OGH 15Os50/89

OGH15Os50/8927.6.1989

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Juni 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Lachner und Hon.Prof.Dr. Brustbauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Maurer als Schriftführer in der Strafsache gegen Rahime G*** wegen des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten sowie der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 3. Februar 1989, GZ 20 g Vr 1171/88-151, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Jerabek, und des Verteidigers Dr. Schulz, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft sowie teilweise, und zwar soweit sie gegen den Schuldspruch laut Pkt. II. gerichtet ist, auch jener der Angeklagten wird Folge gegeben: es werden der Wahrspruch der Geschwornen, der im übrigen aufrecht bleibt, zu den Hauptfragen I und II sowie zur Eventualfrage 1 a und das darauf beruhende, sonst gleichfalls unberührt bleibende angefochtene Urteil in den Schuldsprüchen laut den Pkten I. und II., im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruchs über die Vorhaftanrechnung) sowie in der Anordnung des Verfalls einer Pistole aufgehoben; die Sache wird zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Auf diese Entscheidung werden die Angeklagte mit ihrer Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Schuldspruch laut Pkt I. und mit ihrer Berufung sowie die Staatsanwaltschaft mit deren Berufung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden angefochtenen Urteil wurde Rahime G*** (I.) des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB sowie (II. und III.) des Vergehens (richtig: der Vergehen) nach § 36 Abs. 1 Z 1 und Z 2 WaffG schuldig erkannt.

Darnach hat sie in Wien

(zu I.) sich am 28. Jänner 1988 in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lassen, Mehmet A*** durch (zwei) Pistolenschüsse zu töten;

(zu II.) am 28. Jänner 1988 unbefugt eine Pistole, also eine Faustfeuerwaffe, besessen; sowie

(zu III.) von etwa 1985 bis zum 28. Jänner 1988 eine verbotene Waffe, und zwar ein Springmesser, unbefugt besessen. Die Laienrichter hatten die anklagekonforme Hauptfrage I nach Mord (§ 75 StGB) verneint und die Eventualfrage 1 a nach Totschlag sowie die Hauptfragen II und III nach unbefugtem Waffenbesitz bejaht. Gegen dieses Urteil haben sowohl die Anklagebehörde als auch die Angeklagte (primär) Nichtigkeitsbeschwerde erhoben, mit der erstere unter Geltendmachung der Gründe nach § 345 Abs. 1 Z 8 und 12 StPO - ebenso wie letztere, die zudem ihre Verurteilung laut Pkt II anficht, aus den Gründen nach Z 6, 8, 9, 10 a und 12 jener Verfahrensbestimmung - den Schuldspruch laut Pkt I. bekämpft. Dem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, mit dem sie eine dem betreffenden Anklagevorwurf entsprechende (letztliche) Beurteilung der inkriminierten Tötung des Tatopfers als Mord anstrebt, kommt zwar nicht wegen eines dem Schwurgerichtshof unterlaufenen Subsumtionsirrtums (Z 12), wohl aber im Hinblick auf eine Korrekturbedürftigkeit der den Geschwornen erteilten Rechtsbelehrung (Z 8) Berechtigung zu.

Nicht zielführend ist nämlich die Rechtsrüge (Z 12) mit dem Versuch, dem Wahrspruch unter Berücksichtigung der Anklage und des Beweisverfahrens ein Tatsachensubstrat zu unterstellen, demzufolge der von den Laienrichtern als erwiesen angenommene Affekt der Angeklagten eine sozialethisch positive Bewertung im Sinn einer allgemeinen Begreiflichkeit nicht zuließe.

Rechtliche Beurteilung

Denn der geltend gemachte materiellrechtliche Nichtigkeitsgrund kann nur durch einen Vergleich des im Verdikt festgestellten Sachverhalts mit dem darauf angewendeten Gesetz (§ 335 StPO) prozeßordnungsgemäß dargetan werden. Wenn - wie im vorliegenden Fall - in einer von den Geschwornen bejahten Schuldfrage nach Totschlag die privilegierenden (schuldmindernden) Prämissen des § 76 StGB (anders als sonstige Tatbestandsmerkmale zulässigerweise: vgl. RZ 1985/65 ua) nicht konkretisiert sind, kommt daher insoweit eine rechtliche Überprüfung der Subsumtion (Z 12) nicht in Betracht; in solchen Fällen ist vielmehr (gleichermaßen wie bei der Bejahung von Zusatzfragen nach materiellrechtlichen Straflosigkeitsgründen: vgl. SSt 54/39 sowie Mayerhofer/Rieder StPO2 § 345 Z 11b ENr. 4) lediglich eine Anfechtung der Fragestellung überhaupt (Z 6; vgl. EvBl. 1979/6) und der dazu erteilten Rechtsbelehrung (Z 8) möglich (vgl. Mayerhofer/Rieder aaO § 345 Z 11a ENr 7, Z 12 ENr 8 uam). Mit ihrer in diesem Sinn ohnehin (auch) erhobenen Instruktionsrüge (Z 8) indessen ist die Anklagebehörde im Recht. Die schon durch die unvollständige Wiedergabe des Textes der zu erläuternden Strafbestimmung (§ 76 StGB) eingeleitete Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung zur Eventualfrage 1 a, bei der das - im übrigen schon bei der Prüfung der Notwendigkeit und der Zulässigkeit einer Eventualfragestellung nach Totschlag durch den Schwurgerichtshof für die Beurteilung des hier aktuellen Tatgeschehens sehr wesentliche - Erfordernis der "Heftigkeit" einer privilegierenden Gemütsbewegung nicht aufscheint, wird nämlich durch die folgenden Darlegungen noch deutlich verstärkt.

So werden durch die unzutreffende Anführung der zusätzlichen Notwendigkeit einer besonders starken Ausprägung des für die Privilegierung vorauszusetzenden Affekts neben seiner Heftigkeit (und allgemeinen Begreiflichkeit) in Verbindung mit der verfehlten Bemerkung, daß der Gesetzgeber "dies" - also die besonders starke Ausprägung als zusätzliche Prämisse - mit den Worten "hinreißen läßt" beschreibe, die mit jener Bekundung in Wahrheit erfaßten Kriterien einer Kausalität der in Rede stehenden Gemütsverfassung des Täters für dessen Tötungshandlung sowie einer Spontanietät (nicht nur des Tatentschlusses, sondern auch) der Tatausführung, die der Entschlußfassung sofort oder doch immerhin noch während der Dauer des Affekts nachfolgen muß, zur Gänze verdeckt. Überdies werden die darnach kumulativ relevanten, richtigerweise aber als kongruent zu verstehenden Begriffsinhalte der Ausdrücke "heftig" und "besonders stark ausgeprägt", jedenfalls derart verdunkelt, daß sie auch durch den späteren Hinweis, die heftige Gemütsbewegung müsse "von hohem Grad" sein, nicht ausreichend aufgeklärt werden. Dazu kommt noch, daß in weiterer Folge die zuvor erwähnte Notwendigkeit einer Kausalität der heftigen Gemütsbewegung für die spontane Tatausführung durch die falsche Belehrung, der "Begriff der Gemütsbewegung" besage nicht, daß der Täter zur Tatzeit "ohne ruhige Überlegung" handeln müsse (vgl. dagegen Foregger-Serini StGB4 § 76 Anm. I; Moos im WK § 76 Rz 25), geradezu negiert wird. Das (infolge der unrichtigen Deutung der Worte "hinreißen läßt" darstellungsbedürftige) Erfordernis einer Spontanietät - nicht bloß des Tatentschlusses, welches seinerseits bei der Erläuterung der möglichen Dauer des Entschlußfassungsprozesses mangels Herstellung einer chronologischen Beziehung zwischen letzterem und dem Affekt kaum hinreichend zum Ausdruck kommt, sondern zudem - der Tatausführung hinwieder bleibt abermals unerwähnt.

Solcherart ist aber in Ansehung der Tatbestandsmerkmale "... sich in einer ... heftigen Gemütsbewegung ... hinreißen läßt" in der Tat keineswegs eine den Laienrichtern durch die gerügte Belehrung vermittelte Erkenntnis dahin gewährleistet, daß es sich hiebei um einen tiefgreifenden, mächtigen Erregungszustand der Gefühle nach Art eines "Affektsturmes" handeln muß, der die verstandesmäßigen Erwägungen zurückdrängt und eine ruhige Überlegung ausschließt sowie nicht nur die normale Motivationsfähigkeit des Täters auszuschalten, sondern sogar stärkste sittliche Hemmungen, wie sie gegen die vorsätzliche Tötung eines Menschen bestehen, hinwegzufegen geeignet ist und der tatsächlich für den späteren, während des Andauerns der beschriebenen Gefühlsimpulse zu fassenden und zu realisierenden Tatentschluß kausal wird (vgl. hiezu, jeweils mit Judikaturzitaten, Moos aaO Rz 12, 21 bis 25; Leukauf-Steininger StGB2 § 76 RN 8; Kienapfel BT2 § 76 RN 18 f; Foregger-Serini aaO Anm. I). Die von der Staatsanwaltschaft zutreffend aufgezeigten Mängel der - auch zu den übrigen Eventual- und Zusatzfragen mehrfach (zum Teil krass) unrichtigen und (teilweise grob)

irreführenden - Rechtsbelehrung (Z 8) zur Eventualfrage 1 a erfordern die Aufhebung des dazu und zur Hauptfrage I ergangenen Wahrspruchs sowie des darauf beruhenden angefochtenen Urteils im Schuldspruch wegen Totschlag (laut Pkt I), im Strafausspruch und im Ausspruch über den Verfall der Tatwaffe, ohne daß es erforderlich wäre, auch noch auf die Bedeutung der Unrichtigkeit der (in § 321 Abs. 2 StPO gar nicht vorgesehenen: vgl. EvBl. 1985/97 ua) Belehrung über den Strafsatz des § 76 StGB einzugehen.

Ebenso war mit dem Verdikt zur Hauptfrage II und mit dem darauf beruhenden Schuldspruch laut Pkt II. zu verfahren, den die Angeklagte im Hinblick auf das (einer Unrichtigkeit gleichkommende) Fehlen jeglicher Rechtsbelehrung (Z 8) mit Recht bekämpft (idS schon 10 Os 17/87 nv).

Unter einem war die Verfahrenserneuerung in erster Instanz in dem von der Aufhebung betroffenen Umfang anzuordnen. Mit ihrer (auf die Nichtannahme eines bei ihr vorgelegenen Tötungsvorsatzes abzielenden sowie überdies die Rechtsbelehrung zu den Eventual- und Zusatzfragen bekämpfenden) Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Schuldspruch laut Pkt I. war die Angeklagte ebenso wie sie und die Anklagebehörde mit ihren Berufungen auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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