OGH 1Ob275/07h

OGH1Ob275/07h30.9.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hannes F*****, vertreten durch Dr. Susanne Kuen, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei O***** GmbH, *****, vertreten durch Fellner, Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 30.000 EUR sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Oktober 2007, GZ 2 R 77/07v-19, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 23. Februar 2007, GZ 41 Cg 4/06f-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie als Zwischenurteil zu lauten haben:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 30.000 EUR samt 9,47 % Zinsen seit 1. 1. 2005 zu zahlen, besteht dem Grunde nach zu Recht.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten aller drei Instanzen bleibt der Endentscheidung vorbehalten."

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger betrieb als selbstständiger Unternehmer aufgrund eines im August 1998 mit der Beklagten abgeschlossenen Unternehmenspacht- und Mietvertrags bis Ende Dezember 2004 eine Selbstbedienungstankstelle. Im Tankstellenvertrag findet sich in Punkt 1.9. die Bestimmung, dass es der Beklagten freistehe, die Umstellung der Betriebsform (Bedienungs- oder Selbstbedienungsstation) zu einem Zeitpunkt vorzunehmen, zu welchem der Partner [= Kläger] den Tankstellenvertrag noch vor dem vorgegebenen Umstellungstermin durch Kündigung beenden kann. Im Oktober 2003 wurde die Tankstelle von Mitarbeitern der Beklagten begutachtet und der Kläger über das allfällige Vorhaben, diese in eine Bedienungsstation umzurüsten, in Kenntnis gesetzt. Im Jänner 2004 teilte die Beklagte dem Kläger die Entscheidung über die Umrüstung der Station in eine Bedienungstankstelle mit. Die Beklagte wollte mit der Umstellung der Betriebsform dem geringen Gewinn der Tankstelle entgegenwirken. Ende April 2004 fand zwischen den Parteien eine Besprechung wegen eines neuen Vertrags statt. Im neuen - vom Kläger nicht akzeptierten - Vertrag waren andere, für die Betriebsform als Bedienungstankstelle höhere Vergütungen für verkaufte Agenturware und eine umsatzabhängige Pacht (im Gegensatz zum bestehenden Vertrag mit einer Fixpacht) vorgesehen. Bei gleich bleibenden Treibstoffabsätzen wäre es zu einer Provisionserhöhung von etwa 3.300 EUR im Jahr gekommen, welcher ein um etwa 4.500 EUR erhöhter Pachtzins gegenüber gestanden wäre. Der Kläger stand der Umstellung von Anfang an sehr ablehnend gegenüber. Die Beklagte wäre zu einer geringfügigen Modifikation der Vertragsbedingungen bereit gewesen, und zwar insoweit, als der Reifenumsatz nicht in die „Umsatzpacht" einzuberechnen wäre, und allenfalls bei den Öffnungszeiten. Nach der Entscheidung zur Umrüstung der Station erfolgte kein Druck seitens der Beklagten. Der Kläger hätte die Tankstelle als Bedienungstankstelle zu den Konditionen des alten Vertrags weiterführen können. Er kündigte allerdings mit Schreiben seines Rechtsvertreters vom 28. 6. 2004 den Vertrag zum 31. 12. 2004 auf. Bei den bisher von Selbstbedienungs- auf Bedienungstankstellen umgerüsteten Stationen der Beklagten wurde ein durchschnittlicher Anstieg der Treibstoffabsatzquote von 13,9 % für das Jahr 2005 errechnet.

Mit der gegenständlichen Klage begehrte der Kläger 30.000 EUR als Teil seines auf § 24 HVertrG gestützten Ausgleichsanspruchs.

