European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E119414
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
Gegenstand des Verfahrens ist die Prüfung der kartellrechtlichen Zulässigkeit einer Vertriebsvereinbarung, die im zeitlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens der Viertantragsgegnerin und einer thailändischen Unternehmensgruppe steht. Zweck des Gemeinschaftsunternehmens war der Aufbau einer gemeinsamen Produktion von Untersuchungshandschuhen aus Latex in räumlicher Nähe zum betreffenden Rohstoff Naturkautschuk unter Nutzbarmachung der einschlägigen Produktionserfahrungen der Viertantragsgegnerin, der in der Vertriebsvereinbarung die Stellung einer alleinvertriebsberechtigten Händlerin für Europa und den Nahen Osten eingeräumt wurde.
Die Erstantragsgegnerin ist eine im Jahr 1990 gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach thailändischem Recht. Als reine Holdinggesellschaft ist sie selbst nicht auf dem Markt tätig. Ihre langfristigen Investments bestehen in Unternehmensbeteiligungen an der Zweitantragsgegnerin mit 21,13 %, sowie der S* S* Corporation Ltd (SSC), einem Gemeinschaftsunternehmen der Antragsgegnerinnen (s dazu unten) mit 6 %. Der weltweite Umsatz der Erstantragsgegnerin betrug im Geschäftsjahr 2014 umgerechnet 5,62 Mio EUR.
Die Zweitantragsgegnerin wurde 1987 als private Gesellschaft gegründet und 1993 in eine öffentliche Gesellschaft mit beschränkter Haftung (public limited company, Aktiengesellschaft) umgewandelt. Sie ist in der Produktion und Verarbeitung von Kautschuk tätig. Zirka 54,41 % der Geschäftsanteile der Zweitantragsgegnerin befinden sich im Streubesitz, 21,13 % hält die Erstantragsgegnerin und 23,17 % befinden sich im Besitz einer thailändischen Familie. Die Zweitantragsgegnerin ist einer der weltweit größten Verarbeiter von Naturkautschuk und bietet unter anderem technisch spezifizierten Naturkautschuk, geräucherte Kautschukfelle und Latexkonzentrat an. Ihre Tochtergesellschaften decken die gesamte Lieferkette der von ihr produzierten Produkte ab. Dazu gehören die Drittantragsgegnerin, die die Versorgung mit Rohmaterialien sicherstellt, sowie ein Logistikunternehmen und andere. Der weltweite Umsatz der Zweitantragsgegnerin 2014 betrug umgerechnet rund 1,5 Mrd EUR, der EWR-weite Umsatz 69,70 Mio EUR. Der weltweite Umsatz mit Untersuchungshandschuhen der Zweitantragsgegnerin selbst außerhalb von Europa und dem Nahen Osten betrug 15,43 Mio EUR; der weltweite Umsatz, den sie insoweit über SSC erzielte, machte 77,90 Mio EUR aus.
Die Drittantragsgegnerin ist eine 99,9%ige Tochtergesellschaft der Zweitantragsgegnerin und wurde 1988 gegründet. Sie beliefert SSC mit Latexkonzentrat und Grundwasser und vermietet bestimmte Einrichtungen wie Werkswohnungen, Holzschnitzellager und Latextanks an SSC. Die Drittantragsgegnerin ist eine von mehreren Konzerngesellschaften der Zweitantragsgegnerin, die in der Latexproduktion tätig sind. Sämtliche Marketingaktivitäten in Bezug auf Latexkonzentrat werden von der Zweitantragsgegnerin durchgeführt. Im Geschäftsjahr 2014 erwirtschaftete die Drittantragsgegnerin einen weltweiten Umsatz von umgerechnet 267,42 Mio EUR, der EWR-weite Umsatz lag bei 5,49 Mio EUR. Der Marktanteil der Gruppe Erst‑ bis Drittantragsgegnerinnen im Markt für Untersuchungshandschuhe betrug 2014 weltweit 3,9 % im EWR-Raum 0,5 % und in Österreich 0 %; 2015 weltweit 4 %, im EWR-Raum 1 % und in Österreich 1–2 % sowie 2016 im ersten Quartal weltweit 3,9 %, im EWR‑Raum 1,3 % und in Österreich 0 %.
Die Viertantragsgegnerin steht im Alleineigentum der 1824 gegründeten S* AG Holding, einem österreichischen Unternehmen. Ihre Tochterunternehmen sind international ausgerichtet und in den Sektoren Medizin und Industrie tätig. Sie entwickeln, produzieren und vertreiben spezialisierte Produkte aus Kautschuk und Kunststoff. Die Produktpalette umfasst unter anderem spezialisierte Gummi‑ und Plastikprodukte für den medizinischen und industriellen Sektor, wie Untersuchungs- und Chirurgenhandschuhe, hydraulische und industrielle Schläuche, Förderbänder, Handläufe für Rolltreppen etc. Die S*‑Gruppe verfügt über Produktionsstandorte in Österreich, Ungarn, Tschechien, Polen, Italien, Deutschland, Frankreich, Thailand, China, Indien, Malaysia und den USA. Ihr weltweiter Umsatz betrug 2014 930 Mio EUR, der Umsatz der Viertantragsgegnerin betrug im selben Jahr 376 Mio EUR. Die Marktanteile der Viertantragsgegnerin auf dem sachlich relevanten Markt für Untersuchungshandschuhe betrugen weltweit 2014 11,3 % (inklusive SSC) und 2015 8 %, auf dem europäischen Binnenmarkt 2014 16,4 % und 2015 17,1 % und in Österreich 2014 51,3 % und 2015 55 %.
Am 22. 1. 1989 schlossen die Zweitantragsgegnerin, die Drittantragsgegnerin und vier natürliche Personen thailändischer Staatsangehörigkeit mit der Viertantragsgegnerin ein Joint Venture Agreement zur Gründung des nicht voll funktionalen Gemeinschaftsunternehmens SSC. Zweck dieses Joint Ventures war die Herstellung von qualitativ hochwertigen Untersuchungshandschuhen aus Naturkautschuk‑Latex.
SSC ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach thailändischem Recht. Ursprünglich hielt die Viertantragsgegnerin 50 % der Anteile, während die übrigen Gründer gemeinsam über die restlichen 50 % der Anteile verfügten. Seit dem Beitritt der Erstantragsgegnerin im Jahr 1991 hält die Viertantragsgegnerin weiter 50 % und der Zweitantragsgegnerin zuzurechnende Gesellschaften und Personen die anderen 50 % (STA‑Gruppe).
Seit Abschluss des Joint Venture Agreements im Jahr 1989 verfügten die Viertantragsgegnerin einerseits und die STA‑Gruppe andererseits über idente Stimmrechte in der Gesellschafterversammlung. Beiden Seiten kommen Sonderrechte zur Bestellung von Vorstandsmitgliedern zu. Die Viertantragsgegnerin ist weiter berechtigt, einen koordinierenden Direktor zu bestellen, die STA‑Gruppe einen Managing‑Direktor.
Grundlage des Joint Venture Agreements war, dass die Viertantragsgegnerin über Erfahrung in der Produktion von Handschuhen in Europa verfügte, weil sie seit 1920 auf industrieller Basis unter Verwendung moderner Herstellungsverfahren Latexhandschuhe in ihrer Fabrik in W*, hergestellt hatte. In den 70iger Jahren war die Viertantragsgegnerin ein führendes Unternehmen im internationalen Markt für Untersuchungs- und Operationshandschuhe, insbesondere im Großraum Europa sowie im Nahen Osten. Rund 95 % der von der Viertantragsgegnerin hergestellten Handschuhe wurden exportiert. Dagegen hatte die STA‑Gruppe Zugang zum Rohstoff Naturkautschuk. Ziel des Joint Venture Agreements war der Aufbau einer gemeinsamen Produktion von Untersuchungshandschuhen durch die Viertantragsgegnerin und die STA‑Gruppe.
Art 13.1 des am 22. 1. 1989 abgeschlossenen Joint Venture Agreements lautet:
„Die Produkte des Gemeinschaftsunternehmens [= SSC] werden exklusiv von S* und STA oder einem jeweils bevollmächtigten Unternehmen vertrieben. S* ist exklusiv für den Vertrieb in den Gebieten Europa und naher Osten verantwortlich. Die Vertragsparteien vereinbaren, dass das Gemeinschaftsunternehmen umgehend nach der Gründung desselben die als Beilage ./E angeführte Vertriebsvereinbarung ('S* distribution Agreement') mit S* sowie die in Beilage ./F angeführte Vertriebsvereinbarung ('STA distribution Agreement') mit STA abschließt. Diese Vertriebsvereinbarungen legen im Detail die Vertriebsgebiete, die Pflichten des Gemeinschaftsunternehmens und der Vertriebsunternehmen, die Produktionspreise, die Mindestabsatzmengen und die Bestimmungen zur Kündigung des Vertrags fest. Bevollmächtigt ein Vertragspartner ein weiteres Unternehmen, hat dieser die Einhaltung der relevanten Bestimmungen dieses Vertrags durch das bevollmächtigte Unternehmen sicherzustellen und haftet für die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen durch das bevollmächtigte Unternehmen.“
Ebenfalls am 22. 1. 1989 wurden zwei Vertriebsvereinbarungen (Distribution Agreements) zwischen SSC und S* und zwischen SSC und STA abgeschlossen.
