Spruch:
Der Mieter kann Dritte wegen Störung seines Mietrechtes auf Unterlassung klagen.
Der Ehegatte kann Besuchern seiner Gattin das Betreten der ehelichen Wohnung untersagen, wenn diese Besuche geeignet sind, die Ordnung im Hause zu gefährden.
Entscheidung vom 8. April 1946, 1 Ob 26/46.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision gegen das Urteil des Berufungsgerichtes, durch welches das erstrichterliche Urteil abgeändert worden war, Folge und wies die Sache an die erste Instanz zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen des Obersten Gerichtshofes:
Der Kläger hat in seiner Klage das Begehren gestellt, der Beklagte sei schuldig, das Betreten seiner Wohnung Nr. 10 im Hause Wien, IX., bei sonstiger Exekution zu unterlassen.
Das Klagebegehren wird damit begrundet, daß der Kläger Hauptmieter der bezeichneten Wohnung sei; der Beklagte unterhalte mit der Gattin des Klägers, mit der dieser in Scheidung stehe, ehestörende Beziehungen. Kläger habe ihm daher in Wahrung seines Hausrechtes mit Schreiben vom 30. Mai 1945 das Betreten seiner Wohnung untersagt. Beklagter habe aber dieses Verbot nicht geachtet, sondern habe mit Zustimmung der Gattin des Klägers in der Nacht vom 8. zum 9. September 1945 in dem Kabinett seiner Wohnung übernachtet. Deshalb zur Rede gestellt, sei er ausfällig geworden und habe mit Tätlichkeiten gedroht. Das Erstgericht hat die Klage abgewiesen.
In der Begründung des abweisenden Urteiles wird ausgeführt, daß der Kläger sich zur Stützung seines Klagebegehrens mit Unrecht auf sein Mietrecht einerseits und seine Stellung als Haupt der Familie anderseits berufe. Die Benützung der Wohnung komme ihm nicht allein zu, sondern er teile das Benützungsrecht mit seiner Gattin, seine Stellung als Haupt der Familie berechtige ihn zwar zur Leitung des Hauswesens, gestatte ihm aber keine Eingriffe in die Privatrechtsphäre der Frau, denn die Ehe sei auf dem Grundsatz der Gleichheit aufgebaut. Als Gatte sei er nicht berechtigt, zu kontrollieren, wie seine Gattin ihre freie Zeit verwende; daraus folge, daß die Gattin nach ihrem Belieben Besuche in der ehelichen Wohnung empfangen könne, allerdings nur innerhalb der Grenzen, die ihr durch Rücksicht auf Ehre und Ansehen der Familie und Stand des Gatten gezogen seien.
Der Gatte könne nun allerdings von seiner Gattin verlangen, daß sie keine ehestörenden Beziehungen unterhalte, ein gleichartiger Rechtsanspruch gegenüber dem Beklagten stehe ihm aber nicht zu, denn die Leitung des Hauswesens sei eine innere Angelegenheit der Familie und gebe dem Manne keine Rechte gegenüber Dritten. Der Beklagte habe die Wohnung des Klägers stets nur auf Einladung der Gattin des Klägers betreten, daher habe der Kläger kein Recht, durch eine Untersagung dieser Besuche in die Privatrechte des Beklagten einzugreifen.
Das Berufungsgericht hat das angefochtene Urteil abgeändert und den Beklagten schuldig erkannt, das Betreten der Wohnung des Klägers bei Exekution zu unterlassen.
In der Begründung seines Urteils stellt das Berufungsgericht fest, daß die Behauptung des Klägers, der Beklagte unterhalte ehestörende Beziehungen zu seiner Gattin strittig geblieben ist. Das Berufungsgericht fand es nicht für nötig, sich mit dieser Behauptung weiter auseinanderzusetzen.
Es stützte seine Entscheidung im wesentlichen darauf, daß dem Kläger, der seine Bestandrechte an der Wohnung tatsächlich ausübt, gleich einem Eigentümer die Freiheitsklage nach § 354 ABGB, zustehe und er daher berechtigt sei, vom Störer Unterlassung des störenden Eingriffes zu verlangen. Die vorliegende Klage stelle eine Ausübung dieses Rechtes dar. Die Anschauung des Erstrichters, daß der Beklagte dadurch, daß die Gattin des Klägers seinen Besuchen zugestimmt habe, ein Recht zum Betreten der Wohnung des Klägers erworben habe, sei nicht zutreffend, die Ehe sei zwar eine auf den gemeinsamen Willen aufgebaute Zweiherrschaft, dennoch aber sei der Mann das leitende Organ, wenn dieser Gemeinschaft eine Übereinstimmung des Willens der Ehegatten nicht herbeigeführt werden kann. Dies ergebe sich aus der Bestimmung des § 91 ABGB., laut deren der Mann als Haupt der Familie anzusehen ist. Das Betreten der Wohnung des Klägers gegen dessen ausdrückliches Verbot sei somit rechtswidrig. Für diese Beurteilung der Rechtslage sprechen auch die mit dem Begriffe des Hausrechtes zusammenhängenden Erwägungen. Aus dem Wesen des Hausrechtes ergebe sich, daß eine Wohnung nur mit Zustimmung ihres Inhabers betreten werden darf. Die Zustimmung der Gattin sei nicht geeignet, den entgegenstehenden Willen des Wohnungsinhabers aufzuheben.
Die Unterlassungsklage sei daher berechtigt gewesen.
Der Oberste Gerichtshof hat zunächst die Zulässigkeit einer Unterlassungsklage des Mieters gegen einen Dritten erwogen. In dieser Beziehung ist darauf hinzuweisen, daß Lehre und Rechtübung von jeher darüber einig gewesen sind, daß die Miete auch nach der Regelung des österreichischen Gesetzes Elemente enthält, welche das Verhältnis des Mieters zu der Mietsache inniger und fester erscheinen lassen, als es dem Wesen eines rein obligatorischen Rechtsverhältnisses entsprechen würde. Dies kommt insbesondere darin zum Ausdruck, daß der Mieter als Rechtsbesitzer gegen jedermann Besitzesschutz genießt und sich deshalb gegen gewaltsame Störungen der Selbsthilfe bedienen kann. Diese Durchsetzung der Miete mit dinglichen Elementen stellt in unserer Rechtsentwicklung einen fortlaufenden Prozeß dar, der nicht nur durch die Änderung des § 1121 ABGB. in der dritten Teilnovelle, sondern insbesondere auch durch die Mieterschutzgesetzgebung eine wesentliche Förderung erfahren hat. Die Zulässigkeit von Unterlassungsklagen gegen Störungen in der Ausübung des Mietrechtes durch Dritte ist allerdings bis heute noch bestritten, jedoch geht auch hier die Entwicklung zugunsten der Zulassung solcher Klagen. In diesem Zusammenhange sei insbesondere auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 11. Juni 1924, SZ. VI/218, und vom 13. November 1924, SZ. VI/357, verwiesen.
Der Oberste Gerichtshof ist der Ansicht, daß die Zulassung solcher Unterlassungsklagen einem Rechtsbedürfnis entspricht und die Verweigerung eines solchen Rechtsbehelfes eine mit den Anforderungen des Rechtsschutzes nicht zu vereinbarende Zurücksetzung des Mieters darstellen würde. In diesem Zusammenhange sei auf die Bemerkung zu der in Geller's Zentralblatt, Band 40, unter Nr. 148 veröffentlichten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 28. März 1922 verwiesen.
Steht also die rechtliche Zulässigkeit der Unterlassungsklage des Mieters fest, so ist nur noch zu untersuchen, ob sein Klagebegehren im gegebenen Falle materiell begrundet ist.
Wäre der Kläger allein der Inhaber der Wohnung, so wäre diese Frage ohne weiteres zu bejahen.
Es handelt sich daher darum, welchen rechtlichen Einfluß die Tatsache hat, daß er die von ihm gemietete Wohnung mit seiner Ehegattin teilt.
