European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1992:0150OS00089.9200006.0820.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Geschworenengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der 51jährige Karl W* auf Grund des Wahrspruchs der Geschworenen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.
Darnach hat er am 8. Oktober 1991 in Wien den Peter Ludwig H* durch Versetzen eines Messerstiches in den Bereich der rechten Halsseite mit Eröffnung der rechten Halsschlagader vorsätzlich getötet.
Die Geschworenen hatten die anklagekonform gestellte Hauptfrage nach Mord (mit 5 : 3 Stimmen) bejaht, die (dadurch gegenstandslos gewordene) Eventualfrage (1) nach Totschlag (mit demselben Stimmenverhältnis) verneint (und damit auch beantwortet, obwohl sie richtig dahin belehrt worden waren, daß diese Frage nur bei Verneinung der Hauptfrage zu beantworten ist) und die weiteren Eventualfragen zu dieser Hauptfrage nach Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (2), absichtlicher schwerer Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (3) sowie nach Tatbegehung im Zustand voller Berauschung (4 ‑ 7 trotz teilweiser unrichtiger Belehrung im Fragenschema über das Verhältnis dieser Fragen zur Hauptfrage und den übrigen Eventualfragen) hingegen unbeantwortet gelassen.
Rechtliche Beurteilung
Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Gründe des § 345 Abs 1 Z 6, 8 und 9 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der (schon) aus dem zuerst bezeichneten Nichtigkeitsgrund Berechtigung zukommt.
Mit Recht rügt nämlich der Beschwerdeführer, der Schwurgerichtshof habe die Bestimmung des § 313 StPO dadurch verletzt, daß er bei der Fragestellung an die Geschworenen der von ihm in der Hauptverhandlung vorgebrachten Verantwortung nicht Rechnung getragen und es deshalb unterlassen habe, eine (gebotene) Zusatzfrage in Richtung Notwehr und insbesondere Notwehrüberschreitung iS des § 3 Abs 2 StGB in das Fragenschema aufzunehmen. Dadurch sei den Geschworenen die Möglichkeit (ersichtlich gemeint) genommen worden, das Vorliegen einer rechtfertigenden Notwehrsituation zu bejahen.
Gemäß § 313 StPO ist‑ auch wenn keine der Prozeßparteien einen darauf abzielenden Antrag gestellt hat ‑ eine entsprechende Zusatzfrage nach dem Vorliegen eines Strafausschließungs‑ oder Strafaufhebungsgrundes zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden sind, die ‑ würden sie als erweisen angenommen ‑ die Strafbarkeit ausschließen oder aufheben würden. Ob allerdings einem in der Verantwortung des Angeklagten oder im Ergebnis des Beweisverfahrens konkretisierten Vorbringen diese Qualität zukommt, unterliegt der pflichtgemäßen Prüfung durch den Schwurgerichtshof. Hiebei ist (auf den hier zu beurteilenden Fall bezogen, bei dem es keine Tatzeugen gibt) die Verantwortung des Angeklagten nicht nach einzelnen aus dem Zusammenhang gerissenen Äußerungen, sondern nach ihrem ganzen Inhalt zu beurteilen. Die Glaubwürdigkeit des Vorbringens hat der Schwurgerichtshof jedoch nicht zu prüfen; die Beweiswürdigung ist vielmehr ausschließlich den Geschworenen zu überlassen (vgl. Mayerhofer‑Rieder StPO3 ENr. 13, 13 a und 24 ff zu § 313 und die dort zitierte Judikatur).
Dem Beschwerdeführer ist zuzugeben, daß nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls (AS 327 ff) sein Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung der Sache nach ersichtlich auf das Vorliegen des Rechtfertigungsgrundes der Notwehr nach § 3 StGB abzielte, mithin die Stellung einer Zusatzfrage (zu allen Schuldfragen) nach rechtfertigender Notwehr (für den Fall der Bejahung der Hauptfrage), sodann aber auch einer eventuellen Zusatzfrage (für den Fall der Bejahung der Hauptfrage und Verneinung der Zusatzfrage) auf Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt und einer Eventualfrage (für den Fall der Verneinung der Hauptfrage oder Bejahung der eventuellen Zusatzfrage) nach fahrlässiger Tötung durch fahrlässige Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt indizierte (vgl. zum sogenannten Vier‑Fragen‑Schema Mayerhofer‑Rieder aaO ENr 67 zu § 314).
Das angefochtene Urteil ist somit, wie der Angeklagte W* zutreffend rügt, zu seinem Nachteil mit dem Nichtigkeitsgrund der Z 6 des § 345 Abs 1 StPO behaftet. Dies macht die Aufhebung des Wahrspruchs der Geschworenen und des darauf beruhenden Urteils sowie die Zurückverweisung der Sache an ein anderes Geschworenengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien unabdingbar (§ 349 Abs 1 StPO), womit es sich erübrigt, auf die von der Beschwerde des weiteren geltend gemachten Nichtigkeitsgründe einzugehen.
Im zweiten Rechtsgang wird der Schwurgerichtshof entsprechend dem Sinngehalt und der Zielrichtung der (bisherigen) Verantwortung des Angeklagten nach pflichtgemäßer Prüfung der rechtlichen Bedeutung der konkret vorgebrachten Tatsachen den Geschworenen auch eine weitere (subsidiäre) Zusatzfrage (zu allen Schuldfragen) nach Putativnotwehr (§ 8 StGB) und nach Putativnotwehrüberschreitung sowie eine Eventualfrage nach fahrlässiger Tötung durch fahrlässigen Putativnotwehrexzess aus asthenischem Affekt zu stellen haben, um den Laienrichtern die (sich aus den Verfahrensergebnissen ergebende) Möglichkeit zu eröffnen, auch darüber zu entscheiden, ob der Angeklagte etwa einem nach § 8 StGB zu beurteilenden Sachverhaltsirrtum unterlegen war und demnach irrtümlich angenommen hat, von seinem Gegner tätlich angegriffen zu werden, obwohl in Wahrheit ein gegenwärtiger oder unmittelbar bevorstehender Angriff auf ein notwehrfähiges Gut nicht vorlag, und deshalb in vermeintlicher Notwehr eine Abwehrhandlung setzte, durch die Peter H* getötet wurde (vgl hiezu Leukauf‑Steininger Komm3 § 8 RN 5).
Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
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