OGH 1Ob189/12v

OGH1Ob189/12v11.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Abwasserverband W*****, vertreten durch Dr. Maximilian Ellinger und Dr. Günter Ellmerer, Rechtsanwälte in Kufstein, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch die Rechtsanwaltspartnerschaft Dr. Peter R. Föger und Mag. Hanno Pall in Wörgl, wegen 77.460,96 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei (Rekursinteresse 9.812,71 EUR sA) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 20. Juni 2012, GZ 1 R 93/12d-42, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 5. März 2012, GZ 6 Cg 199/09i-36, die Klage im Umfang von 9.812,71 EUR samt 8,38 % Zinsen seit 15. Juni 2009 unter Nichtigerklärung des Verfahrens zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Die Rekursbeantwortung der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

2. Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Dem Berufungsgericht wird die meritorische Behandlung der Berufung im Hinblick auf das Teilbegehren von 9.812,71 EUR sA aufgetragen.

Die Rekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Beklagte betreibt eine Glasproduktion und -bearbeitung, wobei sie ohne wasserrechtliche Bewilligung betriebliche Abwässer in die Gemeindekanalisation einbrachte. Der Kläger betreibt eine Anlage zur Kompostierung des anfallenden Klärschlamms. Bisher wurde vom Kläger der gesamte anfallende Schlamm kompostiert, wobei es nicht vorkam, dass die Schwermetallbelastung im Schlamm höher als zulässig war. Im Jahr 2008 stellte der Kläger allerdings fest, dass der anfallende Klärschlamm wegen des überhöhten Cadmiumgehalts nicht mehr der Kompostierung zugeführt werden konnte. Er zog daher wiederholt Proben aus denen sich ergab, dass die cadmiumhältigen Abwässer vom Betrieb der Beklagten zugeleitet wurden. Der Kläger beauftragte auch ein Fachunternehmen mit der Überprüfung der Abwässer. In der Zeit zwischen 19. 9. 2008 und 2. 2. 2009 lagen von sechs Klärschlammproben fünf über den Grenzwert, weshalb eine Kompostierung des Klärschlamms nicht in Betracht kam. Im Jahr 2009 traten Vertreter des Klägers an die Beklagte heran und legten dar, dass der schwermetallbelastete Klärschlamm nicht kompostiert werden könne. Danach verwendete die Beklagte bestimmte Glasfarben nicht mehr in ihrem Betrieb, womit die Schwermetallemissionen aufhörten. Der Kläger konnte den im Schadenszeitraum angefallenen Klärschlamm von fast 1.000 Tonnen nicht kompostieren, sondern musste ihn entsorgen, woraus im Aufwendungen von 67.458,86 EUR erwuchsen. Für die Entnahme von Schlamm- und Abwasserproben, den Transport dieser Proben zu Untersuchungsanstalten sowie das Honorar für (zusätzliche) Untersuchungen und Analysen liefen Eigen- und Fremdkosten auf, die vom Kläger mit insgesamt 9.812,71 EUR beziffert werden.

Der Kläger begehrte letztlich Schadenersatz in Höhe von 77.460,96 EUR samt 8,38 % Zinsen seit 15. 6. 2009 und brachte dazu im Wesentlichen vor, er habe bei einer routinemäßigen Überprüfung der Abwässer einen erhöhten Cadmiumgehalt festgestellt. Wäre die Beklagte ihrer Verpflichtung zur Meldung der Abwassereinleitung nachgekommen, hätte sie als Verursacherin umgehend, ohne größeren Aufwand, festgestellt werden können. Der Umstand der Unterlassung einer solchen Meldung habe eine aufwendige Suche und die hiedurch auflaufenden Kosten verursacht. Es habe sich schließlich herausgestellt, dass die Beklagte zwischen August 2008 und Februar 2009 rechtswidrig cadmiumhältige Betriebsabwässer in den Abwasserkanal eingeleitet habe, obwohl dafür die gesetzlich vorgesehene Zustimmung des Klägers gefehlt habe. Vorher sei der gesamte anfallende Klärschlamm vom Kläger in der verbandseigenen Kompostieranlage nach den Vorgaben der Klärschlammverordnung verarbeitet und vermarktet worden. Im Zeitraum der Verunreinigung hätte der Klärschlamm entsorgt werden müssen, was entsprechende Entsorgungskosten nach sich gezogen habe. Darüber hinaus seien dem Kläger Eigenaufwand für die Probenentnahmen sowie den Probentransport zu den Labors und Geldaufwand für die Analysekosten durch Fremdunternehmen entstanden. Der Kläger habe seiner Schadensminderungspflicht entsprochen und etwa durch die Übernahme von Fremdschlamm seinen Nachteil minimiert. Die geltend gemachten Schadenspositionen enthielten keine „Sowiesokosten“, da die Kosten für routinemäßige Kontrollmessungen in der Klageforderung nicht enthalten seien.

