Spruch:
Zulässigkeit von Lebenshaltungsindexklauseln in Darlehensverträgen (Wertsicherungsklauseln).
Entscheidung vom 21. Dezember 1949, 1 Ob 203/49.
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Kläger erwirkte gegen die Beklagte einen Wechselzahlungsauftrag auf Zahlung von 13.700 S; da 10.000 S im Zuge des Prozesses bezahlt wurden, hat der Kläger sein Begehren auf 3.700 S s. Nebg. eingeschränkt. Bezüglich dieses Betrages hat die Beklagte eingewendet, daß sie vom Kläger ein Darlehen von 10.000 S erhalten habe und mit ihm eine Wertsicherungsklausel (Lebenshaltungskosten-Index) vereinbart habe, daß aber eine solche Klausel ungültig und das über 10.000 S hinausgehende Begehren daher unsittlich sei. Da Kläger trotz des Währungsschutzgesetzes vollwertige Schillinge zurückerhalten habe, sei das Begehren auf Zahlung von 3.700 S abzuweisen.
Bei der Streitverhandlung vom 5. Oktober 1948 wurde außer Streit gestellt, daß die Beklagte am 19. Juli 1947 ein Darlehen von 10.000 S unter nachstehenden Bedingungen erhalten habe:
"Herr Dipl.-Ing. Ba. gewährte Frau Be. ein Darlehen im Betrage von 10.000 S, dessen Rückzahlung er erst nach dem 30. August 1948 begehren kann. Vor dem 30. August 1948 ist er nicht verpflichtet, die Rückzahlung entgegenzunehmen. Eine Verzinsung wird bis zur Fälligkeit nicht vereinbart.
Herr Dipl.-Ing. Ba. ist berechtigt, die Erhöhung des zurückzustellenden Darlehensbetrages in demselben Ausmaße zu begehren, in dem sich gegenüber dem Stand vom 19. Juli 1947 erhöht:
a) der für Wien zulässige Preis für 100 kg Weizen mittlerer Güte oder b) der Lebenshaltungskostenindex.
Frau Be. unterfertigt heute ein Blanco-Akzept, das zu treuen Händen der Rechtsanwälte Dr. M. und Dr. H. erlegt wird. Wenn Frau Be. mit der Rückzahlung im Verzuge ist, haben die Rechtsanwälte Dr. M. und Dr. H. dieses Blanco-Akzept auf den dieser Vereinbarung entsprechenden Betrag auszustellen und Herrn Dipl.-Ing. Ba. zur Einklagung zu übergeben. Eine Präsentierung dieses Akzeptes zur Zahlung ist nicht erforderlich".
Das Erstgericht hat den Wechselzahlungsauftrag im eingeschränkten Umfang mit der Begründung aufrechterhalten, daß die getroffene Wertsicherungsklausel zulässig sei und den guten Sitten nicht widerspreche.
Das Berufungsgericht hat der Berufung der Beklagten teilweise Folge gegeben und den Wechselzahlungsauftrag unter Berücksichtigung der Einschränkung um 10.000 S hinsichtlich eines Teilbetrages von 700.15 S samt Nebengebühren aufrechterhalten, im übrigen aufgehoben.
Das Berufungsgericht schloß sich der erstrichterlichen Auffassung an, daß die getroffene Wertsicherungsklausel nicht ungültig sei, meint aber, daß die Einwendung der Beklagten begrundet sei, daß der Kläger nach dem Vertrag nur so viele Schillinge zu erhalten habe, daß er schillingsgleiche Werte wie bei der Darlehenshingabe erhalte.
Da am 19. Juli 1947, dem Tag der Hingabe des Darlehens, die Unterhandlungen über das Lohn- und Preisabkommen im Gange waren, so sei das Geld, das Kläger am 19. Juli 1947 hingegeben habe, bereits mit all den Nachteilen behaftet gewesen, welches das in Rede stehende Lohn- und Preisabkommen durch die notwendig eintretende Teuerung im Ausmaß von 30% mit sich brachte. Es sei bestimmt nicht die Absicht der beiden Parteien gewesen, daß die beklagte Partei diese bereits im Zeitpunkt der Darlehenshingabe sicheren und unmittelbar bevorstehenden Nachteile auf sich zu nehmen hatte, mit anderen Worten, die im August 1947 eingetretene Teuerung und Steigerung des Lebenskostenindex um 30% komme im vorliegenden Falle bei Anwendung der Wertsicherungsklausel nicht in Betracht. Es könne daher nur die nach dem erwähnten Lohn- und Preisübereinkommen eingetretene Steigerung des Lebenskostenindex in Betracht kommen, welche die im August/September 1948 festgelegte Erhöhung für die Lohnempfänger im Ausmaß von 6 bis 7% zur Folge hatte.
