Spruch:
Die derzeitige inflatorische Entwicklung in Österreich bedeutet zwar nicht generelle "Unzeit" bei Liegenschaftsveräußerungen, ist aber bei Prüfung des "Nachteiles" des Eigentumsteilungsbeklagten zu berücksichtigen
OGH 20. 12. 1972, 1 Ob 200/72 (OLG Graz 3 R 81/72; KG Leoben 3 Cg 9/72)
Text
Die Streitteile (Neffe und Tante) sind je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft EZ 147 KG L mit dem Grundstück Nr 92/2 Bauareal mit Wohnhaus. Auf Grund von Mietverträgen bewohnen der Kläger und seine Familie die im Erdgeschoß, die Beklagte die im ersten Stock und die Mutter des Klägers die im zweiten Stock des Hauses gelegenen Wohnungen. Die nunmehrigen Miteigentümer haben die Liegenschaft im Erbwege vom Vater der Beklagten bzw Großvater des Klägers erworben.
Der Kläger begehrt mit der seit 14. 5. 1971 anhängigen Klage die Aufhebung der Eigentumsgemeinschaft durch gerichtliche Feilbietung.
Die Beklagte bekämpft das Teilungsbegehren mit der Behauptung, die Teilung werde zur Unzeit und zum Nachteil der Beklagten begehrt, wobei sie die Unzeit in der allgemeinen unsicheren Währungslage und der stark fortschreitenden Geldentwertung aber auch darin erblickt, daß sie schon im 80. Lebensjahr stehe und schwer krank sei. Es bestunde ferner die Gefahr, daß sie durch die gerichtliche Feilbietung des Hauses ihre Wohnung verliere. Schließlich sei zu berücksichtigen, daß der Liegenschaftsanteil ihr einziges Vermögen darstelle.
Der Erstrichter hat dem Klagebegehren stattgegeben und ausgeführt, der Aufhebungsantrag des Klägers sei lediglich dadurch beschränkt, daß er nicht zur Unzeit oder zum Nachteil der Beklagten geltend gemacht werden dürfe. Alle diesbezüglichen Einwände der Beklagten seien nicht stichhältig, sie würden auch einen Aufschub der Zivilteilung nicht rechtfertigen.
Das Berufungsgericht, nach dessen Ausspruch der Wert des Streitgegenstandes S 50.000.- übersteigt, bestätigte das Urteil erster Instanz.
Der Oberste Gerichtshof änderte die Urteile der Untergerichte dahin ab, daß er das Klagebegehren abwies.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Oberste Gerichtshof würde seiner Aufgabe nicht gerecht, würde er darüber hinwegsehen, daß die inflationäre Entwicklung in Österreich - die von der Revisionswerberin in den Vordergrund gestellten Teuerungs- und Kostensteigerungserscheinungen sind nur deren Symptome - ein Besorgnis erregendes Ausmaß erreicht hat. Diese Entwicklung, die gewiß nicht nur auf Österreich beschränkt ist, ist nicht erst im Zeitpunkt der hier zu treffenden Entscheidung manifest geworden, sie war schon im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung in erster Instanz (23. 5. 1972) in vollem Gang. Die Frage, ob und inwieweit der Oberste Gerichtshof rapide Verschlechterungen der Wirtschafts- und Währungsverhältnisse, die erst nach Schluß der Verhandlung in erster Instanz eingetreten wären, berücksichtigen könnte, braucht darum hier nicht erörtert zu werden.
Die derzeitige Lage in Österreich ist freilich nicht nur durch die unbestreitbare und keineswegs mehr als "schleichend" (so noch MietSlg 23.047) qualifizierbare Inflation gekennzeichnet, die noch dazu mit der bevorstehenden einschneidenden Änderung des Umsatzsteuersystems zusammenfällt, sondern auch dadurch, daß die für eine Inflationsbekämpfung in Betracht kommenden Stellen - Bundesregierung, Nationalbank, Kreditapparat, Sozialpartner - gezielte und koordinierte Gegenmaßnahmen im österreichischen Wirtschafts- und Währungsbereich getroffen und - in Anbetracht der von den Wirtschaftsbeziehungen mit dem Ausland ausgehenden Einwirkungen auf das österreichische Wirtschaft- und Währungsgefüge - mit anderen Staaten und internationalen Institutionen abgesprochen haben, von denen mit Grund erwartet werden kann, daß sie in absehbarer Zeit zu einer Eindämmung der Inflation und zu einer Beruhigung der Verhältnisse führen werden. Von einem Dauerzustand, bei dem ein "Aufschub" auf eine Verweigerung des im § 830 ABGB normierten Rechtes auf Aufhebung der Gemeinschaft hinausliefe (vgl dazu die bei Kapfer[29] zu § 830 ABGB unter Nr 41 angeführte Judikatur), kann hier also keine Rede sein.
