Spruch:
Auch das über Antrag des Klägers erlassene, das Klagebegehren abweisende (sogenannte "negative") Versäumungsurteil ist ein Versäumungsurteil mit allen seinen rechtlichen Folgen. Insbesondere hat auch der Eintritt der Gerichtsferien auf Antrag und Ablauf der Rechtsmittelfristen keinen Einfluß
OGH 21. Feber 1973, 1 Ob 1/73 (OLG Linz 2 R 158/72, LG Salzburg 7 Cg 212/72)
Text
Mit der am 21. April 1972 eingebrachten Klage begehrte der Kläger, die Beklagte schuldig zu erkennen, die Behauptung, er hatte sich der Rechtsbeugung schuldig gemacht, zu unterlassen. Bei der ersten Tagsatzung am 29. Mai 1972, zu der die Beklagte ohne Rechtsanwalt erschienen war, wurde ihr aufgetragen, die Klagebeantwortung bis einschließlich 26. Juni 1972 zu erstatten. Am 22. Juni 1972 stellte sie einen Antrag auf Bewilligung des Armenrechtes, dem mit Beschluß vom selben Tag entsprochen wurde. Von dem zum Armenvertreter bestellten Rechtsanwalt wurde die Klagebeantwortung unter Bestreitung des Klagebegehrens am 30. Juni 1972 zur Post gegeben. Mit Schriftsatz vom 10. Juli 1972 stellte der Kläger den Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteiles.
Der Erstrichter hat diesen Antrag stattgegeben, mit als "Versäumungsurteil" überschriebenem Urteil jedoch das Klagebegehren abgewiesen.
Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Berufungsgericht die Berufung des Klägers gegen die Entscheidung des Erstrichters als verspätet zurückgewiesen. Dem Kläger sei das Ersturteil am 17. Juli 1972 zugestellt, die Berufung aber erst am 29. August 1972 bei Gericht überreicht worden, sie sei daher verspätet, weil gemäß § 225 Abs. 2 ZPO der Eintritt der Gerichtsferien auf Anfang und Ablauf der Notfristen im Rechtsmittelverfahren wider Versäumungsurteile keinen Einfluß habe.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Klägers keine Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Ansicht des Rechtsmittelwerbers, daß es sich bei der Entscheidung des Erstrichters nicht um ein Versäumungsurteil gehandelt habe, da keine Säumnis des Klägers vorliege, und daß kein auf Abweisung des Klagebegehrens abzielender Antrag der Beklagten vorgelegen habe, kann sich der Oberste Gerichtshof nicht anschließen.
Wurde von der Beklagten die Klagebeantwortung nicht rechtzeitig überredet, so kann der Kläger, wie diesfalls geschehen, die Erlassung des Versäumungsurteiles in der Hauptsache beantragen (§ 398 Abs. 1 ZPO). Zutreffend haben die Vorinstanzen, vom Kläger unbekämpft, erkannt, daß die Beklagte die Klagebeantwortung verspätet überreichte, weil das Gesuch um Bewilligung des Armenrechtes nicht ohne Verzug nach Zustellung der Klage angebracht worden war (§ 73 Abs. 2 ZPO). Die Voraussetzungen für die Fällung eines Versäumungsurteiles lagen daher vor, zumal die kraft Gesetzes eintretenden Säumnisfolgen durch eine verspätet, wenn auch noch vor dem Antrag auf Erlassung eines Versäumungsurteiles eingebrachte Klagebeantwortung nicht beseitigt werden (SZ 39/47).
Die Auffassung des Klägers, daß sich das erlassene Versäumungsurteil nur gegenüber der Beklagten als ein solches darstelle, nicht aber ihm gegenüber, weil er nicht säumig geworden sei, kann nicht beigetreten werden. Was das Gesetz (§ 396 ZPO) "für wahr halten" nennt, hat immer nur den Sachverhalt zum Gegenstand, niemals Rechtsbehauptungen. Solche hat der Richter in allen Fällen, sogar wenn ihnen der Gegner zustimmen sollte (ohne gleichzeitig ein Anerkenntnis abzulegen), nachzuprüfen, also auch im Versäumungsurteil. Dieser hat daher die Klage des allein erschienenen Klägers trotz seines Antrages auf Fällung eines Versäumungsurteiles im Sinne des Klagebegehrens abzuweisen, wenn der vorgebrachte Sachverhalt Ansprüche nicht erzeugt (Sperl 492; Pollak[2] II, 524; Petschek - Stagel 344; Fasching Ill, 615). Um ein derartiges "negatives Versäumungsurteil" mit allen seinen gesetzlichen Folgen handelt es sich im gegenständlichen Fall. Der allein von Holzhammer, Osterreichisches Zivilprozeßrecht 226, ohne näheren Begründung vertretenen Auffassung, daß die nicht schlüssige Klage nicht mit Versäumungsurteil, sondern mit kontradiktorischem Urteil abzuweisen sei, vermag sich der Oberste Gerichtshof nicht anzuschließen. Lediglich das Urteil nach § 399 ZPO, das zwar in der Zivilprozeßordnung unter der Überschrift "urteile in Versäumnisfällen" geregelt ist, aber nicht als Versäumungsurteil genannt wird, stellt ein kontradiktorisches Urteil dar, weil hier bereits beide Parteien zur Hauptsache zu Wort gekommen sind. Nur dieses Urteil unterliegt nicht den Bestimmungen über Versäumungsurteile nach den §§ 207 Abs. 2, 225 Abs. 2, 416 Abs. 3, 417 Abs. 4 und 418 Abs. 1 ZPO (s. hiezu Petschek - Stagel 347).
Es trifft auch nicht zu, daß für die Fällung eines "negativen Versäumungsurteiles" ein diesbezüglicher Antrag des Beklagten vorliegen müßte, weil ja - wie oben aufgezeigt - der Richter die Schlüssigkeit der Klage oder das Entgegenstehen von zwingenden Rechtssätzen von Amts wegen zu prüfen hat. Es ist auch nicht zu sehen, wie der säumige Beklagte einen derartigen Antrag stellen könnte, da er ja zufolge seiner Säumnis von derartigen Prozeßhandlungen ausgeschlossen ist.
Es kann dem Rechtsmittelwerber schließlich auch darin nicht gefolgt werden, daß die Fällung eines Versäumungsurteiles nur über Antrag des "Erschienenen" zulässig ist. Dies trifft zwar für das Versäumungsurteil nach § 396 ZPO, nicht aber für jenes nach § 398 ZPO zu. In letzterem Falle darf der Kläger durch Schriftsatz, wie diesfalls geschehen, beantragen, ein Versäumungsurteil zu erlassen (Sperl; Fasching II, 630; Holzhammer Zivilprozeßrecht).
Handelt es sich gegenständlich aber um ein Versäumungsurteil im Sinne des § 398 ZPO, dann kommt auch die Bestimmung des § 225 Abs. 2 ZPO zum Tragen, wonach der Eintritt der Gerichtsferien auf Anfang und Ablauf von Fristen im Rechtsmittelverfahren wider Versäumungsurteile keinen Einfluß hat (JBl. 1954, 287), unabhängig davon, ob dem Klagebegehren Folge gegeben worden ist oder nicht.
Da dem Kläger das Versäumungsurteil am 17. Juli 1972 zugestellt wurde, ist die am 29. August 1972 bei Gericht überreichte Berufung verspätet.
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