Der Oberste Gerichtshof stellte die erstrichterliche Entscheidung wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wird, soweit eine Abänderung des erstinstanzlichen Urteiles erfolgt ist, vom Kläger mit Revision angefochten. Geltend gemacht wird allein der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit nach § 503 Z. 3 ZPO. Der Revisionsantrag lautet auf Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Aus den Ausführungen der Revision ergibt sich, daß eine im Berufungsverfahren unterlaufene Aktenwidrigkeit gar nicht geltend gemacht wird. Eine Aktenwidrigkeit liegt nur dann vor, wenn etwas unrichtig als Inhalt des Aktes angeführt wird, was im Akte gar nicht enthalten ist, oder der Akteninhalt unrichtig wiedergegeben ist. Wenn aber aus einer Urkunde unrichtige rechtliche Folgerungen gezogen, der Inhalt einer Urkunde falsch ausgelegt wird, so kann dieser Vorgang nur mit dem Revisionsgrunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung angefochten werden, u. zw. auch dann, wenn das Berufungsgericht bei der Auslegung von tatsächlichen Erwägungen ausgegangen ist, die im Verfahren weder behauptet noch erwiesen worden sind.
Es war daher zu untersuchen, ob die formal verfehlte Revision sich nicht etwa als Revision nach § 503 Z. 4 ZPO. aufrechterhalten läßt.
Den Revisionsausführungen, die sich gegen die Interpretation des Vertrages durch das Berufungsgericht mit den Worten wehren, das sei nicht Auslegung eines Vertrages, sondern unzulässige Ergänzung und Verbesserung, kann immerhin noch entnommen werden, daß die Revision auch die Vertragsauslegung bekämpft und daher, wenn auch in sehr undeutlicher Weise, unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache geltend macht.
Und von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, ist die Revision begrundet. Da Beweise darüber, wie der Vertrag zu verstehen ist, weder beantragt noch aufgenommen worden sind, so ist allein der Wortlaut des Vertrages maßgebend. Dieser läßt aber deutlich erkennen, daß nach dem Vertragswillen der Parteien die Erhöhung des Lebenskostenindex zwischen 19. Juli 1947 und dem Verfallstag ausschließlich zu Lasten der Beklagten gehen sollte. Ein Anhaltspunkt dafür, daß die zwischen 19. Juli 1947 und 31. August 1947 eingetretene Teuerung zu Lasten des Klägers gehen sollte, fehlt. Der Umstand, daß man am Tage der Darlehensgewährung allgemein mit einer Steigerung des Lebenskostenindex rechnete, wäre vielleicht ein Grund für die Beklagte gewesen, den für sie im Ergebnis ungünstigen Vertrag nicht abzuschließen, berechtigte aber das Berufungsgericht nicht, den Kläger die Entwertung der Kaufkraft des Schillings, der er sich durch den Vertrag entzogen hat, tragen zu lassen.
Es kann auch der Auffassung des Berufungsgerichtes nicht beigepflichtet werden, daß das Geld, das der Kläger am 19. Juli 1947 der Beklagten hingab, bereits mit all den Nachteilen behaftet war, welche das in Rede stehende Lohn- und Preisabkommen durch die notwendig eintretende Teuerung im Ausmaß von 30% mit sich brachte. Denn die Nachteile, mit denen das Geld damals behaftet war, sind nicht erst im Sommer 1947 entstanden, sie waren eine Folge der jahrelangen deutschen Okkupation und der dadurch herbeigeführten Deroutierung unserer Währungsverhältnisse. Diese "Nachteile" bestanden bereits seit der Befreiung, wenn sie auch nicht sofort zum vollen Ausdruck gelangten, und diese Nachteile sind auch nach dem Lohn- und Preisabkommen 1947, wie die nachfolgende Entwicklung gezeigt hat, nicht völlig überwunden worden.
Ebensowenig kommt es darauf an, ob der Schilling damals seinen inneren Wert erhalten konnte oder nicht, weil die Parteien den sogenannten inneren Wert des Schillings am internationalen Valutenmarkt ihrem Abkommen nicht zugrunde gelegt haben, sondern die Kaufkraftdifferenz an zwei genau fixierten Stichtagen ihrer Vereinbarung.
Die Entscheidung hängt daher allein von der von den Untergerichten verneinten Frage ab, ob staatliche Gesetze der Vereinbarung einer Lebenshaltungsindexklausel entgegenstehen.
