OGH 15Os90/11s

OGH15Os90/11s17.8.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. August 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Anwesenheit des Richteramtsanwärters Mag. Böhm als Schriftführer in der Strafsache gegen Irena S***** wegen des Vergehens des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 7. März 2011, GZ 93 Hv 2/11m-16, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Irena S*****, abweichend von der wegen des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 StGB erhobenen Anklage, der Vergehen des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB (1./), der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (2./) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (3./) schuldig erkannt.

Danach hat sie am 8. Oktober 2010 in Wien

1./ fremde bewegliche Sachen, nämlich zwei Parfums im Wert von insgesamt 74,80 Euro der B***** GmbH mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern;

2./ Gordana J***** mit Gewalt, indem sie diese in den linken Oberarm biss, zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme ihrer Anhaltung wegen Diebstahls, zu nötigen versucht;

3./ Gordana J***** durch die zu Punkt 2./ genannte Handlung, welche ein zwei Zentimeter breites Hämatom am linken Oberarm zur Folge hatte, vorsätzlich am Körper verletzt.

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a und lit b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten; sie verfehlt ihr Ziel.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) vermisst Feststellungen zur subjektiven Tatseite in Ansehung der Schuldspruchpunkte 1./ und 3./. Sie legt jedoch nicht dar, weshalb die von den Tatrichtern ohnedies getroffenen Konstatierungen, die Angeklagte habe die Parfums im Wissen, dass diese nicht ihr gehören, mit dem Beweggrund wegnehmen wollen, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern (US 5), und Gordana J***** durch einen Biss in den Oberarm zumindest leicht verletzen wollen, obwohl sie um diese Tatfolge wusste (US 6), den Anforderungen an die Wissens- und Wollenskomponente für die Annahme bedingten Vorsatzes (§ 5 Abs 1 StGB) nicht genügen sollten.

Der der Sache nach gegen den Schuldspruch wegen Nötigung (2./) gerichtete Einwand, „das Erstgericht hätte auch Feststellungen treffen müssen, ob die Angeklagte aufgrund ihres psychischen Zustands überhaupt in der Lage war, einen Willen dahingehend zu fassen, dass sie sich durch den Biss in den Oberarm der Gordana J***** ihrer Anhaltung entziehen konnte“, vernachlässigt die Urteilsannahme, die Angeklagte habe sich durch den Biss ihrer Festhaltung entziehen wollen und auch gewusst, dass eine derartige gewalttätige Handlung das Opfer gegen seinen Willen dazu bringen werde, sie aus dem Griff an den Oberarmen zu entlassen (US 6 f). Sie verfehlt damit die erwiderungsfähige Darstellung materiellrechtlicher Nichtigkeit (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 584).

Mit der Forderung, unter Heranziehung des (psychiatrisch-neurologischen) Sachverständigengutachtens wäre auch zu prüfen gewesen, ob der Angeklagten der Gedankengang, sie habe bewusst jemanden beißen wollen, um sich aus der Anhaltung zu befreien, aufgrund ihres Krankheitsbildes und -zustandes überhaupt möglich gewesen sei, verlässt die Rüge den Anfechtungsrahmen des geltend gemachten materiellen Nichtigkeitsgrundes. Konkrete, vom Schöffengericht in diesem Zusammenhang übergangene Ausführungen der Sachverständigen Dr. L***** werden nicht bezeichnet, sodass auch ein Begründungsmangel inhaltlich nicht behauptet wird.

Die Ausführung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil konstatierten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die methodisch fundierte Behauptung, das Erstgericht sei bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen, zur Voraussetzung (RIS-Justiz RS0099810; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 584). Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit b), gestützt auf eine im Sachverständigengutachten bloß wiedergegebene Einschätzung eines vormals behandelnden Arztes, bei einer dissoziativen Störung seien Erinnerungsausfälle bzw Handlungen, bei welchen das Unrechtsein nicht erkannt werde, typisch (S 2 in ON 5), die auf die Schlussfolgerung der Expertin gestützte Urteilsannahme, die Angeklagte habe - wenngleich bei deutlich herabgesetztem Steuerungsvermögen - das Unrecht ihrer Taten erkennen können (US 7, 10 iVm S 17 in ON 5), bestreitet, wird sie diesen Anforderungen nicht gerecht.

Auch die Behauptung von Feststellungsmängeln kann nur unter Zugrundelegung aller tatsächlichen Urteilsannahmen erfolgen und erfordert die Darlegung, dass Verfahrensergebnisse auf bestimmte rechtlich erhebliche Umstände hingewiesen haben und dessen ungeachtet eine entsprechende klärende Feststellung unterlassen wurde (RIS- Justiz RS0099689). Die auf eigenständige Beweiswerterwägungen gestützte, bloß spekulative Behauptung, die Angeklagte, die bereit gewesen sei, einen Ausweis zur Feststellung ihrer Identität vorzulegen, habe die Tatsache, dass sie am Arm festgehalten werde, als Angriff aufgefasst und sich damit in einer Notwehrsituation (gemeint wohl: Putativnotwehrsituation) befunden, genügt diesen Voraussetzungen nicht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung der Verteidigung bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung ergibt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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