Spruch:
Die Rechtskraft eines Versäumnisurteiles, dem die Behauptung der Unterhalt beanspruchenden Klägerin zugrunde lag, daß der Beklagte ein bestimmtes Einkommen beziehe, steht einer auf die Behauptung eines tatsächlich höheren Einkommens des Beklagten gestützten Klage auf höheren Unterhalt auch dann nicht entgegen, wenn sich die Einkommensverhältnisse des Beklagten nicht geändert haben
OGH 29. Oktober 1975, 1 Ob 217/75 (LGZ Wien 45 R 232/75; BG Innere Stadt Wien 38 C 1836/74)
Text
Die Klägerin begehrte zu 33 C 783/74 des Erstgerichtes vom Beklagten als ihrem Ehegatten ab 1. Juli 1974 einen monatlichen Unterhaltsbetrag in der Höhe von 3000 S. Zur Begründung ihres Begehrens brachte sie vor, daß der Beklagte die eheliche Gemeinschaft aufgelöst habe und für sie seither lediglich den Mietzins, gewisse fixe Kosten der Haushaltsführung, wie Energiebedarf, Telefongebühr, Fernseh- und Radiogebühren sowie die Kosten der Zusatzkrankenversicherung und die Kirchensteuer bezahle. Weiters bestreite der Beklagte die Kosten der Unterbringung des ehelichen Sohnes Manfred im Internat in Höhe von 1550 S monatlich und komme zum Großteil auch für die Kosten auswärtiger Ferienaufenthalte des Sohnes auf; alle übrigen Lasten, welche insgesamt betraglich kaum geringer einzuschätzen seien, habe sie, Klägerin, zu bezahlen. Der Beklagte verdiene als Direktor der Versicherungsgesellschaft A netto mindestens 17.400 S monatlich, wozu noch eine Reihe von Zulagen wie Bilanzgeld sowie wie immer benannte Prämien, Reisespesen kämen. Der Beklagte habe sich lediglich bereit erklärt, einen Betrag von 1000 S an Unterhalt zu bezahlen, Sie verdiene als Sekretärin bei der Firma M 6750 S monatlich.
In der ersten Tagsatzung vom 30. Juli 1974 wurde über dieses Klagebegehren zufolge Ausbleibens des Beklagten auf Antrag der Klägerin mit Versäumungsurteil erkannt.
Nunmehr begehrte die Klägerin den Beklagten schuldig zu erkennen, ihr anstelle des auf Grund des Versäumnisurteiles vom 30. Juli 1974 zu leistenden monatlichen Unterhaltsbetrages von 3000 S ab 20. September 1974 einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 5000 S zu bezahlen. Die Klägerin führt in der Klage aus, sie sei auf Grund von Äußerungen des Beklagten und seines Verhaltens zur festen Annahme gekommen, daß der Beklagte ein weit höheres Einkommen erziele als jenes, daß der Vorklage zugrunde gelegt wurde, nämlich mindestens 30.000 S netto monatlich.
Der Beklagte beantragte die Zurückweisung der Klage, allenfalls Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß über den Anspruch der Klägerin bereits eine rechtskräftige Entscheidung ergangen und eine Änderung seines Einkommens nicht eingetreten sei, wogegen sich die Bezüge der Klägerin in der Zwischenzeit erhöht hätten.
Das Erstgericht stellte fest, daß der Beklagte seit 1. Juli 1974 unverändert ein monatliches Bruttogehalt von 40.000 S bezieht, wobei die Sonderzahlung im zweiten Halbjahr 1974 20.000 S brutto betrug. Die Nettobezüge betrugen in der Zeit von Juli 1974 bis November 1974 23.142 S bzw. 23.327 S, im Dezember 1974 beliefen sie sich einschließlich der Sonderzahlungen auf 42.762 S. Auf Grund dieses Sachverhaltes sprach das Erstgericht die Nichtigkeit des durchgeführten Verfahrens aus und wies die Klage zurück, weil eine Änderung der clausula rebus sic stantibus rechtfertigen würde, nicht eingetreten sei, der neuen Klage somit die Rechtskraft der Entscheidung zu 33 C 783/74 entgegenstehe.
Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Klägerin Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und wies die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück. Das Rekursgericht führte aus, daß der Ausspruch über die Höhe des gebührenden Unterhalts der Rechtskraft nicht teilhaftig sei, sofern nachträglich eine wesentliche Änderung der Umstände eingetreten sei. Werde nachgewiesen, daß sich die Verhältnisse des Unterhaltspflichtigen gebessert hätten, so könne der Unterhalt nachträglich erhöht werden. Im Versäumungsurteil sei von einem Mindesteinkommen des Beklagten von 17.500 S ausgegangen worden, wogegen das tatsächliche Einkommen (ohne Sonderzahlung) zwischen 23.142 S und 23.327 S liege. Demzufolge stehe aber die Rechtskraft des Versäumungsurteils der neuerlichen Klagsführung nicht entgegen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Was zunächst die Frage der Zulässigkeit des Revisionsrekurses betrifft, so ist diese zu bejahen, weil der Beschluß des Rekursgerichtes zwar formell aufhebend, in Wirklichkeit aber als abändernd anzusehen ist (vgl. Fasching IV, 442 und die dort zitierte Judikatur, weiters EvBl. 1973/56; EvBl. 1973/269 und 8 Ob 149/75).
Die Rekursausführungen lassen sich dahin zusammenfassen, daß nach den getroffenen Feststellungen des Erstgerichtes - entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes - eine Änderung der Einkommensverhältnisse des Beklagten seit Fällung der Vorentscheidung nicht eingetreten sei, demgemäß die Rechtskraft der zu 33 C 783/74 des Erstgerichtes ergangenen Entscheidung der neuerlichen Geltendmachung des Unterhaltsanspruches entgegenstehe.
Bei Prüfung der Frage, ob dem nunmehr erhobenen Klagebegehren die Rechtskraft der Vorentscheidung entgegensteht, ist zunächst davon auszugehen, daß nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung auch Versäumnisurteile wie jede andere Sachentscheidung in materielle Rechtskraft erwachsen (Fasching III, 625; 5 Ob 31, 45/73). Änderungen des rechtserzeugenden Tatbestandes nach Schluß der mündlichen Verhandlung bzw. dem Zeitpunkt der Entscheidung werden freilich durch die Rechtskraft der Entscheidung nicht gedeckt. Das bedeutet, daß auf solche nachträgliche Tatbestandsänderungen eine neue Klage gestützt werden kann (Fasching III, 724). Bei der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen ist zu beachten, daß wegen der Anwendbarkeit der clausula rebus sic stantibus überall dort, wo nicht deren Ausschluß erwiesen wurde, jede nachträgliche Sachverhaltsänderung, die eine Neubemessung des Unterhalts rechtfertigt, zulässigen Anlaß für eine neue Klage bildet (Fasching, 725; Pollak, System[2], 538; EvBl. 1958/323 u. v. a.). Das Rekursgericht meinte die Zulässigkeit der Klage unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt annehmen zu können, übersieht jedoch - worauf der Rekurswerber mit Recht verweist - daß die Klägerin eine Änderung der maßgebenden Sachverhaltsgrundlage - hier des Einkommens des Beklagten - nach Urteilsfällung im Vorprozeß (30. Juli 1974) nicht einmal behauptet hat. Im übrigen ist aktenkundig, daß der Beklagte seit Juli 1974 ein unverändertes Einkommen von brutto 40.000 S monatlich zuzüglich Sonderzahlung bezieht. Es kann daher die Zulässigkeit des Klagebegehrens nicht deshalb bejaht werden, weil nach Fällung der Entscheidung eine wesentliche Veränderung der Sachverhaltsgrundlage eingetreten sei. Entscheidende Bedeutung kommt daher der Frage zu, ob die Klägerin, die einen Titel auf Bezahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages in Höhe von 3000 S bereits erwirkt hat, auch ohne Änderung der Verhältnisse prozessual berechtigt ist, weiteren Unterhalt (in Höhe von 2000 S) zu begehren oder ob dem die Rechtskraft der Vorentscheidung entgegensteht. Gemäß § 411 ZPO wird das Urteil nur insoweit rechtskräftig, als es über den in der Klage geltend gemachten Anspruch entscheidet. Nun ist der geltend gemachte Anspruch, also der Streitgegenstand des Prozesses, nicht ident mit dem materiellrechtlichen Anspruch. Der Anspruch im Sinne der Zivilprozeßordnung ist vielmehr ein rein prozessualer Begriff (Holzhammer, 139 und 242; Fasching, 701).