Die Beklagte bestritt unter anderem die aktive Klagelegitimation des Klägers und bestritt die Einleitung von cadmiumhältigen Abwässern durch ihren Betrieb. In den geltend gemachten Beträgen für Eigenaufwand seien Sowiesokosten enthalten; der Kläger dürfe auch keine Umsatzsteuer aufschlagen.

Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger 77.271,57 EUR samt Zinsen zu zahlen und wies das Mehrbegehren von weiteren 189,39 EUR samt Zinsen (unbekämpft) ab. Es stellte die Mehrkosten für die Schlammentsorgung mit netto 56.700,82 EUR und den Eigenaufwand für Probenentnahmen und Probentransport sowie die Analysekosten mit insgesamt netto 8.842,08 EUR fest. Die Beklagte habe dem Grunde nach zu haften, weil sich deren rechtswidrige Einleitung von cadmiumhältigen Abwässern in den Abwasserkanal erwiesen habe. Sie habe daher auch die dem Kläger entstandenen Aufwendungen für Probenentnahmen, Probentransport und zusätzlichen Analysekosten zuzüglich Umsatzsteuer zu ersetzen.

Das Berufungsgericht bestätigte (unbekämpft) mit Urteil den Zuspruch von 77.271,57 EUR samt Zinsen. Mit dem angefochtenen Beschluss hob es das Verfahren über das Teilbegehren von 9.812,71 EUR samt 8,38 % Zinsen seit 15. 6. 2009 als nichtig auf und wies dieses Teilbegehren zurück. Nach dem eigenen Vorbringen des Klägers hätten die Positionen Analysekosten sowie Kosten für Probenentnahmen und Probentransporte der Feststellung des Schadensverursachers gedient. Vorprozessuale Kosten, also Kosten, die der Beweissammlung und Beweissicherung dienen, seien jedoch im Rahmen des prozessualen Kostenersatzanspruchs geltend zu machen, solange Akzessorietät zum Hauptanspruch bestehe. Für deren Rechtsdurchsetzung sei der Rechtsweg unzulässig. Insoweit sei das Klagebegehren daher unter Aufhebung des vorausgegangenen Verfahrens als nichtig zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Rekurs des Klägers ist zulässig (§ 519 Abs 1 Z 1 ZPO) und berechtigt.

Die erst nach Ablauf der 14-tägigen Frist des § 521a Abs 1 Satz 2 erster Fall ZPO erstattete Rekursbeantwortung ist als verspätet zurückzuweisen.

Es trifft zwar zu, dass die Rechtsprechung in der Vergangenheit den Kreis jener Vermögensaufwendungen einer späteren Prozesspartei, die als sogenannte „vorprozessuale Kosten“ nach den Grundsätzen des Prozesskostenersatzes geltend zu machen sind, sehr weit gezogen und nicht nur die Kosten der eigentlichen Prozessvorbereitung, sondern auch bestimmte Kosten der Beweissammlung und der außergerichtlichen Geltendmachung eines später eingeklagten Anspruchs einbezogen hat. Dieser weitreichende Ansatz wurde allerdings nicht aufrecht erhalten. Für Kosten zweckentsprechender außergerichtlicher Anspruchs-betreibung bestimmt nun im Übrigen § 1333 Abs 2 ABGB, dass die damit zusammenhängenden Aufwendungen - jedenfalls bei verschuldetem Zahlungsverzug - den Grundsätzen des materiellen Schadenersatzrechts unterliegen, was auch für deren Geltendmachung gilt (vgl dazu nur 1 Ob 146/03a = RIS-Justiz RS0035770 [T7]).

