OGH 15Os49/03

OGH15Os49/0312.6.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Juni 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Burtscher als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Walter W***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Schöffengericht vom 24. Jänner 2003, GZ 631 Hv 19/02v-31, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Lässig, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Duensing zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu Punkt II 1, soweit der Angeklagte schuldig erkannt wurde, auch in der Zeit vom 6. Oktober 1989 bis Ende 1992 seine leibliche Tochter Barbara M***** mehrmals zum Beischlaf verführt und auch hiedurch jeweils das Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 2 StGB begangen zu haben, sowie in der rechtlichen Beurteilung des vom Angeklagten in der Zeit von 1987 bis Ende 1992 mit seiner am 5. Oktober 1975 geborenen minderjährigen Tochter Barbara M***** mehrmals unternommenen Beischlafs (I, II 1) auch als Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (III) sowie im Strafausspruch aufgehoben und im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Walter W***** wird von der Anklage, in der Zeit vom 6. Oktober 1989 bis Ende 1992 in Bruck an der Leitha und Wien seine leibliche Tochter Barbara M*****, sohin eine Person, mit der er in absteigender Linie verwandt ist, in einer unbestimmten Zahl von Angriffen zum Beischlaf verführt zu haben, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Walter W***** wird für die ihm nach dem aufrecht bleibenden Teil des Schuldspruchs zur Last liegenden strafbaren Handlungen unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 206 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von

dreieinhalb Jahren

verurteilt.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung

verwiesen.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Walter W***** wurde (I) der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und der Vergehen (II 1, 2) der teils vollendeten, teils versuchten Blutschande nach §§ 211 Abs 2, 15 StGB sowie des (III) Missbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Danach hat er

I) von 1987 bis 5. Oktober 1989 in Bruck an der Leitha mit seiner am 5. Oktober 1975 geborenen, mithin damals unmündigen Tochter Barbara M***** in ca zehn Angriffen den Beischlaf unternommen, indem er mit ihr jeweils einen Geschlechtsverkehrt durchführte;

II) seine leibliche Tochter Barbara M*****, sohin eine Person, mit der er in absteigender Linie verwandt ist, zum Beischlaf

1) von 1987 bis Ende 1992 in Bruck an der Leitha und in Wien durch die in Punkt I genannten Handlungen sowie dadurch, dass er nach deren vierzehnten Geburtstag mit ihr weiterhin mehrmals einen Geschlechtsverkehr durchführte, verführt und

2) im Mai 2002 in Bruck an der Leitha zu verführen versucht, indem er seine Hand auf den Genitalbereich der in ihrem Bett liegenden Barbara M***** legte;

III) von 1987 bis Ende 1992 seine am 5. Oktober 1975 geborene minderjährige Tochter Barbara M***** durch die zu den Punkten I und II 1 an geführten Tathandlungen zur Unzucht missbraucht.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus § 281 Z 4, 5, 9 lit a, 9 lit b und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde erweist sich teilweise als zielführend.

In der Rechts- und Subsumtionsrüge (Z 9 lit a und 10) wendet sich der Angeklagte berechtigt (Z 10) gegen die Annahme idealkonkurrierenden Zusammentreffens der Vergehen nach § 211 Abs 2 StGB (Faktum II/1) und nach § 212 Abs 1 StGB (Faktum III). Zu den diesbezüglich widersprüchlichen Beschwerdeausführungen ist festzuhalten, dass eine wertende Gegenüberstellung zur Annahme einer Konsumtion führt (SSt 48/8) und im - hier vorliegenden - Fall der Verführung eines minderjährigen Nachkommen das Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses hinter jenes der Blutschande zurücktritt (14 Os 4/97).

Darüber hinaus ist zum Teil - nämlich bezüglich der vom 6. Oktober 1989 bis Ende 1992 gesetzten Tathandlungen (Fakten II/1 und III) - auch der Verjährungseinwand (Z 9 lit b) begründet, weil die Verjährungsfrist zu diesen Taten gemäß § 57 Abs 3 StGB fünf Jahre beträgt und diesbezüglich keine Umstände festgestellt wurden, welche eine Fristverlängerung (§ 58 StGB) bewirken. Zu den übrigen Tathandlungen wird auf die Frage der Verjährung im Folgenden noch näher eingegangen werden.

Im bisher behandelten Umfang, nicht jedoch im Übrigen kommt der Nichtigkeitsbeschwerde Berechtigung zu.

Die Verfahrensrüge (Z 4) geht fehl, weil der ihr zu Grunde liegende - überdies Erkundungscharakter aufweisende - Antrag auf Ladung nicht namentlich genannter Zeugen (S 299) zum Beweis dafür, dass Barbara M***** in ganz anderem Zusammenhang wissentlich falsche Bezichtigungen geäußert haben soll, keine Tauglichkeit erkennen lässt, die Erkenntnisgrundlage über die Richtigkeit der Depositionen der unmittelbar vernommenen Zeugin zum gegenständlichen Angeklagevorwurf zu erweitern.

Soweit sich die Mängelrüge (Z 5) gegen die konstatierte Anzahl an Tathandlungen mit der Begründung wendet, diese Feststellungen seien nicht auf in der Hauptverhandlung vorgekommene Beweismittel (§ 258 Abs 1 StPO) gestützt, übergeht sie, dass die Ton- und Bildaufnahme der kontradiktorischen Vernehmung der Zeugin M***** vor der Untersuchungsrichterin (US 15), in deren Rahmen die Genannte ihre im sicherheitsbehördlichen Vorverfahren getätigten Angaben (S 11 bis 21) aufrecht hielt (S 184), in der Hauptverhandlung vorgeführt wurde (S 273).

Dem Beschwerdevorbringen zuwider erörterte das Erstgericht die widersprüchlichen Angaben des Opfers über die Häufigkeit der sexuellen Übergriffe des Angeklagten (US 11) und gelangte - im Einklang mit den Gesetzen der Logik - beweiswürdigend zu der Überzeugung, dass bis zum 5. Oktober 1989 etwa zehn und danach (bis Ende 1992) eine nicht mehr feststellbare Anzahl von Angriffen stattgefunden haben.

Die Erörterung zur Glaubwürdigkeit der Depositionen dieser Zeugin richten sich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung.

Der Zeuge Josef F***** vermochte nicht mehr exakt anzugeben, ab welchem Zeitpunkt nach den Angaben der Barbara M***** die sexuellen Übergriffe des Angeklagten begonnen hatten (S 291), weshalb das Erstgericht - dem Gebot zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend - dessen diesbezügliche Aussage unerörtert lassen konnte.

Die Frage, ob das Opfer diesem Zeugen erzählt hatte, von zehn oder von elf weiteren Personen geschlechtlich missbraucht worden zu sein, ist der Erörterung im Rahmen der Mängelrüge mangels Entscheidungswesentlichkeit im gegenständlichen Verfahren nicht zugänglich (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 399).

Die Aussagen der Zeugen Christian P*****, Ingeborg F***** und Erwin M***** unterzog das Erstgericht - dem Beschwerdevorbringen zuwider - sehr wohl einer kritischen Beweiswürdigung (US 17 bis 19), wobei in dem Umstand, dass in der angefochtenen Entscheidung nicht sämtliche Aussagedetails aller Zeugen im Einzelnen erörtert werden, kein Begründungsmangel liegt (vgl Ratz aaO § 281 Rz 428). Mit dem Einwand zur Rechtsrüge (Z 9 lit a), Barbara M***** habe die Tathandlungen zu Punkt II/2 des Urteilsspruchs nicht wahrgenommen, übergeht der Angeklagte die gegenteiligen Urteilsfeststellungen (US 8) und bringt solcherart die Beschwerde nicht prozessordnungsgemäß zur Darstellung. Es sei daher nur der Vollständigkeit halber festgehalten, dass das vom Vorsatz, die schlafende leibliche Tochter zum Beischlaf zu verführen, getragene Betasten ihres Genitalbereichs infolge Ausführungsnähe unabhängig vom Erwachen des Opfers eine strafbare Versuchshandlung nach §§ 15, 211 Abs 2 StGB darstellt. Die Reklamation der weiteren Rechtsrüge (Z 9 lit b), aus den Urteilskonstatierungen könne nicht abgeleitet werden, ob der Angeklagte die Tathandlungen zu Punkt I des Urteilsspruchs - für die Frage der Verjährung der Strafbarkeit entscheidend - vor oder nach dem 1. Oktober 1988 setzte, übergeht die diesbezügliche Feststellung des Erstgerichtes, wonach der Angeklagte in der Zeit von 1987 bis zum 5. Oktober 1989 etwa zehn Mal mit seiner Tochter den Beischlaf vollzog (US 6). Hieraus erhellt aber zweifelsfrei, dass die Tatrichter von - mit einiger Regelmäßigkeit wiederholten - Angriffen während des gesamten Deliktszeitraums ausgingen, weshalb die Strafbarkeit wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer Unmündigen auf Grund der Übergangsbestimmung des Art V des die Z 3 des § 58 Abs 3 StGB einfügenden StRÄG 1998 BGBl I 153 nicht verjährt ist. Korrespondierendes gilt für das in Tateinheit begangene Vergehen der Blutschande (Punkt II/1 erster Halbsatz), weil die Verjährung der Strafbarkeit bei echt idealkonkurrierenden strafbaren Handlungen gemeinsam (für das gesamte historische Geschehen) eintritt, es also nicht zur Verjährung nur einzelner strafbarer Handlungen davon kommen kann (OGH 13 Os 169/99, 15 Os 62/02, EvBl 2000/217). Soweit sich die Substumtionsrüge (Z 10) nicht auf die Verdrängung des Vergehens nach § 212 Abs 1 StGB durch jenes nach § 211 Abs 2 StGB bezieht, führt sie diesen Nichtigkeitsgrund nicht prozessordnungsgemäß aus, weil sie nicht vom Urteilssachverhalt ausgeht und überdies nicht jenes Strafgesetz anzugeben vermag, das ihrer Ansicht nach auf die Tat hätte angewendet werden sollen (vgl Mayerhofer StPO4 § 281 Abs 1 Z 10 E 8).

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen. Bei der durch die Teilaufhebung des Schuldspruchs erforderlich gewordenen Neubemessung der Strafe nach § 206 Abs 1 StGB (unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB) fiel aggravierend ins Gewicht, dass der Angeklagte nach über dreizehnjährigem Wohlverhalten im Jahr 2002 qualifiziert einschlägig delinquierte. Im Einzelnen wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen gleicher und verschiedener Art und den langen Deliktszeitraum als mildernd den ordentlichen Wandel, dass es bei einem Faktum beim Versuch geblieben ist und das lange Zurückliegen des überwiegenden Teils der Straftaten.

Wenn auch der Großteil der Straftaten lange zurückliegt (1987 bis 1989), so zeigt der neuerliche Versuch zu § 211 Abs 2 StGB im Mai 2002 die ungebrochene Intention des Angeklagten (der sich die ihm bietende Gelegenheit anlässlich eines Besuches bei ihr im Wissen, dass sie keine feste Beziehung hatte, ausnützte), die sexuelle Integrität seiner Tochter anzugreifen (vgl US 8). Auf Basis der vorliegenden Strafzumessungsgründe trägt die vom Obersten Gerichtshof im Spruch angeführte Freiheitsstrafe der tat- und täterbezogenen Schuld Rechnung.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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