OGH 15Os93/14m

OGH15Os93/14m1.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. Oktober 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Dr. Michel‑Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Breuß als Schriftführerin in der Strafsache gegen Rudolf S***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 12. Februar 2014, GZ 21 Hv 13/13x‑98, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Mauhart zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0150OS00093.14M.1001.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird verworfen.

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch aufgehoben und insoweit selbst erkannt:

Rudolf S***** wird unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem zweiten Strafsatz des § 107b Abs 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von

sieben Jahren

verurteilt.

Die Vorhaftanrechnung des Erstgerichts wird übernommen.

Mit ihren Berufungen wegen Strafe werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung verwiesen.

Der Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthaltenden Urteil wurde Rudolf S***** der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I./) und des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (II./), der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (III./), des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 und Abs 4 vierter Fall StGB (IV./), des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB (V./1./) und der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (V./2./) schuldig erkannt.

Danach hat er

I./ „von 1. Jänner 2003 bis Dezember 2011 in O*****/D, T*****/D, R***** oder andernorts an seiner am 1. Jänner 1998 geborenen Stieftochter Janine R*****, sohin an einer unmündigen Person, außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von ihr an sich vornehmen lassen, indem er in wiederholten Angriffen sie beide entkleidet, Janine R***** mit gespreizten Beinen auf seinen Unterschenkel gesetzt und sie vor- und zurückbewegt, sie im nackten Brustbereich betastet und gestreichelt, sie im nackten Scheidenbereich berührt, betastet und geleckt, sich auf sie gelegt und seinen nackten Penis durch Vor- und Zurückbewegungen an ihrer nackten Scheide bis zum Samenerguss gerieben hat und sie ihn mit der Hand befriedigen hat müssen;

II./ vom 1. Jänner 2005 bis Dezember 2011 in O*****/D, T*****/D, R***** oder andernorts mit seiner am 1. Jänner 1998 geborenen Stieftochter Janine R*****, sohin mit einer unmündigen Person, den Beischlaf oder dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er ihr in wiederholten Angriffen zunächst den kleinen Finger und später den Zeigefinger in die Vagina und ihren After eingeführt sowie mit ihr den Vaginal- und Analverkehr durchgeführt hat und an sich den Oralverkehr vornehmen hat lassen;

III./ von 1. Jänner 2003 bis Dezember 2011 in O*****/D, T*****/D, R***** oder andernorts mit der am 1. Jänner 1998 geborenen Janine R*****, sohin mit seiner minderjährigen Stieftochter, durch die zu I./ und II./ geschilderten Taten geschlechtliche Handlungen vorgenommen oder von ihr an sich vornehmen lassen;

IV./ von 1. Juni 2009 bis Dezember 2011 [somit länger als ein Jahr] in T*****/D, R***** oder andernorts gegen die am 1. Jänner 1998 geborene Janine R*****, sohin gegen eine unmündige Person, eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er ihr in einer Vielzahl von Angriffen Schläge mit der flachen Hand ins Gesicht oder gegen den Körper, insbesondere in den Nacken, auf die Arme, auf die Finger und auf den Po versetzt, sie an den Ohren und Haaren gezogen und ihr im Sommer 2011 mit den Zacken einer Gabel in den Oberschenkel gestochen hat, sie sohin am Körper misshandelt hat;

V./ nachstehende Personen am Körper vorsätzlich verletzt, und zwar

1./ zu einem unbekannten Zeitpunkt Anfang November 2011 in R***** Theresia Sch***** dadurch, dass er ihre rechte Hand mit einer Hand erfasst und diese fest zugedrückt hat, was einen Riss des ulnaren Seitenbandes am rechten Daumengrundgelenk mit Einriss der palmaren Gelenkskapsel, sohin eine an sich schwere Verletzung verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung, und zwar einer Gesundheitsschädigung in der Dauer von zumindest sechs Wochen, zu Folge gehabt hat;

2./ am 19. März 2012 in R*****

2./1./ Manuela T***** dadurch, dass er ihr eine Ohrfeige versetzte, sie gezwickt und gekratzt hat, wodurch Manuela T***** Prellungen und Abschürfungen im Bereich des linken Ober- und Unterarmes, eine Abschürfung an der rechten Hand sowie eine Prellung am linken Zeigefinger erlitten hat;

2./2./ Stefan H***** durch Versetzen eines Bisses in den Rücken, wodurch dieser eine Verletzung am oberen Rücken erlitten hat“.

Rechtliche Beurteilung

Diese Schuldsprüche bekämpft der Angeklagte mit auf Z 5a, die Staatsanwaltschaft mit auf Z 11 je des § 281 Abs 1 StPO gestützter Nichtigkeitsbeschwerde.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Der formelle Nichtigkeitsgrund der Z 5a greift seinem Wesen nach erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, mit anderen Worten gemessen an Erfahrungs- und Vernunftssätzen eine unrichtige Lösung der Schuldfrage qualifiziert nahelegen. Eine über diese Prüfung hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen ‑ wie es die Berufung wegen Schuld im Einzelrichterverfahren einräumt ‑ wird dadurch nicht ermöglicht (RIS‑Justiz RS0118780). Der Umstand, dass aus den von den Tatrichtern angeführten Prämissen auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen hätten gezogen werden können, ist für sich allein nicht geeignet, jene erheblichen Bedenken darzutun, auf die der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5a StPO abstellt (RIS‑Justiz RS0099674).

Mit Spekulationen über die in der Literatur und in Filmen allgemein zugängliche Schilderung sexueller Übergriffe „bis ins letzte Detail“ (hiezu haben die Tatrichter die Tätigkeit des Opfers bei einer Zeitung ohnehin berücksichtigt [US 11 erster Absatz]) und zur Ursache für die erst lange nach dem Verlassen der „Einflusssphäre“ des Rechtsmittelwerbers durch das Opfer erhobenen Anschuldigungen (vgl hiezu die Erwägungen US 13 vorletzter Absatz) gelingt es der (inhaltlich ausschließlich zu den Schuldsprüchen I./ bis IV./ ausgeführten) Beschwerde nicht, solch qualifizierte Bedenken beim Obersten Gerichtshof zu erwecken.

Soweit der Beschwerdeführer einen unzulässigen „Kreisbezug“ darin erblickt, dass sich das aussagepsychologische Gutachten „ausschließlich auf die Aussagen der Zeugin gestützt“ habe, während die von ihm geäußerten möglichen Motive einer allfälligen Falschbelastung keinen Niederschlag gefunden hätten (der Sache nach auch Z 5 zweiter und vierter Fall), verkennt er einerseits, dass das Gutachten auch auf einer Analyse des gesamten Akteninhalts beruht (ON 56 S 3, 9) und andererseits die Angaben des Angeklagten zur Motivation der Janine R***** für ihre als falsch reklamierten Belastungsangaben durch die Tatrichter ohnehin erwogen wurden (US 11 erster Absatz).

Auch mit der selektiven Zusammenschau einer ‑ nicht durch die gebotene Fundstellenbezeichnung konkretisierten - Angabe des Tatopfers, wonach es durch den Beschwerdeführer „brutalst“ vergewaltigt worden sei, mit der Aussage der Sachverständigen Dr. Edith Tu*****, wonach eine „vollständige“ Penetration „bis zur Vorpubertät“ schwerste Verletzungen mit Einblutungen nach sich ziehe (ON 97 S 19 erster Absatz; vgl aber US 14 f; ON 97 S 16: „... Verletzungen im Genitalbereich die Ausnahme“), vermag die Rüge keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu wecken.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zu verwerfen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Das Erstgericht bemaß die Strafe nach dem Strafsatz des § 206 Abs 1 StGB (II./), weil der Angeklagte die zu IV./ beschriebenen Übergriffe in Österreich bloß von Ende Februar 2011 bis Ende Dezember 2011, somit nicht länger als ein Jahr gesetzt habe, solcherart die Qualifikation nach § 107b Abs 4 vierter Fall StGB erst unter Berücksichtigung weiterer (zuvor in Deutschland gesetzter) Übergriffe verwirklicht wäre, dem deutschen Strafrecht eine § 107b StGB vergleichbare Bestimmung jedoch fremd sei und somit die Günstigkeitsklausel nach § 65 Abs 2 StGB zur Anwendung gelange (US 20 Mitte).

Zutreffend bemängelt die Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall; RIS‑Justiz RS0125243) der Anklagebehörde, dass ‑ rechtsrichtig ‑ der Strafrahmen nach der Strafdrohung des § 107b Abs 4 vierter Fall StGB (A./IV./) zu bilden gewesen wäre.

Denn eine wie fallbezogen an mehreren Orten begangene einzige Tat ‑ gegenständlich das Dauerdelikt nach § 107b StGB (Schwaighofer in WK2 StGB § 107b Rz 8; Fabrizy, StGB11 § 107b Rz 5) ‑ ist dann, wenn wenigstens einer von diesen Tatorten (wie aktuell) im Inland liegt, im Sinn des § 67 Abs 2 StGB insgesamt als Inlandstat zu beurteilen und unterliegt darum nach § 62 StGB der (originären) österreichischen Strafgewalt. Diesfalls kommt eine Anwendung des § 65 StGB (somit auch die Strafzumessungsvorschrift nach Abs 2 leg cit) nicht in Betracht (RIS-Justiz RS0092155; 11 Os 76/11b, 15 Os 106/11v). Der Strafausspruch war daher zu kassieren.

Bei der solcherart notwendig gewordenen Strafneubemessung waren erschwerend das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen, die Tatwiederholungen über einen längeren Zeitraum, mildernd hingegen der bisher ordentliche Lebenswandel zu werten.

Bei Abwägung dieser Strafbemessungskriterien ist unter Bedachtnahme auf den insgesamt neun Jahre umfassenden Tatzeitraum, das geringe Alter des Opfers bei Beginn der Tathandlungen und das sich durch Gewalthandlungen gegen vier verschiedene Personen manifestierende Charakterbild des Angeklagten eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren dem Unrechtsgehalt der Taten und der Täterpersönlichkeit angemessen.

Gemäß § 369 Abs 1 StPO verpflichtete das Erstgericht den Angeklagten, ua der Privatbeteiligten Janine R***** 10.000 Euro als Schadenersatz (§ 1328 ABGB) zu bezahlen. Aus welchem Grund zur Ermittlung dieses immateriellen Schadenersatzes „entsprechende Werte und Höhen manifestiert“ werden müssten, macht die Berufung nicht klar. Der Zuspruch des ‑ angemessenen ‑ Betrags war daher zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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