Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit in Rechtskraft erwachsener Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt vom 29. November 2005 wurde über Hans E***** wegen Verletzung des § 82 Abs 1 StVO nach der Strafbestimmung des § 99 Abs 3 lit d eine Verwaltungsgeldstrafe von 100 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit 36 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe, verhängt, weil er am 17. September 2005 gegen 18:15 Uhr auf der Fahrbahn der K***** Bundesstraße B 83 in K***** auf Höhe des Anwesens H***** Tätigkeiten „herbeiführte", die geeignet waren, Menschenansammlungen auf der Straße herbeizuführen oder die Aufmerksamkeit der Lenker von Fahrzeugen zu beeinträchtigen, „zumal" er etwa 80 Demonstranten aufforderte, gegen Polizeibeamte gewaltsam vorzugehen, die Sperre zu durchbrechen, und folglich als einziger die Sperrkette durchbrach.
Mit Strafantrag vom 19. September 2005 warf die Staatsanwaltschaft Klagenfurt Hans E***** das Vergehen des teils vollendeten, teils versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 (erster Fall) StGB, teilweise in Form der versuchten Bestimmungstäterschaft nach §§ 12 zweiter Fall, 15 StGB vor, weil er am 17. September 2005 in K*****
I./ dadurch, dass er Demonstrationsteilnehmer aufforderte, gewaltsam die Polizeiabsperrung zu durchbrechen, versucht habe, die Genannten dazu zu bestimmen, mit Gewalt Polizeibeamten einer Amtshandlung zu hindern, sowie
II./ dadurch dass er den Polizeibeamten Mario S***** einen so heftigen Stoß versetzte dass dieser zurücktaumelte, mit Gewalt einen Beamten an einer Amtshandlung, nämlich der Durchführung einer Absperrung gehindert habe (ON 3).
Mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 31. August 2007, GZ 18 Hv 187/05s-49, wurde Hans E***** im zweiten Rechtsgang von dieser wider ihn erhobenen Anklage gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen, dies mit der wesentlichen Begründung, dass ein Schuldspruch gegen das in Art 4 siebenten Zusatzprotokoll zur MRK normierte Recht, wegen derselben Sache nicht zweimal vor Gericht gestellt oder bestraft zu werden, verstoße.
Mit Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 20. Februar 2008, Az 10 Bs 446/07z wurde der dagegen erhobenen Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Nichtigkeit Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückgewiesen (ON 55), weil - aus Sicht des Oberlandesgerichts - kein durch das Straferkenntnis der Bezirksverwaltungsbehörde geschaffenes Verfolgungshindernis im Sinn des Art 4 des siebenten Zusatzprotokolls zur MRK vorliege.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich der Antrag des Hans E***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO (zur Zulässigkeit RIS-Justiz RS0122228) mit der Behauptung, die Entscheidung des Oberlandesgerichts verstoße ihrerseits gegen Art 4 des siebenten Zusatzprotokolls zur MRK. Dieser beschränke sich nicht nur auf das Recht, nicht zweimal bestraft zu werden, er betreffe vor allem auch das Recht, nicht zweimal vor Gericht gestellt zu werden.
Dem zuwider liegt im gegenständlichen Fall kein Verstoß gegen das Verbot des „ne bis in idem" vor.
Nach Art 4 des siebenten Zusatzprotokolls zur MRK darf niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden.
Im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR (29. Mai 2001, Fischer gegen Österreich, ÖJZ-MRK 2001/22; 19. Oktober 2006, Asci gegen Österreich, Nr. 4483/02; 26. Juli 2007, Schutte gegen Österreich, Nr. 18015/03; 26. Juli 2007, Stempfer gegen Österreich, Nr. 18294/03) wie auch der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofs (vgl statt mehrerer das Grundsatzerkenntnis vom 5. Dezember 1996, G 9/96 und andere Zahlen, JBl 1997, 447 = VfSlg 14.696) verbietet Art 4 des siebenten Zusatzprotokolls zur MRK aus Sicht des Obersten Gerichtshofs (vgl 12 OS 26/04) die - nicht schon aus dem bloßen Umstand an sich, dass mehrere strafbare Handlungen durch strafbares Verhalten tateinheitlich verwirklicht werden, unzulässige - gesonderte Verfolgung teils bereits rechtskräftig geahndeter idealkonkurrierender strafbarer Handlungen nur dann, wenn die zusammentreffenden Delikte, deren eines den Unrechtsgehalt des anderen in jeder Beziehung mitumfasst, dieselben wesentlichen Tatbestandsmerkmale (Tatbestandselemente) aufweisen, somit strafbare Verhalten unter dem gleichen wesentlichen unrechtsbegründenden Gesichtspunkt eines bereits geahndeten tateinheitlich verwirklichten Straftatbestandes einer neuerlichen Verfolgung und Bestrafung zu unterziehen (vgl auch Markel WK-StPO § 1 Rz 77 f; Kienapfel/Höpfel AT12 E 8 RN 55d f; Tinel/Hauenschild, JBl 2004, 74 und FN 74 sowie 76 ff).
Die Reichweite des - sich auch auf das Zusammentreffen gerichtlich strafbarer mit verwaltungsbehördlich zu ahndenden strafbaren Handlungen beziehenden - Verbots der mehrfachen Verfolgung und Verurteilung nach Art 4 des siebenten Zusatzprotokolls zur MRK ist unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit jedweder staatlicher Sanktionen an Hand der Prinzipien der Konkurrenzlehre in einem normativen Wertungsakt zu ermitteln (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 639, ders in WK² Vorbem zu §§ 28-32 Rz 9, 26; Thienel/Hauenschild, JBl 2004, 74 ff).
Das prozessuale Verfolgungshindernis nach Art 4 des siebenten Zusatzprotokolls zur MRK greift solcherart nur im Fall der Überlagerung der normativ zu ermittelnden wesentlichen Tatbestandselemente der in Rede stehenden Norm am Platz (vgl insb VfGH 19. Juni 2000, B 246/99, ZVR 2001/21 = VfSlg 15.824), nicht aber, wenn zur vollen Auswertung des Unrechtsgehalts die Betrachtung unter dem Aspekt mehrerer einander ergänzender Tatbestände erforderlich ist.
Bei Anwendung dieser Grundsätze auf das - nach den tatsächlichen Annahmen des Landesgerichts Klagenfurt und des Oberlandesgerichts Graz jeweils tateinheitliche - Zusammentreffen der Verwaltungsübertretung nach § 82 Abs 1 iVm § 99 Abs 3 lit d StVO (Benützung von Straßen zu verkehrsfremden Zwecken ohne Bewilligung) mit dem Vergehen des (teils vollendeten, teils versuchten) Widerstands gegen die Staatsgewalt (zum Teil in Form der Bestimmungstäterschaft) nach §§ 269 Abs 1 erster Fall, (12 zweiter Fall, 15) StGB zeigt sich, dass Art 4 des siebenten Zusatzprotokolls zur MRK die gerichtliche Verfolgung wegen § 269 Abs 1 erster Fall StGB ungeachtet der rechtskräftigen Ahndung der Verwaltungsübertretung nicht hindert.
Denn die konkurrierenden Straftatbestände unterscheiden sich in den jeweils wesentlichen Tatbestandsmerkmalen grundlegend voneinander. Auch der Schutzzweck der Normen und der durch sie jeweils erfasste Unrechtsgehalt sind völlig unterschiedlich. Während § 82 StVO die Flüssigkeit und Sicherheit des Straßenverkehrs gewährleisten soll, stellt § 269 StGB einen Sonderfall der Nötigung dar. Letztere Strafbestimmung soll dazu dienen, die Durchführung des Staatswillens, also im Wesentlichen Amtshandlungen zu schützen (Danek in WK2 § 269 Rz 1). Vergleichsweise hat der EGMR selbst die Sanktionierung nach § 269 StGB einerseits und § 82 SPG (aggressives Verhalten gegenüber Organen der öffentlichen Aufsicht) - Asci gegen Österreich, Nr. 4483/02 - bzw § 97 Abs 5 StVO (Nichtbefolgung der Aufforderungen von Organen der Straßenaufsicht) - Schutte gegen Österreich, Nr. 18015/03 - andererseits nicht als Verstoß gegen Art 4 des siebenten Zusatzprotokolls zur MRK beurteilt. Ohne Relevanz für die vorzunehmende Beurteilung ist der Umstand, dass die Bezirkshauptmannschaft in ihrer Strafverfügung im Wesentlichen denselben Sachverhalt angeführt hat, der einem Schuldspruch nach § 269 StGB zugrunde zu legen wäre, nämlich die Aufforderung zum und darauf folgend die tatsächliche Durchführung einer Widerstandshandlung gegen die am Tatort anwesenden Polizeibeamten.
Daraus folgt, dass die Rechtsansicht des Oberlandesgerichts Graz zutreffend ist; durch dessen kassatorische Entscheidung, an deren für die Aufhebung ursächliche Rechtsansicht das Erstgericht im neuen Rechtsgang gebunden ist (vgl Ratz, WK-StPO § 293 Rz 11, § 477 Rz 3), wurde der Erneuerungswerber in seinen in Art 4 siebentes Zusatzprotokoll zur MRK normierten Grundrecht nicht verletzt.
Der Erneuerungsantrag war daher gemäß § 363b Abs 2 Z 3 StPO als offenbar unbegründet bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen.
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