OGH 1Ob17/04p

OGH1Ob17/04p10.2.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der Betroffenen Erna F*****, vertreten durch Dr. Ulf Zmölnig, Rechtsanwalt in Weiz, infolge Revisionsrekurses der Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 19. November 2003, GZ 1 R 305/03k-37, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Weiz vom 9. Oktober 2003, GZ 6 P 35/03z-21, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Rekursgerichts wird aufgehoben und diesem eine neuerliche Beschlussfassung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Das Erstgericht bestellte die Tochter der Betroffenen gemäß § 273 Abs 3 Z 3 ABGB zur Sachwalterin und sprach aus, dass die Betroffene innerhalb des Wirkungskreises der Sachwalterin über 50 EUR monatlich frei verfügen könne. Die Betroffene sei zwar grundsätzlich in der Lage, Angelegenheiten ihres alltäglichen Lebens mit selbst gewählter Hilfe zu besorgen, im Hinblick auf die anstehende Regelung der Finanz- und Wohnsituation sei sie sich aber der Tragweite ihrer Handlungen nicht bewusst und nicht in der Lage, einzelne ihrer Angelegenheiten ohne die Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu verrichten. Gegen die Überlassung eines monatlichen Geldbetrags von 50 EUR bestünden keine Bedenken. Die Tochter sei offenbar die einzige der Betroffenen nahestehende Person, die bereit und in der Lage sei, sich trotz des offenbar nicht unbelasteten Verhältnisses zwischen Mutter und Tochter um die Betroffene zu kümmern. Diese habe letztlich in die Bestellung ihrer Tochter zur Sachwalterin eingewilligt. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung im Wesentlichen; es änderte sie lediglich insoweit ab, als die Anordnung, die Betroffene könne über einen Betrag von monatlich 50 EUR frei verfügen, ersatzlos zu entfallen habe. Es vertrat ebenso wie das Gericht erster Instanz die Ansicht, dass die Betroffene nicht in der Lage sei, einzelne ihrer Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen. Zu eigenen Handlungen im Bereich der Vermögensverwaltung sowie "der Vertretung vor Ämtern und Behörden" sei sie nicht mehr fähig. Es seien daher die Voraussetzungen für die Bestellung eines Sachwalters gemäß § 273 Abs 3 Z 3 ABGB gegeben. Es entspreche dem Wohl der behinderten Person, die Tochter als ihr nahestehende Person zur Sachwalterin zu bestellen. Für die Bestellung des Neffen bestehe kein Anlass. Die Bestimmung der Geldbeträge, die der Betroffenen zur freien Verfügung überlassen werden könnten, läge im Ermessen der Sachwalterin. Es sei nicht erforderlich, das Verfahren gemäß § 250 AußStrG neu durchzuführen.

Der Revisionsrekurs der Betroffenen ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Wie vorweg klarzustellen ist, hat der erkennende Senat keine Bedenken dagegen, dass die Betroffene den von ihr gewählten Rechtsanwalt zur Wahrung ihrer Interessen bevollmächtigen konnte. Sämtliche Feststellungen der Vorinstanzen legen klar dar, dass sie des Gebrauchs der Vernunft jedenfalls nicht gänzlich beraubt - und damit geschäftsunfähig - ist, sodass sie im Sachwalterschaftsverfahren auch selbständig auftreten und einen Rechtsanwalt bevollmächtigen kann (6 Ob 133/00b). An dieser Fähigkeit der Betroffenen kann der Umstand nichts ändern, dass sie - wie das Rekursgericht ausführte (S 7 der Rekursentscheidung) - "das Wesen einer Vollmacht nicht mehr ausreichend erklären konnte", hat sie doch zumindest die Vollmacht als "Befugnis für alles, das jemand hat", beurteilt (S 4 des Sachverständigengutachtens vom 22. 8. 2003).

In der Sache selbst ist derzeit nicht darauf einzugehen, ob die Tochter der Betroffenen als Sachwalterin geeignet ist oder ob ein andere Person betraut werden sollte, die das Wohl der Betroffenen besser wahren könnte. Es ist des Weiteren auch noch nicht darauf einzugehen, ob die Betroffene tatsächlich eines Sachwalters gemäß § 273 Abs 3 Z 3 ABGB bedarf, und zwar aus folgender Überlegung:

Gemäß § 250 Abs 1 AußStrG hat das Gericht zweiter Instanz das Verfahren nach den §§ 239 bis 242 AußStrG zu ergänzen oder neu durchzuführen, wenn der Betroffene dies beantragt oder das Gericht dies für erforderlich hält. Im Falle eines Antrags auf Ergänzung des Verfahrens ist demnach zwingend eine solche Ergänzung oder Neudurchführung vorzunehmen. Lediglich dann, wenn kein ausdrücklicher Antrag auf Ergänzung des Verfahrens vorliegt, wenn also beispielsweise nur ein neues Beweismittel vorgelegt oder auf bereits aufgenommene Beweise hingewiesen wird, ist eine derartige Verfahrensergänzung im Sinne des § 250 Abs 1 AußStrG nicht geboten (1 Ob 2363/96y; 8 Ob 550/87).

Im vorliegenden Fall hat die Betroffene in ihrem Rekurs ausdrücklich beantragt, das Beweisverfahren durch Einvernahme ihrer Schwester und ihres Neffen sowie durch ihre eigene Anhörung und Ergänzung des Sachverständigengutachtens zu ergänzen (S 3 des Rekurses), weshalb das Gericht zweiter Instanz gemäß § 250 Abs 1 AußStrG hätte vorgehen müssen.

Dieser Mangel des Rekursverfahrens hat zur Folge, dass die Entscheidung des Rekursgerichts aufzuheben und diesem eine neuerliche Beschlussfassung nach Verfahrensergänzung aufzutragen ist.

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