Spruch:
Die Verpachtung eines Unternehmens ist keine geschäftliche oder berufliche Tätigkeit im Sinne des § 87 Abs. 1 JN.
Entscheidung vom 14. April 1954, 1 Ob 177/54.
I. Instanz: Bezirksgericht Lambach; II. Instanz: Kreisgericht Wels.
Text
Die Klägerin betreibt eine Brauerei in E. Die Beklagten haben im Jahre 1951 je zur Hälfte das Eigentum der Liegenschaft EZ. 180 des Grundbuches S. erworben. Auf dieser Liegenschaft ist das Gewerbe für das Gasthaus "X" radiziert. Pächterin des Gasthauses ist derzeit Katharina U. Die Klägerin hat schon im Jahre 1940 mit dem Voreigentümern der Liegenschaft Josef und Josefa N. einen Bierlieferungsvertrag auf die Dauer von 15 Jahren geschlossen; von diesem Vertrag, der nicht intabuliert ist, haben - nach den Behauptungen der Klägerin - die Beklagten beim Erwerb der Liegenschaft sowohl durch die Verkäufer als auch durch die Gasthauspächterin Kenntnis erlangt. Die genannte Pächterin bezieht seit September 1952 das Bier von einer anderen Brauerei.
Das Klagebegehren lautet daher, "die Beklagten schuldig zu erkennen, selbst oder durch ihre Gasthauspächter U. oder deren Nachfolger den gesamten Bierbedarf für das genannte Gasthaus bis zum 5. November 1955 bei der Brauerei der Klägerin zu decken".
Die Klage führt Wien als Wohnort der Beklagten an, sie behauptet jedoch, daß der Erstbeklagte im gleichen Hause, in dem sich das erwähnte Gasthaus befindet, nämlich in S., ein Weinauslieferungslager, somit eine Betriebsstätte im Sinne des § 87 JN., unterhalte. Auf dessen Gerichtsstand wurde die Klage ausdrücklich und ausschließlich gestützt.
Über die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit wurde abgesondert verhandelt.
Das Erstgericht stellte fest, daß der Erstbeklagte im genannten Hause nicht nur ein gewöhnliches Weinauslieferungslager, sondern seit etwa einem Jahr einen richtigen Kellereibetrieb mit Büro- und Kellerräumen, Kellerburschen, ständigen Weinführern und Beifahrern und Verkaufsvertretern unterhalte.
Das Erstgericht wies die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit zurück, da keine der Voraussetzungen der Abs. 1 bis 3 des § 87 JN. vorlägen. Die Tatsache aber, daß es sich um ein radiziertes Gewerbe handelt, sei rechtlich bedeutungslos.
Das Rekursgericht verwarf die Unzuständigkeitseinrede. Die Verpachtung an U. stehe außer Streit. Die Voraussetzungen des Abs. 3 des § 87 JN. kämen nicht in Betracht, da der Gasthausbetrieb nicht auf Rechnung der Beklagten geführt werde. Die Zuständigkeit grunde sich aber auf § 87 Abs. 1 JN., weil die geschäftliche oder berufliche Tätigkeit im Sinne dieser Gesetzesstelle für den Eigentümer eines Gasthauses mit radizierter Gewerbeberechtigung nicht nur darin bestehen könne, daß er dieses selbst oder für seine Rechnung durch seinen Verwalter betreibt, sondern auch darin, daß er es in Pacht gebe und vom Pächter den Pachtzins einnehme.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Beklagten Folge und stellte den Beschluß des Erstgerichtes wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Zunächst ist grundsätzlich zu betonen, daß der Gerichtsstand der Niederlassung nur durch einen wirklichen Geschäftsbetrieb begrundet ist, wobei diesen Betrieb entweder der Beklagte selbst oder durch einen Vertreter betreiben muß. Nach der Ansicht des Obersten Gerichtshofes liegt in der Vereinnahmung der Erträgnisse des eigenen Vermögens (z. B. des Pachtzinses) und in der Vermögensverwaltung nicht eine geschäftliche oder berufliche Tätigkeit im Sinne des Abs. 1 des § 87 JN. Die Liegenschaftseigentümer haben somit hinsichtlich des verpachteten, radizierten Gewerbes keine Betriebsstätte für dieses Gewerbe. Da somit im Hause S. von den Beklagten eine Tätigkeit als Gastwirt nicht ausgeübt wird, kann von einem wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen dem behaupteten, aber bestrittenen Klageanspruche auf Bierbezug und der nicht existenten beruflichen Tätigkeit der Beklagten als Gastwirte nicht gesprochen werden. Die Ansprüche müssen sich, damit der Gerichtsstand des § 87 Abs. 2 JN. begrundet sei, auf den Geschäftsbetrieb der Zweigniederlassung beziehen; es muß der Anspruch aus einem Ereignisse herrühren, das in einem ursächlichen wirtschaftlichen Zusammenhange mit der Niederlassung steht; es muß sich der Klagsgegenstand als Folge dieses Betriebes darstellen. Im vorliegenden Falle ist übrigens im Laufe des Verfahrens zur Erledigung der Unzuständigkeitseinrede eine Verwechslung über die entscheidende Frage, was als Niederlage oder Betriebsstätte in Betracht komme, insofern eingetreten, als in der Klage davon ausgegangen wird, daß beide Beklagten in der Liegenschaft in S. "ein Weinauslieferungslager ihres Wiener Stammgeschäftes" betreiben; das Rekursgericht geht aber schließlich davon aus, daß die geschäftliche oder berufliche Tätigkeit des Beklagten darin bestehe, daß der Erstbeklagte als Eigentümer und Verpächter des Gasthauses den Pachtzins für sich einkassierte, auf welche Weise das Gasthaus in S. zur Niederlassung des Erstbeklagten geworden sei. Diese Konstruktion ist rechtlich nicht haltbar. Der Umstand, daß der Erstbeklagte auch den Wein seiner Wiener Großhandlung an seinen Gasthauspächter in S. verkauft, kann in bezug auf die Zuhaltung des Bierlieferungsvertrages vom Kläger zur Begründung des Gerichtsstandes nach § 87 JN. gar nicht herangezogen werden.
Die Ausführungen des Rekursgerichtes darüber, daß auch gemäß § 87 Abs. 3 JN. kein Gerichtsstand begrundet ist, sind richtig. Somit liegt tatsächlich keine der Voraussetzungen des § 87 JN. vor, weshalb der Einrede der örtlichen Unzuständigkeit Folge zu geben war und in Abänderung der Entscheidung des Rekursgerichtes der Beschluß des Erstgerichtes, das die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit zurückgewiesen hat, wiederherzustellen war.
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