Im Hinblick auf sonstige Vermögensaufwendungen im Zusammenhang mit einem Schadensfall wird eine Qualifikation als (den eigentlichen Prozesskosten gleichzuhaltende) „vorprozessuale Kosten“ in erster Linie von der Prozessbezogenheit der Maßnahme abhängig gemacht. Fehlt es an einem prozessvorbereitenden oder prozessunterstützenden Charakter einer außergerichtlichen kostenverursachenden Maßnahme, ist das Bestehen eines allfälligen Ersatzanspruchs regelmäßig nach materiellrechtlichen Grundsätzen zu prüfen. So wurde etwa zu vorprozessualen Privatgutachtenskosten ausgeführt, diese könnten Gegenstand eines eigenen Schadenersatzanspruchs sein, wenn ein besonderes Interesse an der Sachverhaltsermittlung unabhängig von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in einem Prozess besteht (RIS-Justiz RS0035826 [T1]). Dient die Einholung eines Gutachtens nicht in erster Linie der Beweissammlung und der Vorbereitung eines Prozesses, sondern besteht vielmehr das besondere Interesse des späteren Klägers an der Sachverhaltsermittlung unabhängig von der denkbaren prozessualen Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung gegenüber dem späteren Beklagten, ist der Ersatz im ordentlichen Rechtsweg zu begehren (RIS-Justiz RS0035826 [T7]). Ein Interesse an der Feststellung der Schadensursache und damit an der Möglichkeit diesen zu beheben, geht entscheidend über die Vorbereitung eines Schadenersatzprozesses hinaus (aaO [T6]). Sogar Kosten eines zur Schadensfeststellung eingeholten Sachverständigengutachtens können also mit gesonderter Klage geltend gemacht werden, wenn ein besonderes Interesse des Auftraggebers an der Sachverhaltsermittlung unabhängig von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in einem Prozess besteht, wenn also das Gutachten nicht in erster Linie im Hinblick auf eine spätere Prozessführung, sondern primär aus anderen Gründen eingeholt wird (aaO [T12]). Der Klageweg kommt auch in Betracht, wenn das Gutachten in erster Linie dazu dient, dem Auftraggeber eine Grundlage zur Ermittlung seiner Ansprüche bzw seiner Rechtsposition zu verschaffen, obwohl noch gar nicht feststeht, ob es zu einem Rechtsstreit überhaupt kommen werde (RIS-Justiz RS0023583 [T1]).

Im vorliegenden Fall ist keine besondere Nähe der kostenverursachenden Maßnahmen des Klägers zur späteren Prozessführung (über den Schaden durch die Notwendigkeit der Entsorgung des Klärschlamms) erkennbar. Vielmehr lag eine Situation vor, in der der Kläger ein besonderes Interesse an der Sachverhaltsermittlung unabhängig von der Rechtsverfolgung in einem denkbaren späteren Prozess hatte. In erster Linie ging es darum, den Verursacher der Verunreinigungen ausfindig zu machen, um diesen zu veranlassen, die Einleitung schädlicher Abwässer einzustellen, damit der anfallende Klärschlamm in Hinkunft wieder kompostiert werden kann und nicht teuer entsorgt werden muss. Insoweit hat der Kläger das angestrebte Ziel auf außergerichtlichem Weg erreicht, steht doch fest, dass die Beklagte nach der Information über die Unmöglichkeit der Kompostierung verunreinigten Klärschlamms bestimmte bedenkliche Glasfarben nicht mehr verwendete, woraufhin es zu keinen Schwermetallemissionen mehr kam.

Weiters ging es bei den Begutachtungen von Klärschlammproben in der Zeit zwischen dem 19. 9. 2008 und dem 2. 2. 2009 darum, dem Kläger verlässliche Informationen darüber zukommen zu lassen, ob die entsprechenden Klärschlammmengen kompostiert werden können oder wegen bedenklicher Schadstoffwerte entsorgt werden müssen. Auch die Analysekosten wurden somit nicht primär im Hinblick auf eine denkbare oder gar schon beabsichtigte spätere Prozessführung aufgewendet, sondern um dem Kläger die unternehmerische Entscheidung über die Weiterverwendung des jeweils angefallenen Klärschlamms zu ermöglichen. Dass durch die jeweiligen Untersuchungsergebnisse gleichzeitig auch gewisse Weichen für die spätere Prozessführung gegen die Beklagte gestellt wurden, liegt auf der Hand, kann doch ein Schadenersatzanspruch nur hinsichtlich jener Klärschlammchargen bestehen, die wegen ihrer Verunreinigung einer entgeltlichen Entsorgung zugeführt werden mussten. Dies reicht aber nicht aus, um die in Auftrag gegebenen Untersuchungen als prozessvorbereitende Maßnahmen zu qualifizieren, wären doch etwa Entsorgungskosten gar nicht angefallen, wenn sich herausgestellt hätte, dass die jeweils untersuchten Klärschlammmengen unbedenklich sind. War aber zum Zeitpunkt der Untersuchungen noch nicht absehbar, ob und in welchem Ausmaß dem Kläger ein Schaden durch die Notwendigkeit der Entsorgung des Klärschlamms entstehen wird, kann von einer Kostenaufwendung im Hinblick auf einen späteren Prozess nicht die Rede sein. Vielmehr handelt es sich entgegen der Auffassung der Rekursgegnerin auch nach den Klagebehauptungen um Vermögensnachteile, die dem Kläger durch die rechtswidrige Einleitung von Abwässern und deren Folgen erwuchsen und die nicht primär der Vorbereitung oder Förderung eines künftigen Prozesses dienten.

Da der Kläger somit auch im Hinblick auf das vom Berufungsgericht zurückgewiesene Teilbegehren einen nach allgemeinen Verfahrensregeln zu behandelnden materiellen Schadenersatzanspruch erhoben hat, wird das Rekursgericht aufgrund der Berufung der Beklagten die Entscheidung des Erstgerichts, das zutreffend in Urteilsform entschieden hat, zu behandeln haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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