Art 2.1 des S* Distribution Agreements lautet:
„Gemäß den in Folgenden geregelten Vertriebsbestimmungen ernennt das Gemeinschafts-unternehmen S* zum alleinvertriebsberechtigten Händler für Europa und den Nahen Osten und S* stimmt diese Ernennung zu.“
Art 2.4 des STA Distribution Agreements lautet:
„STA stimmt ausdrücklich zu, dass S* exklusiver und einziger Händler für den Vertrieb der Produkte in Europa und im Nahen Osten ist.“
Nach Art 2.5 des STA Distribution Agreements muss STA sicherstellen, dass auch ihre Kunden nicht in das exklusive Gebiet von S*, also Europa und den Nahen Osten, weiterverkaufen. STA ist daher verpflichtet Lieferungen von Produkten an Kunden einzustellen, die entweder direkt oder indirekt, durch welche Vertriebskanäle immer, nach Europa weiterverkaufen.
In Anhang I des „S* Distribution Agreements“ ist eine Liste der Länder angeführt, für die der Viertantragsgegnerin das ausschließliche Vertriebsrecht eingeräumt wird. Ohne Einräumung dieses Gebietsschutzes hätte sich die Viertantragsgegnerin auf die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens SSC und den damit verbundenen Transfer ihres Know‑hows nicht eingelassen.
Mit dem ersten Zusatzvertrag zum Joint Venture Agreement (first amendment, 1991) wurde die Verpflichtung laut Art 13.1 des Joint Venture Agreements auf die Erstantragsgegnerin überbunden. Im Jahr 1993 schlossen die Parteien des Joint Venture Agreements einen zweiten Zusatzvertrag, in dem eine Zusatzbestimmung zum „STA Distribution Agreement“ enthalten ist, wonach SSC den Verkauf des auf STA entfallenden Anteils der Produktion für die Zweitantragsgegnerin übernahm. Die exklusiven Verkaufsgebiete für die Viertantragsgegnerin wurden durch diese Änderung nicht berührt.
SSC stellt Einweghandschuhe aus Naturkautschuk und Nitril (= synthetischer Latex) her, die als Untersuchungshandschuhe außerhalb des Operationsbereichs und als Schutzhandschuhe im nicht‑medizinischen Bereich verwendet werden und der europäischen Norm EN 455 für „medizinische Handschuhe zum einmaligen Gebrauch“ gemäß der EU‑Medizinprodukte‑Richtlinie (RL 93/42/EWG ), in Österreich umgesetzt durch das BG betreffend Medizinprodukte, BGBl 1996/657, entsprechen.
Ab dem Jahr 1993 war die ursprünglich eingeschränkte Qualität und die Wettbewerbsfähigkeit der Handschuhe so verbessert, dass die Viertantragsgegnerin die gesamte eigene Produktion von Untersuchungshandschuhen von W* nach Thailand an die SSC übertrug. In den Folgejahren wuchs die Produktion stetig und stark. Die Gewinne überstiegen die ursprünglichen Erwartungen der Joint Venture Partner erheblich, sodass laufend in die Kapazitäten von SSC investiert wurde, um die Produktion zu verbessern und auszuweiten. Ab 1993 war die Produktion des Joint Ventures nachhaltig wettbewerbsfähig und profitabel.
Die gesamte Produktionsmenge von Handschuhen bei SSC betrug im Jahr 2014 13,45 Mrd Einheiten. 39 % dieses Outputs wurden von der Viertantragsgegnerin vorrangig in Europa verkauft. 33 % davon wurden von SSC im Auftrag der Zweitantragsgegnerin außerhalb Europas verkauft. In Europa verkaufte SSC im Auftrag der Zweitantragsgegnerin 2 % des Outputs. 7 % wurden von der Zweitantragsgegnerin unabhängig von SSC in Thailand verkauft, die restlichen 19 % von S* USA, Inc, einer Gesellschaft, die im gemeinsamen Eigentum von SSC, der Viertantragsgegnerin und der Zweitantragsgegnerin steht.
Die Umsätze von SSC im Jahr 2014, aufgeschlüsselt nach Umsätzen mit den beiden Joint Venture‑Partnern, also der Viertantragsgegnerin und Zweitantragsgegnerin einerseits und mit dritten Unternehmen andererseits beliefen sich wie folgt: SSC total: Weltweit bei umgerechnet 250,54 Mio EUR, EWR-weit 83,28 Mio EUR; SSC an S* und STA: weltweit 115,85 Mio EUR, EWR‑weit 79,88 Mio EUR, sowie SSC an Dritte: weltweit 75,96 Mio EUR und EWR-weit 3,40 Mio EUR.
Seit 1. 1. 2015 verkauft die Zweitantragsgegnerin ihren Anteil der SSC‑Produkte auch außerhalb Thailands selbst, und zwar auch in Europa nach Deutschland, Frankreich, Irland, Polen und UK, Österreich und Norwegen.
Die Viertantragsgegnerin besteht nach wie vor darauf, dass ihr in Europa und im Nahen Osten die exklusive Verkaufsberechtigung für die von SSC produzierten Handschuhe zukommt. Anstrengungen der Zweitantragsgegnerin, diese vertragliche Gebietsbeschränkung zu übergehen und Handschuhe auch dort zu verkaufen, versucht die Viertantragsgegnerin mit gerichtlichen und außergerichtlichen Interventionen zu vereiteln. So sind zwischen der Viertantragsgegnerin und der Erst‑ bis Drittantragsgegnerin Verfahren vor dem internationalen Schiedsgericht ICC anhängig, die darauf gerichtet sind, der Erst‑ bis Drittantragsgegnerin die Vermarktung, den Verkauf und den Vertrieb von Handschuhen im exklusiven Vermarktungsbereich der Viertantragsgegnerin zu verbieten. In einer Widerklage begehren die Erst‑ bis Drittantragsgegnerin die Feststellung, dass alle Beschränkungen im Joint Venture Agreement und dessen Anhängen, die der Zweitantragsgegnerin oder ihren Beauftragten verbieten, die Produkte in der Europäischen Union zu vertreiben, Art 101 AEUV verletzten und damit nichtig sind. Eine Entscheidung in diesen Punkten erging bisher nicht.
Das Erstgericht traf folgende Feststellungen zum relevanten Markt:
1. Sachlich relevanter Markt:
Dieser umfasst Einweghandschuhe aus Naturkautschuk und Nitril, die im medizinischen Bereich als Untersuchungshandschuhe außerhalb des Operationsbereichs und im nichtmedizinischen Bereich als Schutzhandschuhe verwendet werden. Darüber hinaus können Untersuchungshandschuhe, die die jeweiligen Qualitätskontrollen für die Nutzung im medizinischen Bereich nicht bestehen, als Schutzhandschuhe verkauft werden.
Im medizinischen Bereich werden Einweghandschuhe bei der Untersuchung von Patienten als Infektionsschutzmaßnahme verwendet. Sie dienen dazu, eine Ansteckung zwischen dem Gesundheitsdienstleister einerseits und dem Patienten andererseits zu verhindern. Untersuchungshandschuhe können puderfrei oder gepudert (mit Maisstärke zur Schmierung der Handschuhe) sein. Letztere sind einfacher anzuziehen, können jedoch zu allergischen Reaktionen führen. Untersuchungshandschuhe sind grundsätzlich nicht steril, können aber auch steril angefertigt werden.
Operationshandschuhe können Untersuchungs-handschuhe technisch substituieren. Umgekehrt können Untersuchungshandschuhe, selbst sterile, nicht anstelle von Operationshandschuhen verwendet werden. Letztere müssen höheren Anforderungen an Sterilität, Passgenauigkeit und Verpackung genügen.
Latex kann sowohl auf natürlichem Wege gewonnen als auch synthetisch hergestellt werden (Nitril). Naturkautschuklatex ist gut für die Produktion von Untersuchungshandschuhen geeignet, weil er dünn, flexibel und relativ günstig ist, und eine gute Schutzwirkung bietet. Nitril‑Handschuhe werden hauptsächlich für Personen hergestellt, die allergisch auf Naturkautschuklatex reagieren. Weitere alternative Materialien sind Neopren, Polyvinyl Chloride („PVC“) und Plastik. Die weltweite Herstellung von Handschuhen aus Naturkautschuk‑Latex ist in Südostasien wegen der Nähe zu den Rohmaterialien, insbesondere in Malaysia und Thailand, konzentriert.
Produkte, die mit Untersuchungshandschuhen aus Naturkautschuk‑Latex und Nitril im Wettbewerb stehen, sind sämtliche anderen Arten von Untersuchungs‑ und Schutzhandschuhen, einschließlich solcher aus anderen Kunststoffen wie PVC, Neopren oder Plastik.
2. Räumlich relevanter Markt:
Der räumlich relevante Markt ist der weltweite Markt, und die größten Anbieter sind global tätig. Die Viertantragsgegnerin vertreibt diese Handschuhe weltweit, in Thailand allerdings nicht oder kaum. Die Erst‑ bis Drittantragsgegnerin vertreiben die Handschuhe ebenfalls weltweit.
Die Antragstellerin begehrt in Bezug auf die Erst‑ bis Drittantragsgegnerinnen, denen Kronzeugenstatus zuerkannt wurde, die Feststellung der Zuwiderhandlung, sowie in Betreff der Viertantragsgegnerin, die Verhängung einer Geldbuße und die Abstellung der Zuwiderhandlung wegen der exklusiven Zuweisung des europäischen Marktes für Einweghandschuhe an diese. Die Antragsgegnerinnen verstießen seit 22. 1. 1989 in einer einzigen fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen Art 101 Abs 1 AEUV und § 1 KartG 2005 sowie § 9 iVm § 18 KartG 1988. In der damals geschlossenen Joint Venture Vereinbarung hätten die Antragsgegnerinnen ausschließliche Verkaufsgebiete für die Viertantragsgegnerin in Europa anerkannt und dieser einen nicht durch die übrigen Antragsgegnerinnen beeinträchtigten Marktauftritt in Europa und damit in Österreich gesichert. Weiters habe es auch Beschränkungen für die Erst‑ bis Drittantragsgegnerinnen hinsichtlich der Produktion durch SSC gegeben.
Das Joint Venture Agreement und die Distribution Agreements seien als horizontale Vereinbarungen anzusehen. Weil sie auch den passiven Verkauf sowie den Verkauf durch die Kunden der Zweit‑ und Drittantragsgegnerin beträfen, seien sie als unzulässiger absoluter Gebietsschutz nach Art 4 lit b vGVO eine verbotene Kernbeschränkung und als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung zu qualifizieren.
Die Absprachen seien nicht in eine vertikale Vereinbarung, einen bloßen Alleinvertriebsvertrag oder eine zulässige Nebenabrede umdeutbar. Eine vertikale Beziehung scheide schon deshalb aus, weil die im Joint Venture Agreement beteiligten Unternehmen vereinbart hätten, gemeinsam als Hersteller tätig zu sein. Sie seien daher alle auf der Produktionsebene aktiv. Beim Vertrieb seien beide Unternehmen auf der selben Stufe der Produktions‑ und Vertriebskette tätig. Auch das Verhältnis zwischen den Antragsgegnerinnen und der SSC sei kein vertikales, weil SSC von den Gründern abhängig sei und keine eigene Entscheidungsbefugnis oder einen eigenen Marktauftritt habe. Ein Alleinvertriebsvertrag setze aber ein– hier nicht gegebenes – Vertikalverhältnis voraus. Im Übrigen seien selbst im Vertikalverhältnis unbefristete Wettbewerbsverbote gemäß Art 5 Abs 1 lit a Vertikal‑Gruppenfreistellungsverordnung (vGVO) unzulässig.
Bereits vor der Gründung der SSC hätten die Zweit‑ und die Drittantragsgegnerin 1989 rund 1,2 Mio Handschuhe produziert, sie hätten daher nicht nur über die benötigten Rohstoffe und die Technologie zu deren Verarbeitung, sondern auch über Erfahrung im Einkauf und Betrieb der Produktionstechnologie verfügt. Die Viertantragsgegnerin habe nie wesentliches Know‑How eingebracht. Die Zusammenarbeit habe in allgemein bekannten, einfachen schrittweisen Verbesserungen des Produktionsprozesses bestanden, die weder durch Patente geschützt gewesen seien, noch Geschäfts‑ und Betriebsgeheimnisse enthalten hätten. Die Viertantragsgegnerin und die Zweit‑ und Drittantragsgegnerinnen seien zumindest potentielle Wettbewerber gewesen. Letztere hätten im Wesentlichen über die Voraussetzungen für eine eigene Handschuhproduktion verfügt, eine Reihe von Investitionen bereits getätigt gehabt und die Produktionsprozesse so optimieren können, dass in der Fabriksanlage in einem Zeitraum von wenigen Jahren eine konkurrenzfähige Handschuhproduktion möglich gewesen wäre. Zumindest seit Aufnahme der gemeinsamen Produktion seien die Viertantragsgegnerin sowie die Zweit‑ und Drittantragsgegnerinnen in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander gestanden. Absoluter Gebietsschutz dürfe auch zwischen an einem Produktions‑Joint Venture teilnehmenden Unternehmen, die zuvor nicht im Wettbewerb gestanden seien, nicht vereinbart werden. Das geschäftliche Risiko aufgrund etwaigen Wettbewerbs sei kein Umstand, der die Notwendigkeit einer Nebenabrede begründe. Daher könne sich die Viertantragsgegnerin nicht darauf berufen, dass die Gebietsaufteilung im Joint Venture Agreement eine notwendige bzw zulässige Nebenabrede und daher freistellungsfähig sei. Ein absoluter Gebietsschutz sei grundsätzlich keine für eine gemeinsame Produktion von Gütern notwendige Einschränkung.
Aber auch bei zulässigen Nebenabreden sei stets das gelindeste Mittel zu wählen, wozu ein Alleinvertrieb, der mit einem absoluten Verkaufsverbot zu Lasten der Zweit‑ und Drittantragsgegnerin einhergehe, nicht zähle. Auch der räumliche Umfang der Beschränkung (ganz Europa und im Nahen Osten) stehe nicht im angemessenen Verhältnis zum Ziel des Schutzes von bestehenden Geschäftsbeziehungen. Weiters enthalte das Joint Venture Agreement keine zeitliche Beschränkung, obwohl selbst Nebenabreden in der Regel nur auf einen begrenzten Zeitraum zulässig seien. Die Vereinbarung des absoluten Gebietsschutzes sei daher objektiv nicht erforderlich und unterfalle dem Verbot des Art 101 AEUV.
Die Erst‑ bis Drittantragsgegnerinnen verwiesen auf ihren Kronzeugenstatus und brachten vor, dass die Viertantragsgegnerin in den Anfangsjahren tatsächlich technische Unterstützung für SSC geleistet habe, was aber keinerlei Know‑How‑Transfer umfasst habe und für die Gründung von SSC und die Produktion nicht wesentlich gewesen sei. Die begrenzte technische Hilfestellung sei schrittweise zurückgenommen und nach etwa sieben Jahren völlig eingestellt worden.
Die Viertantragsgegnerin wandte ein, bei der ausschließlichen Vertriebsvereinbarung handle es sich um eine Nebenabrede zur Gründung des Gemeinschaftsunternehmens und um keine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung. Ziel des Kronzeugenantrags der Erst‑ bis Drittantragsgegnerin sei es, eine zweite Front der kommerziellen Auseinandersetzung zusätzlich zu diversen Verfahren beim Schiedsgericht, deren Thema die Unterlassung des Verkaufs von Handschuhen in Europa sei, zu eröffnen. Die Viertantragsgegnerin habe ihr Know‑How, ihr Vertriebsnetzwerk, ihre Markengeltung und den Kundenzugang zum Gemeinschaftsunternehmen beigetragen, während die Zweitantragsgegnerin den Zugang zu den zuständigen Behörden, zu Rohstoffen und günstigen Produktionsmitteln einschließlich der lokalen Landeskenntnis beigesteuert habe. Für die Viertantragsgegnerin wäre es wirtschaftlich unsinnig gewesen, ihr Know‑How und ihre über Jahrzehnten aufgebauten Kundenbeziehungen an SSC weiterzugeben, um sich so einen Wettbewerber im eigenen, bereits existierenden Geschäft zu schaffen, der ansonsten nicht bestanden hätte. Insbesondere in den Jahren 1988 bis 1992 seien die Zweit‑ und die Drittantragsgegnerin keine tatsächlichen oder potentiellen Wettbewerber der Viertantragsgegnerin gewesen. Selbst wenn sie vor Abschluss der Joint Venture Agreements bereits Handschuhe produziert haben sollten, hätten sie vor Gründung des Gemeinschaftsunternehmens niemals Handschuhe verkauft. Die Viertantragsgegnerin habe SSC über die Jahre in vielfältiger Weise (zB bei der Eindämmung der Mitarbeiterfluktuation, der Ausweitung der Produktionsanlagen sowie der Forschung und Entwicklung) unterstützt und Hilfe zur Selbsthilfe geleistet. In den ersten Jahren sei die Qualität der Handschuhe völlig unzureichend gewesen. Bis zu 50 % der Produktion seien schadhafter Ausschuss gewesen. Nach großen persönlichen und finanziellen Einsätzen der Viertantragsgegnerin sei eine Qualitätsverbesserung gelungen, sodass die Viertantragsgegnerin die gesamte eigene Produktion nach Thailand verlegt habe. Erst nach drei Jahren sei die Produktion des Joint Ventures nachhaltig wettbewerbsfähig und profitabel gewesen. Die Zweitantragsgegnerin habe von 1993 bis Ende 2014 keine Handschuhe vertrieben, sondern den Vertrieb der auf sie entfallenden Handschuhe an SSC übertragen. Diese habe den Vertrieb für all jene Märkte durchgeführt, die nicht exklusiv der Viertantragsgegnerin vorbehalten gewesen seien. Die Zweitantragsgegnerin sei daher weder tatsächlicher noch potentieller Wettbewerber gewesen.
Der Marktanteil der Viertantragsgegnerin am weltweiten Produktmarkt für Untersuchungshandschuhe liege bei rund 11 % und damit unterhalb der kartellrechtlichen Schwelle der Spürbarkeit. Somit komme der Alleinvertriebsvereinbarung von vornherein kein spürbarer wettbewerbsbeschränkender Effekt im Sinne des Art 101 Abs 1 AEUV zu. Auch bei Einschränkung des räumlichen Markts auf Europa, den mittleren Osten und Afrika liege der Marktanteil der Viertantragsgegnerin mit 14 % unter der Spürbarkeitsschwelle. Überdies wäre der Alleinvertriebsvertrag nach der vGVO freigestellt und nach Art 101 Abs 3 AEUV freistellungsfähig.
Das Erstgericht schränkte mit Beschluss vom 12. 4. 2016 das Verfahren auf die Verhandlung und Entscheidung über den Abstellungsantrag ein (ON 28). Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss untersagte es der Viertantragsgegnerin, sich auf die im Joint Venture Agreement bzw in den beiden Distribution Agreements enthaltene exklusive Zuweisung des Europäischen Marktes für Handschuhe aus Naturkautschuk und alle Arten von medizinischen Handschuhen an sie, die einen Verstoß gegen Art 101 Abs 1 AEUV bzw § 1 Abs 1 KartG 2005 darstelle, zu berufen.
Die eingangs wiedergegebenen Feststellungen beurteilte es rechtlich dahin, dass eine Vereinbarung, die einen Vertragspartner von der Belieferung des gesamten Binnenmarkts und des Nahen Ostens ausschließe, dann, wenn sie einen wettbewerbswidrigen Zweck habe, eine spürbare Beschränkung des Wettbewerbs im Sinne des Art 101 Abs 1 AEUV und des § 1 Abs 1 KartG 2005 beinhalte. Bei Teilfunktions‑Gemeinschaftsunternehmen, die lediglich Hilfsinstrumente für die wirtschaftliche Tätigkeit der sie kontrollierenden Unternehmen seien und keine eigenen, von deren Gründern unterscheidbaren Interessen verfolgten, sei die Anwendung des Art 101 AEUV möglich. Hier sei SSC als solches Teilfunktions‑Gemeinschaftsunternehmen anzusehen. Allfällige Wettbewerbsbeschränkungen im Zusammenhang mit dieser Gesellschaft seien daher nur der kartellrechtlichen Prüfung und nicht jener im Rahmen der Fusionskontrolle zugänglich.
Die Gebietsbeschränkung für die Viertantragsgegnerin sei keine Nebenabrede, die zur Gründung und Tätigkeit des Gemeinschaftsunternehmens notwendig sei. Da SSC als Produktionsgemeinschaftsunternehmen gegründet worden sei, sei der für die Viertantragsgegnerin vereinbarte Gebietsschutz für das Funktionieren der Produktion nicht objektiv notwendig und damit nicht akzessorisch. Die subjektive Notwendigkeit für die Viertantragsgegnerin in dem Sinne, dass diese sich andernfalls nicht auf die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens eingelassen hätte, mache den Gebietsschutz nicht zu einer akzessorischen Nebenabrede, weil es insoweit auf die objektive Notwendigkeit für das Funktionieren des Gemeinschaftsunternehmens ankomme.
Hier liege kein Vertikalverhältnis vor. Die Zweit‑, die Dritt- sowie die Viertantragsgegnerin seien nicht auf unterschiedlichen Stufen des Produktions‑ und Vertriebsweges tätig. Der wesentliche Inhalt der Joint Venture Vereinbarung sei die gemeinsame Herstellung von Einweghandschuhen gewesen, damit seien sämtliche Parteien in der Produktion tätig. Im Übrigen seien auch vertikale Vereinbarungen dann nicht freigestellt, wenn sie Beschränkungen enthielten, die wahrscheinlich den Wettbewerb beschränkten und den Verbrauchern schadeten oder die für die Herbeiführung der effizienzsteigernden Auswirkung nicht unerlässlich seien. Dies betreffe insbesondere bestimmte Arten des Gebietsschutzes für den Verkauf, die nach Art 4 lit b Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (vGVO) zu den Kernbeschränkungen gezählt würden und von der Möglichkeit der Freistellung ausgenommen seien. Nach Art 5 vGVO seien weiters Wettbewerbsverbote, die für eine unbestimmte Dauer oder für eine mehr als fünf Jahre übersteigende Dauer vereinbart seien, der Freistellung nicht zugänglich. Auch eine Freistellung der fraglichen Vereinbarung nach der Spezialisierungs‑VO komme nicht in Frage, weil auch dort Vereinbarungen, die Kernbeschränkung zum Inhalt hätten, nicht der Freistellung zugänglich seien. Die Nebenabreden‑Bekanntmachung der Europäischen Kommission beziehe sich nur auf Vollfunktions‑Gemeinschaftsunternehmen, hier liege aber ein Teilfunktions‑Gemeinschaftsunternehmen vor.
Hier bestehe auch keine reine Produktionsvereinbarung, sei doch die anlässlich der Produktionsvereinbarung beschlossene Vermarktungsvereinbarung, wonach der Viertantragsgegnerin der Vertrieb für Europa und den Nahen Osten allein vorbehalten bleibe, von zentraler Bedeutung. Nutzten Parteien aber eine Vertriebsvereinbarung, um tatsächlichen oder potentiellen Wettbewerb untereinander durch gezielte Zuteilung von Märkten oder Kunden auszuschalten, sei es wahrscheinlich, dass mit der Vereinbarung eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt werde. Eine Vermarktungsvereinbarung sei wettbewerblich unbedenklich, wenn sie objektiv erforderlich sei, um einer Partei den Eintritt in einen Markt zu ermöglichen, auf dem sie sich alleine oder in einer Gruppe nicht hätte behaupten können. Schränke die Vereinbarung dagegen die Entscheidungsfreiheit einer der Parteien in Bezug auf den Eintritt in den Markt der anderen Partei ein, weil der betreffenden Partei der Anreiz zu einem Markteintritt genommen werde, sei die wettbewerbsbeschränkende Auswirkung wahrscheinlich. Im vorliegenden Fall werde der Wettbewerb zwischen der Viertantragsgegnerin und den Erst- bis Drittantragsgegnerinnen in Europa und im Nahen Osten faktisch ausgeschlossen. Dass diese Unternehmen aber zum Zeitpunkt der Entscheidung des Kartellgerichts grundsätzlich Wettbewerber seien, ergebe sich schon daraus, dass die Zweitantragsgegnerin seit 1. 1. 2015 den Vertrieb selbst übernommen habe und in der Lage und auch Willens sei, Handschuhe auf dem Binnenmarkt als Konkurrentin der Viertantragsgegnerin anzubieten. Der Ansicht der Viertantragsgegnerin, dass die Frage ob die Antragsgegner Wettbewerber seien, ausschließlich im Zeitpunkt des Abschlusses des Joint Venture Vertrags geprüft werden müsse, sei nicht zu folgen, weil diesfalls entgegen § 20 KartG 2005 jegliche Marktentwicklung ausgeblendet und jegliche wirtschaftliche Veränderung der kartellrechtlichen Beurteilung entzogen wäre. Es möge durchaus zutreffen, dass zu Beginn der Zusammenarbeit eine derartige Marktaufteilung eine entsprechende gemeinsame Produktion überhaupt erst ermöglicht habe, weil die Viertantragsgegnerin ohne eine derartige Klausel zu einem Know‑How‑Transfer nicht bereit gewesen sei; dennoch sei eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung der Freistellung nach Art 101 Abs 3 AEUV grundsätzlich nicht zugänglich, die entsprechende Bestimmung des Joint Venture Agreements sowie der Distribution Agreements daher als Verstoß gegen diese Bestimmung nichtig und der Viertantragsgegnerin daher zu untersagen, sich darauf zu berufen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Viertantragsgegnerin mit dem Abänderungsantrag, den Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde auf Abstellung gemäß § 26 KartG abzuweisen; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Erst‑ bis Drittantragsgegnerinnen beantragen in ihrer Rekursbeantwortung, der Anregung der Rekurswerberin, ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten, nicht zu folgen und ansonsten dem Rekurs nicht Folge zu geben. Die Antragstellerin beantragt, dem Rekurs keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
I. Rekursvorbringen:
I.1. Die Rekurswerberin greift in erster Linie die Einordnung des Alleinvertriebsrechts als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung an und meint, dieses sei als zulässige Nebenabrede zu betrachten. Die vom Erstgericht zitierten Urteile des EuGH „Toshiba“ und „Siemens“ seien für den vorliegenden Fall irrelevant, weil es sich dort um „Hard‑Core“‑Kartelle zwischen etablierten Wettbewerbern und nicht um ein Alleinvertriebsrecht zum Zweck der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens gehandelt habe. Nach der Entscheidung des EuGH „Groupement des Cartes Bancaires“ liege eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung nur vor, wenn nach dem Inhalt der Bestimmungen und der damit verfolgten Zwecke sowie dem wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang, in dem die Vereinbarung stehe, und unter Berücksichtigung der Absicht der Beteiligten sowie der Tatsache, dass bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen eng auszulegen seien, die Kollusion zwischen den Unternehmen schon ihrem Wesen nach als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs angesehen werden könnte. Selbst dann sei aber eine Prüfung des wirtschaftlichen und rechtlichen Kontextes vorzunehmen. Auch die EuGH‑Entscheidung „SIA Maxima Latvija“ sei im vorliegenden Fall einschlägig, weil auch dort kein „Hardcore‑Kartell“ vorgelegen habe, sondern die jeweiligen Vereinbarungen in einem weitergehenden rechtlichen und wirtschaftlichen Kontext zu beurteilen gewesen seien. Das Kartellgericht habe es dagegen unterlassen, den Hintergrund des Gesamtvertrags näher zu überprüfen. Der Alleinvertriebsvertrag als integraler Bestandteil des Joint Venture Agreements könne nicht losgelöst von seinem rechtlichen, wirtschaftlichen und historischen Kontext betrachtet werden. Auch die Marktentwicklung seit seinem Abschluss könne nichts an der Tatsache ändern, dass nur eine zulässige Nebenrede vorliege, die ex ante zu beurteilen sei.
I.2. Ein Alleinvertriebsvertrag sei von einer Marktaufteilung klar zu unterscheiden und grundsätzlich kartellrechtlich zulässig. Hier seien gerade keine Märkte aufgeteilt, sondern lediglich Vertriebsgebiete zugewiesen worden. Der asymmetrische Charakter der Vertriebsabrede spiegle sich in den asymmetrischen Beiträgen der Partner des Gemeinschaftsunternehmens und der Bedeutung des Know‑how‑Transfers seitens der Viertantragsgegnerin für den Erfolg des Gemeinschaftsunternehmens wieder.
Der Argumentation des Kartellgerichts liege insofern ein Zirkelschluss zugrunde, als ohne die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens die thailändischen Joint Venture-Partner heute keine Wettbewerber wären. Die thailändischen Joint Venture-Partner seien zur Zeit der Gründung des Gemeinschaftsunternehmens weder aktuelle noch potentielle Wettbewerber der Viertantragsgegnerin gewesen. Ihnen habe das notwendige Know‑how, die Erfahrung sowie das Vertriebsnetzwerk gefehlt.
