Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:
„Die Aufkündigung vom 24. April 2009 wird aufgehoben.
Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, die Wohnung Nr 14 im Haus Wien 6, G*****straße 102, mit einer Nutzfläche von 50 m² von ihren Fahrnissen geräumt der klagenden Partei zu übergeben, wird abgewiesen.“
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.645,22 EUR (darin 222,70 EUR an USt und 309 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Eltern des Beklagten mieteten im Jahr 1969 die im Spruch genannte Wohnung vom damaligen Liegenschaftseigentümer an. Diesem war bekannt, dass sie die Wohnung nicht selbst bewohnen werden, sondern der Beklagte, der damals zu studieren begann. Anlässlich des Vertragsabschlusses bezahlten die Mieter 250.000 S dafür, dass der Vermieter die Weitergabe im Familienkreis und die Nichtbenützung durch die Mieter duldet. Die Wohnung wird seit 2004 von einer Tochter des Beklagten bewohnt. Seine Mutter, deren Verlassenschaft ihm rechtskräftig eingeantwortet wurde, starb im Dezember 2008; der Vater war schon früher verstorben. Die Mietzinsvorschreibung lautete (zuletzt) auf „Josef F*****“; für das erste Halbjahr 2009 wurde ein monatlicher Betrag von 243,91 EUR vorgeschrieben, wobei der Hauptmietzins 133,47 EUR betrug (Beil ./1).
In ihrer nach dem Tod der (verbliebenen) Hauptmieterin erhobenen Aufkündigung berief sich der Kläger als nunmehriger Hauseigentümer iSd § 30 Abs 2 Z 5 MRG darauf, dass die Wohnung nicht mehr einem dringenden Wohnbedürfnis eintrittsberechtigter Personen diene.
Der Beklagte wandte im Wesentlichen ein, den seinerzeitigen Mietern sei bei Vertragsabschluss zugesagt worden, dass die Wohnung gegen eine Zahlung von 250.000 S von ihren Nachkommen genutzt werden dürfe. Damit hätte der Vermieter auch auf den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 5 MRG verzichtet, solange ein Familienmitglied die Wohnung benützt.
Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für rechtswirksam und erkannte den Beklagten schuldig, die Wohnung zu räumen. Mangels eines gemeinsamen Haushalts mit der bisherigen Mieterin sei die Tochter des Beklagten nicht eintrittsberechtigt. Ob der Vermieter auf die Kündigungsgründe der unzulässigen Weitergabe und der Nichtbenützung verzichtet habe, sei unerheblich, weil diese Kündigungsgründe gar nicht geltend gemacht worden seien.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Für die Behauptung des Beklagten, der Mietvertrag sei vereinbarungsgemäß nicht kündbar, solange ein Familienmitglied das aufgekündigte Objekt bewohnt, habe sich aus dem Beweisverfahren kein Anhaltspunkt ergeben. Die festgestellte Vereinbarung sei nicht in dem vom Beklagten behaupteten Sinn auszulegen. Die Vereinbarung, dass die Mieter bei Vertragsabschluss 250.000 S dafür bezahlen, dass der Vermieter die Weitergabe im Familienkreis und die Nichtbenützung durch die Mieter dulde, stelle typischerweise einen Verzicht auf die Kündigungsgründe nach § 30 Abs 2 Z 4 und Z 6 MRG dar. Dass auch für den Todesfall des Mieters eine Aufkündigung ausgeschlossen werde, lasse sich aus den Feststellungen hingegen nicht ableiten, wo doch darüber hinaus Kündigungsverzichte streng auszulegen seien. Selbst wenn man eine Auslegung unter Einbeziehung der redlichen Verkehrsauffassung vornehme, könne nicht auf einen generellen Verzicht geschlossen werden, dass jeder Kündigungsgrund verwehrt sei, solange die Wohnung von einem Familienmitglied bewohnt werde. Im Ergebnis sei das Erstgericht somit richtig davon ausgegangen, dass ein Verzicht auf den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 5 MRG nicht Inhalt der ursprünglichen Mietvereinbarung gewesen sei.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene Revision des Beklagten ist berechtigt.
Nach § 914 ABGB ist bei der Auslegung von Vereinbarungen nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. Ist ein (übereinstimmender) konkreter Parteiwille nicht zu ermitteln, kommt der objektiven Vertragsauslegung unter Berücksichtigung des üblichen Verständnisses bestimmter Formulierungen und der redlichen Verkehrsübung entscheidende Bedeutung zu.
