OGH 1Ob2114/96f

OGH1Ob2114/96f22.8.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Peter K*****, vertreten durch Dr.Harald Ofner und Dr.Gabriela Kaiser, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Thomas D*****, vertreten durch Dr.Kurt Waneck, Rechtsanwalt in Wien, wegen Rechtsunwirksamkeit eines Vaterschaftsanerkenntnisses und eines Unterhaltsvergleichs (Gesamtstreitwert nach RATG S 52.800,- -) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichts vom 14.Februar 1996, GZ 43 R 1175/95-121, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Donaustadt vom 10.Oktober 1995, GZ 1 C 12/92-112, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit S 4.871,04 (darin S 811,84 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Im Jahre 1974 erhob der Beklagte gegen den Kläger Klage auf Feststellung der Vaterschaft und auf Leistung von Unterhalt. Es wurde ein serologisches Gutachten eingeholt, wonach der Kläger von der Vaterschaft zum Beklagten nicht auszuschließen sei. Die Vaterschaft wurde als im höchsten Grad wahrscheinlich (99,8 %) beurteilt. Außerdem wurde auch ein Tragzeitgutachten eingeholt. Daraufhin verpflichtete sich der Kläger für den Fall der Feststellung der Vaterschaft vergleichsweise zur Zahlung von Unterhalt und anerkannte am 29.10.1975 die Vaterschaft.

Der Kläger begehrte nunmehr die Feststellung der Unwirksamkeit des Vaterschaftsanerkenntnisses und des Unterhaltsvergleichs. Es sei ihm ein neues Beweismittel, das erst in jüngster Vergangenheit entwickelte DNA-Fingerprint-Testsystem, das von einem Institut in Großbritannien durchgeführt werde, zugänglich geworden. Diese neue wissenschaftliche Methode ermögliche die konkrete Feststellung der Vaterschaft eines bestimmten Mannes zu einem bestimmten Kind. Er beantragte die Vornahme eines DNA-Fingerprint-Tests zum Beweis dafür, daß er nicht der Vater des Beklagten sei.

Der Beklagte wendete im wesentlichen ein, daß der Kläger die Vaterschaft schon immer bezweifelt, letztlich aber doch anerkannt habe; das Begehren sei verfristet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Aufgrund des vom Sachverständigen Prof.Dr.Paul S***** unter Anwendung der sogenannten RFLP-Methode erstatteten Gutachtens sei beim Kläger eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,980 bis 99,985 % gegeben. Bei Koordination dieses Gutachtens mit dem bereits im Vorverfahren eingeholten serologischen Gutachten ergebe sich ein „Hinweis der Vaterschaft des Klägers zum Beklagten in Höhe von 99,99996 %“; die Fehlermöglichkeit bestehe in einem Fall unter 2,5 Millionen Fällen. Die vom Kläger begehrte und von der Wissenschaft in Frage gestellte Methode der DNA-Analyse biete keine Grundlage für eine mathematisch genaue Berechnung, der DNA-Fingerprint-Test sei kein geeignetes Mittel, um die Vermutung der Vaterschaft des Klägers zu entkräften; dies habe der Sachverständige schlüssig und nachvollziehbar dargelegt. Da auch mit Hilfe der DNA-Methode ein 100 %iger positiver Vaterschaftsbeweis nicht möglich sei, zumal auch hier von statistischen Wahrscheinlichkeiten ausgegangen werde, sei in Anbetracht der sich aus den schon eingeholten Sachverständigengutachten ergebenden sehr hohen Vaterschaftswahrscheinlichkeit von der Einholung weiterer Gutachten (DNA-Analyse) abzusehen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens liege nicht vor. Die Durchführung der vom Kläger beantragten DNA-Analyse durch ein in Großbritannien ansässiges Unternehmen habe unterbleiben können, weil der vom Sachverständigen Prof.Dr.Paul S***** angewandten RFLP-Methode bei der Ermittlung biostatistischer Wahrscheinlichkeitswerte in Vaterschaftsverfahren gegenüber der vom Kläger begehrten Methode der Vorzug zu geben sei. Die Schlußfolgerungen des genannten Sachverständigen seien zu billigen, und sei dieser zu einer biostatistischen Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,985 % gekommen, woraus sich in Verbindung mit dem im Vorverfahren eingeholten serologischen Gutachten eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,99996 % ergebe.

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 164b ABGB ist die Rechtsunwirksamkeit des Vaterschaftsanerkenntnisses auf Klage des Anerkennenden gegen das Kind unter anderem dann festzustellen, wenn der Anerkennende beweist, daß solche Umstände vorliegen, die die Vermutung seiner Vaterschaft entkräften und die er zur Zeit der Anerkennung nicht gekannt hat. Für Streitigkeiten über die Vaterschaft zu einem unehelichen Kind ordnet Art V Z 5 UeKindG an, daß das Gericht von Amts wegen für die Aufklärung aller für die Entscheidung wichtigen Tatumstände zu sorgen hat. Der Untersuchungsgrundsatz gilt daher auch im Verfahren nach § 164b ABGB. Das Gericht hat alle Beweise aufzunehmen, von denen eine weitere Aufklärung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts erwartet werden kann, und zwar selbst dann, wenn sie von keiner Partei beantragt wurden oder wenn sich die Parteien dagegen ausgesprochen haben. Ist es nämlich Ziel der gerichtlichen Vaterschaftsfeststellung, die größtmögliche Übereinstimmung mit den wahren Abstammungsverhältnissen zu erreichen, dann muß ein Maximum und Optimum an richterlicher Ermittlungstätigkeit gefordert werden. Solange die durch die Wissenschaft gebotenen Möglichkeiten der Aufklärung der Abstammung nicht genützt sind, hat das Gericht die Verpflichtung, alle für die Entscheidung wichtigen Tatumstände aufzuklären, regelmäßig nicht erfüllt. Die Gerichte sind aber durch den Untersuchungsgrundsatz weder in ihrer freien Beweiswürdigung beschränkt noch verpflichtet, unnötige Beweise aufzunehmen (RZ 1996/34; EvBl 1995/4; JBl 1994, 611; RZ 1992/61; RZ 1991/11; JBl 1958, 282 ua).

Der Kläger behauptet das Vorliegen eines Verfahrensmangels, weil die von ihm beantragte DNA-Analyse nicht durchgeführt wurde. Ein solcher Verfahrensmangel kann an sich in dem vom Grundsatz der Amtswegigkeit beherrschten Vaterschaftsverfahren auch noch in dritter Instanz wahrgenommen werden (EvBl 1995/4; 4 Ob 518/95; JBl 1994, 611; ÖA 1993, 105; SZ 49/34 uva). Es ist daher zu prüfen, ob die Vorinstanzen das ihnen aufgetragene pflichtgemäße Ermessen im Zuge der Beweisaufnahme voll ausgeschöpft und alle Beweise aufgenommen haben, von welchen eine weitere Aufklärung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts erwartet werden könnte (EvBl 1995/4; JBl 1994, 611; ÖA 1993, 105; 6 Ob 718/83; SZ 49/34; EvBl 1967/202; JBl 1958, 282 ua).

Die DNA-Analyse ist selbst unter Bedachtnahme auf die in der Wissenschaft angemeldeten Zweifel jedenfalls ein die herkömmlichen wissenschaftlichen Methoden ergänzendes Verfahren, weil sie nicht nur höchste Ausschlußchancen für Nichtväter, sondern, wenn der Belangte danach nicht auszuschließen ist, auch hohe Vaterschaftswahrscheinlichkeitswerte vermittelt. Selbst wenn auch mit dieser Methode ein 100 %iger positiver Vaterschaftsbeweis nicht möglich ist, gelingt es doch mit ihrer Hilfe, einen voll vertrauenswürdigen Vaterschaftsausschluß zuwegezubringen. Die Entscheidung über den Beweiswert wissenschaftlicher Methoden der Vaterschaftsfeststellung ist von den Tatsacheninstanzen mit Hilfe sachverständiger Begutachtung zu lösen (EvBl 1995/4; JBl 1994, 611). Dieser Verpflichtung sind die Vorinstanzen nachgekommen. Sie haben sich mit dem Beweiswert der vom Kläger begehrten DNA-Analyse ausführlich befaßt und sind schließlich dem Gutachten des Sachverständigen Prof.Dr. Paul S***** gefolgt, wonach die vom Kläger begehrte Analyse deshalb kein taugliches Mittel darstellt, um die bereits vorliegenden gutachtlichen Ergebnisse zu widerlegen, weil auch mit Hilfe der DNA-Methode ein 100 %iger positiver Vaterschaftsbeweis nicht möglich sei (S.14 des Ersturteils, S.8 f des Urteils der zweiten Instanz). Die Vorinstanzen haben sich auch mit den kritischen Stimmen in der Wissenschaft zur DNA-Analyse in bezug auf die Möglichkeit eines Ausschluses der Vaterschaft ausführlich befaßt (S 11 f des Ersturteils, S 6 bis 8 des Berufungsurteils) und zum „Wert“ der DNA-Methode ein eigenes Gutachten (von Univ.Prof.Dr.Wolfgang R.M***** ON 71) eingeholt. Darin kam der Sachverständige zum Schluß, daß eine quantitative Beurteilung auch in bezug auf einen Ausschluß der Vaterschaft kaum möglich sei (S 10 des Urteils der ersten, S 7 f der Entscheidung der zweiten Instanz). Diese Wertung durch die Vorinstanzen stellt einen Akt der Beweiswürdigung dar, der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüft werden kann (1 Ob 535, 1551/94 mwN). Geht man von der von den Vorinstanzen festgestellten Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,99996 % aus (S.8 des Berufungsurteils), dann kann schon deshalb, weil die DNA-Methode in der Wissenschaft umstritten ist, auch nur hohe Vaterschaftswahrscheinlichkeitswerte vermittelt und mit ihr ein 100 %iger positiver Vaterschaftsbeweis auch nicht möglich ist (EvBl 1995/4; JBl 1994, 611), in der Unterlassung des vom Kläger beantragten Beweises keine Überschreitung des von den Vorinstanzen wahrzunehmenden Ermessens bei der Beweisaufnahme erblickt werden. Ein Verstoß gegen die nach Art V Z 5 UeKindG gebotene Stoffsammlungspflicht liegt nicht vor (vgl 6 Ob 718/83).

Der Revision ist ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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