OGH 15Os3/95

OGH15Os3/952.2.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 2.Februar 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Köttner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Edwin W***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und des Vergehens des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 18.Oktober 1994, GZ 9 Vr 111/94-18, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Edwin W***** des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und des (damit in Idealkonkurrenz stehenden) Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er im Frühjahr 1992 in Graz seinen damals fünfeinhalb Jahre alten Stiefsohn Jorge M***** auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, indem er das Kind veranlaßte, an seinem (des Angeklagten) Glied zu onanieren.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde, die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5 a und "9" StPO gestützt wird; ihr kommt keine Berechtigung zu.

Auch nach der Novellierung der Bestimmung des § 281 Abs 1 Z 4 StPO durch das Strafprozeßänderungsgesetz 1993 (vgl JAB 1157 BlgNR 18.GP, 16) ist Voraussetzung für die Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes, daß über einen vom Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung gestellten Antrag oder über einen von ihm erhobenen Widerspruch nicht oder nicht in seinem Sinne entschieden wurde. Nach dem Inhalt des Protokolls über die Hauptverhandlung vom 18.Oktober 1994 hat der Angeklagte aber weder einen auf Beweisaufnahme abzielenden Antrag gestellt, noch Widerspruch gegen eine Beweisaufnahme erhoben. Er ist demnach zu einer Verfahrensrüge nicht legitimiert.

Die Mängelrüge (Z 5) wendet sich gegen die Urteilsfeststellung, der Beschwerdeführer habe seinen Stiefsohn auf nicht näher feststellbare Weise angeleitet, sein (des Angeklagten) Glied zu streicheln. Die dafür angeführte Begründung, daß Kinder im Alter von fünf Jahren keineswegs die Tendenz hätten, mit den eigenen oder gar mit den Genitalien anderer zu "spielen", sei - unter Bezugnahme auf ein Zitat aus einer Abhandlung von Freud - unrichtig und stelle eine Scheinbegründung dar; ein Begründungsmangel liege auch darin, daß das Erstgericht selbst ausführe, die "Verleitung" sei auf nicht näher feststellbare Weise erfolgt. Letztlich sei das Urteil auch unvollständig, weil hinsichtlich des Verleitens in bezug auf die Vorsatzkomponente keine Feststellungen getroffen wurden.

Dem ist zunächst zu entgegnen, daß das Erstgericht keineswegs festgestellt hat, daß der Beschwerdeführer Jorge M***** angeleitet habe, sein Glied zu streicheln. Vielmehr haben die Tatrichter letztlich - ihre Tatsachenfeststellung präzisierend - als erwiesen angenommen, daß der Angeklagte seinen Stiefsohn, als beide nur mit Pyjamas bekleidet im Schlafzimmer der Wohnung fernsahen, aufforderte, sein Glied zu streicheln, worauf der Stiefsohn das Glied des Stiefvaters intensiv über dem Pyjama zu streicheln begann, was eine Erektion des Gliedes zur Folge hatte (US 4). Diese Feststellung gründete das Erstgericht auf das Eingeständnis des Beschwerdeführers vor der Sicherheitsbehörde, er habe sich "dazu" ("dem Vorfall") hinreißen lassen (US 5).

Die Verantwortung des Angeklagten, der Bub habe ihn immer am Körper gestreichelt und damals am Glied berührt, er habe das sofort abgestellt und gesagt, er dürfe ihn nicht mehr am Glied berühren (S 90 f), lehnten die Tatrichter unter Hinweis auf die erwähnte Verantwortung des Beschwerdeführers vor der Bundespolizeidirektion Graz als unglaubwürdig ab; in dem Zusammenhang führte das Erstgericht aus, daß es in keiner Weise die Liebesbedürftigkeit des Kindes bezweifle, Kinder in diesem Alter hätten aber keineswegs die Tendenz, mit den eigenen oder gar mit den Genitalien anderer zu "spielen" (US 5). Somit wurde die Widerlegung der leugnenden Verantwortung des Angeklagten mit dessen Aussagen vor der Sicherheitsbehörde begründet; dem Hinweis, daß Kinder im Alter des Stiefsohnes keineswegs die Tendenz hätten, mit den Genitalien anderer zu spielen, kommt dem gegenüber nur illustrativer Charakter zu. Der Beschwerdeführer übersieht bei seiner Bezugnahme auf Freud, daß die angeführte Belegstelle nichts über die Anomalie einer Fremdbestimmung eines Kindes zu sexuellen Handlungen aussagt.

Die Ausführungen im Ersturteil, es könne nicht genau festgestellt werden, wie der Angeklagte seinen im selben Haushalt lebenden Stiefsohn veranlaßte, ihn am Glied zu streicheln, nämlich ob der Angeklagte eine Belohnung in Aussicht stellte, ob er auf seinen Stiefsohn einredete, ob er die Hand des Kindes führte oder ob er bloß psychisch auf das Kind einwirkte (US 7), betreffen keinen für die Unterstellung der Tat unter das Strafgesetz oder die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes entscheidenden Umstand, denn tatbildlich ist nach Lage des Falls unter jeder der angeführten Modalitäten, daß der Beschwerdeführer seinen Stiefsohn aufgefordert hat, sein Glied zu streicheln, welcher Aufforderung der Bub nachkam.

Da das Wort "auffordern" Vorsatz denknotwendig in sich einschließt und dem Angeklagten unbestritten die Tatsache bekannt war, daß Jorge M***** sein Stiefsohn ist, waren die in der Nichtigkeitsbeschwerde vermißten - über das im Wort "auffordern" ohnedies inhärenten Vorsatzelement hinausgehenden - Konstatierungen zur subjektiven Tatseite entbehrlich.

Mit den in der Beweisrüge (Z 5 a) erhobenen Einwänden werden keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen dargetan. Der Sache nach unternimmt der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen insgesamt nur den unzulässigen Versuch, die Beweiswürdigung der Tatrichter in Zweifel zu ziehen, ohne schwerwiegende, unter Außerachtlassung der Pflicht zur amtwegigen Wahrheitsforschung zustande gekommene Mängel in der Sachverhaltsermittlung aufzuzeigen oder auf aktenkundige Beweisergebnisse hinzuweisen, die gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der Beweiswürdigung in entscheidungswesentlichen Punkten aufkommen lassen.

Unerfindlich bleibt, inwiefern eine angeblich unterbliebene Begründung durch Verwertung nicht verlesener Aktenteile "getroffen" worden sein soll. Die Feststellung, daß der Bub seiner Mutter den Vorfall erzählte, findet Deckung in der (verlesenen) Aussage des Beschwerdeführers (S 35); es bedurfte hiezu keiner Verwertung nicht verlesener Aussagen.

Die Rechtsrüge (Z "9") läßt eine prozeßordnungsgemäße Ausführung vermissen. Indem sie ausschließlich auf eine "Verleitung" und auf im Zusammenhang mit diesem Begriff behauptete "fließende Grenzen des § 207 zu § 204" - übersehen wird, daß die letztgenannte Bestimmung nicht mehr dem Rechtsbestand angehört (s BGBl 1989/243) - sowie "zum straflosen Verhalten" abstellt, verkennt sie, daß dem Beschwerdeführer jeweils der erste Deliktsfall der §§ 207 Abs 1 und 212 Abs 1 StGB, nämlich Mißbrauch zur Unzucht (auf andere Weise als durch Beischlaf) zur Last liegt und nicht der zweite (Verleiten zu einer unzüchtigen Handlung mit einer anderen Person) oder der dritte (Verleiten zu einer unzüchtigen Handlung an sich selbst, um sich oder einen Dritten geschlechtlich zu erregen) Fall der §§ 207 Abs 1 und 212 Abs 1 StGB. Demnach betrifft das Vorbringen zu diesem Nichtigkeitsgrund kein dem angefochtenen Urteil zugrunde liegendes Tatbestandsmerkmal.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher teils als unbegründet gemäß § 285 d Abs 1 Z 2 StPO, teils als nicht dem Gesetz entsprechend ausgeführt gemäß der Z 1 der soeben zitierten Gesetzesstelle iVm § 205 a Z 2 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Berufung des Angeklagten fällt demnach in die Zuständigkeit des Gerichtshofes zweiter Instanz (§ 285 i StPO).

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