Die hier getroffene Vereinbarung, der Vermieter werde gegen eine Gegenleistung in Höhe von 250.000 S die Weitergabe der Wohnung im Familienkreis (und die Nichtbenützung durch die Mieter) dulden, bedeutet nach Auffassung des erkennenden Senats nicht bloß einen Verzicht auf die Geltendmachung der Kündigungsgründe nach § 30 Abs 2 Z 4 und Z 6 MRG - für den Fall einer „Weitergabe im Familienkreis“ -, sondern erfasst nach dem vernünftigerweise zu unterstellenden Zweck der Abrede auch die Weiterbenützung der Wohnung durch (nach dem Gesetz nicht eintrittsberechtigte) Familienmitglieder nach dem Tod der Mieter. Die Auslegung des Klägers und der Vorinstanzen würde - worauf der Revisionswerber zutreffend hinweist - unter anderem zu dem Ergebnis führen, dass der Vermieter den Mietvertrag bereits kurz nach seinem Abschluss hätte aufkündigen können, wenn die Mieter bald danach verstorben wären. Dass eine solche Rechtsfolge dem bei objektiver Auslegung vernünftigerweise zu unterstellenden Vertragswillen nicht entsprechen würde, ist evident, insbesondere, wenn man zudem die Höhe der geleisteten Zahlung im Verhältnis zur Größe der Wohnung, deren Lage und dem zu zahlenden Mietzins berücksichtigt. Bei lebensnaher Betrachtung war es vielmehr der Hauptzweck der mit einer erheblichen Gegenleistung verbundenen Abrede, die Nutzungsmöglichkeit für Familienmitglieder der Mieter zu erhalten. Hat sich der Vermieter verpflichtet, die „Weitergabe im Familienkreis zu dulden“, musste dies aus der Sicht vernünftiger und redlicher Vertragsparteien so verstanden werden, dass eine Kündigung durch den Vermieter jedenfalls solange ausgeschlossen ist, als eine (regelmäßige) Wohnungsbenützung durch Familienmitglieder stattfindet, die von einem der vertragsschließenden Mitmieter gestattet wurde. Dies bedeutet entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts keineswegs, dass von einem „generellen Verzicht“ in dem Sinne auszugehen wäre, dass „jeder Kündigungsgrund“ verwehrt ist, solange die Wohnung von einem Familienmitglied bewohnt wird.
Nach den Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen bzw dem Prozessvorbringen des Klägers wohnt die Tochter des Beklagten seit 2004 in der Wohnung; die ursprüngliche (Mit-)Mieterin, ihre Großmutter, ist im Dezember 2008 verstorben. Unter diesen Umständen ist ohne Weiteres von einer „Weitergabe“ der Wohnung (der Nutzung nach) von der ursprünglichen Mieterin an ihre Enkelin auszugehen. Eine solche Konstellation sollte aber nach der getroffenen Abrede dem Vermieter nicht die Möglichkeit geben, den Mietvertrag aufzukündigen. Dass es auf eine Eintrittsberechtigung iSd § 14 Abs 3 MRG nicht ankommen kann, ergibt sich schon aus der Tatsache, dass von vornherein klar war, dass die Wohnung nicht von den Mietern selbst, sondern (vorerst) von ihrem Sohn genutzt werden sollte. Durch die spätere Überlassung der Wohnung an die Enkelin ergibt sich nun aber keine rechtlich anders zu beurteilende Situation, handelt es sich doch auch hier um eine „Weitergabe im Familienkreis“ durch die ursprüngliche (Mit-)Mieterin, die der Vermieter ohne Möglichkeit einer Aufkündigung dulden muss.
Der Verweis des Revisionsgegners auf die zu RIS-Justiz RS0021122 wiedergegebene Judikatur geht schon deshalb ins Leere, weil dort das Vorliegen und die Reichweite eines nachträglichen stillschweigenden Verzichts zu beurteilen war, wogegen es hier um die Auslegung einer Vereinbarung geht. Ein weiterer wesentlicher Unterschied besteht in der Hingabe eines nicht unerheblichen Geldbetrags für den Verzicht auf bestimmte Kündigungsgründe.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher im Sinne einer Abweisung des Räumungsbegehrens wegen Unwirksamkeit der Aufkündigung abzuändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO.
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