OGH 15Os71/99

OGH15Os71/999.9.1999

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. September 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Mittermayr als Schriftführer, in der Strafsache gegen Ernst M***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 2 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Ernst M*****, Jürgen P***** und Claudia G***** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 19. Jänner 1999, GZ 2d Vr 4759/98-39, nach öffentlicher Verhandlung, in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kirchbacher, der Angeklagten Ernst M*****, Jürgen P***** und Claudia G***** sowie der Verteidiger Dr. Herzka, Dr. Subarsky und Dr. Grün, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Der Berufung des Angeklagten Ernst M***** wird dahin Folge gegeben, daß gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Teil der über ihn verhängten Strafe von acht Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wird.

Im übrigen wird den Berufungen nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a StPO fallen den Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden (A) Ernst M***** des Verbrechens der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 2 StGB und (B) Jürgen P***** und Claudia G***** des Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Demnach haben

(zu A) Ernst M***** Sabine S***** mit Gewalt zur Duldung eines Beischlafs zu nötigen versucht (§ 15 StGB), indem er sich zu ihr ins Bett legte, sie umarmte und küßte, sich auf sie draufsetzte, an den Brüsten streichelte, an Schultern und Oberarmen festhielt, sich schließlich mit seinem Oberkörper auf sie legte und mit seinem Finger in ihre Scheide eindrang, ihre gekreuzten Beine auseinanderzwängte, jedoch infolge der massiven Gegenwehr mit seinem Penis nicht eindringen konnte, wogegen sie sich zunächst verbal, sodann durch Abwehrbewegungen immer wieder zu schützen suchte, bis sie schließlich einen massiven Kerzenleuchter, der neben dem Bett stand, erfaßte und gegen ihn schleuderte, wodurch er von seinem Vorhaben ablassen mußte;

(zu B) Jürgen P***** und Claudia G*****, die als Sicherheitswachebeamte des Polizeikommissariates Ottakring anläßlich der zu A dargestellten strafbaren Handlung zur Anzeigeerstattung und -erhebung erschienen, dadurch mit dem Vorsatz, den Staat in seinem Recht auf ordnungsgemäße Strafverfolgung zu schädigen, ihre Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich mißbraucht, daß sie die Anzeige lediglich in Richtung einer gegenseitigen, nämlich Ernst M***** und Sabine S***** betreffenden Körperverletzung verfaßten und die Ersterhebungen derart gestalteten, daß der von Sabine S***** und deren Mutter geäußerte Vorwurf der versuchten Vergewaltigung in der Anzeige nicht aufschien.

Dieses Urteil bekämpfen die Angeklagten mit gesonderten, von Ernst M***** auf Z 5, 5a und 10, von Jürgen P***** auf Z 5, 9 lit a, 9 lit c (der Sache nach 10) und 11, von Claudia G***** auf Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden, denen keine Berechtigung zukommt.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten M*****:

Rechtliche Beurteilung

Einwände der Mängelrüge (Z 5) gegen die nur im Urteilsspruch deutliche Annahme vaginaler Penetration mit dem Finger im Zuge des Tatgeschehens betreffen nach Lage des Falles ein nicht schuldentscheidendes Sachverhaltselement für den Schuldspruch der versuchten Nötigung zur Duldung des Beischlafes nach §§ 15, 201 Abs 2 StGB.

Der entsprechende Vorsatz (US 8) wurde der Beschwerde zuwider aus den Angaben der Zeugen Sabine und Brunhilde S***** ohne Verletzung von Denkgesetzen abgeleitet (US 10, 13).

Mit dem Vorbringen zur Beweiskraft von Aussagen der Zeugen Josef St***** und Georg St***** sowie des Angeklagten wird unter Mißachtung von Urteilserwägungen (US 11 f, 13 f) und Verkennung des Wesens einer unzureichenden Begründung (Mayerhofer, StPO4 § 281 Z 5 E 114) kein formaler Mangel aufgezeigt, sondern wie in der Tatsachenrüge (Z 5a) nur ein im Nichtigkeitsverfahren unzulässiger und demnach unbeachtlicher Angriff auf die erstrichterliche Beweiswürdigung unternommen. Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrundegelegten entscheidenden Tatsachen werden damit nicht geweckt.

Die auf eine Anwendung des § 202 Abs 1 StGB zielende Subsumtionsrüge (Z 10) ist nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie die Feststellungen zum Bestreben des Angeklagten, das Opfer durch Einsatz körperlicher Kraft gegen den heftig geleisteten Widerstand zum Dulden des Beischlafes zu zwingen, vernachlässigt (US 7 f). Im übrigen kommt es entgegen der Beschwerde seit der Neufassung des § 201 StGB durch die Strafgesetznovelle 1989, BGBl Nr 242, auf die Widerstandsunfähigkeit des Opfers nach der erklärten Absicht des Gesetzgebers nicht an (JAB 927 BlgNr 17. GP).

Dem an den Obersten Gerichtshof gerichteten Antrag des Angeklagten M***** vom 25. Juni 1999 auf Vernehmung eines Zeugen im Rahmen des Gerichtstags zur öffentlichen Verhandlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen steht das aus § 288 Abs 2 Z 3 StPO abzuleitende Neuerungsverbot für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde entgegen. Neue Tatsachen oder Wiederaufnahmegründe können daher vom Obersten Gerichtshof nicht berücksichtigt werden (Mayerhofer StPO4 § 281 E 16, 18). Dem Angeklagten bleibt es unbenommen, sein Vorbringen zum Gegenstand eines Wiederaufnahmeantrags (§§ 353 Z 2, 357 StPO) zu machen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten P*****:

Eine Undeutlichkeit der "Urteilsbegründung zur subjektiven Tatseite" wird mit dem rechtlichen Einwand im Rahmen der Mängelrüge (Z 5), das Erstgericht habe nicht angegeben, auf Grund welcher Vorschriften die als Sicherheitswachebeamte zum Tatort entsandten Angeklagten P***** und G***** zur Aufnahme des ihnen zur Kenntnis gebrachten Sachverhalts in Richtung versuchter Vergewaltigung in der Anzeige verpflichtet waren, nicht aufgezeigt. Die behauptete Nichtigkeit liegt nur vor, wenn der Ausspruch des Gerichtshofes über entscheidende Tatsachen undeutlich ist, wovon hier keine Rede sein kann (US 9 f).

Mit dem Einwand, die Formulierung der Urteilsannahmen zur inneren Tatseite lasse "überhaupt nicht erkennen, worin (gemeint: woraus) sich das Bewußtsein der Verpflichtung zur Aufnahme des im Raum stehenden Vergewaltigungsvorwurfes ergebe", vernachlässigt die Beschwerde die in dieser Richtung getroffenen, eindeutigen Feststellungen (US 9 f), welche in den Bezug habenden Überlegungen zur Schulung von Polizeibeamten begründet sind (US 15). Die (jedem Sicherheitswachbeamten bekannten) gesetzlichen Bestimmungen der §§ 24 und 84 StPO sowie § 53 Abs 1 BDG machen eine besondere Begründungspflicht des Schöffengerichts in der angestrebten Richtung entbehrlich.

Aktenkonform wurden die Angaben der Zeugin Brunhilde S***** verwertet, wonach ihre Tochter gegenüber den einschreitenden Polizeibeamten von einer versuchten Vergewaltigung sprach (US 10, 14; S 321/I; ON 5 iVm US 6), und die Verantwortung des Angeklagten dahin, daß eine vollendete Vergewaltigung bei der Amtshandlung nicht behauptet wurde (US 15; S 243 f, 251/I).

Entgegen der unter mehreren Nichtigkeitsgründen (Z 5, 9 lit a, 9 lit c) vorgebrachten Beschwerdeauffassung ist zur Vollendung des Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB der Eintritt eines Schadens nicht erforderlich. Mit dem Mißbrauch der deliktsspezifischen Befugnis ist das angelastete Verbrechen bei gegebenen Vorsatz, der neben dem Wissen vom Mißbrauch auch einen möglichen Schaden an konkreten Rechten anderer zumindest in Form eines dolus eventualis umfassen muß, vollendet (Leukauf/Steininger Komm3 § 302 RN 42). Der beabsichtigte Schaden muß demnach gar nicht eingetreten sein; der Täter ist sogar dann nach § 302 StGB strafbar, wenn der Schaden, den er in seinen Vorsatz aufgenommen hat, gar nicht eintreten kann (Bertel in WK § 302 Rz 116 f, ÖJZ-LSK 1995/164).

Damit erledigen sich die weiteren Einwände in dieser Richtung. Angaben des Zeugen Sch***** über Regeln der Aktenabtretung innerhalb der Bundespolizeidirektion Wien (S 417 f/I) konnten als unerheblich auf sich beruhen (Z 5). Nicht Versuch (nominell Z 9 lit c, sachlich Z 10), sondern Vollendung des Verbrechens nach § 302 Abs 1 StGB liegt beim festgestellten Sachverhalt vor, weshalb das Beschwerdevorbringen und die Ausführungen in der Äußerung gemäß § 35 Abs 2 StPO über Untauglichkeit im Sinn des § 15 Abs 3 StGB (Z 9 lit a) ins Leere gehen.

Die übrige Rechtsrüge (Z 9 lit a) ist infolge Bestreitung der Feststellungen zur inneren Tatseite (US 9 f) nicht gesetzmäßig ausgeführt (Mayerhofer StPO4 § 281 E 26, 30).

Der Strafbemessungsrüge ist zu entgegnen, daß eine auf richterlichem Ermessen beruhende Nichtanwendung des § 41 StGB nicht aus Z 11, sondern nur mit Berufung angefochten werden kann (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 11 E 17, 17a).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten G*****:

Aktenwidrigkeit der Entscheidungsgründe (Z 5) ist gegeben, wenn sie den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder eines anderen Beweismittels in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergeben (EvBl 1972/17), das Urteil somit ein Fehlzitat aufweist. Ein solcher Mangel wird aber unter dem Prätext des bezeichneten Nichtigkeitsgrundes gar nicht behauptet. Bloße Unterschiede zwischen Verfahrensergebnissen und Urteilsfeststellungen bedeuten entgegen der Beschwerdeansicht keine Aktenwidrigkeit im Sinne des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes. Der sachverhaltsmäßig relevante Kern der solcherart kritisierten Feststellungen (über die Ankündigung der Vergewaltigungsanzeige durch den Erst- und die Angaben des Opfers zur Drittangeklagten) ist vielmehr in deren diesbezüglichen Aussagen mängelfrei begründet.

Die Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht in der Richtung verantwortet, sie hätte auf Grund des psychischen Zustandes der Sabine S*****, insbesondere durch hysterisches Schluchzen und Schreien den wahren Sachverhalt ihrer Schilderung nicht entnehmen können, zumal sie die Zeugin nicht verstanden habe. Der darauf gegründete Vorwurf einer Unvollständigkeit ist demnach aktenwidrig.

In der Tatsachenrüge (Z 5a) wird nicht einmal der Versuch unternommen, aus den Akten erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen aufzuzeigen. Stattdessen werden prozeßordnungwidrig unter willkürlicher Ergänzung der Verfahrensergebnisse (unter Wiederholung der Behauptung unverständlicher Äußerungen des Opfers) urteilskonträre Feststellungen vermißt.

Die zur Gänze unbegründeten Nichtigkeitsbeschwerden waren daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte über Ernst M***** nach § 201 Abs 2 StGB eine Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, über Jürgen P***** nach § 302 Abs 1 StGB eine solche von neun Monaten und über Claudia G***** nach der letztgenannten Gesetzesbestimmung eine solche von sieben Monaten, wobei es gemäß § 43 Abs 1 StGB den Vollzug der über P***** und G***** verhängten Strafen für jeweils dreijährige Probezeiten bedingt nachsah.

Bei der Strafbemessung wertete es bei Ernst M***** die Verletzungen des Opfers als erschwerend, den ordentlichen Lebenswandel, den Umstand daß es beim Versuch geblieben ist und das Geständnis zu den Tätlichkeiten hingegen als mildernd; bei Jürgen P***** und Claudia G***** keinen Umstand als erschwerend, als mildernd jedoch ihren ordentlichen Lebenswandel und den Umstand, daß sie "offensichtlich aus einem falsch verstandenen Kameradschaftsbegriff heraus gehandelt" haben.

Den gegen die Sanktionsaussprüche gerichteten Berufungen aller Angeklagten kommt - mit Ausnahme des Begehrens des Ernst M*****, einen Teil der Strafe bedingt nachzusehen - Berechtigung nicht zu.

Das Erstgericht hat die besonderen Strafzumessungsgründe großteils richtig dargestellt; wenngleich das Handeln aus Kameraderie im konkreten Fall schon deshalb nicht mildernd wirken kann, weil gerade im Bereich der Sicherheitsbehörden dem Versuch, Verfehlungen einzelner zu decken, energisch entgegengewirkt werden muß. Der Berufung des Angeklagten P***** zuwider stellt dessen zuvor untadeliges Verhalten in beruflicher Hinsicht keinen zusätzlichen Milderungsgrund (neben dem ohnedies berücksichtigten ordentlichen Wandel) dar. Die erst durch die zwei Tage nach der Tat erfolgte Aussage der Zeugin S***** vor dem Bezirkspolizeikommissariat Ottakring bewirkte strafrechtliche Verfolgung des Angeklagten M***** wegen versuchter Vergewaltigung vermochte zwar den (zuvor bereits eingetretenen, immateriellen) Schaden zu beseitigen; dies kann aber weder unter dem Gesichtspunkt der Z 13, noch der Z 14 oder 15 des § 34 StGB dem Berufungswerber zugute gehalten werden. Mit der Behauptung eines (vorwerfbaren) Rechtsirrtums argumentiert die Berufung des Zweitangeklagten nicht auf der Basis der erstgerichtlichen Urteilsfeststellungen. Der Berufung der Angeklagten G***** zuwider kann von einem Wohlverhalten durch längere Zeit im Sinn des § 34 Z 18 StGB nur dann gesprochen werden, wenn der Zeitraum etwa der Rückfallsverjährungsfrist (§ 39 Abs 2 StGB: fünf Jahre) entspricht (vgl Leukauf/Steininger Komm3 § 34 RN 27); das (erst) einjährige Zurückliegen der Tat zum Zeitpunkt des Urteils erster Instanz wirkt daher nicht mildernd.

Im Hinblick auf das Gewicht der festgestellten Strafzumessungsgründe sind - den Berufungen aller Angeklagten zuwider - die vom Schöffengericht verhängten, dem Zweit- und der Drittangeklagten bedingt nachgesehenen, Freiheitsstrafen tat- und täteradäquat und waren daher einer Reduktion nicht zugänglich.

Hingegen erscheint die bedingte Nachsicht von zwei Drittel der über den zuvor unbescholtenen Erstangeklagten verhängten Sanktion aus spezial- und generalpräventiver Sicht gerechtfertigt, weil das Fehlen von Geständnis und Schuldeinsicht nicht schlechthin geeignet ist, das für die Gewährung bedingter Strafnachsicht maßgebliche Persönlichkeitsbild zu trüben (siehe Leukauf/Steininger aaO § 43 RN 8) und generalpräventiven Belangen im konkreten Fall auch durch den Vollzug eines viermonatigen Strafteils hinreichend Genüge getan wird.

Mit ihrem Begehren auf Verhängung einer Geldstrafe unter Anwendung der §§ 41 Abs 1 und 37 Abs 1 StGB wird die Berufung des Angeklagten P***** auf das (mehr als sechsmonatige) Ausmaß der vom Obersten Gerichtshof für angemessenen erachteten Freiheitsstrafe verwiesen.

Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung ist in der angeführten Gesetzesstelle begründet.

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