Der Oberste Gerichtshof schließt sich der Rechtsmeinung der Untergerichte in diesem Punkte an. Wie der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung vom 23. Mai 1949, 3 Ob 152/49 (Nr. 82), JBl. 1949, S. 456, ausgeführt hat, verstoßen Wertsicherungsklauseln an sich weder gegen das Gesetz noch gegen die guten Sitten. Denn es handle sich um Wertsicherungsklauseln, die den Gläubiger gegen die Entwertung der österreichischen Währung im Verhältnis zur Schweizer Währung sichern wollen. Da bei Klauseln dieser Art mit der mangelnden Stabilität der österreichischen Währung gegenüber dem Auslande gerechnet wird und alle Verträge dieser Art, wenn in größerer Anzahl abgeschlossen, geeignet sind, die Währungsgrundlage zu erschüttern, so könnte immerhin an der Zulässigkeit der Valutawertklauseln gezweifelt werden. Diese Erwägung fällt aber bei Kaufkraftklauseln weg, da durch diese die inländische Währung niemals unterhöhlt wird, weil der Lebenshaltungskostenindex der eingetretenen internationalen Entwertung der Landeswährung immer erst in langen Abständen folgt. Sie sind daher in den meisten Rechtsordnungen zulässig.
Nur soweit der Gesetzgeber Wertsicherungsklauseln ausdrücklich verboten hat, ist die Berücksichtigung einer vereinbarten Wertsicherungsklausel unzulässig. Das gilt von der Goldklausel, die in einer Reihe von Gesetzen untersagt wurde. Auch Valutaklauseln sind nach dem Devisengesetze grundsätzlich nicht gestattet. Diese Bestimmungen stehen aber einer Vereinbarung der Streitteile, nach der die Leistungen nach dem Lebenshaltungskostenindex abgestellt sind, nicht entgegen.
Durch die Verordnung über wertbeständige Rechte vom 16. November 1940, DRGBl. I S. 1521, wurde nur die Bestellung von Grundpfandrechten für wertgesicherte Rechte beschränkt, nicht aber die Vereinbarung wechselmäßig gesicherter Darlehen.
Auch den preisrechtlichen Vorschriften kommt keine Bedeutung für die vereinbarte Wertsicherung zu. Die Verordnung über das Verbot von Preiserhöhungen im Lande Österreich vom 29. März 1938, DRGBl. I S. 340, verbietet nur die Erhöhung von Preisen und Entgelten jeder Art, insbesondere für die Bedürfnisse des täglichen Lebens und Waren aller Art. Darlehensverträge fallen nicht darunter, auch wird durch eine Wertsicherungsklausel der Preis nicht erhöht, sondern nur in seinem Wert erhalten.
Auch der Erlaß des Staatsamtes für Inneres vom 15. November 1945, Z. 47.961-11-45, dessen Gesetzmäßigkeit nicht unbestritten ist, der auf Grund des § 3 des Preisregelungsgesetzes, StGBl. Nr. 89/45, erlassen wurde, kann nicht gegen die vereinbarte Wertsicherungsklausel ins Treffen geführt werden, weil dieser Erlaß überhaupt keine neue Anordnung trifft, sondern lediglich die Preisüberwachungsstellen darauf hinweist, daß die Beifügung von Wertklauseln oder ähnlichen Vorbehalten bei Offerten und Rechnungen, da den bestehenden Preisvorschriften widersprechend, unzulässig ist. Noch deutlicher ergibt sich dies aus dem Erlaß des Bundesministeriums für Inneres vom 14. Juni 1948, Z. 75.153-11/1948 (Not.Ztg. 1949, S. 30), nach dem Wertklauseln auch weiterhin nur bei preisgeregelten Leistungen und Waren verboten sind. Darlehensverträge waren aber niemals preisgeregelt.
Ein allgemeines, ausnahmsloses Verbot von Wertsicherungsklauseln besteht nur bei Versicherungsverträgen (Erl. d. Bundesministeriums für Finanzen v. 28. März 1946, Z. 25.320-19/46 (legalisiert durch Vdg. BGBl. Nr. 124/49)). Wertsicherungsklauseln in Darlehensverträgen sind dagegen nach keiner gesetzlichen Bestimmung verboten.
Die unteren Instanzen haben daher mit Recht die Zulässigkeit der Indexklausel bejaht.
Da der Oberste Gerichtshof der Vertragsauslegung der ersten Instanz zustimmt und die des Berufungsgerichtes nicht zu teilen vermag, so mußte der Revision Folge gegeben und die erstrichterliche Entscheidung wiederhergestellt werden.
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