Normen
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1157
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1169
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1295
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1320
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1327
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1157
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1169
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1295
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1320
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1327
Spruch:
Haftung des Tierhalters, wenn er den untersuchenden Tierarzt auf die besondere Gefährlichkeit eines Pferdes nicht aufmerksam machte und dieses den Tierarzt durch Hufschlag tötet.
Entscheidung vom 13. Mai 1953, 1 Ob 177/53.
I. Instanz: Kreisgericht St. Pölten; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Der praktische Tierarzt Dr. Engelbert St., der Gatte der Erstklägerin und Vater des Zweit- sowie Drittklägers, nahm am 6. April 1949 auf Veranlassung der Beklagten in deren Anwesen die Untersuchung einer den Beklagten gehörigen Stute auf Trächtigkeit vor und wurde dabei durch einen Schlag des Tieres mit den Hinterbeinen derart schwer verletzt, daß er an den Folgen am 8. April 1949 starb. Mit der Behauptung, daß sie ihres Ernährers beraubt und ohne Einkommen seien, verlangen die Kläger in der am 23. Jänner 1950 erhobenen Klage von den Beklagten Schadenersatz, u. zw. die Erstklägerin an den von ihr ausgelegten Kosten der letzten Krankheit und Beerdigung ihres Gatten den Betrag von 4000 S s. A. sowie sämtliche Kläger den mit 1. Mai 1949 beginnenden monatlichen Unterhaltsbetrag von 600 S bzw. 300 S und 250 S. In der Tagsatzung vom 19. September 1951 (S. 138 der Prozeßakten) ist außer Streit gestellt worden, daß die Kläger von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt nunmehr eine Rente ab Todestag ihres Gatten bzw. Vaters beziehen; dazu haben die Kläger erklärt (S. 138), sich eine spätere Klagseinschränkung mit Rücksicht darauf, daß die Höhe der Rente neu festgelegt werde, vorzubehalten. Die Kläger haben unter Behauptung bestimmter Vorfälle bezüglich des Pferdes vorgebracht, daß ihnen die Beklagten deshalb zum Schadenersatz verpflichtet seien, weil sie es unterlassen hätten, den Untersuchenden auf die Gefährlichkeit des Tieres, das besonders kritisch war und schon aus geringen Anlässen gleich ausschlug, aufmerksam zu machen. Dr. Engelbert St. hätte die Untersuchung des Pferdes überhaupt unterlassen, wenn ihm die Beklagten von den Vorfällen mit dem Pferd und dessen Eigenschaften etwas erzählt hätten. Die Beklagten haben die Klagsabweisung beantragt und vorgebracht, daß ihnen das Pferd als gutmütiges und völlig ungefährliches Tier bekannt gewesen sei. Sie seien nicht verpflichtet gewesen, den Tierarzt auf die Gefährlichkeit des Pferdes aufmerksam zu machen, da ihnen eine solche nicht bekannt war. Der Tierarzt hätte als Sachverständiger in diesem Falle die Sachlage selbst erkennen müssen und sich dem Tiere im Schwangerschaftszustande von hinten nicht nähern dürfen. Er hätte alle Vorkehrungen treffen müssen, daß niemand bei der Untersuchung gefährdet werde. Den Unfall hätten sie nicht zu verantworten. Es liege ein Kunstfehler des Verunglückten vor. Es ist außer Streit gestellt worden (S. 27 der Akten), daß das gegenständliche Pferd zur Zeit der Untersuchung durch Dr. Engelbert St. nicht trächtig gewesen ist.
Das Erstgericht hat das Verfahren auf den Grund des Anspruches eingeschränkt und nach der ihm durch die Beschlüsse des Berufungsgerichtes vom 30. März 1951 (ONr. 22) sowie vom 25. März 1952 (ONr. 45) aufgetragenen Verfahrensergänzung durch Zwischenurteil entschieden, daß der Schadenersatzanspruch der Kläger gegenüber den Beklagten dem Gründe nach zu Recht bestehe. Das Erstgericht hat festgestellt, daß ein Pferd, möge es auch nicht direkt bösartig gewesen sein, doch sehr launenhaft und unberechenbar gewesen sei, so daß es besonders für eine fremde Person als gefährlich anzusehen war. Diese Eigenschaften seien den Beklagten bekannt gewesen. Der Tierarzt habe vor der Untersuchung des Pferdes in Gegenwart der Zweitbeklagten und ihres Sohnes Ignaz gefragt, ob das Pferd bösartig sei, worauf Ignaz H. dem Sinne nach antwortete, daß es nicht gefährlich sei. Die Beklagten hätten somit den Tierarzt nicht auf die Gefährlichkeit des Tieres aufmerksam gemacht, obwohl sie ihnen bekannt war und sie daher damit rechnen mußten, daß dem ahnungslosen Tierarzt bei der Untersuchung daraus ein Schaden entstehen könnte. Die Reaktion des Pferdes beim Befühlen des Euters sei kein Anlaß für den Tierarzt gewesen, besondere Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, da eine solche Reaktion auch bei ausgesprochen gutmütigen Pferden vorkomme. Ein Selbstverschulden oder Mitverschulden könne dem Verunglückten nicht zugeschrieben werden, wenn er eine über das übliche Maß (Vorderfußheben und Kopfhalten des Pferdes) hinausgehende Vorsicht nicht angewendet habe. Denn weder sei ihm die Gefährlichkeit des Pferdes rechtzeitig erkennbar gewesen noch sei sie ihm von den Beklagten bekanntgegeben worden. Der Unfall wäre vermieden worden, wenn die Beklagten nicht fahrlässigerweise unterlassen hätten, den Tierarzt von den ihnen bekannten gefährlichen Eigenschaften des Tieres in Kenntnis zu setzen. Der ursächliche Zusammenhang zwischen dem tödlichen Unfall und der Unterlassung der Meldung seitens der Beklagten über die gefährliche Eigenschaft des Pferdes sei gegeben.
