OGH 1Ob194/97d

OGH1Ob194/97d15.7.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Marktgemeinde L*****, vertreten durch Dr.Martin Hahn und Dr.Christian Stocker, Rechtsanwälte in Wiener Neustadt, wider die beklagte Partei P***** Aktiengesellschaft, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen Aufkündigung (Streitwert 24.000 S) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgerichts vom 26.Februar 1997, GZ 18 R 257/96i-26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom 24.September 1996, GZ 8 C 2388/95i-22, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die beklagte Partei ist aufgrund eines Bestandvertrags vom 15.Dezember 1948 Mieterin von zwei Räumen im Gesamtausmaß von etwa 36 m2 in einem Haus der klagenden Partei. Nach einer mündlichen Zusage der Vermieterin wurde der beklagten Partei 1989 ein weiterer Raum von etwa 25 m2 für das Sortieren von Post zum Gebrauch überlassen. Diese Vereinbarung war auf drei Jahre befristet.

Die Volksschule der klagenden Partei besteht aus sechs Klassen. Eine befindet sich im Dachgeschoß des Feuerwehrgebäudes. Zwei sind im Hauptschulgebäude, die restlichen drei dagegen im Gemeindeamt untergebracht. Die Schülerzahl steigt jährlich. Die Einführung von Leistungsgruppen in der Hauptschule macht die Beschaffung von Schulraum durch Adaptierung des Feuerwehrhauses notwendig. Im Hauptschulgebäude werden die Nebenräume (Computerraum, Maschinenraum und Physiksaal) ebenso als Klassenräume genützt. Schüler der Volksschule benützen jene Klosettanlage, die auch Bediensteten der beklagten Partei und der „Öffentlichkeit“ zur Verfügung steht. Die finanzielle Lage der klagenden Partei ist angespannt. Diese kann den Schulraumbedarf deshalb nicht durch Errichtung eines Neu- oder Zubaus befriedigen. Das Bestandobjekt ist für die Anforderungen der beklagten Partei zu klein. Deren Umzug in größere Räume ist unumgänglich. Die räumliche Situation der Volksschule widerspricht „Bau- und Schulgesetznormen“ und kann daher „nicht länger aufrechterhalten werden“. Eine Linderung der Raumnot ist nur durch Nutzung des Bestandobjekts für Schulzwecke zu erwarten.

Die klagende Partei kündigte das Bestandverhältnis - unter dem Vorbehalt des Anbots von Ersatzmietgegenständen - gemäß § 30 Abs 2 Z 9 und Z 11 MRG auf. Sie brachte vor, die beklagte Partei betreibe in den Bestandräumen kein Postamt. Dagegen benötige die klagende Partei das Mietobjekt dringend für Amtszwecke, dabei insbesondere für die Unterbringung von Schulklassen. Solche dienten den Interessen der Verwaltung im höheren Maß als die gegenwärtige Verwendung des Mietobjekts. Die klagende Partei müßte aufgrund einer Bedarfsrechnung der Schulbaukommission acht Volksschulklassen führen. Das derzeitige Provisorium ermögliche dagegen nur sechs. Diese seien überdies an verschiedenen Orten untergebracht. Der notwendige Schulraum könne nur durch Aufkündigung des Mietvertrags beschafft werden, platze doch auch „das Gemeindeamt aus allen Nähten“. Der Hoheitsverwaltung dienten insgesamt nur sechs Büroräume. Es fehle an Geldmitteln für einen Neubau der erforderlichen Gebäude.

Die beklagte Partei wendete ein, der geltend gemachte Eigenbedarf sei schon deshalb zu verneinen, weil die klagende Partei in Zusammenarbeit mit einer Baugenossenschaft die Errichtung eines Ortszentrums plane. Der Kündigungsgrund gemäß § 30 Abs 2 Z 11 MRG erlaube keine Interessenabwägung. Das Interesse an einem geregelten Brief-, Paket- und Telegraphenverkehr stehe jedoch in seiner Bedeutung der Errichtung zusätzlicher Schulräume nicht nach.

Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, daß die gerichtliche Aufkündigung „aufrecht“ bleibe und erkannte die beklagte Partei schuldig, der „Aufkündigung....unter Einhaltung der 1-jährigen Kündigungsfrist für den 1.1.1997 binnen 14 Tagen .... nach dem 1.1.1997 Folge zu leisten“. Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, der akute Raumbedarf für Volksschulklassen verwirkliche den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 9 MRG. Es sei untragbar, den Unterricht in drei Gebäuden abzuhalten. Zu Recht stütze die klagende Partei die Kündigung aber auch auf § 30 Abs 2 Z 11 MRG, diene doch die Verwendung des Mietobjekts für Schulzwecke im höheren Maß den Interessen der Verwaltung als sein gegenwärtiger Gebrauch. Die Gewährleistung der Schulbildung sei ein höheres Gut als die Erhaltung des Brief-, Paket- und Telegraphenverkehrs.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil mit der Maßgabe, daß die Aufkündigung vorbehaltlich einer Ersatzbeschaffung als wirksam erkannt wurde. Es sprach im übrigen die Zulässigkeit der ordentlichen Revision aus. Nach dessen rechtlichen Erwägungen ist der Kündigungsgrund gemäß § 30 Abs 2 Z 9 MRG verwirklicht, wenn der Vermieter das Mietobjekt für sich selbst oder für Verwandte in gerader Linie dringend benötige und dem Mieter Ersatz beschaffen werde. Auch für die Kündigung von Geschäftsräumen - als solche seien auch Amtsräume anzusehen - habe der Oberste Gerichtshof ungeachtet der Kritik im Schrifttum (etwa M.Bydlinski, Zur Eigenbedarfskündigung bei der Geschäftsraummiete, RZ 1988, 102) seine Rechtsprechung zu § 19 Abs 2 Z 6 MG aufrechterhalten. Danach sei Eigenbedarf des Vermieters nur bei Notstand zu bejahen. Ein solcher setze die unabweisliche Notwendigkeit voraus, den vorhandenen Zustand sobald wie möglich durch Kündigung eines Mietverhältnisses zu ändern. Maßgeblich sei, ob der Vermieter gerade auf die konkreten Bestandräumlichkeiten angewiesen sei. Den „eher dürftigen“ Feststellungen im Ersturteil könne hier immerhin entnommen werden, daß die Schulklassen in verschiedenen Gebäuden untergebracht seien und die klagende Partei den Raumbedarf infolge angespannter Finanzlage nicht durch die Errichtung eines Neu- oder Zubaus befriedigen könne. Eine Entschärfung der Raumnot sei daher nur durch Nutzung des Bestandobjekts für Schulzwecke zu erwarten. Gemäß § 3 Abs 1 der Nö.Schulbauordnung 1975 seien ua Volksschulen in Gebäuden, die ausschließlich Schulzwecken dienten, unterzubringen. Soweit gemäß § 3 Abs 1 Satz 2 und 3 dieser Gesetzesstelle Ausnahmen zulässig seien, lasse das Gesetz dennoch erkennen, daß der Schulerhalter dem vorrangigen Ziel, Schulklassen nicht auf mehrere Gebäude zu verteilen, tunlichst nachzukommen habe. Obgleich die Aufteilung der Schulklassen auch bei Inanspruchnahme des Mietobjekts nicht zu umgehen sei, müsse die gegenwärtige Situation als Notstand im Sinne der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs beurteilt werden. Einen selbstverschuldeten Eigenbedarf habe die beklagte Partei nicht behauptet. Weil bereits der Tatbestand des § 30 Abs 2 Z 9 MRG erfüllt sei, bedürfe der Kündigungsgrund gemäß § 30 Abs 2 Z 11 MRG keiner Stellungnahme mehr.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß der Vermieter seinen Eigenbedarf nicht selbst verschuldet haben darf und eine darauf gestützte Kündigung überdies die unabweisliche Notwendigkeit voraussetzt, der Notsituation nur durch Auflösung des Mietverhältnisses abhelfen zu können. Daran wurde trotz Kritik in der Lehre festgehalten (WoBl 1994, 29 = MietSlg 45.429/23; MietSlg 46.406; MietSlg 42.345 mwN). An die Stelle des aufgrund eines strengen Maßstabs zu beurteilenden Eigenbedarfs darf nicht eine bloße Interessenabwägung treten (MietSlg 46.406). Beim Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 9 MRG spielt daher auch das öffentliche Interesse keine Rolle (MietSlg 18.414 [noch zu § 19 Abs 2 Z 6 MG]). Die angefochtene Entscheidung weicht von diesen durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs geprägten Grundsätzen nicht ab. Ob der Eigenbedarf des Vermieters durch eine im Sinne des § 30 Abs 2 Z 9 MRG ausreichende Dringlichkeit charakterisiert ist, um die Kündigung eines Bestandverhältnisses zu ermöglichen, läßt sich nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalls beurteilen (MietSlg 18.414; 2 Ob 99/61). Die Kasuistik des Einzelfalls schließt jedoch die Zulässigkeit der Revision im allgemeinen aus, es sei denn, der angefochtenen Entscheidung läge eine - hier jedenfalls nicht vorliegende - gravierende Fehlbeurteilung zugrunde (RZ 1994/45). Die unabweisliche Notwendigkeit, ein Mietobjekt künftig als Schulraum zu verwenden, wirft - wie bereits erörtert - bei Anwendung des § 30 Abs 2 Z 9 MRG auch keine Sonderprobleme auf, die als erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO einer Lösung durch den Obersten Gerichtshof bedürften.

Das erkennt auch die Revisionswerberin, nach deren Ansicht das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Voraussetzungen des dringenden Eigenbedarfs des Vermieters abgewichen sei und deshalb zu Unrecht angenommen habe, die festgestellten Umstände des Einzelfalls verwirklichten den Kündigungsgrund gemäß § 30 Abs 2 Z 9 MRG.

Die Revision ist daher zurückzuweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die klagende Partei unterließ einen Hinweis auf die Unzulässigkeit der Revision. Die Revisionsbeantwortung diente daher nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung, so daß die klagende Partei deren Kosten gemäß den §§ 40 und 50 ZPO selbst zu tragen hat.

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