I.3. Relevanter Zeitpunkt für die Bestimmung, ob ein Wettbewerbsverhältnis vorliege, könne nur jener Zeitpunkt sein, in dem der Vertrag abgeschlossen werde. Selbst wenn die thailändischen Vertragspartner aktuell auf Basis des von der Viertantragsgegnerin erworbenen Know‑hows sowie dessen Vertriebsnetzes in Europa Untersuchungshandschuhe aus der Produktion des Gemeinschaftsunternehmens vertreiben sollten, seien sie nicht als echte Wettbewerber, die eigenständig in den Markt eingetreten seien, anzusehen. Daher sei auch die Rechtsansicht des Kartellgerichts, dass die Horizontalleitlinien der Kommission und nicht die VGVO und die Vertikalleitlinien anzuwenden seien, verfehlt. Die Einordnung der vorliegenden Vereinbarung in das sonst gebräuchliche „Horizontal‑/Vertikalschema“ passe im konkreten Fall nicht.
I.4. Es sei vielmehr zu prüfen, ob die Erst‑ bis Drittantragsgegnerinnen in der Lage gewesen wären, aus eigener Kraft und ohne Zusammenarbeit mit der Viertantragsgegnerin mit der Produktion und dem Vertrieb von Untersuchungshandschuhen auf dem Europäischen Markt in den Wettbewerb mit der Viertantragsgegnerin zu treten. Dies sei aber zu verneinen, weil die thailändischen Joint Venture-Partner nicht nur zu Beginn der Kooperation 1989, sondern auch in den letzten 25 Jahren von den Beiträgen der Viertantragsgegnerin abhängig gewesen seien und kein anderer thailändischer Latexhandschuhproduzent aus jener Zeit, der heute noch tätig sei, selbständig Produkte hergestellt habe, die den Anforderungen des europäischen Marktes entsprächen. Selbst wenn man eine geringfügige Wettbewerbsbeschränkung der Alleinvertriebsvereinbarung als bewirkt annehmen wolle, fehle es dieser an der Spürbarkeit. Die Viertantragsgegnerin besitze auf dem weltweiten Markt für Untersuchungshandschuhe nach den Feststellungen des Kartellgerichts nur einen Marktanteil von ca 8 %.
I.5. Die Alleinvertriebsvereinbarung sei auch akzessorisch zum Hauptvertrag und im Verhältnis zur prokompetitiven Hauptvereinbarung, nämlich der Gründung des Joint Venture, von untergeordnetem Rang. Relevant sei die Frage, ob die Nebenabrede für die Verwirklichung der Hauptmaßnahme und für das Funktionieren des Gemeinschaftsunternehmens notwendig sei. Es komme daher nur auf die Frage an, ob die Viertantragsgegnerin in das Gemeinschaftsunternehmen investiert und sein Know‑how zur Verfügung gestellt hätte, wenn es nicht das Alleinvertriebsrecht der bereits erschlossenen Märkte erhalten hätte. Die Alleinvertriebsvereinbarung sei verhältnismäßig, weil sie in einem angemessenen Verhältnis zum wettbewerbsfördernden Effekt, den die Hauptvereinbarung mit sich gebracht habe, stehe. Eine Exklusivität von kürzerer Dauer wäre für die Viertantragsgegnerin wertlos gewesen, wenn die thailändischen Partner dann nach etwa fünf oder zehn Jahren das übertragene Know‑how und die offengelegten Kundenbeziehungen dazu nutzen hätten können, das eigene Geschäft der Viertantragsgegnerin zu untergraben. Das Kartellgericht habe insoweit nicht ausreichend dargelegt, worin die sachliche, räumliche und zeitliche Unverhältnismäßigkeit der vorliegenden Nebenabrede liegen solle. Außerdem habe die Beurteilung der Nebenabrede stets ex ante zu erfolgen, weil nur zu diesem Zeitpunkt die Viertantragsgegnerin die Entscheidung habe fällen müssen, ob ihre Beiträge zum Erfolg des Gemeinschaftsunternehmens in Zukunft hinreichend geschützt sein würden.
I.6. Nach dem Leitfaden der Kommission zu bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen sei eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung durch Marktaufteilung nur dann anzunehmen, wenn zwischen Wettbewerbern eine „nackte“ Marktaufteilung erfolge, ohne dass diese mit einer weiteren Kooperation verbunden ist. Der Alleinvertriebsvertrag diene dagegen der Verhinderung von nicht schützenswertem „parasitärem Wettbewerb“ seitens der Erst‑ bis Drittantragsgegnerinnen unter Ausnutzung des von der Viertantragsgegnerin offengelegten Know‑hows und Kundenzugangs.
Auch nach der vGVO Rn 152 seien Alleinvertriebsvereinbarungen, wenn sowohl der Anbieter als auch der Abnehmer auf seinem Markt über nicht mehr als 30 % Marktanteil verfüge, freigestellt.
Die Alleinvertriebsvereinbarung sei überdies eine zulässige Nebenabrede nach der Nebenabreden-bekanntmachung der Europäischen Kommission, die analog auf den vorliegenden Fall anwendbar sei. Auch die Leitlinien zur Anwendung des Art 81 Abs 3 EGV sähen Nebenabreden als Vereinbarungen an, die im Vergleich zur Hauptabrede nur untergeordnete Bedeutung hätten, unmittelbar mit dem Hauptgegenstand verbunden seien und für die Durchführung der Hauptvereinbarung objektiv erforderlich und verhältnismäßig seien. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt. Auch jeder andere vernünftige Investor wäre ohne die Alleinvertriebsvereinbarung nicht bereit gewesen, die Kooperation einzugehen und Know‑how sowie erhebliche finanzielle Mittel und laufende intensive technische und kommerzielle Unterstützung bereitzustellen.
Auch greife das Argument des Kartellgerichts, wonach nach der Nebenabredenbekanntmachung der Europäischen Kommission eine zeitliche Befristung für Wettbewerbsverbote im Zusammenhang mit Gemeinschaftsunternehmen als notwendig angesehen werde, nicht. Einerseits finde diese Bekanntmachung auf den vorliegenden Fall keine unmittelbare Anwendung und andererseits seien nach der mittlerweile gültigen Nebenabredenbekanntmachung 2005 Wettbewerbsverbote, die mit der Durchführung des Zusammenschlusses unmittelbar verbunden und für diese notwendig anzusehen seien, so lange zulässig, wie das Gemeinschaftsunternehmen bestehe. Gerade die Fortentwicklung der Nebenabredenbekanntmachung zeige, dass die Kommission anerkannt habe, dass ein relevanter zeitlicher Schutz nicht hinreichend sei, um Investitionen zu stimulieren.
I.7. Weiters rügt die Rekurswerberin einen wesentlichen Verfahrensmangel. Das Kartellgericht habe die Einvernahme von angebotenen Zeugen abgelehnt, weil die Beweisthemen für das Abstellungsverfahren nicht relevant seien, obwohl die Viertantragsgegnerin ausdrücklich auf deren Relevanz verwiesen habe. Unzweifelhaft sei die Frage, ob die Viertantragsgegnerin und die Erst‑ bis Drittantragsgegnerinnen bei der Gründung des Joint Venture Wettbewerber gewesen seien, von wesentlicher Bedeutung für die Beurteilung des Sachverhalts. Die notwendige Analyse des rechtlichen und wirtschaftlichen Kontextes der Alleinvertriebsvereinbarung erfordere auch eine Auseinandersetzung mit den Bedingungen zur Zeit des Abschlusses des Joint Venture, weshalb es der Einvernahme der angebotenen Zeugen bedurft habe.
I.8. Letztlich regt die Rekurswerberin die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens zur Klärung der Zulässigkeit einer Nebenabrede in Situationen wie der vorliegenden an. Bei Verneinung dieser Frage wird weiters angeregt zu fragen, ob die Vereinbarung eines Alleinvertriebsrechts unter den vorliegenden Umständen eine bezweckte Beschränkung im Sinne des Art 101 Abs 1 AEUV sei und Abs 3 der genannten Bestimmung unterfallen könne. Die Vorlagefrage unterstelle den von der Viertantragsgegnerin vorgetragenen Sachverhalt, weil das Kartellgericht eine weitere Beweisaufnahme nicht für erforderlich erachtet habe.
II. Der Senat hat dazu erwogen:
II.1. Die Rekurswerberin bestreitet nicht, dass es für die Anwendung des europäischen sowie des österreichischen Wettbewerbsrechts nicht darauf ankommt, wo die beteiligten Unternehmen ihren Sitz haben, sondern wo sich das potenziell verbotene Verhalten auswirkt, weshalb sowohl der Fall, dass Unternehmen mit Sitz außerhalb der Gemeinschaft, als auch jener Fall, dass ein Unternehmen mit Sitz außerhalb der Gemeinschaft und ein gemeinschaftsansässiges Unternehmen vereinbaren, dass einer der Vertragspartner keine Waren auf dem gemeinsamen Markt vertreibt, unter diese Normen fallen (vgl Enchelmaier in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Art 101 AEUV, Rz 417; § 24 Abs 1 KartG).
II.2. Nach Art 101 AEUV und § 1 KartG sind ua Vereinbarungen zwischen Unternehmern, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, ua auch dann verboten, wenn sie eine Aufteilung der Märkte beinhalten. Zusätzliche Voraussetzung im europäischen Kontext ist die Eignung der Vereinbarung, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen.
Um zu einer Abstellung nach § 26 KartG führen zu können, muss das Verhalten im Entscheidungszeitpunkt noch andauern (16 Ok 13/13; Solé, Das Verfahren vor dem Kartellgericht, Rz 438 f; Vartian/Schuhmacher in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG, § 26 Rz 20). Keine Voraussetzung ist hingegen bereits nach dem Gesetzeswortlaut, dass eine Vereinbarung während der gesamten Zeit ihres Bestehens kartellrechtswidrig (gewesen) ist. Auch nachträgliche Veränderungen im Sachverhalt können eine ursprünglich nicht verbotene Absprache zu einer verbotenen machen, wie schon die Regelungen zur Unter- bzw Überschreitung der in den Rn 8, 9 und 11 angeführten Grenzen der De-Minimis-Bekanntmachung der Europäischen Kommission (ABl 2014/C 291/01) zeigen. Im Übrigen kann auch eine im Zeitpunkt ihres Abschlusses erlaubte Vereinbarung nachträglich gegen Art 101 AEUV verstoßen und damit nichtig werden (Füller in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Art 101 AEUV, Rz 437; Grave/Nybergin Loewenheim/Meesen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, Art 101 Abs 1 AEUV, Rz 287).
