OGH 15Os46/13y

OGH15Os46/13y22.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Mai 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Dr. Michel-Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Müller als Schriftführerin in der Strafsache gegen Fadil H***** wegen des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 14. Jänner 2013, GZ 25 Hv 127/12s-34a, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch in Rechtskraft erwachsene Freisprüche (verfehlt auch von der rechtlichen Kategorie; vgl Lendl, WK-StPO § 259 Rz 1) enthält, wurde Fadil H***** des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB (I./), der Vergehen der falschen Beweisaussage als Bestimmungstäter nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 288 Abs 1 und 4 StGB (II./), der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (III./), der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (IV./1./ und 3./ bis 8./), der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB (IV./2./) und des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB (V./), des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 2, Abs 3 Z 1 erster Fall und Abs 4 vierter Fall StGB (VI./1./) und der Vergehen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 und 2 StGB (VI./2./ und 3./) schuldig erkannt.

Danach er hat in T***** und I***** - zusammengefasst wiedergegeben -

I./ im März/April 2010 Dulsa H***** durch die Äußerung „wenn du mich verlässt, werde ich dich und die Kinder mit einer Granate töten“, mithin durch gefährliche Drohung mit dem Tod, zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von der Beendigung der ehelichen Gemeinschaft, genötigt;

II./ am 11. Mai 2012 Emsad H***** durch die Aufforderung, er solle sagen, dass er verwirrt gewesen sei und dass ihn der Angeklagte nicht geschlagen, sondern lediglich an der Kapuze gezogen habe, zu einer Falschaussage als Zeuge bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache vor der Polizeiinspektion T***** zu bestimmen versucht;

III./ am 10. Mai 2012 Enesa H***** durch die Äußerung, sie bräuchte „sich nicht wundern, wenn Mama im Krankenwagen an ihr vorbeifahren werde“, gefährlich mit zumindest einer Körperverletzung bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen;

IV./ zwischen November 1993 und 31. Mai 2009 andere vorsätzlich am Körper verletzt, und zwar seine Frau Dulsa und seine Kinder Ernad, Sabahudin, Said, Enesa, Ajka und Emsad H***** jeweils in zahlreichen - im Urteil näher beschriebenen (IV./1./ bis 8./) - Angriffen, wobei die Tat IV./2./ eine schwere Körperverletzung zur Folge hatte;

V./ zu einem nicht mehr genau feststellbaren Tatzeitpunkt im Jahr 2007 seinem am 3. Jänner 1997 geborenen Sohn Sabahudin H*****, der seiner Fürsorge und Obhut unterstand und das 18. Lebensjahr noch nicht zurückgelegt hatte, dadurch, dass er ihm ankündigte, ihm pro Fehler im Diktat zehn Schläge mit einer Krampusrute auf die Hand zu versetzen, wobei er diese Ankündigung letztlich in Vollzug setzte und ihm wegen fünf Fehlern 50 Schläge mit der Krampusrute auf die Handflächen versetzte, was Hautrötungen zur Folge hatte, seelische und körperliche Qualen zugefügt;

VI./ gegen andere fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er sie am Körper misshandelte sowie zu ihrem Nachteil vorsätzliche, mit Strafe bedrohte Handlungen gegen Leib und Leben, nämlich die Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB beging, und zwar:

1./ zwischen 1. Juni 2009 und 15. Februar 2012 gegen den am 16. Februar 1998 geborenen Emsad H***** wiederholt durch teils tägliches, teils mehrmals wöchentliches Ziehen an den Ohren sowie an den Haaren, durch Versetzen von Schlägen mit der flachen Hand gegen den Rücken sowie gegen den Kopf und durch Versetzen von „Kopfnüssen“, was teils Hautrötungen und über die körperliche Einwirkung hinausgehend anhaltende Schmerzen zur Folge hatte, wobei er die Tat gegen eine unmündige Person beging und die Gewalt länger als ein Jahr ausübte;

2./ zwischen 16. Februar und 10. Mai 2012 im Anschluss an das zu VI./1./ beschriebene Tatgeschehen gegen Emsad H***** wiederholt durch teils tägliches, teils mehrmals wöchentliches Ziehen an den Ohren sowie an den Haaren, durch Versetzen von Schlägen mit der flachen Hand gegen den Rücken sowie gegen den Kopf und durch Versetzen von „Kopfnüssen“, was teils Hautrötungen bzw über die körperliche Einwirkung hinausgehend anhaltende Schmerzen zur Folge hatte;

3./ zwischen 1. Juni 2009 und Anfang 2012 gegen Ernad H***** wiederholt durch teils wöchentliches Ziehen an den Ohren sowie an den Haaren, durch Versetzen von Schlägen mit der flachen Hand gegen den Kopf sowie den Rücken, was teils über die körperliche Einwirkung hinausgehend anhaltende Schmerzen zur Folge hatte.

Rechtliche Beurteilung

Nur gegen die Schuldsprüche V./ und VI./ richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Soweit der Rechtsmittelantrag auf eine Aufhebung des (gesamten) Ersturteils abzielt, die Nichtigkeitsbeschwerde im darüber hinausgehenden Umfang mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung von nach Ansicht des Beschwerdeführers Nichtigkeit bewirkenden Umständen aber unausgeführt blieb (§ 285 Abs 1 zweiter Satz iVm § 285a Z 2 StPO), ist auf sie keine Rücksicht zu nehmen; im Übrigen schlägt sie fehl.

Undeutlichkeit im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 erster Fall StPO ist nur gegeben, wenn - nach der Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof - nicht für den Beschwerdeführer und das Rechtsmittelgericht unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache in den Entscheidungsgründen festgestellt wurde oder aus welchen Gründen die Feststellung entscheidender Tatsachen erfolgt ist. Dabei sind stets die Gesamtheit der Entscheidungsgründe und das Erkenntnis in den Blick zu nehmen. Entgegen den Ausführungen der Mängelrüge sind die Konstatierungen zum Schuldspruch VI./ nicht undeutlich. Das Erstgericht stellte nämlich - wie auch vom Beschwerdeführer richtig wiedergegeben wird - fest, dass Emsad H***** durch die täglichen bzw mehrmals wöchentlichen Misshandlungen teilweise Hautrötungen, zumindest jedoch anhaltende Schmerzen erlitten hatte. Damit ist aber - aus objektiver Sicht - für sämtliche unter dem Gesichtspunkt der Nichtigkeitsgründe relevanten Urteilsadressaten unzweifelhaft erkennbar (RIS-Justiz RS0117995; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 419), dass die relevanten entscheidenden Tatsachen, nämlich die fortgesetzte Gewaltausübung in der Form von - im Abs 2 des § 107b StGB als Ausübung von Gewalt definierten - Misshandlungen am Körper (worunter jedenfalls Verhaltenweisen zu verstehen sind, die dem Opfer zeitlich über die unmittelbare Einwirkung auf den Körper hinausgehende Schmerzen zufügen [Schwaighofer in WK² § 107b Rz 16; vgl auch RIS-Justiz RS0092834]), festgestellt wurden. Weshalb daher das Urteil undeutlich sein soll, weil ihm - so die Mängelrüge - nicht zu entnehmen sei, „wie häufig tatsächlich vom Angeklagten Tätlichkeiten gegen seinen unmündigen Sohn gesetzt wurden, die auch die für dieses Delikt erforderliche Intensität erreicht haben“, wird vom Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar dargelegt.

Die Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern (RIS-Justiz RS0119583). Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen - wie sie die Berufung wegen Schuld im Einzelrichterverfahren einräumt -, werden vom Obersten Gerichtshof, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, ohne eingehende eigene Erwägungen beantwortet (RIS-Justiz RS0118780; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 470 ff, 490).

Durch die (isolierte) Hervorhebung von Details aus den Aussagen der Zeugen Emsad H*****, Dulsa H*****, Sabahudin H***** und Enesa H***** vermag die gegen die Schuldsprüche VI./ (1./ bis 3./) gerichtete Tatsachenrüge beim Obersten Gerichtshof keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zu Grunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu erwecken. Mit den Angaben der vernommenen Familienmitglieder, wonach sie vom Angeklagten „nie verletzt“ worden seien, haben sich die Tatrichter auf US 18 (soweit die Ausführungen der Sache nach ein Begründungsdefizit iSd Z 5 behaupten) im Übrigen eingehend auseinandergesetzt.

Die gegen Schuldspruch V./ gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10) behauptet, dass den Feststellungen zufolge der Leidens- und Angstzustand des Sabahudin H***** weder lang angedauert noch sich wiederholt habe, sodass der Genannte keine iSd § 92 Abs 1 StGB tatbildlichen „Qualen“ erlitten habe. Dieses Vorbringen geht prozessordnungswidrig (RIS-Justiz RS0099810; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581) an den erstrichterlichen Konstatierungen vorbei, wonach der damals 10-jährige Sabahudin H***** durch die Ankündigung seines Vaters, dass er pro Fehler im Diktat zehn Schläge mit einer Krampusrute auf die Hand erhalten werde, sehr wohl „eine gewisse Zeitspanne“ (gemeint: zwischen der Ankündigung, dem zumindest einen Tag später [in der Schule] stattfindenden Diktat sowie der Kenntnisnahme dessen Ergebnis durch den Angeklagten) in einen quälenden Leidens- und Angstzustand versetzt worden war (vgl US 9 iVm 23 und 24 f; vgl RIS-Justiz RS0093088 [T5]). Solcherart erweist sich die Subsumtionsrüge als nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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