Normen
AnfO §2
AnfO §3 Z1
Sechste Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §1
AnfO §2
AnfO §3 Z1
Sechste Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §1
Spruch:
Die freiwillige Übertragung der Mietrechte an der Ehewohnung auf die geschiedene Frau anläßlich der Scheidung stellt nicht die Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung dar (§ 3 Z. 1 AnfO.).
Eine unentgeltliche Verfügung, die in der dem anderen Teil bekannten Absicht vorgenommen wurde, die Gläubiger zu benachteiligen, ist sowohl nach § 2 als auch nach § 3 AnfO. anfechtbar.
Entscheidung vom 9. Juni 1954, 1 Ob 256/54.
I. Instanz; Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Der Kläger hat gegen Ing. Rudolf T., den geschiedenen Gatten der Beklagten, auf Grund des Versäumungsurteiles des Bezirksgerichtes Innere Stadt vom 22. September 1952, eine vollstreckbare Forderung im Betrag von 2477.62 S samt Anhang. Die gegen Ing. T. geführte Fahrnisexekution blieb erfolglos.
Vor Einbringung der Scheidungsklage der Beklagten gegen ihren früheren Gatten Ing. T. übersandte deren Vertreter Dr. Karl Z. am 10. September 1951 dem Ing. T. ein Schreiben, in welchem er um die Bestätigung des Einverständnisses ersuchte, daß Ing. T. mit der Scheidung aus seinem Verschulden einverstanden sei, daß beide Teile gegenseitig unwiderruflich auf Unterhaltsleistung verzichten und Ing. T. auf die Mietrechte an der ehelichen Wohnung zugunsten seiner Gattin verzichte und die Wohnungseinrichtung weiterhin im Eigentum der Ehefrau verbleibe. Dieses Schreiben langte mit der Erklärung des Ing. T., er erkläre sich einverstanden, am 12. September an Dr. Karl Z. zurück.
Am 14. September 1951 brachte die Beklagte sodann die Ehescheidungsklage ein. Die Ehe wurde am 26. September 1951 aus dem Alleinverschulden des Mannes rechtskräftig geschieden.
Am 25. September 1951 richtete Ing. T. an die Hausinhabung das Schreiben, daß er die Wohnung verlasse und sie seiner Gattin gemäß § 19 Abs. 2 Z. 10 MietG. überlasse. Dieses Schreiben wurde am 26. September 1951 zur Post gegeben.
Der Kläger ficht die Abtretung der Hauptmietrechte an.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Voraussetzungen der §§ 1 und 2 AnfO. seien erfüllt. Der Beweis, daß der Beklagten eine Benachteiligungsabsicht des Schuldners weder bekannt war noch bekannt sein mußte, sei nicht gelungen. Es sei im Gegenteil anzunehmen, daß die Beklagte und ihr Gatte sowohl die Scheidung als auch die Mietrechtsübertragung nur zu dem Zweck anstreben, um die Gläubiger des Ing. T. zu schädigen.
Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Die Übertragung der Mietrechte stelle nicht den Tatbestand der §§ 1 und 2 AnfO., sondern den Tatbestand des § 3 dieses Gesetzes dar, da es sich hiebei um eine unentgeltliche Verfügung des Schuldners des Klägers handle. Diese Rechtshandlung sei in Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht erfolgt, da es sich um die Regelung der Wohnungsrechte bei Scheidung der Ehe handle. Die Schlußfolgerung, daß die Scheidung in der Absicht erfolgte, die Gläubiger zu schädigen, sei infolge der absoluten Tatbestandswirkung des Urteils unzulässig. Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge, hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an dieses Gericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichtes kann nicht beigepflichtet werden. Selbst wenn man von der Annahme ausgeht, es liege ein unentgeltliches Geschäft vor, was jedoch im Hinblick auf den Inhalt der oben zitierten Vereinbarung zweifelhaft ist, käme die Bestimmung des § 3 Z. 1 AnfO., wonach unentgeltliche Verfügungen der Anfechtung entzogen sind, wenn sie in Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung gemacht wurden, nicht zur Anwendung. Denn auch der schuldlose Ehegatte hat keineswegs einen Anspruch auf Übertragung der Mietrechte an der Ehewohnung gemäß der 6.
Durchführungsverordnung zum Ehegesetz. Vielmehr hat nach der Scheidung der Ehe der Außerstreitrichter auf Antrag die Rechtsverhältnisse an der Ehewohnung nach billigem Ermessen zu regeln. Da dies im vorliegenden Fall nicht geschehen ist, kann auch nicht nachträglich ermittelt werden, ob die durch die Scheidung geschaffene Rechtslage zu einer Übertragung der Mietrechte an die Beklagte geführt hätte. Ebenso wenig kann dies als Vorfrage geprüft werden, weil die Beklagte gar nicht mehr die Möglichkeit hätte, eine rechtsgestaltende Verfügung des Außerstreitrichters zu erwirken (3 Ob 605/52). Ferner erscheint die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, es liege eine unentgeltliche Rechtshandlung vor, zumindest zweifelhaft. Wenn nämlich die Übertragung der Mietrechte gegen Verzicht auf Unterhalt erfolgt wäre, so läge kein unentgeltliches Rechtsgeschäft vor. Wenn also die Entscheidung des Rechtsstreites davon abhängen sollte, ob der in Rede stehende Tatbestand des § 3 Z. 1 AnfO. vorliegt, dann müßte diese Frage noch geprüft werden. Ob diese Notwendigkeit besteht, kann aber derzeit noch nicht gesagt werden.
Denn das Berufungsgericht hat es unterlassen, den Sachverhalt auch nach den Bestimmungen des § 2 AnfO. zu prüfen. Die einzelnen Anfechtungstatbestände schließen einander nicht aus. Der Gläubiger hat die Wahl, auf welchen Tatbestand er seinen Anspruch stützen will, wenn die Rechtshandlung unter mehrere Tatbestände fällt. Eine unentgeltliche Verfügung, die in der dem anderen Teil bekannten Absicht vorgenommen wurde, die Gläubiger zu benachteiligen, ist somit sowohl nach § 2 als auch § 3 AnfO. anfechtbar (SZ. XV/233, Bartsch - Pollak, Kommentar zur Konkurs- und Anfechtungsordnung, II, S. 547). Der Kläger hat bereits in der Klage den Sachverhalt vorgebracht, der die rechtliche Subsumierung unter beide Tatbestandsgruppen ermöglicht, und es hat das Erstgericht auch die Voraussetzungen eines Tatbestandes des § 2 AnfO. angenommen. Da die Beklagte in ihrer Berufung gegen das Ersturteil das Vorliegen eines derartigen Tatbestandes bekämpft hat, hätte das Berufungsgericht hierauf eingehen müssen.
Aus dem Gesagten folgt, daß das Berufungsverfahren mangelhaft geblieben ist, weshalb das Urteil des Berufungsgerichtes aufzuheben war.
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