Spruch:
Durch die Fälschung der Inventur und Bilanz bei Veräußerung eines Unternehmens wird dem Unternehmen eine nicht vorhandene Eigenschaft beigelegt. Es liegt ein Qualitätsmangel vor.
Hat einer der die Gesellschaft vertretenden, persönlich haftenden Gesellschafter bei Veräußerung des Unternehmens der oHG. eine Betrugshandlung begangen, so wird diese der Gesellschaft zugerechnet.
Entscheidung vom 4. März 1955, 1 Ob 116/55.
I. Instanz: Bezirksgericht Linz; II. Instanz: Landesgericht Linz.
Text
Die Klägerin und Karl J. waren persönlich haftende Gesellschafter der offenen Handelsgesellschaft Josef J. Mit Vertrag vom 17. Juli 1953 erwarb die Beklagte das Unternehmen der offenen Handelsgesellschaft und verpflichtete sich als Gegenleistung angefangen vom 1. Juli 1953 zur Zahlung einer Leibrente von 1000 S monatlich an die Klägerin. Die Klägerin begehrt nun die Zahlung der am 1. Juli, 1. August, 1. September und 1. Oktober 1954 fälligen Raten, zusammen die Bezahlung von 4000 S s. A.
Die Beklagte anerkennt, grundsätzlich den eingeklagten Betrag schuldig zu sein, wendet aber eine Gegenforderung im Betrag von 44.000 S ein, die sich daraus ergeben soll, daß die Klägerin und ihr Sohn Karl J. die Inventur gefälscht hätten, die die Grundlage für die Ermittlung des Wertes des damals veräußerten Unternehmens bildete. Es seien nicht vorhandene Waren eingesetzt und vorhandene Waren überbewertet, Skontobeträge und Emballagengutschriften nicht ausgebucht worden. Sollte die Klägerin ein Verschulden an den Fälschungen nicht treffen, so hafte sie doch gemäß § 128 HGB. für den durch den Mitgesellschafter zugefügten Schaden.
Das Erstgericht stellte fest, daß der Klägerin keinerlei schuldhafte Handlung nachgewiesen werden könne. Die Klägerin hafte aber auch nicht etwa für einen Schaden, den ihr Sohn der Beklagten zufügte. Denn der Schaden der Beklagten sei nicht durch die Verfälschung der Inventur und Bilanz, sondern durch die Veräußerung erfolgt. Die Klägerin und ihr Sohn hätten aber die Veräußerung nicht als Vertreter der oHG., sondern im eigenen Namen vorgenommen. Dabei hafte keiner der Verkäufer für das Verschulden des anderen. Es erübrige sich also die Feststellung, ob überhaupt ein Schaden eingetreten sei.
Das Berufungsgericht hat das Urteil unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben. Es ist der Meinung, daß das Vorbringen der Beklagten doch auch die Behauptung mit enthalte, daß dem Vertrag eine falsche Bilanz zugrunde liege und daß ein Schaden aus der nicht vertrags- (bilanz- und inventar-) gemäßen Übergabe der Waren hervorgehe. Diese Behauptung reiche zur Begründung des Schadenersatzanspruches aus, wenn die Klägerin nicht nachweise, daß sie bei Anwendung ordnungsgemäßer Sorgfalt von der Fälschung der Inventur und Bilanz keine, Kenntnis haben mußte und keine Kenntnis hatte. Das Erstgericht habe aber nur geprüft, ob die Klägerin selbst an der Verfälschung der Inventur und der Bilanz mitgewirkt habe.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Es ist wohl richtig, daß als Parteien des Veräußerungsgeschäftes die beiden persönlichen Gesellschafter der oHG. und nicht diese selbst aufscheinen. Der Inhalt des Vertrages geht aber dahin, daß sie aus der Gesellschaft und aus dem Unternehmen ausscheiden und daß sie dieses der Beklagten übertragen. Nicht ihre Gesellschaftsrechte werden veräußert, wie das Erstgericht meinte, sondern das Unternehmen der oHG., wie es im Veräußerungsvertrage ausdrücklich heißt. Diese Veräußerung bedeutet wohl gleichzeitig auch die Auflösung der Gesellschaft. Es ist also nicht verwunderlich, daß die Gesellschafter sich nicht mehr als Vertreter der Gesellschaft bezeichnen. Materiell liegt in der Veräußerung doch ein letzter Akt der Gesellschaft, wie immer die Fassung des Veräußerungsvertrages auch lauten mag. Hat also einer der die Gesellschaft vertretenden persönlich haftenden Gesellschafter bei dieser Veräußerung eine Betrugshandlung begangen, so ist dies eine Betrugshandlung, die der Gesellschaft zugerechnet wird, und mit der Gesellschaft haften die Gesellschafter, die im Zeitpunkt der Veräußerung ihr angehörten, für die sich aus dem Betrug ergebenden zivilrechtlichen Rechtsfolgen. Hätte also auch nur der Sohn der Klägerin betrügerisch gehandelt, so träte die Haftung der Klägerin für diese Handlungen ohne Rücksicht darauf ein, ob sie davon wußte oder wissen mußte.
