteilungen des Spediteurs schlechtweg, sondern die Befolgung telephonischer oder sonstiger Aufträge und Mitteilungen seines Auftraggebers. Die Spediteurbedingungen könnten aber deshalb von Bedeutung sein, weil die Haftpflicht des Spediteurs weitgehend auf den Versicherer abgewälzt ist (§§ 39 ff.).
Dieser Haftungsausschluß setzt allerdings voraus, daß der jeweils geltend gemachte Schaden auch wirklich nach dem Inhalt des Versicherungsvertrages durch die Speditionsversicherung gedeckt ist.
Die Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen gehen auf die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen zurück, die auf Grund des § 37 der Verordnung vom 25. September 1935, DRGBl. I S. 1169, über den organischen Aufbau des Verkehrs, mit der Anordnung des deutschen Reichsverkehrsministers vom 29. Dezember 1939, DRAnz. vom 5. Jänner 1940, Nr. 4, erlassen und auch in der amtlichen "Wiener Zeitung" veröffentlicht worden waren. Diese Spediteurbedingungen sind dann, nachdem die Verordnung vom 25. September 1935 durch die Kundmachung vom 3. Oktober 1945, StGBl. Nr. 191 (Z. 2), als aufgehoben festgestellt worden war, durch die Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen vom 30. Juli 1947 ersetzt worden. Dieser Anordnung ist wesentlich, daß sie von der für die Regelung und Vertretung des Speditionsgewerbes zuständigen Stelle erlassen worden ist und nur als organisatorische Maßnahme innerhalb der Speditionswirtschaft angesehen werden kann. Die Bestimmungen richten sich nur an die Mitglieder des jetzigen Fachverbandes der Spediteure in der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, Sektion Verkehr, und sollen erreichen, daß diese die Speditionsverträge nur unter Anwendung der Spediteurbedingungen abschließen. Irgendeine normative Wirkung gegenüber den Kunden der Spediteure kann nicht angenommen werden, wie es sich ja auch bei den derzeitigen Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen um eine reine Verwaltungsanordnung und keine Rechtsverordnung auf dem Gebiet des Privatrechtes handelt (Gessler - Hefermehl, Kommentar zum HGB[2], S. 1748). Einen ähnlichen Standpunkt hat schon die OGH.-Entscheidung vom 18. April 1951, SZ. XXIV/108, eingenommen.
Es bedarf eines besonderen Tatbestandes, der die Anwendbarkeit der Spediteurbedingungen im Einzelfall auslöst. Sie können von den Vertragspartnern ausdrücklich vereinbart werden. Etwas Derartiges ist im vorliegenden Falle nicht behauptet worden. Es kann auch zur stillschweigenden Unterwerfung unter die Spediteurbedingungen kommen. Letzteres könnte dann der Fall sein, wenn der entsprechende Abschlußwille des Spediteurs, wie dies für den Normalfall zutrifft, anzunehmen ist und der Kontrahent vom Bestehen solcher Spediteurbedingungen und vom Abschlußwillen des Spediteurs Kenntnis hatte oder nach der Art seines Handelsgewerbes haben mußte. Es wäre aber auch denkbar, daß der Inhalt der Spediteurbedingungen durch deren ständige Anwendung im Geschäftsverkehr zu einem Handelsbrauch geworden ist, der nach § 346 HGB. zu beurteilen wäre. In einem solchen Falle bedürfte es weder der ausdrücklichen noch der stillschweigenden Vereinbarung der Bedingungen; die Geschäftspartner wären vielmehr an den Handelsbrauch, die Spediteurbedingungen den Rechtsbeziehungen zugrunde zu legen, gebunden, wenn sie davon zumindest hätten Kenntnis haben müssen.
Entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes kann im vorliegenden Falle, der die Rechtsbeziehungen von Kaufleuten zum Gegenstand hat, nicht von vornherein gesagt werden, daß die Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen keinesfalls angewendet werden könnten. Es hängt vielmehr von der Klarstellung der angeführten rechtlich bedeutsamen Umstände ab, zu deren Klärung möglicherweise die Vernehmung eines Sachverständigen notwendig sein könnte.
Darüber hinaus bleiben aber auch die Umstände, zu deren Klarstellung dasBerufungsgericht das erstgerichtliche Urteil aufgehoben hat, aufklärungsbedürftig. Denn es wäre auch bei grundsätzlicher Anwendbarkeit der Bestimmungen der Spediteurbedingungen denkbar, daß eine gegenteilige langjährige Übung, wie die verbindliche Bekanntgabe der Höhe der Zollgebühren, die Bedingungen in dieser Richtung außer Kraft gesetzt hätte. Dazu muß entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes bemerkt werden, daß eine solche bindende Bekanntgabe nicht schon in der oftmaligen Mitteilung der jeweiligen Zollhöhe erblickt werden könnte. Es müßte die Tatsache hinzukommen, daß die Beklagte die Mitteilungen der Klägerin als verbindlich in dem Sinn ansah, daß ihre allfällige Unrichtigkeit jedenfalls zu Lasten der Klägerin gehe, und diese dagegen nichts einwendete. Wenn die Beklagte dagegen auf Grund der laufend wahrgenommenen Verläßlichkeit der Angaben diese einseitig zur unbesehenen Grundlage ihrer Kalkulationen machte, ohne daß der Klägerin der Gedanke aufsteigen mußte, sie hafte nun für die Richtigkeit ihrer Angaben, könnte von einer verbindlichen Bekanntgabe kraft stillschweigender Abmachung nicht gesprochen werden.
Zusammenfassend ergibt sich, daß das erstgerichtliche Verfahren aus weitergehenden und abweichenden rechtlichen Gründen, als sie das Berufungsgericht angenommen hat, mangelhaft geblieben ist. Der Rekurs der Klägerin hatte damit gegenüber der Begründung des angefochtenen Aufhebungsbeschlusses teilweise Erfolg. Im Spruch hatte es aber bei der vom Berufungsgericht verfügten Aufhebung des erstgerichtlichen Urteiles zu verbleiben. Formell konnte der Spruch des Rekursgerichtes daher nur dahin lauten, daß dem Rekurs nicht Folge gegeben werde.
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