Es ist unbestritten, daß der Ehegattin kein Mietrecht an dieser Wohnung zusteht, aus dem ehelichen Verhältnis folgt aber ihr Recht, diese Wohnung mitzubenützen. Der Umstand, daß die Ehegattin, wie es in dem Urteil des Erstgerichtes heißt, im Ehescheidungsstreit stehen, ist rechtlich unerheblich, zumal da ein abgesonderter Wohnort nicht bewilligt worden ist.
Die Entscheidung des Rechtsstreites ist demnach von der Beanwortung zweier Fragen abhängig, erstens ob der Ehegatte berechtigt ist, seiner Frau den Empfang von Besuchen in der ehelichen Wohnung zu untersagen und zweitens, ob er ein solches Verbot mit Rechtwirksamkeit auch dem dritten Besucher gegenüber aussprechen kann.
Die erste, das Verhältnis der Ehegatten untereinander betreffende Frage ist nach den Bestimmungen der §§ 91 und 92 ABGB. zu beantworten.
Hiezu ist folgendes zu sagen: Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch geht grundsätzlich von der Auffassung aus, daß die Ehe eine Gemeinschaft zu gleichen Rechten ist, schränkt aber diese Auffassung im Interesse der Ordnung des Hauswesens dadurch ein, daß es dem Gatten "vorzüglich" das Recht zur Leitung des Hauswesens zuerkennt und daß es die Gattin verpflichtet, soweit es die häusliche Ordnung erfordert, die von ihm getroffenen Maßregeln zu befolgen und befolgen zu machen.
Wenn also die Ehegatten in Fragen, die die Leitung des Hauswesens betreffen, verschiedener Meinung sind, so wird die Meinung des Gatten insoweit den Ausschlag geben, als dies ohne unbillige Beeinträchtigung der aus der ehelichen Gemeinschaft folgenden Rechtstellung der Gattin möglich ist. Wie überall, so ist auch hier eine schikanöse Rechtsausübung abzulehnen und die Anordnung des Gatten nicht so sehr von seinem eigenen Standpunkte als auch dem Gesichtspunkte der Förderung und des Interesses des gemeinsamen Hauswesens zu prüfen. Daraus folgt für den gegenwärtigen Fall, daß der Gatte seiner Frau den Empfang von Besuchen nur insoweit untersagen darf, als diese Besuche geeignet sind, die Ordnung im Hause zu gefährden. Steht ihm ein solches Untersagungsrecht der Gattin gegenüber zu, so kann er aber vermöge seines Rechtes als Inhaber der Wohnung, demnach insbesondere auch kraft seines Mietrechtes dem dritten Besucher das Betreten der Wohnung verwehren und gegen Eigenmacht des Dritten den gesetzlichen Rechtsschutz, und zwar nicht nur den Besitzesschutz, sondern auch den durch die Negatorienklage gewährten Rechtsschutz anrufen.
Der Oberste Gerichtshof spricht demnach für die Untergerichte bindend folgende Rechtsansicht aus:
Der Ehegatte kann im Rahmen der ihm durch die §§ 91 und 92 ABGB. übertragenen Befugnisse zu Hintanhaltungen von Störungen des Hauswesens der Ehegattin den Empfang von Besuchen verbieten. In diesem Falle ist er vermöge seines Rechtsbesitzes als Mieter auch berechtigt, dem dritten Besucher das Betreten der gemeinsamen Wohnung zu untersagen.
Die Untergerichte haben es, von ihrer Rechtsanschauung ausgehend, unterlassen, festzustellen, ob die Voraussetzungen für ein Besuchsverbot auf Grund der vorangeführten Gesetzesstellen gegeben sind.
Das Verfahren stellt sich daher vom Standpunkte der durch den Obersten Gerichtshof vertretenen Rechtsanschauung aus als mangelhaft dar.
Behufs der notwendigen Ergänzung mußten demnach die Entscheidungen beider Untergerichte aufgehoben werden.
Sache des Erstgerichtes wird es sein, über die klägerische Behauptung des ehewidrigen Charakters der Besuche des Beklagten die entsprechenden Beweise aufzunehmen und hierauf unter Bedachtnahme auf die oben dargelegte Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes neuerdings zu entscheiden.
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