Das Kartellgericht ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass es für das hier alleine zu beurteilende Abstellungsbegehren ausreichend ist, wenn das beanstandete Verhalten der Antragsgegnerinnen im Zeitpunkt seiner Entscheidung gegen Wettbewerbsrecht verstößt, und zwar unabhängig von seiner Einstufung bei Abschluss der Vereinbarung.
II.3. Diese Voraussetzung hat das Kartellgericht mit dem Argument bejaht, dass ein horizontaler Sachverhalt in Form einer Marktaufteilung im Sinn des Art 101 AEUV Abs 1 lit c bzw § 1 Abs 2 Z 3 KartG mit einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung vorliege (während die Rekurswerberin im Wesentlichen von einem erlaubten vertikalen Sachverhalt im Sinn einer Alleinvertriebsvereinbarung bzw einer erlaubten Nebenabrede ausgeht).
II.4. Kernbeschränkungen:
Sogenannte Kernbeschränkungen, namentlich die ersten drei Regelbeispiele des Art 101 AEUV, darunter auch die Aufteilung von Märkten, sind als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen grundsätzlich verboten (Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht³ Art 101 AEUV Rz 78 ff; Braun in Langen/Bunte, Kartellrecht12, Nach Art 101 AEUV, Rz 20; Füller in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Art 101 AEUV, Rz 205; zu § 1 KartG: Lager/Petsche in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG, § 1 Rz 57 und 104; uva) und auch von der De‑Minimis‑Bekanntmachung der Europäischen Kommission, ABl 2014/C 291/01, durch deren Pkt II.12 ausgenommen. Eine koordinierte Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen ist eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung. Einigen sich die Parteien auf ihnen jeweils zugewiesene Absatzgebiete, mithin auf den jeweils räumlich relevanten Markt, den sie bedienen sollen, handelt es sich um eine räumliche Marktaufteilung (Füller in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Art 101 AEUV, Rz 300).
Auch vertikalen Vereinbarungen können als Kernbeschränkungen eingestuft werden, wenn sie zur Abschottung der nationalen Märkte innerhalb der Gemeinschaft führen (zB Vertriebsbindungen mit absolutem Gebietsschutz: Braun in Langen/Bunte, Kartellrecht12, Nach Art 101 AEUV, Rz 46).
II.5. Horizontale – vertikale Einordnung von Sachverhalten:
Art 101 AEUV unterscheidet nicht zwischen horizontalen und vertikale Tatbeständen. Die Vorschrift umfasst vielmehr Wettbewerbsbeschränkungen schlechthin. Dennoch ist wegen der oft unterschiedlichen wettbewerblichen Wirkungen zwischen beiden Sachverhaltstypen zu differenzieren (vgl umfassend zur Terminologie: Jungermann in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Art 101 Abs 1, 3 AEUV Fallgruppen I Rz 2 ff).
Nach Art 1 lit a der vGVO, VO (EU) 330/2010, ist eine vertikale Vereinbarung eine solche zwischen zwei oder mehreren Unternehmen, von denen jedes für die Zwecke der Vereinbarung auf einer anderen Ebene der Produktions- oder Vertriebskette tätig ist, und die die Bedingungen betrifft, zu denen die beteiligten Unternehmen Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen dürfen.
Die Mitteilung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Art 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl 2011 C 11/1 („Horizontal-LL“), sieht nach ihrem Pkt 1. eine horizontale Zusammenarbeit gegeben, wenn tatsächliche oder potenzielle Wettbewerber eine Vereinbarung schließen, wobei diese Leitlinien aber auch für horizontale Vereinbarungen zwischen Nichtwettbewerbern gelten, zB Unternehmen, die auf dem selben Produktmarkt in unterschiedlichen räumlichen Märkten tätig sind, ohne potentielle Wettbewerber zu sein.
Ob eine Vereinbarung oder Zusammenarbeit zwischen Unternehmen horizontal oder vertikal einzuordnen ist, hängt nach dem angeführten europäischen Sekundärrecht daher davon ab, ob die Unternehmen auf der selben oder einer unterschiedlichen „Produktions- oder Vertriebsstufe“ bzw „Ebene der Produktions- oder Vertriebskette“ tätig sind, also von deren Marktstufe. Entscheidend ist, ob die an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen sich „für die Zwecke der Vereinbarung“ auf der selben oder einer unterschiedlichen Marktstufe befinden (Jungermann in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Art 101 Abs 1, 3 AEUV Fallgruppen I Rz 22 und 36).
Vereinbarungen, die horizontale und vertikale Elemente enthalten, sind sowohl anhand der vGVO als auch der Horiontal-LL zu beurteilen, wie in Rn 195 und 196 der Horizontal-LL für den gemeinsamen Einkauf und in Rn 227 für die gemeinsame Vermarktung beschrieben (Jungermann in Frankfurter Kommentar zu Kartellrecht, Art 101 Abs 1, 3 AEUV Fallgruppen I Rz 37). In der Sache besteht dabei nach dem genannten Autor ein Vorrang der horizontalen Betrachtungsweise (aaO Rz 49).
Verträge bezüglich Gemeinschaftsunternehmen (GU) können grundsätzlich sowohl horizontale als auch vertikale Elemente enthalten. Werden GU von Unternehmen gegründet, die keine Wettbewerber sind, liegt dennoch eine horizontale Vereinbarung vor, werden die gründenden Unternehmen doch vom Zeitpunkt der Errichtung an als Mütter „für die Zwecke der Vereinbarung“ über das GU auf den Märkten des GU und damit auf derselben Marktstufe tätig, wenn nicht ohnehin ein potenzielles Wettbewerbsverhältnis vorliegt (Jungermann in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Art 101 Abs 1, 3 AEUV Fallgruppen I Rz 47 mwN; Rating in Schröter/Jakob/Klotz/Mederer, Europäisches Wettbewerbsrecht², Art 101 AEUV Rz 641; vgl auch Art 2 Abs 2 Satz 2 und Art 2 Abs 4 vGVO).
Selbst wenn aber im Anlassfall von einer vertikalen Vereinbarung auszugehen wäre, wäre Art 5 Abs 1 lit a vGVO zu beachten, wonach die Freistellung nach dieser Verordnung nicht für Verpflichtungen gilt, nach denen mittelbare oder unmittelbare Wettbewerbsverbote – wie hier - für unbestimmte Dauer (oder auch nur eine Dauer von mehr als fünf Jahren) vereinbart werden.
II.6. Aktueller und potenzieller Wettbewerb:
Das Kartellverbot des Art 101 AEUV schützt sowohl den aktuellen als auch den potenziellen Wettbewerb, weil auch die Möglichkeit des Zugangs zum Markt (also ein Markteintritt) schützenswert ist. Zwei Unternehmer gelten als tatsächliche Wettbewerber, wenn sie auf dem selben relevanten Markt anbietend oder nachfragend tätig sind. Ein Unternehmen gilt dann als potenzieller Wettbewerber, wenn wahrscheinlich ist, dass es ohne die Vereinbarung im Fall eines geringen, aber anhaltenden Preisanstiegs innerhalb kurzer Zeit die zusätzlichen Investitionen tätigen oder sonstige Umstellungskosten auf sich nehmen würde, um in den relevanten Markt einzutreten. Die Prüfung muss auf einer realistischen Basis erfolgen; die rein theoretische Möglichkeit eines Marktzutritts genügt nicht (Hengst in Langen/Bunte, Kartellrecht12, Art 101 AEUV Rz 163; Füller in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Art 101 AEUV, Rz 177 f; Horizontal-LL Rn 10). Sieht ein Unternehmen aufgrund einer Vereinbarung davon ab, eine bestimmte wirtschaftliche Tätigkeit aufzunehmen, ist Art 101 AEUV erfüllt, wenn das Unternehmen zum Markteintritt fähig wäre. Entsprechendes gilt auch, wenn das Unternehmen darauf verzichtet, in einen neuen räumlichen Markt einzudringen (Hengst in Langen/Bunte, Kartellrecht12, Art 101 AEUV Rz 166).
Wann potenzieller Wettbewerb besteht, lässt sich erst anhand einer Gesamtbetrachtung festlegen. Zu prüfen sind die Marktzutrittskosten, die effiziente Mindestgröße des Unternehmens, die Wettbewerbsstärke auf dem Markt und schließlich auch das Entwicklungspotenzial des Marktes selbst: stagnierende Märkte sind weniger attraktiv als Wachstumsmärkte (Füller in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Art 101 AEUV, Rz 179).
Im Zusammenhang mit GU ist davon auszugehen, dass dann, wenn die Mutterunternehmen als potenzielle Wettbewerber anzusehen sind, weil sie auf dem Markt des GU tätig sind, Koordinierungseffekte naheliegen. Fehlt umgekehrt potenzieller Wettbewerb zwischen den Gründern eines Teilgemeinschaftsunternehmens, wird dieses in der Regel mit Art 101 AEUV vereinbar sein. Die Annahme potenziellen Wettbewerbs setzt voraus, dass jeder der Gründer allein in der Lage gewesen wäre, die dem GU übertragenen Aufgaben zu erfüllen, und dass er diese Fähigkeiten nicht mit der Gründung des GU eingebüßt hat (Füller in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Art 101 AEUV, Rz 185; Hengst in Langen/Bunte, Kartellrecht12, Art 101 AEUV Rz 171).
