OGH 15Os39/15x

OGH15Os39/15x22.7.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Juli 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Leisser als Schriftführerin in der Strafsache gegen Bayram C***** wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 18. Dezember 2014, GZ 95 Hv 136/14m‑28, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0150OS00039.15X.0722.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Bayram C***** ‑ abweichend von der wegen §§ 15, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB erhobenen Anklage (ON 19) ‑ des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (I./) und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er am 26. September 2014 in Wien

I./ „Bekir K***** durch Gewalt und gefährliche Drohung zu einer Handlung genötigt, nämlich dem Öffnen der Eingangstüre, indem er Bekir K***** mit einem Pfefferspray besprühte und mit dem Messer Stichbewegungen gegen Meliha Ca***** ausführte, die in Begriff stand, die Schiebetüre zu schließen;

II./ durch die unter Punkt I./ beschriebene Tat Meliha Ca***** vorsätzlich am Körper verletzt, wodurch sie Schnittwunden am Mittel- und Zeigefinger der linken Hand erlitt“.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die ihr Ziel verfehlt.

Unvollständig (Z 5 zweiter Fall) ist eine Urteilsbegründung, wenn sie erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse nicht erörtert. Diese müssen die Eignung haben, die dem Gericht durch die Gesamtheit der übrigen Beweisergebnisse vermittelte Einschätzung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen einer entscheidenden Tatsache maßgeblich zu beeinflussen (RIS‑Justiz RS0116877 [T1]).

Soweit die Rüge eine Unvollständigkeit behauptet, weil das Erstgericht in Bezug auf die Feststellung, dass der Angeklagte, „durch die Worte von Bekir K***** und Meliha Ca***** wachgerüttelt“, seinen ursprünglichen Tatplan freiwillig aufgab und „nur noch das Geschäft verlassen“ wollte (US 4), die (weitere) Verantwortung des Angeklagten, er habe aufgrund der Hilfeschreie der Opfer Angst bekommen und habe auch gefürchtet, dass die Polizei komme und er nicht weg könne (ON 27 S 7 und 9), unerörtert gelassen habe, lässt sie außer Acht, dass der Angeklagte nach seiner Verantwortung erst nach seiner Forderung „ihn rauszulassen“ sowie der Erklärung, dass er „nichts genommen und nichts gemacht habe“, Hilferufe von K***** und Ca***** vernommen hätte, die ihm Angst gemacht hätten (ON 27 S 7). Da diese Depositionen in ihrem Gesamtzusammenhang somit einer freiwilligen Aufgabe des Raubversuchs nicht entgegenstehen, war das Erstgericht nicht gehalten, sich im Detail damit auseinanderzusetzen.

Im Übrigen haben die Tatrichter die zum Rücktritt vom Versuch getroffenen Feststellungen ‑ logisch und empirisch mängelfrei ‑ auf die gesamte Einlassung des Angeklagten (US 4 f) sowie auf die Angaben der Zeugen K***** und Ca***** gestützt, die beide bestätigten, dass der Angeklagte sie mehrfach aufgefordert habe, die Eingangstüre zu öffnen, damit er das Verkaufslokal ohne Schmuck verlassen könne (US 6).

Die nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin unzureichend berücksichtigte „Rangelei um den Schmuck“ (ON 27 S 10; vgl aber US 3) ereignete sich nach der Einlassung des Angeklagten vor dem vom Erstgericht festgestellten Abbruch der Raubhandlung und war dafür nicht kausal (US 3). Einer gesonderten Erörterung bedurfte es daher nicht.

Indem die Rüge anhand eigener Beweiswerterwägungen aus dieser „Rangelei“ und aus den festgestellten Hilferufen von Meliha Ca***** (US 3) andere als die erstrichterlichen Feststellungen anstrebt, wendet sie sich bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) legt nicht dar, warum es ausgehend von den erstgerichtlichen Konstatierungen, wonach Bayram C***** „durch die Worte von Bekir K***** und Meliha Ca***** wachgerüttelt […] seinen ursprünglichen Tatplan freiwillig auf[gab]“ und „nur noch das Geschäft verlassen“ wollte, er während des Schlagens gegen die Schiebetüre und der Ausführung der Stichbewegungen mit dem Messer bereits schrie, dass „er nur noch hinaus wolle und sie ihm öffnen sollten“, sowie nach Betätigung des Türöffners durch Bekir K***** das Geschäft verließ, „ohne Schmuck oder sonstiges mitzunehmen, obwohl es ihm leicht möglich gewesen wäre, dies zu tun“ (US 4), an der Freiwilligkeit gemangelt hätte (vgl Hager/Massauer in WK2 StGB §§ 15, 16 Rz 134, 136 und 137).

Der Einwand eines Feststellungsmangels zur „Rauferei“ zwischen dem Angeklagten und K***** um die Schmuckstücke und zur Frage, ob der Angeklagte von der weiteren Tatausführung freiwillig oder aufgrund des erfolgreichen Widerstands des Opfers abließ, übergeht die ohnehin getroffene Konstatierung, dass der Angeklagte versuchte, K***** die ausgesuchten Schmuckstücke zu entreißen, dieser daraufhin den Schmuck hinter dem Verkaufstresen fallen ließ und in das Hinterzimmer zu seiner Lebensgefährtin flüchtete (US 3).

Die Rechtsrüge macht in diesem Zusammenhang nicht deutlich, weshalb die zeitlich vor dem festgestellten Rücktritt vom Versuch liegende „Rauferei“ den erst in weiterer Folge konstatierten freiwilligen Rücktritt vom Versuch bei weiter offen stehendem Zugriff auf den Schmuck ausschließen sollte.

Das Feststellungen zu Hilferufen der Opfer und zur Angst des Angeklagten vor der Polizei vermissende Vorbringen zeigt keine weiteren Konstatierungen indizierende Beweisergebnisse auf, sondern strebt unter Negieren der dazu getroffenen Urteilsannahmen, wonach die Zeugin Ca***** um Hilfe rief (US 3) und der Angeklagte durch die Worte von K***** und Ca***** wachgerüttelt (und demnach nicht aus Angst vor der Polizei oder vor Entdeckung) seinen ursprünglichen Tatplan freiwillig aufgab, andere, für den Standpunkt der Beschwerdeführerin sprechende Feststellungen an.

Demgemäß wird auch die auf das zur Rechtsrüge erstattete Vorbringen verweisende Subsumtionsrüge (Z 10) nicht prozessförmig zur Darstellung gebracht.

Soweit die Beschwerde schließlich für einen Schuldspruch wegen eines zum Nachteil des Bekir K***** begangenen (vollendeten) Vergehens nach § 83 Abs 1 StGB durch die Anwendung von Pfefferspray gegen dessen Gesicht (US 3) Feststellungen zur subjektiven Tatseite begehrt, vernachlässigt sie, dass ‑ von ihr ungerügt ‑ auch keine Konstatierungen dahingehend vorliegen, dass überhaupt eine nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung der Sehkraft des K***** eingetreten ist (vgl Burgstaller/Fabrizy in WK2 StGB § 83 Rz 8 ff), sohin eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung nach den Urteilsannahmen schon objektiv nicht vorliegt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung ergibt (§ 285i StPO).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte