Spruch:
Haben beide Vertragspartner den Vertrag nicht rechtzeitig erfüllt, so ist derjenige, der den Verzug verschuldet hat, schadenersatzpflichtig.
§ 1304 ABGB. nicht anwendbar.
Entscheidung vom 12. März 1952, 1 Ob 205/52.
I. Instanz: Kreisgericht Korneuburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Nach den erstrichterlichen Feststellungen habe die Beklagte einen Kraftwagen dem Kläger um 72.500 S verkauft und am 20. Oktober 1947 übergeben. Am Tag darauf sei zwischen den Parteien der Rückverkauf des Fahrzeuges an die Beklagte um den Kaufschilling von 87.500 S vereinbart worden. Der Kläger habe aber die Herausgabe des Wagens gegen Rückzahlung des erwähnten Betrages grundlos verweigert, so daß er auf die Klage der Beklagten hin mit dem Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 10. Mai 1948, 40 Cg 20/48, zur Herausgabe des Fahrzeuges Zug um Zug gegen Bezahlung von 87.500 S habe verurteilt werden müssen. Kläger begehrt nun vom Beklagten Rückgabe des Kaufpreises von 87.500 S.
Das Erstgericht erkannte, daß die Forderung des Klägers mit diesem Betrag zu Recht besteht, daß die in gleicher Höhe geltend gemachte Gegenforderung der Beklagten aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes für die Entwertung des Kraftwagens mit dem Betrag von 47.500 S aufrecht sei und daß die Beklagte daher Zug um Zug gegen Übergabe des im Spruch bezeichneten Kraftwagens einen Betrag von 40.000 S dem Kläger bezahlen müsse. Da der Kläger schuldhaft in Verzug geraten sei, müsse er den Beklagten den dadurch verursachten Schaden ersetzen. Allein nach dem Gutachten des Sachverständigen sei der Wagen durch den Zeitablauf teilweise entwertet worden. Bis zum Urteil im Vorprozeß 40 Cg 20/48 (März 1948, richtig Mai 1948) hafte der Kläger für diese Entwertung. Für die spätere Entwertung habe er nicht aufzukommen, weil sich die Beklagte von der Erlassung des erwähnten Urteiles an geweigert habe, die 40.000 S, zu deren Bezahlung sie verpflichtet gewesen sei, gegen Übergabe des Autos dem Kläger herauszugeben. Der Schaden der Beklagten belaufe sich auf
47.500 S, um welchen Betrag der Lastkraftwagen im Wert gesunken sei. Die Differenz zwischen den früher erwähnten 87.500 S und den 37.500 S, nämlich 40.000 S, habe die Beklagte noch zu bezahlen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge, wohl aber der der Beklagten, und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von 26.500 S an Stelle der erwähnten 40.000 S. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes. Es sei gleichgültig, ob der Verzug des Klägers schon im Oktober 1947 eingetreten sei. Jedenfalls sei der Kläger spätestens mit der Zustellung der Klage 40 Cg 20/48 (25. November 1948) in Verzug geraten. Er hätte sich nach Ansicht des Berufungsgerichtes nach der Rechtskraft des Urteils vom 10. Mai 1948 bereit erklären müssen, den Lastkraftwagen nicht gegen Bezahlung des vollen Betrages von 87.500 S, sondern bloß des um den damaligen Verzögerungsschaden verminderten Betrages an die Beklagte herauszugeben. Da der Kläger dies unterlassen habe, gehe die Wertverminderung des Kraftwagens bis zum Schluß der Verhandlung erster Instanz zu seinen Lasten. Nach dem Gutachten des Sachverständigen in Verbindung mit einer Abschätzung nach § 273 ZPO. habe der Kraftwagen zu dieser Zeit nur mehr einen Wert von 26.500 S gehabt. Die Differenz zwischen 87.500 S und 26.500 S, nämlich 61.000 S, könne die Beklagte compensando geltend machen. Sie sei daher nur verpflichtet, dem Kläger den Unterschied zwischen den eingeklagten 87.500 S und den 61.000 S, das sind 26.500 S, für die Herausgabe des Kraftwagens zu bezahlen.
Die Revision der Beklagten blieb ohne Erfolg.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Auch die rechtliche Beurteilung der Sache durch das Berufungsgericht findet die Billigung des Revisionsgerichtes. Die Untergerichte haben festgestellt, daß die Parteien den Rückkauf des Lastkraftwagens durch die Beklagte um den Preis von 87.500 S im Oktober 1947 vereinbart haben. Das Rechtsgeschäft sollte so durchgeführt werden, daß der Kläger Zug um Zug gegen Bezahlung von 87.500 S durch die Beklagte dieser den Kraftwagen herausgebe. Es ist weder zur Übergabe des Fahrzeuges noch zur Bezahlung gekommen. Beide Teile beharrten aber auf ihrem Erfüllungsanspruch und erklärten nicht den Rücktritt vom Rückkaufvertrag, wie sich einerseits aus der Klage der Beklagten auf Herausgabe des Kraftwagens und der vorliegenden Klage auf Bezahlung des Rückkaufpreises von 87.500 S ergibt. Gemäß § 918 ABGB. kann der Vertragspartner, der auf Erfüllung besteht, daneben Schadenersatz wegen (verschuldeter) Verzögerung geltend machen.