Die Beklagte bestritt diesen Anspruch im Wesentlichen mit der Begründung, dass der Ausgleichsanspruch schon deswegen nicht bestehe, weil das Vertragsverhältnis vom Kläger gekündigt worden sei. Diese Kündigung sei keinesfalls auf Umstände zurückzuführen, die der Beklagten zurechenbar seien.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Der Kläger habe nicht nachweisen können, dass ihm aus der Umrüstung der Tankstelle ein erheblicher Nachteil erwüchse, der nach vernünftiger kaufmännischer Betrachtung eine Kündigung nahe legen würde. Durch die Erhöhung der Provisionssätze (laut dem von der Beklagten dem Kläger angebotenen Vertrag), die im Durchschnitt 13,9 % betragende Steigerung des Treibstoffabsatzes und die damit verbundenen erhöhten „Shopumsätze" sowie die gleich bleibenden Personalkosten hätte auch eine allfällige höhere „Umsatzpacht" keinen vermögensrechtlichen Nachteil für den Kläger bedeutet. Der Erhöhung des Pachtzinses im Ausmaß von 4.500 EUR stünde eine Provisionserhöhung von etwa 3.300 EUR sowie jene von 3.280 EUR für den geschätzten Treibstoffmehrverkauf gegenüber. Dies ergäbe selbst unter Annahme eines nur gleich bleibenden „Shopumsatzes" eine Verbesserung des Betriebsergebnisses von 2.080 EUR. Aber selbst eine Verminderung des Jahresgewinns um rund 1.200 EUR wäre kein begründeter Anlass für die Eigenkündigung des Klägers, da dieser Betrag keinen erheblichen vermögensrechtlichen Nachteil darstelle.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die durch den Kläger erfolgte Geltendmachung der Umstellung der Tankstelle von Selbstbedienung auf Bedienung als wichtigen Grund für die Kündigung sei verfristet. Im Übrigen liege ein wichtiger Grund für diese Kündigung nicht vor. Die Beklagte habe sich vertraglich von Anfang an die Möglichkeit offen gehalten, die Tankstelle als Bedienungstankstelle zu führen. Der Kläger habe daher mit dieser Möglichkeit rechnen müssen, sodass keine unzumutbare Änderung der Betriebsform vorliege und somit eine Kündigung „mit ausgleichswahrender Wirkung" nicht gerechtfertigt erscheine.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

1. Vorbemerkung:

Gemäß § 24 Abs 1 Handelsvertretergesetz (HVertrG) gebührt dem Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses unter bestimmten im Gesetz genannten - Voraussetzungen ein angemessener Ausgleichsanspruch. Gemäß § 24 Abs 3 Z 1 HVertrG besteht der Anspruch nicht, wenn der Handelsvertreter das Vertragsverhältnis gekündigt oder vorzeitig aufgelöst hat, es sei denn, dass dem Unternehmer zurechenbare Umstände, auch wenn sie keinen wichtigen Grund nach § 22 darstellen, hiezu begründeten Anlass gegeben haben oder dem Handelsvertreter eine Fortsetzung seiner Tätigkeit wegen seines Alters oder wegen Krankheit oder Gebrechen nicht zugemutet werden kann.

Die Anwendbarkeit des § 24 HVertrG auch auf Tankstellenbetreibungsverträge wurde vom Obersten Gerichtshof bereits mehrfach grundsätzlich bejaht (7 Ob 122/06a mwN).

2. Verfristung:

Auch bei Vorliegen eines dem Unternehmer zurechenbaren Umstands, der dem Handelsvertreter begründeten Anlass zur Kündigung bzw vorzeitigen Auflösung gibt, ist es erforderlich, dass dieser Umstand innerhalb angemessener Zeit nach Kenntnis geltend gemacht wird. Anders als bei Vorliegen eines wichtigen Grundes sind hier aber weniger strenge Anforderungen zu stellen. Dies folgt schon daraus, dass dem Handelsvertreter die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zum nächstmöglichen Kündigungszeitpunkt - idR jedoch nicht darüber hinaus - zumutbar ist. Nützt der Handelsvertreter aber nicht die Gelegenheit, aufgrund dieses Umstands das Vertragsverhältnis ausgleichswahrend zum nächstmöglichen Kündigungstermin aufzulösen, wird man idR davon ausgehen können, dass kein derartiger Umstand vorliegt. Die Berufung auf einen solchen Umstand erst anlässlich eines Rechtsstreits über den Ausgleichsanspruch - möglicherweise erst Jahre später - ist daher nicht möglich. Auch hier wird man eine „Verwirkung" der bzw einen Verzicht auf die Geltendmachung eines solchen Umstands annehmen müssen (Nocker, Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, Vertragshändlers und Franchisenehmers [2001] Rz 187).

Die Beklagte teilte dem Kläger im Oktober 2003 ihr allfälliges Vorhaben und im Jänner 2004 ihren endgültigen Beschluss zur Umrüstung auf eine Bedienungstankstelle mit und fand Ende April 2004 eine Besprechung zwischen den Streitteilen über eine zu vereinbarende Neufassung des Vertrags statt. Aus dem Umstand, dass der Kläger sodann mit Schreiben vom 28. 6. 2004 den Vertrag zum Jahresende kündigte, wobei er die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist von sechs Monaten einhielt, kann kein Verzicht auf die Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs abgeleitet werden. Abgesehen davon, dass jedem Vertragspartner eine ausreichende Überlegungsfrist bei wirtschaftlich bedeutsamen Entscheidungen zuzubilligen ist und diese nicht übermäßig in Anspruch genommen wurde, kann das Verstreichen von etwa drei Monaten zwischen endgültiger Entscheidung auf Seiten der Beklagten und den Vertragsverhandlungen Ende April 2004 nicht dem Kläger angelastet werden.

Die Frage einer allfälligen Verfristung im Sinn von § 24 Abs 5 HVertrG kann mangels entsprechenden Einwands der Beklagten auf sich beruhen.

3. Begründeter Anlass:

Der Handelsvertreter behält den Ausgleichsanspruch bei Eigenkündigung unter anderem dann, wenn dem Unternehmer zurechenbare Umstände, auch wenn sie keinen wichtigen Grund nach § 22 HVertrG darstellen, hiezu begründeten Anlass gegeben haben. Ein begründeter Anlass, der dem Handelsvertreter den Ausgleichsanspruch trotz Eigenkündigung wahrt, kann grundsätzlich in jedem Verhalten (Tun oder Unterlassen) des Unternehmers bestehen. In ständiger Rechtsprechung judiziert der BGH für den praktisch gleich geregelten § 89b Abs 3 dHGB, dass das Verhalten des Unternehmers einen vernünftigen, billig und gerecht denkenden Handelsvertreter unter den gegebenen Umständen des Einzelfalls zur Kündigung veranlassen könne, weil diesem die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden könne. An einen begründeten Anlass sind geringere Anforderungen zu stellen als an einen wichtigen Grund. Das sagt schon das Gesetz ausdrücklich. Es kommt somit in keiner Weise auf ein Verschulden des Unternehmers an. Damit kann sogar ein vertragsgemäßes Verhalten des Unternehmers dem Handelsvertreter einen begründeten Anlass zur Kündigung des Vertragsverhältnisses geben, ohne dass dadurch der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters gefährdet würde (Tschuk, Der Ausgleichsanspruch bei Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses [1994], 87 f). Nach der (vergleichbaren) deutschen Rechtsprechung kann unter anderem in folgenden Einzelfällen ein begründeter Anlass zur Eigenkündigung des Handelsvertreters vorliegen: Verkürzung der Provisionschancen, verspätete Zahlung der Provision, Erschwerung der Tätigkeit und Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Grundlage des Handelsvertreters (von Hoyningen-Huene in MünchKomm HGB2 § 89b Rz 165). Die Umstände, die Anlass für die Kündigung geben, müssen dem Unternehmer zuzurechnen sein. Zurechenbar bedeutet aber nicht, dass sie der Unternehmer verschuldet haben muss. Die Zurechenbarkeit soll nur zum Ausdruck bringen, dass nicht auch Umstände, die außerhalb des Einflussbereichs des Unternehmers liegen, wie etwa höhere Gewalt, den Handelsvertreter zu einer ausgleichswahrenden Kündigung berechtigen. Zuzurechnen sind daher alle in die Unternehmersphäre fallenden Umstände. Es muss sich dabei aber grundsätzlich um ein Verhalten des Unternehmers im weitesten Sinn - dh Tun oder Unterlassen - handeln. Dieses Verhalten muss weiters den Handelsvertreter in eine für ihn nicht haltbare Lage bringen, sodass ihm die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses über den nächsten ordentlichen Kündigungstermin hinaus nicht mehr zugemutet werden kann (Nocker aaO Rz 177). Erforderlich, aber auch ausreichend ist sohin, dass durch das Verhalten des Unternehmers bzw durch die dem Unternehmer zurechenbaren Umstände eine für den Handelsvertreter nach Treu und Glauben nicht mehr hinnehmbare Situation geschaffen wird, die ihm die Fortsetzung des Vertrags unzumutbar macht (vgl Thume in Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Band 2; Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters8 [2008] Rz 22).