Es soll nicht übersehen werden, daß es auch derzeit Geldanlagemöglichkeiten gibt, die geeignet sind, die Auswirkungen der Inflation wenigstens bis zu einem gewissen Grad abzufangen. Dazu zählen zB der Erwerb hochverzinslicher Wertpapiere (bis 7%), die langfristige Bindung von Spareinlagen, das Prämiensparen udgl; der Realitätenmarkt ist keineswegs zum Erliegen gekommen und die Zulässigkeit von Wertsicherungsklauseln gibt weitere Möglichkeiten im rechtsgeschäftlichen Verkehr, etwa bei der Gewährung von Darlehen. Es ginge daher nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes zu weit, wollte man bereits den Standpunkt vertreten, Liegenschaftsveräußerungen erfolgten unter den gegebenen Verhältnissen ganz allgemein zur "Unzeit".
Damit ist für einen Prozeßerfolg des Klägers aber nichts gewonnen, weil er sich einen angemessenen Aufschub gemäß § 830 ABGB auch dann gefallen lassen muß, wenn sein Begehren auf Aufhebung der Eigentumsgemeinschaft derzeit "zum Nachteile" der Beklagten gestellt erscheint. Ehrenzweig (System[2] II/1, 751 f) weist zwar darauf hin, daß diese Bestimmung den Gedanken nahelege, es seien auch persönliche (nicht bloß gemeinsame) Nachteile zu beachten, kommt dann aber doch zum Ergebnis, nur das objektive, gemeinsame Interesse an der bestmöglichen Verwertung komme in Betracht. Klang tritt dem bei (in Klang[2] III 1099), während die Judikatur hier nicht einheitlich ist. So hat der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung EvBl 1960/352 den Standpunkt geteilt, "Nachteil der übrigen" sei nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen; der Schaden eines Teilhabers sei unbeachtlich, wenn er einem außerhalb der Gemeinschaft liegenden Verhältnis entspringe. Seither hat er aber schon mehrfach und gestützt auf ältere Entscheidungen, von denen insbesondere SZ 14/196 erwähnt sei, die Auffassung vertreten, daß auch Gründe persönlicher Art, die nur bei einem Teil der Miteigentümer vorliegen, ein Teilungshindernis darstellen können (1 Ob 170/63; 5 Ob 53/65), in welchem Fall allerdings eine Interessenabwägung vorzunehmen ist. Der erkennende Senat sieht keinen Grund, von dieser Auffassung abzugehen, weil damit den besonderen Umständen des einzelnen Falles Rechnung getragen werden kann, ohne daß - mehr oder weniger unbewußt - schlechthin nach Billigkeit entschieden würde (vgl auch dazu Klang aaO 1102).
In diesem Zusammenhang ist nun davon auszugehen, daß für einen hochbetagten, kranken Menschen, wie es die Beklagte ist, bedeutende Schwierigkeiten bestehen, eine Geldanlage zu finden, die einerseits eine ausreichende Sicherung gegen den derzeitigen beträchtlichen Geldwertverlust zufolge der inflatorischen Entwicklung bietet, ihm anderseits aber doch auch ermöglicht, im Bedarfsfall auf sein Kapital greifen zu können. Menschen, die nicht nur einmal, sondern schon zweimal die ganze Wucht galoppierender Inflationen erlebt haben, ist es nicht zuzumuten, sich auf Transaktionen mit dem Erlös eines Liegenschaftsanteiles einzulassen, deren Tragweite sie nicht übersehen können, an deren Sicherheit und Zweckmäßigkeit sie zweifeln müssen und die ihnen notwendigerweise eine Quelle ständiger Sorge und Belastung wären. Nach den Feststellungen der Unterinstanzen bezieht die Beklagte eine Pension von etwa über S 3000.-. Ungeachtet ihr der Schutz der Krankenversicherung und einer von ihr abgeschlossenen Zusatzversicherung zustatten kommt, kann nach den Erfahrungen des Lebens nicht ausgeschlossen werden, daß die Beklagte sich eines Tages vor die Notwendigkeit gestellt sehen wird, auf ihre Vermögen zu greifen. Die ungeschmälerte Erhaltung seines Wertes liegt daher in ganz besonderem Maß im Interesse der Beklagten und wird, soweit sich die nähere Zukunft überschauen läßt, am besten dadurch gewährleistet, daß derzeit eine ihr aufgezwungene Veräußerung der Liegenschaft unterbleibt, während bei der Anschaffung von Wertpapieren im Veräußerungsfall immerhin mit nicht mit Sicherheit kalkulierbaren Kursverlusten, bei langfristiger Bindung von Spareinlagen im Fall vorzeitiger Realisierung mit dem Verlust der Mehrverzinsung gerechnet werden muß. Daß bei einem Verkauf des gegenständlichen unzweifelhaft kleinen Hauses - es enthält nur drei, an den Kläger, dessen Mutter und die Beklagte vermietete Wohnungen - ein Erlös erzielt würde, dessen auf die Beklagte entfallene Hälfte so groß wäre, daß unverzüglich eine Liegenschaft oder auch nur eine Eigentumswohnung gekauft werden könnte, ist gleichfalls fraglich, sodaß die Verweisung der Beklagten auf derartige Veranlagungsmöglichkeiten das Bild ihrer Interessenlage nicht wesentlich ändert.
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