Grundsätzlich kann gegen die Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes, daß derjenige Vertragsteil, der den Verzug verschuldet hat, schadenersatzpflichtig sei, nichts eingewendet werden. Insbesondere ist die Meinung des Revisionswerbers unrichtig, daß der durch den Zeitablauf verursachte Wertverlust von der rechtlich bedeutsamen Kausalität des Verzuges nicht umfaßt werde. Der Zweck des Gesetzes, das an dem Verzug eines Geschäftspartners nachteilige Rechtsfolgen knüpft, liegt darin, Verzögerungsschäden des anderen Teiles hintanzuhalten. Die Übertretung der Vorschrift ist darum gerade für solche Schäden im rechtlichen Sinne kausal. Der im Verzug befindliche Vertragsteil konnte aber auch mit Rücksicht auf die Schillingabschöpfung des Jahres 1947 mit einem Absinken der damals überhöhten Preise und damit mit einer Schädigung des anderen Teiles infolge Zeitablaufes rechnen. Von einer atypischen Kausalität kann deshalb nicht gesprochen werden.
Das Revisionsgericht hält so wie das Berufungsgericht den Kläger für denjenigen Vertragsteil, der allein den Verzugsschaden verschuldet hat. Denn er ließ sich unbegrundeterweise in den Rechtsstreit 40 Cg 20/48 ein, der im Mai 1948 zu seinen Ungunsten ausging. In der damaligen Klage der heutigen Beklagten hatte diese sich ausdrücklich bereit erklärt, den ungekürzten Betrag von 87.500 S gegen Herausgabe des Fahrzeuges durch den Kläger diesem zu bezahlen. Sie war damit zur ordnungsmäßigen Leistung bereit. Der Kläger hingegen stellte sich auf den verfehlten Standpunkt, daß ein Rückverkauf gar nicht stattgefunden habe. Damit setzte er sich in einem Zeitpunkt in Verzug, als auf Seite der Beklagten Leistungsbereitschaft bestand. In der Folge brachte die Beklagte allerdings vor, sie hätte den Kraftwagen um 120.000 S Josef E. verkaufen können, was durch den Verzug des Klägers verhindert worden sei. Der dem Kläger zur Last zu legende Schaden belaufe sich auf die Differenz zwischen den 87.500 S und den 120.000 S, die Josef E. nach Ansicht der Beklagten gezahlt haben würde, so daß der Schadenersatz 32.500 S ausmache. In diesem Zeitpunkt war die Beklagte offensichtlich nicht mehr bereit, den ganzen Betrag von 87.500 S gegen Herausgabe des Kraftfahrzeuges dem Kläger zu bezahlen. Zu einer Reduktion aus dem erwähnten Schadenersatztitel war die Beklagte nicht berechtigt, weil sich in diesem Verfahren herausgestellt hat, daß der Verkauf an Josef E. keineswegs gesichert war. Allein solange sich der Kläger im Verzug befand, konnte die Beklagte nicht ihrerseits auch in Leistungs- und Annahmeverzug geraten. Es bedeutet keine purgatio morae des Klägers, daß dieser im Vorprozeß bei der Streitverhandlung vom 10. Mai 1948 das ursprüngliche Klagebegehren auf Herausgabe des Autos gegen Bezahlung des vollen Betrages von 87.500 S anerkannte. Denn zu diesem Zeitpunkt war - wie sich in diesem Rechtsstreit herausgestellt hat - die teilweise Entwertung des Fahrzeuges schon eingetreten, so daß der Kläger sich nicht mehr auf den Standpunkt stellen durfte, keinen Abzug des Entwertungsschadens der Beklagten vom Betrag von 87.500 S zuzulassen. Der Kläger hätte sich vielmehr mit einem geringeren Betrag begnügen müssen, wenn er seinen Verzug hätte beenden wollen. Daß auf seiner Seite keine solche Bereitschaft bestand, ergibt sich daraus, daß er auf Grund des Urteils vom 10. Mai 1948, 40 Cg 20/48, versuchte, seinerseits gegen die Beklagte zur Hereinbringung des vollen Betrages von 87.500 S Exekution zu führen, was ihm schon aus prozessualen Gründen versagt bleiben mußte. Der Kläger könnte sich aber auch nicht auf die Rechtskraft dieses Urteils berufen, um die Beendigung seines Verzuges zu erweisen. Denn das Urteil entsprach tatsächlich nicht der materiellen Rechtslage, weil es über die Gegenforderung der Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes wegen Wertverminderung des Kraftwagens nicht erkannt hatte. Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, diese Gegenforderung schon im Vorprozeß geltend zu machen, weil nur unselbständige Einwendungen durch die Rechtskraft des Urteils präkludiert werden. Abgesehen davon hat das Gericht die von der Beklagten allerdings wegen einer anderen Schadenersatzforderung beabsichtigte Klagsänderung nicht zugelassen und der Beklagten damit auch im übrigen verwehrt, die Klage den geänderten Umständen anzupassen. Dem Kläger mußte bekannt sein, daß ihm der im Urteil vom 10. Mai 1948 genannte Betrag von 87.000 S nicht mehr voll zustehe.
Der Kläger hat sich auch späterhin, bis zum Schluß der Verhandlung erster Instanz in diesem Rechtsstreit, zur Rückgabe des Kraftwagens gegen Bezahlung eines herabgesetzten Betrages nicht bereit erklärt. Er hat seinen Verzug nicht beendet und muß deshalb allein für die widrigen Folgen aufkommen. Die Bestimmung des § 1304 ABGB. ist hier nicht anwendbar. Es kann immer nur der Verzug des einen Teiles bei Lieferschulden maßgebend sein.
Was die Höhe des Entwertungsschadens betrifft, folgt das Revisionsgericht auch darin der Meinung des Berufungsgerichtes, das ihn mit 61.000 S angenommen hat.
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