Spruch:
Die vom gemäß § 41 Abs 2 StPO beigegebenen Verteidiger (Dr. Friedle) ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde sowie die vom gewählten Verteidiger (Dr. Herndlhofer) ausgeführte Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die von beiden Verteidigern ausgeführten Berufungen sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen den Strafausspruch werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, welches auch unbekämpft gebliebene Freisprüche enthält, wurde Günter B***** (zu I.) des teils vollendeten, teils versuchten Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1 und 13 FinStrG sowie (zu II.) des Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG schuldig erkannt.
Danach hat er (hier zusammengefasst wiedergegeben) in Deutsch-Wagram I. vorsätzlich unter Verletzung der abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflicht durch Nichtabgabe der Umsatz-, Einkommens- und Gewerbesteuererklärungen eine (richtig) Abgabenverkürzung
für die Jahre 1985 bis einschließlich 1991 bewirkt, und zwar 123.946,95 EUR an Umsatzsteuer, 135.645,43 EUR an Einkommenssteuer und 24.022 EUR an Gewerbesteuer;
B. für das Jahr 1992 15.207,81 EUR an Umsatzsteuer, 13.581,54 an Einkommenssteuer und 1.958,53 EUR an Gewerbesteuer zu bewirken versucht;
II. vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von dem § 21 des UStG 1972 entsprechenden Voranmeldungen eine Verkürzung von Vorauszahlungen an Umsatzsteuer bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten, und zwar
A. in Wahrnehmung der steuerlichen Agenden der Firma W***** GesmbH
- 1. für den Zeitraum Jänner bis Dezember 1992 11.525,69 EUR und
- 2. für den Zeitraum Jänner bis Dezember 1993 29.876,46 EUR,
B. für sein eigenes Einzelunternehmen für den Zeitraum Jänner bis Dezember 1993 9.567,96 EUR.
Nach Zustellung einer Urteilsausfertigung an die gemäß § 41 Abs 2 StPO beigegebene Verteidigerin Dr. Lydia Friedle am 10. Mai 2002 gab Rechtsanwalt Dr. Hans Herndlhofer in einem persönlichen Gespräch am 24. Mai 2002 der Vorsitzenden bekannt, "dass er nunmehr den Angeklagten Günther B***** vertritt und sich auf die mündliche Vollmacht beruft". Über seinen Antrag wurde ihm zugleich eine Urteilsausfertigung ausgehändigt (S 1ss/I des Antrags- und Verfügungsbogens). Erst am 7. Juni 2002 verfügte die Vorsitzende die Verständigung der RAK NÖ vom Einschreiten eines Wahlverteidigers (S 1ss verso). Am 6. Juni 2002 gab der Wahlverteidiger seine Tags darauf beim Erstgericht eingelangte Rechtsmittelschrift ("Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe") zur Post (S 377/III). Ersichtlich in Unkenntnis der inzwischen erteilten Vollmacht führte die Verfahrenshelferin ihre am 7. Juni 2002 zur Post gegebene und am 10. Juni 2002 beim Erstgericht eingelangten Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung aus (S 381/III).
Rechtliche Beurteilung
Da das Gesetz ausdrücklich nur eine einzige Ausführung der Beschwerdegründe zulässt (für viele Ratz, WK-StPO § 285 Rz 6) und die Bestellung eines Verfahrenshilfe- oder Amtsverteidigers mit dem Einschreiten eines gewählten Verteidigers erlischt (§ 41 Abs 6 StPO), war die von der gemäß § 41 Abs 2 StPO beigegebenen Verteidigerin ausführte Nichtigkeitsbeschwerde bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen. Ebenso war mit der vom gewählten Verteidiger ausgeführten "Berufung wegen Schuld" zu verfahren, weil die Verfahrensgesetze ein solches Rechtsmittel gegen kollegialgerichtliche Urteile nicht kennen. Im Übrigen enthalten diese Ausführungen - auch unter dem Gesichtspunkt einer Tatsachenrüge nach § 281 Abs 1 Z 5a StPO - bloß eine unzulässige Bekämpfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung, ohne auf Aktengrundlage erhebliche Bedenken gegen den Schuldspruch zu wecken.
Die vom Wahlverteidiger (fristgerecht) ausgeführte "Berufung wegen Nichtigkeit" ficht das Urteil unter Anrufung der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO an. Sie ist jedoch nicht im Recht.
Obwohl die Begründung des Schöffengerichtes für die Abweisung des vom Angeklagten in der Hauptverhandlung am 27. März 2002 gestellten Antrages (S 279/III) auf Vernehmung des Zeugen W***** im Rechtshilfeweg "zur Klärung, wo das Geld für das Grundkapital der GesmbH hergekommen ist, wem das gehört hat, wo das Kapital hingeflossen ist und wie die Umstände über die Vernehmung [des W***** durch das Finanzamt Gänserndorf] vor sich gegangen sind", nicht der Bestimmung des § 238 Abs 2 StPO entspricht (S 281/III), wurde der Beschwerdeführer dadurch in seinen Verteidigungsrechten nicht verkürzt. Denn der Antrag des (durch einen Verteidiger vertretenen) Angeklagten zielte auf die Durchführungen eines unzulässigen Erkundungsbeweises, durch den das Gericht lediglich zur Vornahme von Ermittlungen veranlasst werden sollte, um die Frage zu klären, ob von bestimmten Beweisen eine Förderung der Wahrheitsfindung zu erwarten ist oder ob überhaupt Beweismittel auffindbar sind, deren Heranziehung der Wahrheitsfindung dienlich sein könnten (vgl Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 88 f). Zudem ist auf die bezughabende Urteilsbegründung (US 32 ff) zu verweisen. Die beweiswürdigenden Beschwerdeausführungen beschränken sich überhaupt nur auf einen Teilaspekt des Antrages, wonach "seine Angaben vor der Finanzbehörde unrichtig wiedergegeben worden sind".
Die vom Wahlverteidiger ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 Z 2 StPO als offenbar unbegründet gleichfalls bei nichtöffentlicher Sitzung sofort zurückzuweisen.
Daraus folgt, dass zur Entscheidung über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft das Oberlandesgericht Wien zuständig ist (§ 285i StPO).
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