OGH 1Ob168/60

OGH1Ob168/6010.6.1960

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Zweiten Präsidenten Dr. Fellner als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schuster, Dr. Gitschthaler, Dr. Zierer und Dr. Bachofner als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Oskar L*****, 2.) Johann G*****, beide vertreten durch Dr. Michael Stern, Dr. F. G. Aufricht und Dr. Peter Stern, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Dr. Vinzenz B*****, derzeit in Haft des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, vertreten durch Dr. Karl Zingher, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung eines Bestandvertrages infolge Rekurses der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 30. März 1960, GZ 41 R 188/60-28, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 25. Jänner 1960, GZ 45 C 423/58-22, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kläger haben die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Kläger stützen die Aufkündigung unter anderem auf den Kündigungsgrund des § 19 Abs 2 Z 4 MietG und führten diesen dahin aus, der Beklagte habe von dem Mietgegenstand insofern einen erheblich nachteiligen Gebrauch gemacht, als er in den gemieteten Räumen laufend verbotene Fruchtabtreibungen vorgenommen habe, wofür er zu 3 ½ Jahren schweren Kerkers verurteilt worden sei. Das Erstgericht erklärte die Kündigung aus dem angeführten Kündigungsgrund für rechtswirksam. Es stellte fest, dass der Beklagte in den Jahren 1954 bis Anfang 1957 in den aufgekündigten Räumen zu wiederholten Malen gewerbsmäßig Fruchtabtreibungen vornahm. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, dass die jahrelang fortgesetzte Tätigkeit des Beklagten einen erheblich nachteiligen Gebrauch des Bestandobjektes darstelle, wobei dieser auch in einer Schädigung des Rufes des Hauses gelegen sein könne.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil unter Vorbehalt der Rechtskraft auf. Es führte im Wesentlichen folgendes aus:

Das Erstgericht sei bei seiner rechtlichen Beurteilung ohne Grundlage in den Beweisergebnissen von einer Rufschädigung des Hauses ausgegangen. In dieser Hinsicht sei insbesondere auch aus den Strafakten nichts zu entnehmen. Es sei nicht erwiesen, dass das strafbare Verhalten des Beklagten den Hausmitbewohnern und in der näheren Umgebung bekannt geworden sei, zumal gerade derartige Tätigkeiten geheim gehalten werden und das Erscheinen von zahlreichen Frauen in der Ordination eines Frauenarztes nichts besonders Auffälliges sei. Dazu komme, dass auch Fälle von begründeter Schwangerschaftsunterbrechung denkbar seien. Es liege auch kein Hinweis dafür vor, dass es anlässlich der Tätigkeit des Beklagten zu irgendwelchen Zwischenfällen im Hause gekommen sei, wodurch den Mitbewohnern das Zusammenwohnen verleidet worden wäre oder sie auch nur auf diese Tätigkeit aufmerksam gemacht worden wären. Die strafbaren Handlungen des Beklagten seien aus Anlass eines anderen Strafverfahrens außerhalb Wiens entdeckt worden.

In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht im Wesentlichen aus: Für die - Annahme eines erheblich nachteiligen Gebrauches des Bestandobjektes durch den Beklagten infolge seiner strafbaren Handlungen mangle es an der Voraussetzung der Rufschädigung des Hauses. Die bloße Tatsache der strafgerichtlichen Verurteilung reiche zur Kündigung nicht hin. Es liege daher weder der Tatbestand des § 19 Abs 2 Z 4 MietG noch jener der Z 3 dieser Gesetzesstelle vor. Da das Erstgericht auf den weiters geltend gemachten Kündigungsgrund des § 19 Abs 2 Z 13 MietG nicht eingegangen sei, sei das Verfahren mangelhaft.

Der gegen diesen Beschluss erhobene Rekurs der Kläger ist nicht begründet.

Rechtliche Beurteilung

Eine Aktenwidrigkeit wird in der Annahme des Berufungsgerichtes erblickt, aus dem Strafakt sei über eine Rufschädigung des Hauses nichts zu entnehmen. Zur Widerlegung führen die Kläger einzelne Stellen aus dem Akt an, aus denen sich nach ihrer Meinung das Gegenteil ergebe.

