OGH 1Ob217/12m

OGH1Ob217/12m13.12.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** GesmbH & Co KG, *****, vertreten durch Holter-Wildfellner Rechtsanwälte OG in Grieskirchen, gegen die beklagte Partei Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse, *****, vertreten durch Barnert Egermann Illigasch Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 13.146,67 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. August 2012, GZ 14 R 32/12x-22, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 30. Dezember 2011, GZ 32 Cg 2/11s-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 908,64 EUR (darin 151,44 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin betreibt eine Spenglerei und Dachdeckerei und beschäftigt in ihrem Betrieb Lehrlinge, die eine Doppellehre in den Lehrberufen Spengler und Dachdecker absolvieren. Eine organisatorische Trennung in Betriebsabteilungen (§ 3 Abs 2 BUAG) besteht bei der Klägerin nicht. In arbeitsrechtlicher Hinsicht unterliegt die Klägerin dem Kollektivvertrag für das metallverarbeitende Gewerbe. Mit Vorschreibung vom 18. 5. 2009 verlangte die Beklagte von der Klägerin für bei der Klägerin beschäftigte Doppellehrlinge Zuschläge nach dem BUAG. Sie vertrat dazu - entsprechend der Rechtsansicht des zuständigen Bundesministeriums, die schon in mehreren Bescheiden des Bundesministers ausgesprochen worden war - die Auffassung, die Beitragspflicht ergebe sich für die Doppellehre Dachdecker/Spengler absolvierende Arbeitnehmer aus § 3 Abs 4 BUAG in der damals geltenden Fassung. Nachdem die Klägerin die Berichtigung der Vorschreibung mit dem Argument beantragt hatte, solche Doppellehrlinge fielen nicht in den Anwendungsbereich des BUAG, teilte die Beklagte mit einem Schreiben vom 18. 6. 2009 mit, dass sie die Entscheidung über den Berichtigungsantrag „vorläufig aussetzen“ müsse, da noch nicht alle zur Klärung des Falls notwendigen Erhebungen gepflogen worden seien. Es würden jedoch bis auf weiteres keine exekutiven Betreibungen stattfinden. Von dem Rechtsstandpunkt, dass eine Zuschlagspflicht für Doppellehrlinge bestünde, werde bis zum Vorliegen einer anderslautenden höchstgerichtlichen Entscheidung jedoch nicht abgegangen. Hintergrund dieses Vorgehens war der Umstand, dass damals zu dieser Frage ein Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof anhängig war, das von der Beklagten als Musterverfahren angesehen wurde. Mit Erkenntnis vom 26. 5. 2010 sprach der Verwaltungsgerichtshof schließlich aus, dass § 3 Abs 4 BUAG nicht so zu verstehen sei, dass solche Doppellehrlinge dem BUAG unterliegen. Die Norm verfolge lediglich das Ziel, einen häufigen Wechsel der BUAG-Zugehörigkeit zu vermeiden, wenn Arbeitnehmer zwar für eine bestimmte dem BUAG unterliegende Tätigkeit aufgenommen werden, aber in der Folge auch in anderen Betriebsabteilungen bzw für andere Tätigkeiten eingesetzt werden. Dabei gehe der Gesetzgeber offenkundig davon aus, dass Arbeitnehmer, die für bestimmte Tätigkeiten aufgenommen wurden, in der Regel überwiegend in dieser vereinbarten Tätigkeit Verwendung finden. In dem die Klägerin betreffenden Verwaltungsverfahren zog die Beklagte daraufhin ihre Berufung gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung zurück, mit dem (ebenfalls) ausgesprochen worden war, dass die betreffenden Lehrverhältnisse nicht in den Anwendungsbereich des BUAG fallen.

Die Klägerin begehrte nun den Ersatz der ihr entstandenen Verfahrenskosten in Höhe des Klagebetrags aus dem Titel der Amtshaftung. Die Beklagte werde im Zuge der Beitragsvorschreibung und Einhebung hoheitlich tätig. Sowohl der Beitragsvorschreibung vom 18. 5. 2009 als auch dem Schreiben vom 18. 6. 2009, mit dem eine Aussetzung der Entscheidung über den Berichtigungsantrag erklärt wurde, läge jeweils eine unvertretbare Rechtsansicht zu Grunde.

Die Beklagte wandte dagegen einerseits ihre mangelnde Passivlegitimation ein, weil sie keine Behörde sei und ihr auch kein Bescheidrecht zukomme. Anderseits seien ihr keine unvertretbaren Rechtsansichten vorzuwerfen. Nach eingehenden Überlegungen habe sie sich der Rechtsauffassung ihrer Aufsichtsbehörde angeschlossen, die in zahlreichen Verwaltungsverfahren dokumentiert sei; bis zum späteren Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs hätte keine abweichende höchstgerichtliche Judikatur existiert. Aufgrund des anhängigen VwGH-Verfahrens sei der Klägerin auch eine Aussetzung angeboten worden, welche weitere Verfahrenskosten vermieden hätte.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren übereinstimmend ab; das Berufungsgericht erklärte die Revision für zulässig. In der Sache führte es im Wesentlichen aus, der Wortlaut des Gesetzes sei nicht eindeutig. § 3 Abs 4 BUAG enthalte zwar eine klare Regelung für Mischbetriebe mit einer Aufteilung in Betriebsabteilungen, der Verweis auf eine sinngemäße Anwendung auf Arbeitnehmer in Mischbetrieben ohne organisatorische Trennung sei jedoch nur schwer verständlich. Der Verwaltungsgerichtshof habe letztlich der Behörde zugebilligt, dass hier auf die Aufnahme des Arbeitnehmers für eine bestimmte, dem BUAG unterliegende Tätigkeit abzustellen sei. Dass die Beklagte, auch wenn es gewichtige Argumente für eine andere Auslegung gegeben habe, der Rechtsansicht der Oberbehörde gefolgt sei, sei nicht deshalb als unvertretbar anzusehen, weil der Verwaltungsgerichtshof letztlich anders entschieden habe. Soweit der Beklagten weiters vorgeworfen werde, das Angebot, das Verfahren zu unterbrechen habe keine Rechtsgrundlage im BUAG und hätte zur Präklusion von Ansprüchen der Klägerin geführt, sei die Beklagte jedenfalls auch in diesem Zusammenhang vertretbar auf dem Standpunkt gestanden, dass die Zuschlagsvorschreibung zu Recht erfolgt und damit keine Berichtigung vorzunehmen sei. Der gesamte Inhalt des Schreibens stelle klar, dass die Beklagte gerade keine Entscheidung über den Berichtigungsantrag getroffen habe, sodass es für die Klägerin überhaupt keinen Grund gegeben habe, neben der Ergreifung eines Rechtsbehelfs gegen die unterlassene Erledigung des Berichtigungsantrags auch noch gegen eine vermeintliche Ablehnung des Berichtigungsantrags vorzugehen. Die Erhebung zweier Rechtsbehelfe sei nicht notwendig gewesen. Da die Beklagte vertretbarerweise auf den Standpunkt gestanden sei, keine Berichtigung vornehmen zu können, sei ihr unabhängig davon, ob sie ablehnend oder nicht entschied, kein amtshaftungsbegründender Vorwurf daraus zu machen. Auch eine ablehnende Entscheidung über ihren Antrag hätte keine anderen Kostenfolgen gehabt als eine Nichtentscheidung. Die notwendigen Vertretungskosten der Klägerin wären jedenfalls angefallen. Mangels Unvertretbarkeit des Vorgehens bestünde keine Ersatzpflicht. Die „Aussetzung“ sei nicht kausal für den entstandenen Schaden und die Doppelgleisigkeit der erhobenen Rechtsmittel nicht notwendig gewesen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Frage, inwieweit die Beklagte bei Vorschreibung der Zuschläge hoheitlich tätig werde, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung habe und dazu höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Klägerin ist - entgegen dem nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts - nicht zulässig, weil Amtshaftung jedenfalls nur dann in Betracht kommt, wenn die Unvertretbarkeit der Rechtsansicht zu bejahen wäre.

Dass die Rechtsansicht der Beklagten zur Beitragspflicht für die Doppellehrlinge inhaltlich unzutreffend war, steht nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs fest und ist auch nicht strittig. Fraglich ist allein, ob den Organen der Beklagten insoweit schuldhaftes Fehlverhalten vorzuwerfen ist, als diese von einer unvertretbaren Rechtsansicht ausgegangen wären.

Die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung (s dazu nur RIS-Justiz RS0049955) als Verschuldenselement ist ganz von den Umständen des Einzelfalls abhängig und entzieht sich deshalb regelmäßig einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0110837). Die Frage nach der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung kann regelmäßig nur dann eine erhebliche Rechtsfrage darstellen, wenn sie vom Berufungsgericht in gravierender Weise unrichtig beurteilt wurde (aaO [T2]). Ein solcher grober Beurteilungsfehler ist dem Berufungsgericht im vorliegenden Fall nicht unterlaufen.

Die ersten vier Absätze des § 3 BUAG hatten in der damals anzuwendenden Fassung folgenden Wortlaut:

„(1) Betriebe, in denen sowohl Tätigkeiten, die ihrer Art nach in den Tätigkeitsbereich der Betriebe nach § 2 fallen, als auch Tätigkeiten verrichtet werden, die ihrer Art nach nicht in diese Tätigkeitsbereiche fallen, unterliegen als Mischbetriebe nach Maßgabe der Abs. 2 bis 5 den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes. Ausgenommen sind Betriebe, in denen die Tätigkeiten im Sinne des § 2 ausschließlich für den eigenen Betrieb vorgenommen werden.

(2) In Mischbetrieben, in denen entsprechend den unterschiedlichen Tätigkeiten nach Abs. 1 eine organisatorische Trennung in Betriebsabteilungen besteht, unterliegen diejenigen Arbeitnehmer den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes, die in Betriebsabteilungen beschäftigt werden, in den Tätigkeiten verrichtet werden, die ihrer Art nach in die Tätigkeitsbereiche der Betriebe nach § 2 fallen.

(3) In Mischbetrieben, in denen keine organisatorische Trennung in Betriebsabteilungen besteht, unterliegen nur jene Arbeitnehmer den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes, die überwiegend Tätigkeiten verrichten, die ihrer Art nach in den Tätigkeitsbereich der Betriebe nach § 2 fallen.

(4) Auf Arbeitnehmer eines Mischbetriebes, die für eine Beschäftigung in einer diesem Bundesgesetz unterliegenden Betriebsabteilung aufgenommen wurden, finden für die Dauer des Arbeitsverhältnisses die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes auch dann Anwendung, wenn sie in einer diesem Bundesgesetz nicht unterliegenden Betriebsabteilung beschäftigt werden. Dies gilt sinngemäß auch für Arbeitnehmer in Mischbetrieben, in denen keine organisatorische Trennung in Betriebsabteilungen besteht.“

Auch wenn einiges dafür spricht, dass in den Absätzen 2 und 3 die Beurteilung der Beitragspflicht nach dem BUAG zu Beginn der Tätigkeit des einzelnen Arbeitnehmers und in Abs 4 die Frage geregelt werden soll, was gilt, wenn sich der Tätigkeitsbereich im Nachhinein maßgeblich verändert, hat doch das Berufungsgericht nicht zu Unrecht hervorgehoben, dass die Anordnung einer sinngemäßen Anwendung auf Arbeitnehmer in Mischbetrieben ohne organisatorische Trennung nur schwer verständlich ist. Die gesamte Auslegungsproblematik hat vor allem auch damit zu tun, dass in den genannten Gesetzesstellen Tatbestandsmerkmale mit unterschiedlichen Worten beschrieben werden, wobei nicht klar ist, was damit jeweils genau ausgesagt werden soll und in welchem Verhältnis diese Anknüpfungspunkte zueinander stehen („... in Betriebsabteilungen beschäftigt werden ...“, „... überwiegend Tätigkeiten verrichten ...“, „... in einer ... Betriebsabteilung aufgenommen wurden ...“). Die Auffassung des Berufungsgerichts, unter diesen Umständen könne den Organen der Beklagten nicht der Vorwurf einer unvertretbaren Rechtsansicht gemacht werden, wenn sie sich der vom zuständigen Bundesminister in der Vergangenheit wiederholt in Verwaltungsverfahren für richtig gehaltenen Auslegung angeschlossen haben, ist somit keine (krasse) Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste.

Gleiches gilt für die Beurteilung, die Beklagte habe mit ihrer Erklärung, die Entscheidung über den Berichtigungsantrag - unter Aufrechterhaltung ihres Rechtsstandpunkts - vorläufig aussetzen zu müssen, keinen weiteren zurechenbaren Schaden verursacht, als er auch bei Abweisung des Berichtigungsantrags entstanden wäre, weil für die Klägerin kein vernünftiger Grund bestanden habe, bei der Bekämpfung „doppelgleisig“ vorzugehen. Die darin zum Ausdruck kommende Auffassung, es wäre für die Klägerin ausreichend gewesen, ein einziges Rechtsmittel zu erheben, um zum gewünschten Ziel, nämlich der Überprüfung der Beitragsvorschreibung, zu gelangen, erscheint unbedenklich. Soweit die Revisionswerberin weiters den Vorwurf erhebt, die Beklagte habe bei ihrer Vorschreibung einen unrichtigen Kollektivvertrag herangezogen, wird die Relevanz dieses Vorwurfs - wie schon in der Berufung - nicht ausreichend dargetan. Insbesondere wird nicht konkret ausgeführt, inwieweit sich der behauptete Fehler zu ihren Lasten ausgewirkt haben könnte.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO. Die Revisionsgegnerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen, womit sich ihre Revisionsbeantwortung als zweckentsprechende Rechtsverteidigungsmaßnahme darstellt.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte