OGH 1Ob178/61

OGH1Ob178/6119.4.1961

SZ 34/59

Normen

ABGB §472
ABGB §479
ABGB §1460
ABGB §1477
ABGB §472
ABGB §479
ABGB §1460
ABGB §1477

 

Spruch:

Ersitzung der Dienstbarkeit einer Skiabfahrt zugunsten einer Gemeinde.

Entscheidung vom 19. April 1961, 1 Ob 178/61.

I. Instanz: Landesgericht Feldkirch; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.

Text

Die Klägerin begehrt als Gründeigentümerin die Feststellung, daß der beklagten Gemeinde G. nicht die Dienstbarkeit des Skiabfahrt zugunsten des skifahrenden Publikums und der Allgemeinheit über gewisse der Klägerin gehörige Parzellen zustehe, die die beklagte Partei auf Grund einer Ersitzung behaupte.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es bejahte zwar grundsätzlich die Möglichkeit der Ersitzung eines Wegrechtes zugunsten "des Publikums", also der Allgemeinheit; eine solche Ersitzung zugunsten einer Gemeinde sei aber von erschwerten Voraussetzungen abhängig, und zwar müsse eine Notwendigkeit des Weges vorliegen. Die Dienstbarkeit der Skiabfahrt sei gegenüber einem Wegerecht überdies eine größere Belastung, weil sie sich nicht in bestimmten Grenzen halte, sondern das ganze befahrbare Gelände einbezogen werde. Daher müsse für dieses Recht in noch strengerem Maße eine Notwendigkeit gefordert werden. Interessen des Fremdenverkehrs, die zwar auf der Seite der beklagten Partei eine wichtige Rolle spielten, reichten nicht aus, einen derartigen Eingriff in die Freiheit des Eigentums zu rechtfertigen. Eine weitere Voraussetzung der Ersitzung sei der Wille, die Dienstbarkeit als Recht auszuüben. Bei einer Gemeinde müsse dieser Wille bei ihren Organen vorhanden sein. Es könne aber unbedenklich angenommen werden, daß die Skifahrer, die die strittige Abfahrt benützten, das nicht mit dem Willen getan hätten, für sich selbst oder die Gemeinde ein Privatrecht in Anspruch zu nehmen; es sei ihnen vielmehr bewußt gewesen, daß es sich nur um eine Gefälligkeit der Grundbesitzer handle. Die Gemeinde habe ihren Besitzwillen auch nicht hinreichend kundgetan.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache an das Gericht erster Instanz zurück. Es stimmte dem Erstgericht zwar bei, daß die Notwendigkeit der Skiabfahrt eine Voraussetzung für die Ersitzung sei, führte aber aus, daß die beklagte Partei eine solche Notwendigkeit behauptet und damit begrundet habe, daß G. vom Fremdenverkehr lebe und es sich um eine für die beklagte Partei als Wintersportgemeinde lebenswichtige Skiabfahrt handle. Eine Skiabfahrt bedeute keinesfalls eine größere Belastung als ein Weg, wenn sie auch mehr Raum in Anspruch nehme, denn sie beeinträchtige nicht die landwirtschaftliche Nutzung des Grundstückes und könne nur bei Schneelage benützt werden. Allerdings bilde eine Skiabfahrt ein größeres Bauhindernis als ein Weg, sie könne aber auf einen verhältnismäßig schmalen Geländestreifen beschränkt werden. Im vorliegenden Fall handle es sich auch nicht um den Umfang des Skiabfahrtsrechtes, sondern um dessen Bestehen überhaupt. Daher bestehe kein Grund, einen besonders hohen Grad von Notwendigkeit für die Ersitzung zu fordern. Es bestehe auch kein Grund, die Notwendigkeit der Skiabfahrt für die beklagte Partei in Zweifel zu ziehen, wenn es sich um eine der wichtigsten und am stärksten befahrenen Abfahrtsstrecken handle. Diese Notwendigkeit sei auch nicht durch die Möglichkeit, mit einem Kostenaufwand von 120.000 S eine Umfahrungsabfahrt zu bauen, in Frage gestellt. Zur Dokumentierung des Besitzwillens der Gemeinde sei keineswegs eine vorausgehende Beschlußfassung notwendig, sondern es genüge die nachfolgende Genehmigung des Besitzerwerbes. Es genüge ein Gemeinderatsbeschluß, womit ein Rechtsanwalt zur Erhebung der Besitzstörungsklage beauftragt werde. Es könne auch keinem Zweifel unterliegen, daß einheimische und fremde Skifahrer eine bekannte, in Werbeprospekten und Skiführern beschriebene Abfahrt in der Überzeugung beführen, ein Recht dazu zu haben und nicht nur eine Gefälligkeit der Gründeigentümer in Anspruch zu nehmen. Das Erstgericht müsse daher die beantragten Beweise über den Gemeingebrauch der Skiabfahrt während der Ersitzungszeit und über die Notwendigkeit für die beklagte Partei aufnehmen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Eine Dienstbarkeit der Skiabfahrt, wie sie von der beklagten Partei behauptet wird, gehört zu den unregelmäßigen Servituten, weil sie nicht den Bedürfnissen eines Grundstückes, sondern denen einer Person dient. Es ist in Lehre und Rechtsprechung unbestritten, daß die Person, deren Bedürfnis eine solche Dienstbarkeit dient, auch eine juristische Person, also auch eine Gemeinde, sein kann Ehrenzweig 2. Aufl. I/2 S. 340; GlU. 12.906, SZ. IX 163, SZ. XXVII 1 u. a.). Wenn in dem angegebenen Schrifttum und den Entscheidungen auch nicht eine Skiabfahrt, sondern Wege behandelt werden, so kann doch eine Skiabfahrt einem Touristenweg in dieser Beziehung gleichgestellt werden, denn auch sie dient dem Bedürfnis des Publikums zur Erreichung einer Hütte oder zur winterlichen Besteigung eines Berggipfels. Die Ersitzung einer Dienstbarkeit, z. B. des Wegerechtes, ist auch durch eine Gemeinde möglich. Diese erwirbt den Besitz, der die Voraussetzung der Ersitzung ist, dadurch, daß der Weg, hier die Skiabfahrt, allgemein wie ein öffentlicher benützt wird, ohne daß es notwendig ist, daß die einzelnen den Weg oder die Abfahrt mit dem Willen benützen, für die Gemeinde ein Privatrecht in Anspruch zu nehmen (SZ. IX 163; Ehrenzweig a. a. O. S. 10). Es ist auch nicht nötig, daß Gemeindeangehörige den Weg benützen, sondern es genügt die Benützung durch ein Touristenpublikum, das als Gast in die Gemeinde kommt. Die Gemeinde kann den Besitz zwar nur durch Beschluß der Gemeindevertretung erwerben, es genügt aber die nachfolgende Genehmigung der durch die vorhergenannten Personen getätigten Besitzerwerbungshandlungen, also die erkennbare Bekundung des Besitzwillens (GlU. 12.906, SZ. IX 163). Das ist hier durch die Einbringung einer Besitzstörungsklage und einen Gemeinderatsbeschluß eindeutig geschehen. Daß die beklagte Partei dies erst getan hat, als ihr Besitz von der Klägerin bestritten wurde, ändert daran nichts und hindert nicht den früheren Besitzerwerb.

