Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben; es werden der Wahrspruch der Geschworenen zur Hauptfrage 1 und der darauf beruhende Freispruch vom Anklagevorwurf der erpresserischen Entführung nach § 102 Abs 1 StGB sowie demzufolge das angefochtene, im übrigen (im Schuldspruch) unberührt bleibende Urteil im Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Geschworenengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien zurückverwiesen.
Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Karl B***** des Verbrechens des versuchten Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 13.Dezember 1996 in Wien im Kundenraum der B*****, Filiale Wien 14, *****, durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, nämlich die sinngemäßen Äußerungen "Hände hoch" sowie "Geld her, sonst erschieß ich ihn", wobei er mit einer Sonnenbrille maskiert und einer täuschend echt aussehenden Spielzeugpistole in der rechten Hand links neben den Kunden Ramazan G***** hintrat und den Lauf der Pistole gegen dessen linke Gesichtsseite richtete, Gerda S***** eine fremde bewegliche Sache, nämlich 200.000 S Bargeld mit unrechtmäßigem Bereicherungsvorsatz abzunötigen versucht hat.
Vom Anklagevorwurf, er habe sich am 13.September 1996 in Wien im Kundenraum der B*****, Filiale Wien 14, des Kunden Ramazan G***** dadurch bemächtigt, daß er mit einer Sonnenbrille maskiert und einer täuschend echt aussehenden Spielzeugpistole in der rechten Hand links neben diesen hintrat, den Lauf der Pistole gegen dessen linke Gesichtsseite richtete, um die Kassenangestellte Gerda S***** zu einer Handlung, nämlich zur Ausfolgung von Bargeld zu nötigen (Punkt 1 der Anklage), wurde er gemäß § 336 StPO freigesprochen.
Die Geschworenen haben die anklagekonform gestellte Hauptfrage 1 nach dem Verbrechen der erpresserischen Einführung nach § 102 Abs 1 StGB verneint, die Hauptfrage 2 nach dem Verbrechen des versuchten Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB bejaht. Weitere Fragen waren nicht gestellt worden.
Rechtliche Beurteilung
Gegen den Freispruch richtet sich die allein auf die Z 8 des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die sich als berechtigt erweist.
In der Instruktionsrüge (Z 8) moniert die Beschwerdeführerin, die vom Schwurgerichtshof den Geschworenen erteilte Rechtsbelehrung sei hinsichtlich der - nach dem Verbrechen der verbrecherischen Entführung gerichteten - Hauptfrage 1 in einer zur Irreführung geeigneten und daher einer Unrichtigkeit gleichkommenden Weise unvollständig und undeutlich.
Die Rechtsbelehrung hat bei der Gesetzesauslegung der herrschenden Lehre und Rechtsprechung zu folgen. Bei divergierenden Ansichten und sich ändernder Rechtsprechung darf den Geschworenen zu jeder Rechtsfrage nur jene Rechtsansicht vorgestellt werden, die mit dem letzten Stand der Rechtsprechung übereinstimmt (vgl Mayerhofer StPO4 § 345 Abs 1 Z 8 E 37 f).
Zur Bedeutung der Dauer der Gewaltanwendung zur Erfüllung des Tatbestandes der erpresserischen Entführung nach § 102 Abs 1 StGB in der Deliktsform des Sich-Bemächtigens hat der Oberste Gerichtshof zuletzt - entgegen der Lehrmeinung von Bertel/Schwaighofer (BT I4 § 102 StGB Rz 5 und 6) und Schwaighofer (WK § 102 Rz 9) sowie unter Bezugnahme auf Kienapfel (BT2 Rz 7 ff § 102 StGB sowie die dort zitierte Judikatur) - ausgeführt, es komme "dem Zeitmoment nur insofern Bedeutung zu, als ein bloß kurzfristiges und flüchtiges Festhalten in der Regel gar nicht geeignet sein wird, beim Opfer und beim Dritten den Eindruck einer ernstzunehmenden, sich die Entscheidung über Leib und Leben anmaßenden Geiselherrschaft zu erwecken" (EvBl 1990/86 - s. auch Leukauf/Steininger Komm3 § 102 RN 6, Schmoller in Triffterer-StGB Komm § 102 Rz 21).
Die (nur teilweise) Wiedergabe dieses Rechtssatzes in der Rechtsbelehrung war - wie zutreffend von der Staatsanwaltschaft eingewendet wird - geeignet, die Laienrichter in Rechtsirrtum zu führen: Zwar enthält sie einen Hinweis darauf, daß die Lage des Opfers (der Geisel) den Eindruck bei diesem selbst und bei Dritten erwecken muß, dessen Leben sei in ernster Gefahr; erwähnt wird auch, daß "das zeitliche Moment dabei eine eher untergeordnete Rolle spielt". Unmittelbar daran anschließend wird aber ausgeführt, es sei doch notwendig, daß das Sich-Bemächtigen eine gewisse Zeitspanne andauert, um mit einer "Entführung verglichen werden zu können. Jedenfalls wird ein bloß kurzfristiges und flüchtiges Festhalten in der Regel nicht ausreichen". Die beiden letztgenannten Sätze in ihrem Zusammenhang gelesen ergeben somit die Darlegung, auch eine über kurzfristiges und flüchtiges Festhalten hinausgehende "gewisse Zeitspanne" könne das Tatbestandselement des Sich-Bemächtigens noch nicht herstellen, womit sie sich der vom Obersten Gerichtshof abgelehnten Ansicht von Bertel und Schwaighofer nähert. Damit wird - noch dazu (an späterer Stelle) verstärkt durch einen Hinweis auf eine zur Tatvollendung erforderliche Mindestdauer der Herrschaft über das Opfer - die rechtsirrige Auffassung nahegelegt, dem Zeitmoment komme unabhängig vom in EvBl 1990/86 erwähnten Zusammenhang (mit dem Eindruck des Opfers oder eines Dritten) eine eigenständige Bedeutung zu.
Daß diese Belehrung bei den Laienrichtern tatsächlich solcherart aufgefaßt wurde, läßt sich der Niederschrift der Geschworenen entnehmen, in der diese die Verneinung der nach § 102 Abs 1 StGB gerichteten Hauptfrage 1 (ua) mit der rechtlichen Erwägung "die Dauer der Bedrohung (ca 40 sec) erfüllt nicht diesen Tatbestand" begründeten und ersichtlich auf ein nicht nur kurzfristiges und flüchtiges "Sich-Bemächtigen" abstellten.
Aus den angeführten Überlegungen war daher der Wahrspruch zur Hauptfrage 1 sowie der darauf beruhende Freispruch aufzuheben und insoweit die Verfahrenserneuerung anzuordnen.
Das Verdikt zur Hauptfrage 2 und demzufolge der darauf beruhende Schuldspruch bleiben dabei unberührt.
Infolge der Kassation ist auch die Aufhebung des Strafausspruches geboten. Demnach war die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen.
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