II.7. Gemeinschaftsunternehmen:
Teilfunktions-GU sind solche, die nicht die Voraussetzungen des Art 3 Abs 4 FKVO erfüllen. Ein Teil der unternehmerischen Tätigkeit der Mütter wird vergemeinschaftet, wodurch aber keine vollständige unternehmerische Tätigkeit, sondern nur eine Hilfstätigkeit für die Mütter entfaltet wird. Wettbewerbsbeschränkungen zwischen den Müttern und dem GU können daher unter Art 101 AEUV fallen (Poltlmann in Münchener Kommentar, Art 101 AEUV Rz 445 und 448). Das Wesensmerkmal von Teilfunktions-GU besteht darin, dass sie keine eigenen (von denen der Gründer unterscheidbare) Interessen verfolgen, sondern reine Hilfsinstrumente für die wirtschaftliche Tätigkeit der sie kontrollierenden Unternehmen sind. Damit sind zB reine Zuliefer-GU gemeint (Rating in Schröter/Jakob/Klotz/Mederer, Europäisches Wettbewerbs-recht², Art 101 AEUV Rz 640).
Unter Art 101 AEUV wurden aber auch reine Produktionsgesellschaften geprüft (Kom Abl 1993 L 20/14 Ford/Volkswagen; ABl 1994 L 144/20 Exxon/Shell; Abl 1994 L 341/66 Fujitsu AMD Semiconductor). Gerade in der letztgenannten Entscheidung hat die Europäische Kommission eine auf fünf Jahre befristete räumliche Aufteilung des Vertriebs im EWR-Markt unter den Müttern eines Produktionsgemeinschaftsunternehmens als „eindeutig (…) nach Artikel 85 Absatz 1 Buchstaben b) und c) (…) verboten“ angesehen und die Erfüllung des Abs 3 nur wegen der zeitlichen Beschränkung und der Tatsache angenommen, dass im dortigen Fall der den Verbrauchern unmittelbar nützende technologische Fortschritt, die schnellere Belieferung mit dem neuen Produkt sowie besserer Service und Beratung für die Kunden zugunsten der Vereinbarung sprachen. Es wurde daher eine Freistellung für zehn Jahre gewährt. Diese Umstände können mit den vorliegenden aber schon deshalb nicht verglichen werden, weil hier eine Marktaufteilung ohne zeitliche Beschränkung vorgesehen wurde (soweit die Rechtsmittelwerberin insoweit mit der „Nebenabredenbekanntmachung“ der Europäischen Kommission argumentiert, s dazu unten Pkt II.9.).
II.8. Alleinvertriebsvereinbarung:
Art 101 AEUV gilt grundsätzlich für horizontale und vertikale Vereinbarungen (oben Pkt II.5.), weshalb auch wettbewerbsbeschränkende Vertriebsabreden, wie insbesondere Alleinvertriebsvereinbarungen, Franchiseverträge oder selektive Vertriebssysteme, in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallen können.
Bei einer Alleinvertriebsvereinbarung verpflichtet sich der Lieferant oder Anbieter, seine Produkte zum Zweck des Weiterverkaufs in einem bestimmten Gebiet nur einem einzigen Händler zu verkaufen und in dem Gebiet keine weiteren Händler einzusetzen (Hengst in Langen/Bunte, Kartellrecht12, Art 101 AEUV Rz 216; Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht³ Art 101 AEUV Rz 209). Diese Erscheinungsformen können unter dem Aspekt der Marktöffnung die Nichtanwendung des Art 101 AEUV auf freiheitsbeschränkende Vertragsklauseln rechtfertigen, wenn sie zB das einzige Mittel für Unternehmer sind, in Märkte anderer Mitgliedstaaten einzudringen, wenn also die Alleinvertriebsvereinbarung tatsächlich unerlässlich für die Markterschließung ist (Hengst in Langen/Bunte, Kartellrecht12, Art 101 AEUV Rz 216 und 440).
Alleinvertriebsvereinbarungen sind unterhalb der Marktschwellen des Art 3 vGVO zwar weitgehend freigestellt, dies gilt allerdings nicht, soweit sie Kernbeschränkungen beinhalten (vgl Art 4 vGVO; Bechtold/Bosch/Brinker, EU‑Kartellrecht³ Art 101 AEUV Rz 209).
Im vorliegenden Fall haben weder ein Produzent mit einem Händler eine Vereinbarung geschlossen (sondern vielmehr die Mütter eines Produktions-gemeinschaftsunternehmens untereinander Absatzgebiete festgelegt), noch war diese Festlegung zur Erschließung eines Marktes (insbesondere jenes der Gemeinschaft oder Österreichs) notwendig und unerlässlich. Vielmehr war die Viertantragsgegnerin gerade auf diesen Märkten bereits vor Gründung des GU tätig. Wenn auch mit Art 2.1 des „S* Distribution Agreements“ das GU die Viertantragsgegnerin zum alleinvertriebsberechtigten Händler für Europa und den Nahen Osten ernannte, ist damit nichts gewonnen, weil damit lediglich die Vorgabe der Gründer aus dem Joint Venture Vertrag durch das von den Joint Venture Partnern kontrollierte GU umgesetzt wurde.
II.9. Nebenabreden:
Wettbewerbsbeschränkende Nebenabreden fallen dann nicht unter Art 101 Abs 1 AEUV, wenn sie für die Durchführung eines kartellrechtsneutralen Hauptgegenstands objektiv erforderlich und notwendig sind. Es ist objektiv, also unabhängig von den Intentionen der Parteien, zu beurteilen, ob eine Beschränkung notwendig ist, um die Hauptmaßnahme verwirklichen zu können. Entscheidend ist der Zweck der Hauptmaßnahme (Füller in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Art 101 AEUV, Rz 238 f; Hengst in Langen/Bunte, Kartellrecht12, Art 101 AEUV Rz 344; Säcker/Molle in Münchener Kommentar², Band 1, Art 101 AEUV Rz 112). Lässt sich die Hauptvereinbarung auch ohne die Nebenabrede durchführen, ist sie also nicht unmittelbar und untrennbar mit der Nebenanrede verbunden (vgl Reidlinger/Hartung, Das österreichische Kartellrecht³ 54 f), ist die Nebenabrede nicht notwendig (Füller in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Art 101 AEUV, Rz 240; Rating in Schröter/Jakob/Klotz/Mederer, Europäisches Wettbewerbsrecht², Art 101 AEUV Rz 656; EuG T‑111/08 Mastercard,Rn 91).
So ist etwa im Rahmen einer Unternehmensveräußerung ein Wettbewerbsverbot nur dann gerechtfertigt, wenn es im Hinblick auf seinen Gegenstand, seine Dauer und seinen räumlichen Anwendungsbereich nicht die Grenzen dessen überschreitet, was als für den Erfolg der Veräußerung notwendig angesehen werden kann (Hengst in Langen/Bunte, Kartellrecht12, Art 101 AEUV Rz 347).
Selbst wenn man daher die hier zu beurteilenden Distribution Agreements und die diesbezüglichen Passagen des Joint Venture Agreement als Nebenvereinbarungen zum Hauptvertrag über die Gründung des GU einstufen wollte, wäre zur Durchführung dieser Hauptvereinbarung ein Vorbehalt des Vertriebs der Produkte des GU im Bereich EU und Naher Osten für die Viertantragsgegnerin keineswegs objektiv notwendig gewesen. Auf die subjektive Einschätzung der Vertragsparteien über die Notwendigkeit der Nebenvereinbarung kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (vgl auch Z 11 der „Nebenabreden-Bekanntmachung“ der Europäischen Kommission, ABl 2005/C 56/03).
Gleiches gilt im Übrigen auch für die soeben genannte (und von der Rechtsmittelwerberin ebenfalls ins Treffen geführte) „Nebenabreden-Bekanntmachung“. Abgesehen davon, dass sich diese Bekanntmachung konkret nur auf Gemeinschaftsunternehmen im Sinn des Art 3 Abs 4 FKVO (also sogenannte „Vollfunktions-gemeinschaftsunternehmen“) bezieht und ein solches hier gerade nicht vorliegt, hat sie auch dann, wenn man den zugrundeliegenden Gedanken für ident hält (vgl dazu Füller in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Art 101 AEUV, Rz 238), schon ihrem offiziellen Titel nach nur solche mit Unternehmenszusammenschlüssen einhergehenden Einschränkungen des Wettbewerbs zum Gegenstand, die damit „unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind“. Alle über die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens hinausgehenden Regelungen zwischen Mutterunternehmen und Gemeinschaftsunternehmen sowie zwischen den Mutterunternehmen sind dagegen nach Art 101 Abs 1 AEUV zu prüfen (Bechtold/Bosch/Brinker, EU‑Kartellrecht³, Art 101 AEUV Rz 131).
Überdies sind für die gesamte Dauer des Bestehens des Gemeinschaftsunternehmens nach Pkt 36 der „Nebenabreden-Bekanntmachung“ nur Wettbewerbsverbote zwischen den Gründerunternehmen und dem Gemeinschaftsunternehmen erlaubt. Auf Abreden unter den Gründungsunternehmen allein nimmt die Bekanntmachung dagegen insoweit nicht Bezug (vgl Dittert in auch Schröter/Jakob/Klotz/Mederer, Europäisches Wettbewerbs-recht², VO Nr 139/2204 Art 8 Rz 91).
Dem Kartellgericht ist daher darin zuzustimmen, dass die hier zu prüfende Vereinbarung (zumindest im für den Abstellungsauftrag entscheidungswesentlichen Zeitpunkt) weder allgemein als Nebenabrede noch – in zeitlicher Hinsicht – im Lichte der „Nebenabreden-Bekanntmachung“ zulässig war, sodass auch die weitere Prüfung deren analoger Anwendbarkeit dahingestellt bleiben kann.