Das Gericht entscheidet im Prozeß nicht über das Privatrechtsverhältnis als solches, sondern über ein aus dem Privatrechtsverhältnis abgeleitetes Begehren (Holzhammer, 139; vgl. auch Pollak, 535). Es kann demnach aber nicht gesagt werden, daß mit dem im Vorprozeß ergangenen Versäumungsurteil über den gesamten privatrechtlichen Unterhaltsanspruch der Klägerin als solchen entschieden worden wäre. Nun wird der prozessuale Begriff des Streitgegenstandes durch das Klagebegehren und den rechtserzeugenden Sachverhalt bestimmt. Der gleiche Streitgegenstand liegt demnach nur vor, wenn der in der neuen Klage geltend gemachte Anspruch sowohl hinsichtlich des Begehrens als auch des rechtserzeugenden Sachverhaltes, des Klagsgrundes, indent ist mit jenem des Vorprozesses (Fasching, 702). Im Vorprozeß wurde nun auf der Grundlage eines monatlichen Einkommens des Beklagten von 17.500 S (zuzüglich allfälliger Nebengebühren) ein Unterhaltsbetrag von 3000 S gefordert, wogegen nunmehr an Unterhalt weitere 2000 S begehrt werden. Das Klagebegehren kann nämlich unter Berücksichtigung des Vorbringens, insbesondere der Bewertung des Streitgegenstands (mit 72.000 S, nur dahin verstanden werden, daß die Klägerin für das 17.500 S übersteigende Einkommen ihres Gatten, das nicht Gegenstand des Tatsachenvorbringens im Vorverfahren war, nunmehr eine (zusätzliche) Unterhaltsleistung von 2000 S monatlich begehrt. Daß die Klägerin mit ihrer Klage den bereits rechtskräftig zuerkannten Anspruch auf Leistung von 3000 S monatlich in Frage stellen wollte, kann nicht angenommen werden. Freilich wird das Klagebegehren im fortgesetzten Verfahren in diesem Sinn zu verdeutlichen sein.
Was nun den Klagsgrund der vorliegenden Klage betrifft, so hat er durch die Behauptung, das Einkommen des Beklagten habe (schon seit jeher) nicht 17.500 S sondern 30.000 S monatlich betragen, keine Änderung erfahren. Ob das nunmehr ergänzte Sachvorbringen eine Änderung des Klagsgrundes enthält, ist danach zu beurteilen, ob das entsprechende Tatsachenvorbringen, wäre es bereits im Vorprozeß erstattet worden, eine Klagsänderung dargestellt hätte. Nur dann unterscheidet sich der frühere vom nunmehr geltend gemachten Klagsgrund. Klagsgrund ist ja nur jener Kern im tatsächlichen Vorbringen, den der Kläger nicht ändern kann, ohne von einem Anspruch auf einen durchaus anderen zu greifen (Kralik, Die rechtliche Beurteilung im Zivilprozeß, ÖJZ 1958, 35). Hätte aber die Klägerin bereits im Vorprozeß behauptet, daß der Beklagte nicht
17.500 S, sondern 30.000 S monatlich verdient, so wäre darin eine Klagsänderung nicht zu erblicken gewesen, sondern nur eine Ergänzung des Sachverhaltsvorbringens gemäß § 235 Abs. 4 ZPO. Der Klagsgrund der Vorklage und der vorliegenden Klage ist daher ident.
Da eine Neubemessung des Unterhalts wegen nachträglich geänderter Verhältnisse, wie ausgeführt, schon dem Klagsvorbringen nach nicht in Betracht kommt, ist davon auszugehen, daß die ursprüngliche Klage so wie eine Teilklage anzusehen ist, die nunmehr durch eine Restklage ergänzt werden soll. Einer solchen Restklage steht das im Vorprozeß erhobene Klagebegehren grundsätzlich nicht entgegen, denn was die Klägerin im Vorprozeß nicht begehrt hat, darüber hatte das Gericht nicht zu entscheiden (§ 405 ZPO); es konnte demnach auch ein Anspruch, den die Klägerin gar nicht geltend gemacht hatte, gemäß § 411 Abs. 1 ZPO nicht in Rechtskraft erwachsen. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob die Klage des Vorprozesses ausdrücklich als Teilklage bezeichnet wurde; die Rechtskraft erstreckt sich jedenfalls nur auf den geltend gemachten Streitgegenstand und hindert nicht die Restklage (Holzhammer, 243 und die dort zitierte deutsche Literatur; Fasching, 710; Pollak, 536; Petschek - Stagel, Der österreichische Zivilprozeß, 287 und JBl. 1956, 236).
Es ist demnach aber davon auszugehen, daß die materielle Rechtskraft des zu 33 C 783/74 des Erstgerichtes erwirkten Versäumungsurteils dem nunmehr auch ein höchst unbefriedigendes Ergebnis, wollte man annehmen, daß der Unterhaltsberechtigte, der zufolge Unkenntnis der wahren Einkommensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen oder im Falle der Irreführung über diese Umstände weniger Unterhalt als ihm an sich gebührte begehrt, seinen Anspruch teilweise verlieren sollte.
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