OGH 1Ob172/21g

OGH1Ob172/21g12.10.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin mj N*, geboren * 2013, *, vertreten durch Mag. Stefan Danzinger, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, gegen die Antragsgegner 1. Volksschule W*, und 2. Bildungsdirektion für Niederösterreich, St. Pölten, Rennbahnstraße 29, wegen Erlassung von Anordnungen (nach § 107 Abs 3 AußStrG) sowie Erlassung einer einstweiligen Verfügung, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 7. Juli 2021, GZ 58 R 55/21t‑6, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Mödling vom 6. Mai 2021, GZ 14 C 356/21m‑2, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E133525

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird, soweit er sich gegen die Bestätigung der Zurückweisung des Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung richtet, als jedenfalls unzulässig zurückgewiesen.

Im Übrigenwird der angefochtene Beschluss als ersatzlos aufbehoben.

 

Begründung:

[1] Die Antragstellerin beantragte, den Antragsgegnern aufzutragen, ihr „den freien Zugang zum Präsenzunterricht in ihrer Klasse zu ermöglichen, ohne ihr Wohl zu gefährden. Insbesondere haben es die Antragsgegner zu unterlassen der Antragstellerin das Tragen einer Maske, das Halten von Abständen oder die Zustimmung zu medizinischen Prozeduren oder ähnliches vorzuschreiben, oder sie aufgrund der fehlenden Zustimmungen dazu in irgendeiner Form zu diskriminieren“.

[2] Sie berief sich dabei auf § 107 Abs 3 AußStrG, wonach das Gericht die zur Sicherung des Kindeswohls erforderlichen Maßnahmen anzuordnen habe. Inhaltlich begründete sie ihr Begehren damit, dass die im Antrag genannten (in der COVID‑19‑Schulverordnung vorgesehenen) Maßnahmen gesetz- bzw verfassungswidrig seien und nicht dem Kindeswohl entsprächen. Das angerufene Gericht sei zur Entscheidung über den Antrag zuständig, weil dieser (materiell-rechtlich) auf § 138 ABGB gestützt werde, wonach in allen das minderjährige Kind betreffenden Angelegenheiten das Wohl des Kindes als leitender Gesichtspunkt zu berücksichtigen und bestmöglich zu gewährleisten sei.

[3] Gleichzeitig mit ihrem Antrag beantragte die Antragstellerin die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, „wonach die Antragsgegner der Antragstellerin freien Zugang zum Präsenzunterricht in ihrer Klasse zu ermöglichen haben, ohne ihr Wohl zu gefährden. Insbesondere haben sie es zu unterlassen, der Antragstellerin das Tragen einer Maske, das Halten von Abständen oder die Zustimmung zu medizinischen Prozeduren oder ähnliches vorzuschreiben, oder sie aufgrund der fehlenden Zustimmungen dazu in irgendeiner Form zu diskriminieren. Dies alles bis längstens zum Beginn der Sommerferien (3. 7. 2021)“.

[4] Das Erstgericht wies „die Anträge der gefährdeten Partei, die Gegner der gefährdeten Partei hätten der gefährdeten Partei freien Zugang zum Präsenzunterricht in ihrer Klasse zu ermöglichen ohne ihr Wohl zu gefährden; insbesondere hätten sie es zu unterlassen, der Antragstellerin das Tragen einer Maske, das Halten von Abständen oder die Zustimmung zu medizinischen Prozeduren oder ähnliches vorzuschreiben oder sie aufgrund der fehlenden Zustimmungen dazu in irgendeiner Form zu diskriminieren, dies alles bis längstens zum Beginn der Sommerferien (3. 7. 2021), sowie die einstweilige Verfügung ohne Anhörung der Gegenseite zu erlassen,“ mangels Zulässigkeit des Rechtswegs zurück.

[5] Es bezeichnete die Parteien in seinem Beschluss als „gefährdete Partei“ bzw „Gegner/in der gefährdeten Partei“ und wies in der Begründung darauf hin, dass „der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen war“.

[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin mit Beschluss vom 7. 7. 2021 nicht Folge. Es gliederte seine Begründung einerseits in Ausführungen „zur einstweiligen Verfügung“ und andererseits in solche zum (gemeint: in der Hauptsache gestellten) „Antrag“. Die Zurückweisung des Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung bestätigte es mit der Begründung, dass dem Rekurs das erforderliche Rechtsschutzinteresse fehle, weil die Sicherungsmaßnahme nur bis zum 3. 7. 2021 beantragt wurde. Zum im Hauptverfahren erhobenen Antrag vertrat es die Rechtsansicht, dass die Antragstellerin nach dem maßgeblichen Wortlaut ihres Begehrens sowie ihres Vorbringens keinen privatrechtlichen Anspruch geltend gemacht habe. Der Revisionsrekurs sei im Umfang der Bestätigung der Zurückweisung der beantragten einstweiligen Verfügung jedenfalls unzulässig, „im Übrigen“ sei er zulässig.

[7] Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der Antragstellerin ist, soweit er sich gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung richtet, jedenfalls unzulässig. Soweit er sich gegen die Entscheidung des Rekursgerichts über den im Hauptverfahren gestellten Antrag wendet, ist der angefochtene Beschluss aus Anlass des Rechtsmittels zu beseitigen.

Rechtliche Beurteilung

[8] 1. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Revisionsrekurs gegen eine Entscheidung, mit der die Abweisung eines Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ohne Einvernahme des Gegners der gefährdeten Partei bestätigt wurde, gemäß §§ 78 und 402 Abs 4 EO iVm § 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig (RS0012260). Dies gilt auch für den Revisionsrekurs gegen die Bestätigung einer ohne Anhörung des Gegners ausgesprochenen Zurückweisung des Sicherungsantrags aus formellen Gründen (RIS‑Justiz RS0117002). Im Umfang der Bestätigung der Zurückweisung der beantragten einstweiligen Verfügung ist der Revisionsrekurs – der sich mit der Begründung des Rekursgerichts gar nicht auseinandersetzt – daher als jedenfalls unzulässig zurückzuweisen.

[9] 2. Der die zweitinstanzliche Entscheidung zur Gänze bekämpfende Revisionsrekurs wendet sich auch dagegen, dass das Rekursgericht die Zurückweisung des im „Hauptverfahren“ gestellten Antrags bestätigte. Es kann aber weder dem Spruch des erstinstanzlichen Beschlusses noch dessen Begründung entnommen werden, dass das Erstgericht über diesen Antrag entschieden hätte. Vielmehr ist nur ein Entscheidungswille hinsichtlich des Sicherungsbegehrens erkennbar. Das Rekursgericht hat daher über etwas entschieden, was nicht Gegenstand der erstinstanzlichen Entscheidung war, und überschritt damit insoweit seine funktionelle Zuständigkeit. Die angefochtene Entscheidung ist daher in diesem Umfang ersatzlos aufzuheben (vgl RS0042059).

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