Es ist den Untergerichten beizupflichten, daß die Frage der Notwendigkeit zu prüfen ist, denn wie in der zitierten Entscheidung SZ. IX 163 ausgeführt wurde, besteht ein Interesse der Öffentlichkeit nur, wenn und soweit der Weg oder die Abfahrt eine Notwendigkeit ist. Allerdings ist nicht ein besonders hoher Grad von Notwendigkeit zu verlangen, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, sondern die Notwendigkeit ist schon dann anzunehmen, wenn die strittige Abfahrt für den Touristenverkehr, die winterliche Ersteigung der dortigen Berggipfel und den Betrieb des Skiliftes notwendig ist (vgl. Lenhoff, Die Absperrung der Berge, JBl. 1914 S. 294). Dabei wird allerdings die Möglichkeit einer Verlegung des strittigen Stückes der Abfahrtsstrecke mit einem der Gemeinde zumutbaren Aufwand zu prüfen sein. Im übrigen wird, um Wiederholungen zu vermeiden, laut die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen.

Da das Erstgericht über die behauptete Ersitzung, den Ablauf der Ersitzungszeit und über die Notwendigkeit der Skiabfahrt Beweise nicht aufgenommen hat, wurde sein Urteil vom Berufungsgericht mit Recht aufgehoben.

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