Wendet man die dargelegten Grundsätze auf den gegenständlichen Sachverhalt an, ergibt sich Folgendes:

Der Kläger wurde durch die (vertraglich zulässige) Entscheidung der Beklagten hinsichtlich der Umrüstung auf eine Bedienungsstation vor die Situation gestellt, eine - durchaus absehbare und nicht unwahrscheinliche - Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Lage hinnehmen zu müssen. Schließlich hätte - unter Annahme gleichbleibender Treibstoffabsätze - die Erhöhung des an die Beklagte zu zahlenden Pachtzinses die gebotenen höheren Provisionssätze mehr als kompensiert, sodass insgesamt ein „Verlustgeschäft" abzusehen war. Aus dem von der Beklagten ins Treffen geführten - vom Erstgericht festgestellten - Umstand, wonach bei den bisher von Selbstbedienungs- auf Bedienungstankstellen umgerüsteten Stationen der Beklagten (nachträglich) ein durchschnittlicher Anstieg der Treibstoffabsatzquote in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes für das Jahr 2005 errechnet wurde, ist für den Rechtsstandpunkt der Beklagten nichts zu gewinnen. Schließlich hatte der Kläger im Jahr 2004, als seine unternehmerische Entscheidung anstand, keine gesicherten Grundlagen zur Annahme eines durch Umstellung auf Bedienungsbetrieb steigenden Treibstoffumsatzes. Seine Entscheidung, angesichts der damals absehbaren wirtschaftlichen Verschlechterung den Vertrag zum nächsten (ordentlichen) Kündigungstermin aufzulösen, ist daher wirtschaftlich nachvollziehbar. Einem „vernünftigen, billig und gerecht denkenden" Handelsvertreter war bei der sich bietenden Sachlage im Jahr 2004 auch unter Bedachtnahme darauf, dass - wie auch die Beklagte fordert - die Entscheidung einigermaßen rasch getroffen werden musste, die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zumutbar. Der Kläger hatte zwar aufgrund der getroffenen vertraglichen Vereinbarung die Umstellung der Tankstelle auf eine Bedienungsstation an sich - samt den dieser Betriebsform inhärenten Umständen (etwa dass er oder sein Personal sich zur jeweiligen Kundenbedienung ins Freie begeben müsste) - grundsätzlich zu akzeptieren. Dies stellte eine nach Treu und Glauben durchaus hinnehmbare Situation dar. Schließlich hatte sich ja der Kläger durch den Abschluss des Unternehmenspacht- und Mietvertrags mit einer allfälligen Umstellung einverstanden erklärt. Dem Kläger kann aber nicht zugesonnen werden, eine nicht unerhebliche - absehbare - Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Position hinzunehmen, die bereits bisher durch eine bescheidene Ertragslage - wollte doch die Beklagte „mit der Umstellung dem geringen Gewinn der Tankstelle entgegenwirken" - gekennzeichnet war. Der Umstand der - durch die Erhöhung der Pacht bedingten - zu befürchtenden Verringerung seines Gewinns brachte ihn im konkreten Fall in eine Lage, wonach ihm die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses über den nächsten ordentlichen Kündigungstermin hinaus nicht mehr zumutbar war.

Die Vertragskündigung durch den Kläger erfolgte daher „ausgleichswahrend" im Sinn von § 24 Abs 3 Z 1 HVertrG. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind mit Zwischenurteil dahin abzuändern, dass der vom Kläger geltend gemachte Ausgleichsanspruch dem Grunde nach als zu Recht bestehend erkannt wird. Das Erstgericht wird nach Fortsetzung des Verfahrens über die Höhe des Anspruchs zu entscheiden haben.

Der Kostenvorbehalt gründet auf den §§ 393 Abs 4, 52 Abs 2 ZPO.

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