Der von den Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil erhobenen Berufung hat das Berufungsgericht nach teilweiser Wiederholung bzw. Ergänzung der Beweisaufnahme nicht Folge gegeben. Es hat ausgeführt, daß unbedenklich davon ausgegangen werden könne, daß den beiden Beklagten aus ihrer Erfahrung heraus bzw. aus Mitteilungen des einen Ehegatten an den anderen über den Umgang mit dem Pferde schon längst bekannt gewesen sei, daß das Pferd schlechte Eigenschaften aufweise. Es spreche gegen jede Erfahrung, anzunehmen, daß das Pferd gerade nur dem B. gegenüber bzw. beim Beschlagen durch den Hufschmied ein solches Benehmen an den Tag gelegt habe, aus dem seine Art (Nervosität und Reizbarkeit) zu erkennen gewesen wäre. Die Beklagten wären verpflichtet gewesen, die ihnen bekannten Eigenschaften des Pferdes dem Tierarzt mitzuteilen. Mindestens hätten sie dafür Sorge tragen müssen, daß ihr Sohn Ignaz den Tierarzt hievon unterrichte. Da dies nicht der Fall gewesen sei, hätten die beiden Beklagten schuldhaft gehandelt. Die Frage, ob dem Dr. Engelbert St. bei der Untersuchung des Pferdes ein Kunstfehler unterlaufen sei und ob er den Unfall zumindest zum Teil selbst verschuldet habe, sei zu verneinen. Dr. Engelbert St. habe sich so verhalten, wie sich auch andere ländliche Tierärzte in gleicher Lage verhalten hätten; weitere Vorsichtsmaßnahmen seien ihm nicht zuzumuten gewesen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Parteien nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Bei der rechtlichen Beurteilung ist von den Feststellungen des Berufungsgerichtes bzw. jenen des Erstgerichtes, die das Berufungsgericht als unbedenklich übernommen hat, auszugehen. Die Rechtsrüge der Revisionswerber kann daher nur insoweit als gesetzmäßig ausgeführt angesehen werden, als sie sich auf die maßgeblichen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanzen grundet. Die Revisionswerber vermengen in ihren Ausführungen Rechtsfragen mit der Wertung von Beweismitteln und übersehen dabei, daß die Beweiswürdigung der Überprüfung in der Revisionsinstanz entzogen ist. Richtig ist, daß die Sachverständigen im Verlaufe des Verfahrens - sie sind wiederholt vernommen worden (ONr. 13, 27, 36, 39, 49 und 64) - ihre Ansicht zum Teil geändert haben, entscheidend sind aber ihre letzten Angaben, denen das Berufungsgericht mit Bindung für die Revisionsinstanz gefolgt ist. Auch hinsichtlich der Vorfälle bei der Euteruntersuchung berücksichtigen die Revisionswerber nicht die Feststellungen der Vorinstanzen und führen insoweit ihre Rechtsrüge nicht gesetzmäßig aus. Soweit aber die Rechtsrüge vom maßgeblichen Sachverhalt ausgeht, ist sie nicht begrundet.
Die Revisionswerber führen zunächst aus, daß der gegenständliche Anspruch, der aus der Beschädigung durch ein Tier abgeleitet werde, ausschließlich nach den Bestimmungen des § 1320 ABGB. beurteilt werden müsse; die Haftung der Beklagten sei schon deshalb nicht gegeben, weil sie nicht als "Tierhalter" (im Sinne des § 1320 Satz 2 ABGB.) anzusehen seien. Tierhalter in diesem Sinne sei der bei der Untersuchung des Pferdes verunglückte Dr. Engelbert St. gewesen. Diesen Ausführungen kann nicht beigepflichtet werden. Tierhalter ist, wer im eigenen Namen darüber zu entscheiden hat, wie das Tier zu verwahren und zu beaufsichtigen ist (vgl. Ehrenzweig, Recht der Schuldverhältnisse, 1928,S. 675). Wer die dauernde Gewahrsame am Tiere innehat, ist Tierhalter (Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 7. Feber 1929, SZ. XI/36). Damit stimmt die Ansicht der Lehre und Rechtsprechung zum DBGB. überein, das zwischen der Haftung des Tierhalters (§ 833) und jener des Tierhüters (§ 834) unterscheidet. Tierhalter im Sinne der Bestimmungen des § 833 DBGB. ist, wer das Tier in seinem Hausstande oder Wirtschaftsbetriebe, u. zw. nicht nur ganz vorübergehend, verwendet; als wesentlich wird dabei das eigene Interesse an der Verwendung des Tieres, unwesentlich dagegen Eigentum oder Eigenbesitz angesehen. Der Tierarzt, dem das Tier zur Behandlung vorgeführt wird, ist nicht Tierhalter (vgl. Gramm in dem von Palandt herausgegebenen Beckschen Kurz-Kommentar zum BGB., 9. Aufl., S. 833, und die dortselbst bezogene Judikatur). Die Auffassung der Revisionswerber, daß sie nicht Tierhalter im Sinne des § 1320 ABGB. zur kritischen Zeit gewesen seien, ist also verfehlt. Diesem Umstande kommt übrigens nicht jene Bedeutung zu, die ihm die Revisionswerber beimessen. Denn in erster Linie ist das vertragliche Rechtsverhältnis zwischen den Beklagten und Dr. Engelbert St. maßgeblich. In allen Fällen kann nämlich der Beschädigte bei Vorliegen der Voraussetzungen seine Ansprüche auch aus den §§ 1295 ff. ABGB. geltend machen (vgl. Wolff in Klangs Kommentar, zu § 1320 ABGB., 2. Aufl., S. 116). Ob nun das Rechtsverhältnis zwischen dem Tierarzt Dr. Engelbert St. und den Beklagten als Werkvertrag (vgl. Ehrenzweig, a. a. O., S. 508) oder als "freier" Dienstvertrag (vgl. Adler - Höller in Klangs Kommentar, 2. Aufl. zu § 1151, S. 156) qualifiziert wird, in jedem Falle hat die Fürsorgepflicht der Beklagten für den bei ihnen verwendeten Tierarzt im Sinne der §§ 1157 bzw. 1169 ABGB. bestanden (vgl. SZ. XXIII/325). Die Beklagten waren also schon infolge der Inanspruchnahme der Tätigkeit des Tierarztes dafür sorgepflichtig, daß Leben und Gesundheit des Tierarztes, soweit es nach der Natur seiner Tätigkeit möglich war, geschützt werden. Gegen diese Verbindlichkeit haben sie aber - die Haftung für ihren Sohn Ignaz haben sie nicht bestritten - nach den maßgeblichen Feststellungen der Untergerichte verstoßen, so daß sie den Klägern schadenersatzpflichtig geworden sind. Denn sie haben nach diesen Feststellungen dem Tierarzt nicht nur aus eigenem nicht mitgeteilt, welche Wahrnehmungen sie mit dem gegenständlichen Pferd hinsichtlich seiner Nervosität bzw. Reizbarkeit, sei es unmittelbarer Art, sei es auf Grund der Mitteilungen anderer Personen, gemacht hatten, sondern darüber hinaus hat der Tierarzt vor der Untersuchung der Stute in Gegenwart der Zweitbeklagten und ihres Sohnes Ignaz ausdrücklich nach den Eigenschaften des Tieres gefragt, worauf Ignaz H. dem Sinne nach antwortete, das Pferd sei nicht gefährlich. Zutreffend haben also die Untergerichte die Schadenersatzpflicht der Beklagten aus diesen Umständen für gegeben erachtet.
Das alleinige Verschulden oder auch nur ein Mitverschulden des Beschädigten ist im Hinblick auf die Feststellungen der Vorinstanzen auch nach Ansicht des Revisionsgerichtes zu verneinen. Denn der Tierarzt durfte sich nach der Übung des redlichen Verkehrs (vgl. die Angaben der Sachverständigen) zunächst auf die Auskunft seiner Vertragspartner verlassen und mußte bei der Untersuchung des Tieres nur jene Sicherheitsvorkehrungen anwenden, die bei nicht bösartigen Pferden regelmäßig genügen. Anders wäre der Fall zu beurteilen, wenn ihm die Gefährlichkeit der Stute bekanntgegeben worden wäre oder wenn er danach nicht gefragt hätte. Im letzteren Falle hätte der Umstand, daß das Pferd bei der Euteruntersuchung unruhig wurde, Bedeutung haben können, auch wenn diese Unruhe dem Tierarzte - wie das Berufungsgericht als erwiesen annimmt - entgangen wäre. Bei der dem Tierarzte erteilten Auskunft über die Eigenschaften des Pferdes durfte er sich mit den von ihm eingehaltenen Sicherheitsmaßnahmen, die nach den Sachverständigengutachten das übliche Maß erreicht haben, begnügen und es kann auch nach Ansicht des Revisionsgerichtes dem Tierarzt nicht als Verschulden angelastet werden, daß er wirksamere Sicherheitsvorkehrungen nicht veranlaßt hat. Die gerügte unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache ist also in keiner Beziehung gegeben.
Somit war der Revision der Erfolg zu versagen.
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