II.10. Zwischenergebnis:
Ist damit aber weder den Argumenten der Rechtsmittelwerberin über das Vorliegen eines Alleinvertriebsvertrags noch jenen über eine zulässige Nebenabrede zu folgen, bleibt es – in Bezug auf den hier allein zu beurteilenden Abstellungsauftrag – bei der (schon vom Kartellgericht zutreffend vorgenommenen) Beurteilung: Die Vereinbarung ist eine solche zwischen zwei vertreibenden Unternehmen über den Vertrieb der vom Gemeinschaftsunternehmen hergestellten Produkte, weshalb sie nach dem Zweck dieser Vereinbarung (siehe zuvor Pkt II.5.) als eine horizontale Absprache zwischen Wettbewerbern zu qualifizieren ist. Sowohl die Viertantragsgegnerin als auch die (über die Zweitantragsgegnerin) konzernverbundenen übrigen Antragsgegnerinnen haben nach den Feststellungen ab 1. 1. 2015 und somit im entscheidungswesentlichen Zeitpunkt Untersuchungshandschuhe vertrieben und waren daher insofern (zumindest potenzielle – vgl Pkt II.6.) Wettbewerberinnen. Als solche haben sie aber Europa als Absatzgebiet der Viertantragsgegnerin zugewiesen und damit eine Art 101 Abs 1 lit c AEUV zuwiderlaufende räumliche Marktaufteilung – und damit eine Kernbeschränkung – vorgenommen.
II.11. Umfang der Prüfung bei bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen:
In diesem Zusammenhang bringt die Rechtsmittelwerberin zur Rechtsprechung des EuGH vor, dass die Vereinbarung hier im Sinne der Entscheidungen „Groupement des Cartes Bancaires“ bzw „SIA Maxima Latvija“ in einem weitergehenden rechtlichen und wirtschaftlichen Kontext zu prüfen und zu beurteilen gewesen wäre, weil im Gegensatz zu den vom Kartellgericht herangezogenen Entscheidungen „Toshiba“ und „Siemens“ hier keine „nackte“ Marktaufteilung (also eine solche ohne weiteren vertraglichen Kontext) vorliege, sondern die Gebietsaufteilung in die Vereinbarung über die Gründung des GU eingebettet gewesen sei.
Richtig ist, dass es sich in der Entscheidung C‑373/14 P „Toshiba“ um auf das Gebiet von Japan und den EWR beziehende Gebietsaufteilungen zwischen europäischen und japanischen Herstellern mit der Absprache handelte, die Märkte im Bereich der beiden Gruppen zu respektieren und auf den Verkauf in diesem Gebiet zu verzichten, ohne dass diese Absprache in konkret angeführte weitere Abkommen eingebettet gewesen wäre.
In C-239/11 P „Siemens“ wurden in ähnlicher Weise Projekte zwischen japanischen und europäischen Unternehmen nach geschätzten historischen Marktanteilen der beteiligten Unternehmen aufgeteilt, ohne dass dem Sachverhalt weitere konnexe Vereinbarungen zu entnehmen sind.
Dagegen betraf die Entscheidung C-345/14 „SIA Maxima Latvija“ das Zustimmungsrecht eines Referenzmieters zur Vermietung von Gewerbeflächen in einem Einkaufszentrum durch den Betreiber des Einkaufszentrums an andere Mieter. In diesem Zusammenhang verneinte der EuGH eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung allein durch diese Klausel; in Anbetracht der Begleitumstände der Durchführung der Vereinbarung erlaubten es die übermittelten Akten des vorlegenden Gerichts nicht, eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs hinreichend eindeutig festzustellen, um von einer „bezweckten“ Beeinträchtigung des Wettbewerbs auszugehen.
Die Entscheidung C-67/13 P „Groupement des cartes bancaires“ hatte Vereinbarungen im Debitkartenbereich zum Gegenstand. Hier bekräftigte der EuGH aber durchaus, dass bestimmte kollusive Verhaltensweisen (wie die horizontalen Festsetzungen von Preisen) derart geeignet sind, negative Auswirkungen auf den Markt zu haben, dass dies den Nachweis der konkreten Auswirkungen auf den Markt überflüssig macht (Rn 52). Um eine solche Wettbewerbsbeschränkung als „bezweckt“ aufzufassen, ist auf den Inhalt ihrer Bestimmung und die mit ihr verfolgten Ziele sowie den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang, in dem sie steht, abzustellen. Es sind die Art der betroffenen Waren und Dienstleistungen, die auf dem Markt bestehenden tatsächlichen Bedingungen und die Struktur des Marktes zu berücksichtigen. Auch ist es zwar nicht verwehrt, die Absicht der Beteiligten zu berücksichtigen, diese ist aber kein notwendiges Element (vgl ebenso auch C-172/14 „ING Pensii“ Rn 31 ff mwN sowie C-32/11 „Allianz Hungaria“, betreffend bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen im Vertikalverhältnis – Rn 43; mwN). Wesentlich ist, ob die Koordinierung in sich selbst eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen lässt (Rn 57). Insoweit bezeichnet es der EuGH – entgegen dem Vorbringen der Rekurswerberin – ausdrücklich als unzutreffend, dass der Begriff der „bezweckten“ Wettbewerbsbeschränkung „eng“ auszulegen ist (Rn 58). Diese hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs zwischen den beteiligten Unternehmen durch deren Koordinierung sah der EuGH im konkreten Fall angesichts der komplexen, mehrseitigen Struktur der betroffenen Märkte als nicht ausreichend dargetan an (zur typisierenden Betrachtung bei bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen in der Rechtsprechung des EuGH zuletzt ausführlich Sonnberger, Die Spürbarkeit im europäischen Kartellrecht [2017] 23 ff).
Wenn auch im Anlassfall keine völlig losgelöste „nackte“ Wettbewerbsbeschränkung bzw Gebietsaufteilung (vergleichbar den Sachverhalten von „Toshiba“ und „Siemens“) vorliegt, handelt es sich aber (im Gegensatz zu den beiden letztgenannten Entscheidungen) auch weder um einen komplexen mehrseitigen Markt, noch ist der Sachverhalt mit jenem des Einkaufszentrums zu vergleichen. Vielmehr wurden hier zwischen Unternehmen, die gemeinsam ein Produkt herstellten und vertrieben, die Vertriebsmärkte in der Form aufgeteilt, dass (ua) der Gemeinschaftsmarkt einem der Unternehmen allein vorbehalten wurde. Eine solche Vereinbarung ist aber im Sinne der oben dargestellten Kriterien des EuGH nach ihrem Inhalt und Zweck darauf gerichtet, den Wettbewerb im Gemeinschaftsmarkt zu verringern bzw den Markt von solchem Wettbewerb abzuschotten und daher angesichts der festgestellten Marktanteile im EWR (auf die von der Rekurswerberin angeführten weltweiten Marktanteile kommt es in diesem Zusammenhang schon begrifflich nicht an) geeignet, den zwischenstaatlichen Handel spürbar zu beeinträchtigen (vgl Leitlinien für den zwischenstaatlichen Handel, Abl 2004, C 101/07, Rn 52, wonach dafür ein gemeinsamer Marktanteil von 5 % und ein Jahresumsatz von 40 Mio EUR ausreichend sind; ebenso Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht³ Art 101 AEUV Rz 118; zur typisierten Betrachtung auch bei der Spürbarkeit in der neueren Rechtsprechung des EuGH zuletzt ausführlich Sonnberger, Die Spürbarkeit im europäischen Kartellrecht [2017] 72 ff).
Auch der wirtschaftliche und rechtliche Zusammenhang der Vereinbarung sowie die Art der betroffenen Waren, mit denen kein technologischer Fortschritt verbunden ist (anders zB Kom Abl 1994 L 341/66, Fujitsu AMD Semiconductor, Rn 41: Herstellung von Halbleitern als innovative Hochleistungsprodukte) sind nach den Feststellungen nicht geeignet, einen anderen als einen wettbewerbsbeschränkenden Zweck der Vereinbarung (jedenfalls im Hinblick auf ihre zeitliche Ausdehnung) zu belegen. Dass die auf dem betroffenen Markt bestehenden tatsächlichen Bedingungen und seine Struktur solche Besonderheiten aufwiesen, dass daraus Gegenteiliges folgen müsse, zeigt die Rechtsmittelwerberin nicht auf; solches ist in keiner Weise indiziert.
Eine Einzelfreistellung der hier zu beurteilenden Vereinbarung nach Art 101 Abs 3 AEUV kommt (jedenfalls in Bezug auf den Entscheidungszeitpunkt des Kartellgerichts) schon deshalb nicht in Frage, weil dafür nach lit a dieser Bestimmung die – schon bei Prüfung der Nebenabredeneigenschaft (oben Pkt II.9.) verneinte – Unerlässlichkeit der Gebietsaufteilung Voraussetzung ist (vgl auch Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht³ Art 101 AEUV Rz 162 ff).
II.12. Mangelhaftigkeit des Verfahrens:
Nach dem oben Gesagtem liegt in der zu beurteilenden Vereinbarung eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung, die auch nach der neueren Rechtsprechung des EuGH keiner weiteren Untersuchung ihrer Wirkungen bedarf. Der Inhalt der Vereinbarung steht aber unbestritten fest, weshalb es keiner weiteren Beweisaufnahmen dazu bedurfte und die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Verfahrens daher nicht gegeben ist.
II.13. Vorabentscheidungsersuchen:
Da die bereits vorliegende Rechtsprechung des EuGH ausreicht, den konkreten Einzellfall zu beurteilen, war die Anregung zur Stellung eines Vorabentscheidungsersuchens nicht aufzugreifen (vgl RIS-Justiz RS0082949).
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