Die Kläger verkennen das Wesen dieses Revisionsgrundes. Er liegt nur vor, wenn in der Entscheidung der Akteninhalt unrichtig wiedergegeben und auf diese Unrichtigkeit eine rechtlich erhebliche Feststellung oder Rechtsansicht begründet wird. Dies trifft hier nicht zu. Vielmehr hat das Berufungsgericht den Akteninhalt rechtlich beurteilt.

Abgesehen davon sind die diesbezüglichen Ausführungen der Rekurswerber auch aus folgenden Erwägungen verfehlt:

Die Kläger haben, wie sich aus der obigen Wiedergabe ihres Vorbringens ergibt, gar nicht behauptet, dass eine Rufschädigung des Hauses eingetreten sei. Der zum Beweis beantragte Strafakt ersetzt das Parteienvorbringen nicht. Dies ergibt sich schon aus der Erwägung, dass andernfalls dem Gegner die Möglichkeit genommen wäre, sich gegen nachteilige Folgerungen zu verteidigen. Es ist daher an sich belanglos, ob sich aus dem Strafakt tatsächlich Anhaltspunkte für eine Rufschädigung des Hauses gewinnen ließen. Außerdem widerspräche es auch dem Grundsatz der Unmittelbarkeit des Verfahrens ohne weiteres zu verwerten und Feststellungen im gegenständlichen Verfahren zu treffen. Es erübrigt sich daher eine nähere Erörterung, ob aus den im Rekurs vorgebrachten Umständen sich tatsächlich eine Rufschädigung ableiten ließe.

In der Rechtsrüge vertreten die Kläger den Standpunkt, dass die jahrelange Ausübung gewerbsmäßiger Abtreibung der Leibesfrucht an sich schon einen erheblich nachteiligen Gebrauch des Bestandobjektes darstelle und berufen sich auf die Entscheidungen ZBl 1929, Nr 299 und SZ XIII/213.

Diesen Ausführungen kann nicht beigepflichtet werden. In der erstzitierten Entscheidung wurde der Tatbestand des gegenständlichen Kündigungsgrundes nicht allein in der Ausbübung der Abtreibungstätigkeit in der gekündigten Wohnung erblickt, sondern es wurde weiters festgestellt, dass der Vermieter dadurch dem Verdacht ausgesetzt wurde, dass er diese verbrecherischen Handlungen kenne und daraus Vorteil ziehe. Das Zusammenwirken aller dieser Umstände bildete den Kündigungsgrund. Der Fall war demnach von dem gegenständlichen wesentlich verschieden. In der zweitgenannten Entscheidung wurde in der Verwendung der zu Pensionszwecken vermieteten Wohnung zur Ausübung der Prostitution ein erheblich nachteiliger Gebrauch erblickt. Während eine derartige Verwendung den Ruf des Hauses zwangsläufig schädigen muss, weil der Zweck der Besuche eindeutig unsittlich ist und nach außen hin auf die Dauer nicht geheimgehalten werden kann, trifft dies bei Vornahme verbotener Eingriffe durch einen Gynäkologen nicht zu. Denn dieser Zweck lässt sich aus dem Aufsuchen des Arztes nicht erkennen, weil es auch einem erlaubten Zweck (Heilung) dienen kann und in der Regel auch dient, und wird naturgemäß von allen Beteiligten möglichst geheimgehalten. Der rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Beschlusses, dass die Handlungen des Beklagten und seine Verurteilung allein nicht ausreichen, um den Tatbestand des § 19 Abs 2 Z 4 MietG herzustellen, ist demnach beizupflichten. In dieselbe Richtung weisen die Entscheidungen MietSlg 6.519, 5.811. Hiezu wäre eine Schädigung konkreter Interessen des Vermieters erforderlich, die weder behauptet noch festgestellt wurden.

Aus diesen Erwägungen war dem Rekurs ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte