OGH 15Os5/19b

OGH15Os5/19b17.10.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Oktober 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jukic als Schriftführerin in der Strafsache gegen Levent A***** wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 29. August 2018, GZ 13 Hv 12/18w‑41, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0150OS00005.19B.1017.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Levent A***** des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (1./) und des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a „Z 1, 2, 3“ StGB (2./) schuldig erkannt.

Danach hat er sich

1./ zumindest am 4. August 2013 in W***** als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an einer terroristischen Vereinigung, nämlich dem Islamischen Staat (im Folgenden: IS), in dem Wissen beteiligt, dass er dadurch die Vereinigung oder deren strafbare Handlungen fördert, indem er auf seinem Facebook-Account das Video „Cihad‘i anlatan siir“ (übersetzt: „Ein Gedicht, das über den Dschihad erzählt“) teilte, das einen Reiter mit einer IS-Flagge zeigt, bereits am Startbild mit dem Namen des IS-Anführers „Abu Omar Albaghdadi“ versehen ist und in weiterer Folge bewaffnete IS-Anhänger zeigt und den Märtyrertod verherrlicht;

2./ durch die zu 1./ genannte Handlung an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen, die, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln oder Suchtmitteln ausgerichtet ist, die dadurch eine Bereicherung in großem Umfang anstrebt und die andere zu korrumpieren oder einzuschüchtern oder sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen versucht, als Mitglied beteiligt (§ 278 Abs 3 StGB).

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Sie verfehlt ihr Ziel.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung des in der Hauptverhandlung am 20. Juni 2018 gestellten Antrags auf zeugenschaftliche Vernehmung der römisch-katholischen Religionslehrerin Dipl. Päd. Brigitte K*****, des Geschäftsführers der SPÖ W***** Mag. Mato S***** und des Fachinspektors für islamische Religionslehrer Dipl. Päd. Senad P***** (ON 36 S 17 f) Verteidigungsrechte nicht verletzt:

Mit der Vernehmung dieser Zeugen sollte bewiesen werden, dass der Angeklagte „ein religiös/liberaler Mensch“ sei, „politisch eine weltoffene Haltung pflegt und keinen Bezug zu Extremismus und Fundamentalismus irgendeiner Art hat“, seine Arbeit als Religionslehrer stets korrekt verrichtet habe und „im Rahmen seiner Berufsausübung niemals extremistische oder fundamentalistische Gedanken geäußert und er somit niemals eine Geisteshaltung gezeigt“ habe, die darauf schließen ließe, dass er „die Ziele des IS oder anderer terroristischer Vereinigungen oder krimineller Organisationen gutheiße, geschweige denn diese fördern würde“.

Die begehrten Beweisaufnahmen konnten unterbleiben, weil zum einen die Tatrichter ohnehin davon ausgingen (vgl § 55 Abs 2 Z 3 StPO), dass der Angeklagte bislang einen untadeligen Lebenswandel aufweist und es in jenem sozialen Umfeld, über das die Zeugen Auskunft geben könnten, zu keinen Auffälligkeiten gekommen ist (ON 36 S 18; US 8), und zum anderen subjektive Eindrücke, Meinungen, Wertungen und Schlussfolgerungen (hier: zur inneren Einstellung des Angeklagten) nicht Gegenstand des auf sinnliche Wahrnehmungen beschränkten Zeugenbeweises sind (RIS-Justiz RS0097545, RS0097540).

Auch der in der Hauptverhandlung am 29. August 2018 gestellte Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Bereich der islamischen Theologie bzw Islamwissenschaft zum Beweis dafür, „dass der Begriff 'Dschihad' für Islamgelehrte nicht mit dem Begriff 'Heiliger Krieg' gleichzusetzen ist, sondern dass darunter das intensive Bemühen für eine gute Sache, das Richtige zu tun und dabei keine Mühe zu scheuen bzw der besondere Einsatz für die Gesellschaft verstanden wird“ und daher aus der Verwendung dieses Begriffs durch den Angeklagten nicht auf dessen Vorsatz auf Förderung einer terroristischen Vereinigung oder kriminellen Organisation geschlossen werden könne (ON 40 S 9 f), konnte ohne Schmälerung von Verteidigungsrechten abgewiesen werden. Denn der Antrag ließ nicht erkennen, inwiefern aus dem theologischen Verständnis des Begriffs „Dschihad“ Rückschlüsse auf die subjektive Tatseite des Angeklagten gezogen werden könnten. Das vom Angeklagten behauptete Begriffsverständnis von „Dschihad“ haben die Tatrichter im Übrigen ohnehin in ihre Erwägungen miteinbezogen (vgl US 8).

Die in der Beschwerde nachgetragenen Argumente zur Fundierung der Beweisanträge sind angesichts der auf Nachprüfung der erstgerichtlichen Vorgangsweise angelegten Konzeption dieses Nichtigkeitsgrundes und des damit auch für die Prüfung eines Zwischenerkenntnisses verbundenen Neuerungsverbots prozessual verspätet und daher unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).

Weshalb der in der Verhandlung am 20. Juni 2018 (nach deren Vertagung auf den 29. August 2018) erklärte Verzicht der Beteiligten auf Neudurchführung für den Fall des Überschreitens der Zweimonatsfrist (ON 36 S 23) allenfalls „nicht ausreichend“ iSd § 276a letzter Satz StPO gewesen (und das Urteil insofern zufolge Verwertung der in der Verhandlung am 20. Juni 2018 vorgekommenen Verfahrensergebnisse mangelhaft iSd § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO) sein sollte, ist nicht nachvollziehbar (vgl im Übrigen Danek/Mann, WK-StPO § 276a Rz 8).

Der Kritik der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider hat das Schöffengericht die Feststellungen zur subjektiven Tatseite (auch im Umfang der voluntativen Komponente) aus dem Inhalt des vom Angeklagten geteilten, zuvor mit einer Überschrift versehenen Videos (vgl US 5 f) sowie dem „weit überdurchschnittlichen religiösen und politischen Wissen“ des als islamischer Religionslehrer tätigen, politisch engagierten, den IS als terroristische Organisation bezeichnenden Angeklagten (vgl US 7 f) mängelfrei erschlossen und eingehend dargelegt, aus welchen Erwägungen es der die subjektive Tatseite leugnenden Verantwortung des Angeklagten keinen Glauben geschenkt hat (vgl US 5 bis 8).

Inwiefern die beweiswürdigenden Erwägungen der Tatrichter, wonach das Verfassen eines Kommentars oder einer Überschrift zum inkriminierten Video zwar nicht zwingend dessen Besichtigung erfordere, allerdings eine Kenntnis dessen Inhalts indiziere (vgl US 5 dritter Absatz), undeutlich oder widersprüchlich (Z 5 erster und dritter Fall) sein sollen, vermag die Beschwerde nicht darzulegen.

Ob „die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung den Zielen und Zwecken“ des vom Angeklagten gegründeten Kulturvereins „S***** Österreich“ widersprechen würde, betrifft – als für die Lösung der Schuld- und/oder Subsumtionsfrage irrelevant – keinen erheblichen Umstand. Der insofern erhobene Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zufolge unterbliebener Erörterung der Vereinsstatuten geht daher ins Leere.

Der weiteren Beschwerdekritik (Z 5 vierter Fall) zuwider konnte das Schöffengericht die Feststellungen zum „Islamischen Staat“ (vgl US 3 f) mängelfrei auf den Umstand, dass es sich hiebei (mittlerweile) um notorische Tatsachen handelt, in Verbindung mit den Angaben des Angeklagten zur Qualifikation des IS als terroristische Organisation (vgl US 7) stützen.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) vermag mit der Wiederholung der – eine wissentliche Unterstützung des Islamischen Staates in Abrede stellenden, vom Schöffengericht als unglaubwürdig verworfenen – Verantwortung des Levent A*****, dem Verweis auf dessen untadeligen Lebenswandel und die Statuten des von ihm gegründeten Vereins „S***** Österreich“ sowie der Behauptung, dass „kein einziges greifbares Beweisergebnis“ und „kein nachvollziehbares Argument“ für eine vorsätzliche Begehung der vorgeworfenen Tat sprächen (vgl aber RIS‑Justiz RS0128874), keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen zu wecken.

Weshalb der vom Gericht festgestellte Sachverhalt „keinesfalls“ unter § 278b Abs 2 StGB und § 278a StGB zu subsumieren sei, wird von der Rechtsrüge (Z 9 lit a) lediglich behauptet. Sie verfehlt damit die gebotene Orientierung am Verfahrensrecht (RIS-Justiz RS0116569).

Das weitere Vorbringen, die in (§ 278b Abs 2 und § 278a je iVm) § 278 Abs 3 dritter Fall StGB genannte Beteiligung „auf andere Weise“ erfasse nur mit der „Bereitstellung von Informationen oder Vermögenswerten […] qualitativ gleichwertige und nicht jede im Rahmen der Kausalität erdenkliche Beteiligungshandlung“ und sei auf Handlungen zu beschränken, „an deren Pönalisierung ein schwerwiegendes öffentliches Interesse“ bestehe, weshalb das „bloße Teilen eines Videos“ nicht tatbildlich sei, leitet die behauptete rechtliche Konsequenz nicht argumentativ aus der – maßgeblichen – Legaldefinition des § 278 Abs 3 StGB ab und vernachlässigt zudem die Urteilsfeststellungen zum Inhalt des Videos (US 2 f) sowie zur subjektiven Tatseite (US 4, US 8), wonach der Angeklagte dadurch (wissentlich und willentlich) Propagandamaterial dieser Organisation verbreitete und eine psychische Unterstützung zur Stärkung der Gruppenmoral oder einzelner Mitglieder […] leistete (vgl im Übrigen 14 Os 76/17h; Plöchl in WK2 StGB § 278 Rz 39).

Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, beim inkriminierten Video handle es sich nicht um IS-Propaganda, übergeht er erneut die gegenteiligen Urteilskonstatierungen (US 2 f, US 6).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der auf die Rechtsprechung des BGH zu deutscher Rechtslage Bezug nehmenden Äußerung der Verteidigung – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen ergibt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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