Der Oberste Gerichtshof kann auch nicht der Meinung folgen, es liege ein Erfüllungsmangel vor. Ein solcher läge vor, wenn nicht alles, was zum Geschäfte gehört, wie es liegt und steht übergeben worden wäre. Im gegebenen Falle wird gar nicht behauptet, daß dies nicht geschehen ist. Durch die Fälschung der Inventur und Bilanz wurde dem veräußerten Unternehmen aber eine Eigenschaft beigelegt, die es nicht hat. Es liegt also nicht ein Quantitäts-, sondern ein Qualitätsmangel vor, und zwar ein unbehebbarer (Ehrenzweig 2. Aufl. II/1 S. 224; Pisko, Gewährleistung, 2. Aufl. S. 87). Dieser Mangel eröffnet dem Erwerber aber, mag er sich auf § 932 ABGB. oder § 872 ABGB. stützen, den Minderungsanspruch (Gschnitzer in Klang 2. Aufl. IV 142). Auch der Umstand, daß die Inventur von einem der Gesellschafter absichtlich gefälscht worden sein soll, ändert daran nichts. Denn der Schaden, der durch den Betrug unmittelbar eingetreten ist, kann ja immer nur der sein, daß infolge des Betruges ein allzu hoher Preis zugestanden wurde. Ein damit noch verbundener mittelbarer Schaden (§ 874 ABGB.) Wird von der Beklagten nicht geltend gemacht.
Für die Erledigung der Rechtssache ergeben sich also folgende Gesichtspunkte: es verschlägt nichts, daß die Beklagte zur Bekämpfung des Anspruches der Klägerin nicht einen Minderungsanspruch, sondern eine Gegenforderung behauptet, wenn Minderungsanspruch und Gegenforderung aus demselben Tatbestand abgeleitet werden. Es ist also auch zu prüfen, ob der Anspruch der Klägerin nicht auch durch den sich aus dem Vorbringen der Beklagten ergebenden Preisminderungsanspruch beeinträchtigt wird. Die Preisminderung kann sich nur dahin auswirken, daß die Raten der vereinbarten Leibrente auf einen niedrigeren Betrag herabgesetzt werden, nicht aber etwa dahin, daß die Ratenzahlung für eine bestimmte Zeit ganz entfällt. Dies ist die selbstverständliche Folge des Umstandes, daß das Entgelt durch eine Leibrente geleistet werden soll. Ergibt sich ein Preisminderungsanspruch, dann wird die Beklagte nicht nur die Minderung der eingeklagten Raten geltend machen, sondern auch das, was sie durch die Bezahlung der vereinbarten vollen Raten bisher schon zuviel gezahlt hat, den jetzt eingeklagten Raten gegenüber einwenden können.
Es wird unter Umständen zu prüfen sein, ob der Anspruch nicht nach § 933 Abs. 2 ABGB. präkludiert ist. Diese Präklusion tritt allerdings nur ein, wenn weder die Klägerin noch ihren Sohn eine Arglist bei der Aufstellung des unrichtigen Inventars und der Bilanz trifft und wenn der Anspruch auch nicht auf § 872 ABGB. gestützt werden könnte (Pisko in Klang 1. Aufl. II/2 S. 576, Ehrenzweig 2. Aufl. II/1 S. 230; A. M. Pisko a. a. O. S. 84 Anm. 65, S. 85).
Das Berufungsgericht hat also das erstgerichtliche Urteil mit Recht aufgehoben. Allerdings ist die Aufhebung aus anderen als den vom Berufungsgericht angeführten Gründen gerechtfertigt. Der Oberste Gerichtshof hat bei Beurteilung der Rechtslage nicht nur die von der Klägerin erhobenen rechtlichen Einwendungen berücksichtigt, sondern die Rechtslage so beurteilt, wie sie sich aus dem beiderseitigen Vorbringen darstellt, ohne Rücksicht darauf, ob diese Beurteilung nicht auch der beklagten Partei günstiger ist, die den Beschluß gar nicht angefochten hat, und demgemäß für die Rechtsmittelwerberin ungünstiger. Der Oberste Gerichtshof folgt damit der in SZ. XXII 186 ausgesprochenen Rechtsmeinung, im Gegensatz zu der in der Entscheidung JBl. 1953 S. 602 niedergelegten. Die Parteien können im Rechtsstreit wohl über Tatsachen und Ansprüche, nicht aber über Rechtsmeinungen verfügen. Wie dies in der ersten Instanz verwehrt ist, kann dies auch im Rechtsmittelverfahren nicht zugelassen werden, auch nicht dadurch, daß eine Partei ein Rechtsmittel gegen einen Aufhebungsbeschluß nicht ergreift. Die Unterlassung des Rechtsmittels hindert den Obersten Gerichtshof also nicht, die zugunsten dieser Partei sprechenden Rechtssätze zu berücksichtigen,
u. zw. weder bei der Überprüfung des Aufhebungsbeschlusses infolge eines Rekurses der Gegenseite, noch dann, wenn der Aufhebungsbeschluß trotz Rechtskraftvorbehaltes nicht angefochten wurde und die Rechtssache nun nach neuerlicher Entscheidung in erster und zweiter Instanz vor den Obersten Gerichtshof gelangt (SpR. 37 neu). Der Grundsatz der Entscheidung SZ. XXII 186 steht also in unmittelbarem Zusammenhang mit der in SpR. 37 neu ausgesprochenen Rechtsansicht.
Wenn der Rekurs auch formell keinen Erfolg hatte, so führte er doch dazu, daß die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes durch eine andere ersetzt würde.
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