Spruch:
Die Umwandlung einer Vertragsschuld in eine Judikatschuld beinhaltet keine Novation.
§ 908 ABGB. stellt gegenüber der Bestimmung der §§ 1295 ff ABGB. eine Spezialnorm dar.
Erklären beide Teile mit der Behauptung, zum Rücktritt berechtigt zu sein, ihren Rücktritt, so muß das Gericht untersuchen, bei wem die Voraussetzungen für den Rücktritt tatsächlich gegeben waren.
Entscheidung vom 26. März 1952, 1 Ob 251/52.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Beide Untergerichte haben übereinstimmend festgestellt, daß sich die Streitteile im September 1949 darüber einig waren, daß die Beklagte an Stelle der Klägerin in das zwischen dieser und Paul E. bestehende Pachtverhältnis betreffend ein Kaffeehausunternehmen eintrete, aus welchem Anlaß sie der Klägerin das dieser eigentümliche Inventar um den Betrag von 70.000 S ablösen sollte. Noch im September übergab die Beklagte der Klägerin ein "Angeld" von 2000 S. Die Beklagte trat jedoch im November 1949 vom Vertrage zurück und verlangte die Rückzahlung des Angeldes mit der Begründung, "der Vertrag sei durch die Schuld der Klägerin nicht erfüllt worden". Über diese Klage der heutigen Beklagten erging am 5. Jänner 1950 ein Versäumnisurteil zu ihren Gunsten. Ein Wiedereinsetzungsantrag hatte keinen Erfolg; eine Berufung wurde ebensowenig erhoben wie ein Rekurs gegen die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages. Da das Gericht beschlossen hatte, die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag auf schriftlichem Wege bekanntzugeben, haben sich die Parteien am 9. März 1950, somit noch vor Zustellung der erwähnten Entscheidung, außergerichtlich dahin geeinigt, daß die damalige Klägerin nur 1000 S bekomme und die damalige Beklagte (heute Klägerin) somit 1000 S behalten könne.
Am 22. März 1950 schrieb der Vertreter der Klägerin an die damalige Klägerin, daß seine Mandantin durch den Rücktritt der Klägerin im Angeldprozesse einen Schaden erlitten habe. Ziffern werden nicht genannt, ebenso nicht vom Verkauf des Unternehmensanteiles gesprochen. Der Verkauf erfolgte nicht vor Frühjahr 1950.
Das Erstgericht hat das Begehren der am 30. Juni 1950 eingebrachten Schadenersatzklage auf Zahlung von 30.000 S (später eingeschränkt auf 25.000 S), d. i. auf Zahlung der Differenzen zwischen dem von der beklagten Partei versprochenen Betrag von 70.000 S und dem vom Kläger bezahlten tatsächlichen Betrag abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat dieses Urteil bestätigt.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revision geht von folgenden Erwägungen aus: Die Untergerichte hätten festgestellt, daß die heutige Beklagte vom Vertrage zurückgetreten sei, was die Auflösung des Vertrages zur Folge gehabt habe. Daher sei nicht die Klägerin vom Vertrage zurückgetreten, obwohl diese die vertragstreue Partnerin gewesen sei und daher Grund zum Rücktritt gehabt hätte. Es habe daher die Klägerin den Rücktritt vom Vertrage gar nicht mehr aussprechen können, weil dieser Rücktritt schon von der Beklagten erklärt worden war. Da somit die Beklagte zu Unrecht das Angeld zurückgefordert und ein Urteil gegen die heutige Klägerin erzielt habe, kämen die Bestimmungen der §§ 908 und 918 bis 921 ABGB. gar nicht in Anwendung, sondern die allgemeinen Schadenersatzgrundsätze u. zw. nach § 1296 ABGB. Damit vertritt die Revision den Standpunkt, daß es gar nicht des Wahlrechtes der Klägerin im Vorprozeß bedurft hätte; es sei auch nicht notwendig, daß sich die Klägerin für das Angeld oder für einen Schadenersatz entscheide, denn sie könne unabhängig von dem Schicksal des Angeldes den Schadenersatz auch heute noch fordern. Dies gelte für den Fall, so meint die Revisionsschrift, daß man der Pisko und Ehrenzweig entgegengesetzten Ansicht Gschnitzer's zu § 908 in Klang's Kommentar, 1. Auflage, zuneige, wo dieser die Ansicht vertrete, daß neben der Geltendmachung des Angeldverfalles auch noch Schadenersatz vom vertragstreuen Teil gefordert werden könne. Schließlich komme dazu, daß die Klägerin erst nach dem Verkauf ihres Kaffeehausanteiles an einen Dritten, namens H., feststellen konnte, ob ihr ein Schaden widerfahren sei, sodaß sie daher früher den Schaden gar nicht geltend machen konnte. Gerade daraus aber gehe hervor, daß die Klägerin und die Beklagte, was unbestritten sei, beim Vergleichsabschluß vom 9. März 1950 über einen allfälligen Schadenersatz nichts gesprochen haben. Im übrigen sei die Revision der Ansicht, daß das alte Schuldverhältnis durch die Tatsache, daß die Beklagte ein Versäumnisurteil erwirkt habe, noviert wurde, weshalb der Klägerin nicht entgegengehalten werden könne, sie habe sich für das Angeld und gegen den Schadenersatz entschieden.
Auch der Hinweis des Berufungsgerichtes auf § 863 ABGB. sei verfehlt, denn die Nichterwähnung eines noch nicht geltend gemachten Schadenersatzanspruches anläßlich eines Vergleiches habe seinen Grund darin, daß ein Schaden in diesem Zeitpunkt noch gar nicht bestanden habe, was auch die Beklagte wußte, da im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses das Kaffeehaus noch gar nicht verkauft war. Daher könne von einer stillschweigenden Willenserklärung unter diesen Umständen nicht gesprochen werden, weshalb die Beklagte aus dem Stillschweigen der Klägerin keine Rechte für sich ableiten könne.
Der Oberste Gerichtshof erachtet aus folgenden Gründen die Rechtsansicht der Revision für verfehlt: Über das Schicksal des Angeldes und über dessen rechtliche Auswirkungen entscheidet vollkommen unabhängig von den Bestimmungen der §§ 918 bis 921 ABGB. der zweite Satz des § 908 ABGB. Darüber ist sich die Lehre und Rechtsprechung einig, daß zufolge der Novellierung der Bestimmungen der §§ 918 bis 921 kein Gegensatz zum zweiten Satz des § 908 ABGB. geschaffen wurde. Die Revision ist insofern im Unrecht, als sie meint, daß deshalb, weil die Beklagte vom Vertrag zurückgetreten sei, was die Auflösung des Vertrages zur Folge hatte, die Klägerin nicht berechtigt sei, vom Vertrage zurückzutreten, sodaß jede Erklärung der Klägerin, die zeitlich nach dem telephonischen Rücktritt der Beklagten und zeitlich auch nach der Einbringung der Rückforderungsklage gelegen sei, rechtlich bedeutungslos sei. Denn die Revision übersieht, daß nur der vom Vertrage zurücktreten kann, den kein Verschulden trifft und daß eben nur dieser zum Rücktritt berechtigt ist; daß aber dann, wenn beide Teile behaupten, zum Rücktritt berechtigt zu sein, und beide erklären, rücktreten zu wollen, das Gericht zu untersuchen hat, bei wem die Voraussetzungen für den Rücktritt tatsächlich gegeben sind, sodaß dann derjenige, dessen Rücktrittserklärung ungerechtfertigt ist, keinen Grund hatte, zurückzutreten, somit sein Rücktritt unwirksam ist, dem Gegner aber nunmehr die Möglichkeit zusteht, selbst vom Vertrage zurückzutreten. Im vorliegenden Falle kann es dahingestellt bleiben, ob die Klägerin oder die Beklagte Grund zum Rücktritt hatte, weil schließlich die zwischen den Streitteilen schwebende geschäftliche Angelegenheit zur Gänze ohne Vorbehalt durch Teilung des Angeldes im Vergleiche vom 9. März 1950 bereinigt wurde. Es ist daher - ausgehend von den unbedenklichen Feststellungen der Untergerichte - auch die Rechtsmeinung der Untergerichte gemäß § 863 ABGB. zu billigen, daß es Sache der Klägerin gewesen wäre, bei Ordnung der Angelegenheit über die 2000 S Angeld einen Schadenersatzvorbehalt zu machen, wenn die Klägerin über das Angeld hinaus noch Schadenersatz zu verlangen beabsichtigte. Hiemit kann es dahingestellt bleiben, wie die erwähnte im Schrifttum bestehende Streitfrage zu entscheiden sei, weil im vorliegenden Falle lediglich der Vergleich als entscheidend anzusehen war.
Die Klägerin vertritt in der Revisionsschrift die Meinung, in ihrem Falle sei die Lehre zu § 908 ABGB. bedeutungslos, weil hier nur § 1296 ABGB. gelte; dies trifft aber deshalb nicht zu, weil sich gegenüber den Bestimmungen des § 1296 wie auch § 1295 ABGB. die Vorschrift des § 908 ABGB. über das Angeld als Spezialnorm darstellt.
Wenn die Revision über die Auswirkungen dieser Gesetzesstelle dadurch hinwegkommen will, daß sie behauptet, durch die Urteilsfällung sei eine Novation eingetreten, so ist sie damit deshalb im Unrecht, weil durch das Urteil zwar die Vertragsschuld in eine Judikatschuld umgewandelt wurde, ohne daß aber (wie im römischen Recht) dadurch eine novatio necessaria eingetreten wäre (GlUNF. 312).
Der Revision ist allerdings zuzugeben, daß die Ansicht des Berufungsgerichtes nicht begrundet ist, die Klägerin habe sich schon dadurch, daß sie erst vier Monate nach Vergleichsabschluß auf Schadenersatz klagte, ihres Rechtes auf Schadenersatz begeben. Zu Unrecht hat aber die Revision angenommen, daß die Klägerin deshalb, weil sie im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses vom 9. März 1950 noch nicht verkauft hatte, einen Schadenersatz weder geltend machen konnte noch sich diesen vorbehalten durfte, oder zu einem derartigen Vorbehalt keine Veranlassung hatte. Denn gerade im Schreiben ihres Rechtsanwaltes vom 22. März 1950 hat sich die Klägerin diesen Schadenersatz dem Gründe nach (also ohne Nennung einer Ziffer) ausdrücklich vorbehalten. Der Verkauf selbst erfolgte, was unbestritten ist, erst nach dem 22. März 1950 u. zw. im Frühjahr 1950. Die Klägerin hat daher mit diesem Schreiben das nachgeholt, was sie einige Tage vorher beim Vergleichsabschluß unterlassen hat. Somit bleibt entscheidend der Vergleichsabschluß vom 9. März 1950, in dessen Folge mit Recht der Schadenersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte abgelehnt wurde.
Der Revision mußte daher der Erfolg versagt werden.
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