OGH 1Ob162/12y

OGH1Ob162/12y11.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** G*****, vertreten durch Wille Brandstätter Scherbaum Rechtsanwälte OEG in Wien, wider die beklagte Partei Stadt Wien, Wien 1, Rathaus, vertreten durch Dr. Ralph Mayer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 55.769,69 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 30. Mai 2012, GZ 14 R 157/11b-86, mit dem das Teil- und Zwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 24. Juni 2011, GZ 31 Cg 14/05i-82, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Klägerin stand in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Beklagten und war der Wiener Linien GmbH & Co KG zur Dienstleistung als U-Bahn-Fahrerin zugewiesen. Mit Wirkung vom 29. 8. 2002 wurde sie in die Abteilung Interner Dienst versetzt und als Bürohelferin eingesetzt. Sie verlor dadurch ihre tätigkeitsbezogenen Zulagen. Die Abziehung vom Fahrdienst führte zu einer Belastungsreaktion und damit letztlich zur Fahrdienstuntauglichkeit.

Das Erstgericht sprach mit Teil- und Zwischenurteil aus, dass die Beklagte der Klägerin für den von ihr auf Amtshaftung gestützten Schadenersatzanspruch dem Grunde nach hafte und stellte deren Haftung für sämtliche zukünftigen Schäden aus dem unrechtmäßigen Abzug vom Fahrdienst und der Versetzung fest. Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts und ließ die Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Beklagten erhobene außerordentliche Revision ist wegen Fehlens erheblicher Rechtsfragen nicht zulässig.

1. Mit der Zuweisung von Bediensteten der Gemeinde Wien zur Dienstleistung (hier) an die Wiener Linien GmbH & Co KG mit dem Gesetz über die Zuweisung von Bediensteten der Wiener Stadtwerke, LGBl 1999/17 idgF (Zuweisungsgesetz) trat keine Änderung in der dienst-, besoldungs- und pensionsrechtlichen Stellung der in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis Beschäftigten ein. Die Wahrnehmung sämtlicher Rechte und Pflichten als Dienstbehörde gegenüber den zugewiesenen Beamten kommt und kam nach § 3 Abs 1 Zuweisungsgesetz dem Magistrat der Stadt Wien zu. Dienstgeberin der Klägerin war daher auch nach deren Zuweisung an die Wiener Linien GmbH & Co KG die Beklagte (vgl auch RIS-Justiz RS0116553). Die Wiener Linien GmbH & Co KG hatte demgegenüber die Fachaufsicht über die ihr zur Dienstleistung zugewiesene Klägerin auszuüben. Dazu gehörte die Berechtigung zur Erteilung von fachlichen Weisungen zur Gestaltung und Abwicklung der laufenden Geschäfte (§ 4 Zuweisungsgesetz).

2. Die Anordnung des Betriebsleiters der Wiener Linien GmbH & Co KG, die Klägerin dauerhaft vom Fahrdienst abzuziehen, entspricht ihrer Auswirkung nach nicht mehr einer von § 4 Zuweisungsgesetz gedeckten fachlichen Weisungen zur Gestaltung und Abwicklung der laufenden Geschäfte, sondern muss im Zusammenhang mit der Ausübung der Diensthoheit gesehen werden, wie schon das Berufungsgericht darlegte. Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Ausübung der Diensthoheit sind aber nach dem Zuweisungsgesetz als hoheitliches Handeln der Beklagten und nicht als privatwirtschaftliche Tätigkeit der Wiener Linien GmbH & Co KG anzusehen. Da die durch den Magistrat bzw die zuständige Personalabteilung rückwirkend ab 29. 8. 2002 ausgesprochene Verwendungsänderung der Klägerin als hoheitliche Maßnahme jedenfalls auch den dauerhaften Abzug der Klägerin vom Fahrbetrieb beinhaltet, ist hier die Erörterung der Eigentumsverhältnisse der Wiener Linien GmbH & Co KG ebenso entbehrlich wie die der Frage, ob durch deren Betriebsleiter ein (gültiger) Anschein eines Organverhaltens gesetzt worden ist, wozu die Revisionswerberin Feststellungen der Tatsacheninstanzen vermisst.

3. Amtshaftung für ein rechtswidriges Verhalten eines Organs tritt dann ein, wenn es schuldhaft ist (§ 1 Abs 1 AHG). Das ist der Fall, wenn es auf einer bei pflichtgemäßer Überlegung aller Umstände nicht mehr vertretbaren Rechtsauslegung oder Rechtsanwendung beruht (RIS-Justiz RS0050216 [T2]; Schragel, AHG3 Rz 159). Ob das der Fall ist, hängt ganz von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich damit regelmäßig der Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0110837).

4. Hier ist nicht strittig, dass die Klägerin auch schon vor dem 28. 8. 2002 gegen die Dienstvorschriften - U-Bahn verstoßen hatte. Entscheidend ist, ob es vertretbar war, das der Klägerin insgesamt anzulastende Fehlverhalten mit dem dauerhaften Abzug vom Fahrbetrieb verbunden mit einer nachträglichen Verwendungsänderung zu ahnden. Beurteilungsgegenstand ist damit auch hier die Vertretbarkeit der konkreten Rechtsanwendung durch die Organe der Beklagten. Allein der Umstand, dass es an höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu § 10 Abs 1 Straßenbahnverordnung 1999 (StrabVO) fehlen mag, begründet damit noch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO.

5. Das Berufungsgericht hat ohnedies deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es in dem der Klägerin konkret angelasteten Verhalten eine gewisse Unzuverlässigkeit im Sinne des § 10 Abs 1 StrabVO erkannte, sodass der Vorwurf, es sei von seiner im Aufhebungsbeschluss vom 27. 5. 2010 geäußerten Rechtsansicht entgegen § 499 ZPO abgewichen, unzutreffend ist. Erst ausgehend von den vom Erstgericht im zweiten Rechtsgang erhobenen Vergleichsfällen gelangte es zu der Beurteilung, dass die Klägerin insgesamt kein solches Fehlverhalten gesetzt hatte, das im Verhältnis zur sonst geübten Praxis die Sanktionierung mit einem dauernden Abzug vom Fahrbetrieb unter nachträglicher Verwendungsänderung noch als vertretbar ansehen ließe. Die Heranziehung von Vergleichsfällen, um die bei der Beklagten geübte Praxis zu erheben, ist entgegen der Auffassung der Revisionsrekurswerberin aber ebenso vertretbar wie das vom Berufungsgericht aus diesem Vergleich gewonnene Ergebnis.

6. Damit zeigt die außerordentliche Revision der Beklagten insgesamt keine Rechtsfragen in der Bedeutung des § 502 Abs 1 ZPO auf und ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte