Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Beteiligung der Antragsgegnerin und der Amtspartei Bundeskartellanwalt am Verfahren und danach allenfalls erforderlicher Durchführung von Erhebungen an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung
Gestützt auf § 11 Abs 5 des Bundesgesetzes über die Einrichtung einer Bundeswettbewerbsbehörde BGBl I 2002/62 (Wettbewerbsgesetz - WettbG) beantragte die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) mit am 15. 2. 2005 beim Kartellgericht eingelangtem Schriftsatz, das Kartellgericht möge der Antragsgegnerin auftragen, Auskünfte zu den in Beilage angeführten Fragen zu erteilen und die darin genannten Unterlagen unter Setzung einer angemessenen Frist aufzutragen. Die BWB führe eine allgemeine Untersuchung des Lebensmittelhandels durch, weil Medienberichterstattung und anonyme Beschwerden vermuten ließen, dass es in diesem Wirtschaftszweig insbesondere auf Grund der Ausgestaltung der Geschäftsbeziehung (Forderung von Sonderleistungen, differenzierte Gewährung von Konditionen und Rabatten ua) zu Einschränkungen oder Verfälschungen des Wettbewerbs komme. Sie habe an eine Reihe repräsentativer Marktteilnehmer - darunter die Antragsgegnerin - Auskunftsverlangen gem § 11 Abs 3 Z 1 WettbG gerichtet. Die Antragsgegnerin habe seit mehr als drei Monaten Kenntnis vom Inhalt der geforderten Auskünfte, habe die gestellten Fragen jedoch bislang nicht vollständig beantwortet. Die Fragen beträfen Informationen, die für die Durchführung der dargestellten Untersuchung unerlässlich seien. Die erlangten Informationen würden nur für den genannten Ermittlungszweck verwertet und unter Bedachtnahme auf schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen der Antragsgegnerin verwendet.
Das Erstgericht trug der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 15. 2. 2005 auf, binnen 14 Tagen die in der Beilage gestellten Fragen schriftlich zu beantworten und den vollständig ausgefüllten Fragebogen und die darin genannten Unterlagen innerhalb der genannten Frist der BWB zu übermitteln. Die Antragsgegnerin sei einem Auskunftsverlangen der BWB nicht nachgekommen; die Beantwortung der Fragen sei für die Durchführung der Aufgaben der BWB (Untersuchung des Lebensmittelhandels iSd § 2 Abs 1 Z 3 WettbG) unverzichtbar. Dieser Beschluss wurde der Antragsgegnerin und dem Bundeskartellanwalt zusammen mit dem verfahrenseinleitenden Antrag und dem bezughabenden Fragebogen als Beilage zugestellt. Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Antragsgegnerin wegen Nichtigkeit (Verletzung des rechtlichen Gehörs), Verfahrensmängeln und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Die Antragstellerin und der Bundeskartellanwalt beantragen, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist berechtigt im Sinne seines Aufhebungsantrags. Der angefochtene Beschluss wurde vom Vorsitzenden des Senats als Einzelrichter gefasst (§ 11 Abs 5 WettbG); über den Rekurs hat daher der Dreiersenat des Kartellobergerichts zu entscheiden (§ 92 Abs 2 KartG).
Vorauszuschicken ist, dass der verfahrenseinleitende Antrag nach dem 1. 1. 2005 eingebracht worden ist; es kommen daher die Bestimmungen des AußStrG 2005 (BGBl I 2003/111) zur Anwendung (§ 199 AußStrG iVm § 43 KartG).
Die Rekurswerberin macht Nichtigkeit infolge Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend; es sei ihr keine Gelegenheit geboten worden, vor der Entscheidung des Gerichts zum Antrag der BWB Stellung zu nehmen.
Nach § 15 AußStrG ist den Parteien Gelegenheit zu geben, von dem Gegenstand, über den das Gericht das Verfahren von Amts wegen eingeleitet hat, den Anträgen und Vorbringen der anderen Parteien und dem Inhalt der Erhebungen Kenntnis zu erhalten und dazu Stellung zu nehmen. In Erfüllung des durch Art 6 EMRK garantierten Grundrechts auf ein faires Verfahren wird mit dieser Bestimmung jeder Partei das Recht eingeräumt, bereits vor Erlassung einer gerichtlichen Entscheidung zu Verfahrensvorgängen, die erkennbar für sie wesentliche Tatsachen betreffen, Stellung zu nehmen (vgl Fucik/Kloiber, AußStrG § 15 Rz 1 mwN). Das rechtliche Gehör ist gewahrt, wenn den Parteien - zu denen im kartellgerichtlichen Verfahren neben der BWB auch der Bundeskartellanwalt gehört (§ 44 KartG) - Gelegenheit gegeben wird, ihren Standpunkt dazulegen, und wenn sie sich zu allen Tatsachen und Beweisergebnissen, die der Entscheidung zugrunde gelegt werden sollen, äußern können (7 Ob 141/03s; RIS-Justiz RS0005915 [T17]).
Diesem Erfordernis wurde - wie die Rekurswerberin zutreffend aufzeigt - im Anlassfall nicht entsprochen: Die angefochtene Entscheidung des Kartellgerichts wurde noch am Tag des Einlangens des Antrags erlassen, ohne dass zuvor der Antragsgegnerin und dem Bundeskartellanwalt Gelegenheit zur Äußerung geboten wurde oder Erhebungen durchgeführt worden wären.
Richtig ist, dass die Antragsgegnerin - worauf die Amtsparteien in ihrer Rekursbeantwortung hinweisen - auch schon in dem von der BWB autonom geführten Verfahren gem § 11 Abs 3 Z 1 WettbG zur Erteilung von Auskünften aufgefordert worden und ihr somit dort Gelegenheit zur Stellungnahme geboten worden ist. Dies ändert jedoch nichts daran, dass mit der nunmehrigen Antragstellung bei Gericht ein von den bisherigen Aktivitäten der BWB unabhängiges gerichtliches Verfahren gem § 11 Abs 5 WettbG eingeleitet worden ist, in dem die Rechte der Antragsgegnerin und des Bundeskartellanwalts nach § 15 AußStrG zu wahren sind. Mag sich auch - was im Anlassfall nicht feststeht - der Fragenkatalog in beiden Verfahren inhaltlich decken, hat doch mit Antragstellung bei Gericht ein selbständiges Verfahren neu begonnen, in dem dem Antragsgegner vor der Entscheidung jedenfalls rechtliches Gehör zu gewähren ist.
Entgegen der Auffassung des Kartellanwalts in der Rekursbeantwortung ist eine Gehörverletzung auch nicht deshalb zu verneinen, weil die Antragsgegnerin ihre Argumente gegen den Auskunftsauftrag noch im Bußgeldverfahren vorbringen könnte.
Wird ein Auftrag nach § 11 Abs 5 WettbG nicht erfüllt, kann dies zur Verhängung eines Bußgelds von bis zu 35.000 EUR führen (§ 142 Z 2 lit g KartG; das dortige Zitat des § 11 Abs 4 WettbG ist offenbar ein Redaktionsversehen, beabsichtigt war wohl ein Verweis auf § 11 Abs 5 WettbG; vgl Roniger/Spallinger, Die Ermittlungsbefugnisse der Bundeswettbewerbsbehörde, ecolex 2002, 407 ff, 409). Nach dem systematischen Aufbau des Gesetzes geht das Bußgeldverfahren dem Verfahren über die Auskunftserteilung nach und setzt eine Rechtsverletzung (hier: Nichtbefolgung eines berechtigten Auskunftsauftrags) voraus. Es widerspräche nun diesem zeitlichen Ordnungsprinzip, wenn Einwendungen eines auskunftspflichtigen Unternehmens nicht schon im Verfahren über die Auskunftserteilung geprüft würden, sondern das auf Auskunftserteilung in Anspruch genommene, eine Auskunft zur Gänze oder teilweise verweigernde, Unternehmen sich zunächst dem Vorwurf einer Rechtsverletzung aussetzen müsste, bevor im nachfolgenden Bußgeldverfahren unter erstmaliger Beteiligung des Unternehmens über die Berechtigung des Auskunftsbegehrens abgesprochen werden könnte. Vielmehr ist daraus, dass der Gesetzgeber in § 11 Abs 5 WettbG ein Gericht als Entscheidungsorgan eingesetzt hat, der Schluss zu ziehen, dass über Berechtigung und Umfang eines Auskunftsantrags von einem unabhängigen Spruchkörper in einem Rechtsschutz garantierenden förmlichen Verfahren unter Beteiligung aller Parteien (und damit auch der zweiten Amtspartei) zu entscheiden ist.
Nicht zielführend ist auch das Argument der Amtsparteien, die von der Antragsgegnerin im Rechtsmittel vorgebrachten Bedenken beträfen nur Rechtsfragen, die auch vom Obersten Gerichtshof behandelt werden könnten.
Richtig ist zunächst, dass ein Gehörverstoß in erster Instanz nach der Rechtsprechung im Allgemeinen auch dadurch behoben werden kann, dass Gelegenheit besteht, den eigenen Standpunkt (Tatsachen und Beweismittel) als Neuerung im Rekurs vorzutragen (RIS-Justiz RS0006057). Nach den im kartellrechtlichen Verfahren bestehenden Besonderheiten des Instanzenzugs steht jedoch dieser Weg, soweit Tatfragen betroffen sind, im Anlassfall nicht offen: Nach der jüngsten Rechtsprechung des Senats ist der Oberste Gerichtshof nämlich auch dann, wenn er in Kartellrechtssachen über Rekurse gegen erstgerichtliche Entscheidungen abspricht, nur Rechtsinstanz (16 Ok 1/05; 16 Ok 20/04) und kann folglich kein Ermittlungsverfahren über Tatfragen durchführen. Dazu kommt, dass auch nach der neuen Rechtslage ein Gehörverstoß nicht dazu führen soll, dass die Partei eine Instanz verliert und das Ermittlungsverfahren von der ersten in die zweite Instanz verlagert wird (ErläutRV zu § 58 AußStrG, abgedruckt bei Fucik/Kloiber aaO Rz 3).
Aus der Formulierung des § 11 Abs 5 WettbG („Das Kartellgericht hat ... aufzutragen") kann nicht abgeleitet werden, dass ein der gerichtlichen Entscheidung vorausgehendes Ermittlungsverfahren deshalb entbehrlich sei, weil dem Gericht keinerlei Ermessensspielraum bei seiner Entscheidung offenstünde:
Wie der Senat erst jüngst ausgesprochen hat, sind die Befugnisse der BWB, ein Auskunftsverlangen nach § 11 Abs 5 WettbG zu stellen, nicht unbeschränkt, sondern reichen gem § 11 Abs 3 erster Satz WettbG nur soweit, als dies zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach dem WettbG erforderlich ist (16 Ok 15/04). Damit steht dem Antragsgegner im Verfahren nach § 11 Abs 5 WettbG der - vor der Entscheidung in einem Ermittlungsverfahren unter Beteiligung der Parteien zu prüfende - Einwand offen, die verlangten Auskünfte seien zur Gänze oder zum Teil nicht zur Wahrnehmung der Aufgaben der BWB erforderlich. Gleiches gilt für den weiteren möglichen Einwand, die Fragen seien bereits zur Gänze oder zum Teil beantwortet.
Wie der Gesetzgeber an anderer Stelle zum Ausdruck gebracht hat, ist bei der Erfüllung von Informationspflichten durch Unternehmer im öffentlichen Interesse darauf Bedacht zu nehmen, dass die verlangten Informationen in angemessenem Verhältnis zur Wahrnehmung der Aufgaben stehen (§ 90 Abs 1 vorletzter Satz TKG 2003). Der in dieser Regelung zum Ausdruck kommende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist auch im hier gegebenen Zusammenhang zu berücksichtigen.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird auch bei Auslegung des Gemeinschaftsrechts in der vergleichbaren Regelung des Auskunftsrechts der Kommission in Wahrnehmung kartellrechtlicher Ermittlungsbefugnisse - früher Art 11 der VO (EWG) Nr 17/62, nunmehr Art 17 ff der VO (EG) 1/2003 - angewendet. Danach darf die Verpflichtung zur Auskunftserteilung für das betroffene Unternehmen keine Belastung darstellen, die zu den Erfordernissen der Untersuchung außer Verhältnis steht (Nachweise zur Rsp bei Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht II VO 17 Rz 3 FN 439 und 440; im Zusammenhang mit Nachprüfungen siehe auch Bronett, Kommentar zum europäischen Kartellverfahrensrecht VO 1/2003 Art 18 Rz 1 FN 3 und 4). Es kann dagegen uU durchaus verhältnismäßig sein, einem Unternehmen zuzumuten, ihm zugängliche, für das Verfahren erforderliche Informationen nach den Anweisungen der Kommission zu bearbeiten und zusammenzustellen, wenn die Kommission diese Informationen aus anderen Quellen nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand erlangen könnte (Bronett aaO Art 17-22 Vorbemerkungen Rz 4).
Bei der Beurteilung, ob eine unbeantwortet gebliebene Frage zum Gegenstand eines Auskunftsantrags nach § 11 Abs 5 WettbG gemacht werden kann, ist daher eine Abwägung der wechselseitigen Interessen vorzunehmen, nämlich einerseits der Interessen der BWB, die ihr gesetzlich übertragenen Aufgaben wahrnehmen zu können, und andererseits die Interessen des betroffenen Unternehmens, nicht über Gebühr in Anspruch genommen zu werden.
Dass es sich bei den angeforderten Informationen um Geschäftsgeheimnisse handelt, begründet nach europäischer Rechtsprechung im Regelfall kein Auskunftsverweigerungsrecht, soweit ausreichende Sicherheit vor Preisgabe und unbefugter Verwertung der betreffenden Informationen gewährleistet ist (Nachweise bei Immenga/Mestmäcker aaO Rz 28 FN 566). Diesen Überlegungen ist auch im nationalen Bereich zu folgen. Die im Rekurs breit ausgeführte Frage einer Verletzung von Geschäftsgeheimnissen wird möglicherweise dann gegenstandslos, wenn sich schon bei Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Auskunftsauftrags ergeben sollte, dass für den angestrebten Zweck (allgemeine Untersuchung eines Wirtschaftszweigs) die Offenlegung sensibler Daten aus Kundenbeziehungen (wie insbesondere die Nennung der Namen von Abnehmern im Zusammenhang mit ihnen gewährten Konditionen) nicht notwendig ist (vgl zur fehlenden Notwendigkeit und Angemessenheit einer namentlichen Offenlegung von Bezügeempfängern gegenüber dem Rechnungshof bei der Interessenabwägung zwischen BVG-Bezügebegrenzung und DatenschutzG VfGH 28. 11. 2003 KR 1/00ua). Die nach diesen Grundsätzen gebotene Interessenabwägung kann nur auf der Grundlage eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens unter Berücksichtigung aller vorgebrachten Argumente durchgeführt werden. Voraussetzung dafür ist es, allen Parteien noch vor der Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht gegeben zu haben. Dies ist bisher nicht geschehen. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist aus Anlass eines zulässigen Rekurses auch von Amts wegen wahrzunehmen (§ 55 Abs 3 iVm § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG). Eine - trotz Gehörverletzung grundsätzlich mögliche - Entscheidung durch das Rekursgericht in der Sache selbst (§ 58 Abs 1 AußStrG) kommt hier nicht in Betracht, weil die ua im Rekurs aufgeworfene Frage der Verhältnismäßigkeit der verlangten Auskünfte allein auf Grund der Aktenlage nicht beantwortet werden kann.
Die Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung nach Erörterung des Antrags mit den Parteien und einer danach allenfalls erforderlichen Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zur Beurteilung der Berechtigung des Antrags an das Gericht erster Instanz zurückzuverweisen (§ 58 Abs 3 AußStrG). Insbesondere wird im fortgesetzten Verfahren zu erörtern sein, welche Fragen unbeantwortet geblieben sind und inwieweit das nunmehrige Auskunftsverlangen - gemessen am angestrebten Zweck der Untersuchung der BWB - erheblich, erforderlich und so klar umschrieben ist, dass jeweils eine konkrete Antwort möglich ist.
Bei seiner neuerlichen Entscheidung wird das Erstgericht zu beachten haben, dass aus Gründen der Rechtssicherheit die den Gegenstand eines Auskunftsauftrags bildenden Fragen im Spruch der Entscheidung unmissverständlich individualisiert werden müssen; der Verweis auf eine Beilage ist nur dann ausreichend, wenn sie genau bezeichnet, der Entscheidung angeschlossen und zu deren Bestandteil erklärt worden ist.
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