Spruch:
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht bewilligt.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Hannes T***** des Vergehens der Schändung nach § 205 Abs 2 StGB idF BGBl I 1974/60 (I.1.), des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB (I.2.), des Vergehens des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen nach §§ 15, 207b Abs 3 StGB (II.), der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (III.), der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (IV.), der Vergehen der pornografischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 StGB (V.) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (VI.) schuldig erkannt.
Der Angeklagte meldete am 21. Jänner 2010 Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an (ON 58), worauf dem Verteidiger Dr. Helge D***** im elektronischen Rechtsverkehr am 9. Februar 2010 eine Urteilsausfertigung zugestellt wurde (ON 1/S 26; siehe auch den vom Verteidiger mit - unjournalisiert im Akt erliegender - Eingabe vom 24. März 2010 vorgelegten Sendebericht).
Die Rechtsmittelfrist endete demnach am 9. März 2010. Eine Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel langte jedoch erst am 12. März 2010 (laut Poststempel aufgegeben am 10. März 2010) beim Landesgericht Eisenstadt ein (ON 67).
Mit dem am 23. März 2010 zur Post gegebenen Schriftsatz vom 22. März 2010 (unjournalisiert im Akt) beantragte Dr. D***** die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Rechtsmittel und führte diese zugleich aus. Der Verteidiger brachte dazu vor, dass es für seine schon jahrelang tätige und äußerst versierte Sekretärin das erste Mal gewesen sei, dass ein Urteil elektronisch zugestellt wurde. Normalerweise werde das ERV-Computer-System täglich abgerufen, sodass das Hinterlegungsdatum auch dem Empfangsdatum entspreche. Am 9. Februar 2010 sei jedoch das System ausnahmsweise nicht abgerufen worden. Der Sekretärin sei das allerdings nicht bekannt gewesen, weil sie an diesem Tag einen Urlaubstag hatte. Aus diesem Grund habe sie angenommen, dass das Empfangsdatum 10. Februar 2010 mit dem Hinterlegungsdatum ident sei. Davon ausgehend habe sie die Rechtsmittelfrist mit 10. März 2010 im Fristenbuch eingetragen.
Der Sendebericht, aus dem sich die Hinterlegungszeit 9. Februar 2010, 00:05 Uhr, ergibt, sei nicht ausgedruckt und ihm daher auch nicht vorgelegt worden. Erst im Zusammenhang mit der Abfertigung des Rechtsmittels am 10. März 2010 sei er von der Sekretärin darauf hingewiesen worden, dass das Urteil per ERV-Computer-System zugestellt worden war. Daraufhin sei erstmals der Sendebericht abgerufen und ausgedruckt worden, sodass er erst zu diesem Zeitpunkt feststellen habe können, dass die Hinterlegung bereits am 9. Februar 2010 erfolgt war.
Es liege daher ein unvorhersehbares Hindernis vor, welches den Rechtsmittelwerber gehindert habe, rechtzeitig sein fristgerecht angemeldetes Rechtsmittel auszuführen.
Rechtliche Beurteilung
Der Wiedereinsetzungsantrag ist nicht berechtigt.
Nach § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist einem Angeklagten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Frist zu bewilligen, sofern er nachweist, dass ihm die Einhaltung der Frist durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, es sei denn, dass ihm oder seinem Vertreter ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt. Die Strafprozessordnung macht insofern keinen Unterschied, ob ein zur Fristversäumnis führendes Versehen dem Angeklagten oder seinem Verteidiger, der einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab unterliegt, unterlaufen ist (RIS-Justiz RS0101272). Organisationsverschulden, für das der Standard einer gut organisierten Rechtsanwaltskanzlei gilt, schließt in aller Regel die Wiedereinsetzung aus (12 Os 8/09g; Lewisch, WK-StPO § 364 Rz 35).
Im vorliegenden Fall wurde die angefochtene Entscheidung bereits am 9. Februar 2010 um 00:05 Uhr zugestellt (elektronisch hinterlegt; vgl zur Zustellung durch Einlangen der Daten in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers § 89d Abs 2 GOG), der Empfang (durch Abrufen des ERV-Computer-Systems) erfolgte jedoch laut Sendebericht erst am 10. Februar 2010 um 17:30 Uhr. Diese zeitliche Differenz ist nach der Behauptung des Wiedereinsetzungswerbers darauf zurückzuführen, dass das ERV-Computer-System am 9. Februar 2010 - aus unbekannten, im Antrag nicht spezifizierten Gründen - nicht abgerufen wurde, was der Sekretärin wegen urlaubsbedingter Abwesenheit nicht bekannt gewesen sei.
Der Verteidiger wäre jedoch verpflichtet gewesen, die Organisation seines Kanzleibetriebs so zu gestalten, dass entweder ein täglicher Abruf des ERV-Computer-Systems gewährleistet ist oder auf jeden Fall zumindest auch der Sendebericht der im elektronischen Weg übermittelten Entscheidung angeschlossenen wird.
Da der Verteidiger die Einrichtung eines derartigen Kontrollsystems zur Überwachung von Fristen unterließ, liegt ein Versehen minderen Grades nicht mehr vor.
Die begehrte Wiedereinsetzung wird daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung des Verteidigers - nicht bewilligt.
Im Hinblick darauf ist die mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbundene Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde, zumal auch bei deren Anmeldung keiner der in § 281 Abs 1 Z 1 bis 11 StPO angegebenen Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnet wurde, als verspätet zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1 Z 1, 285a Z 2 StPO).
Dieser Erledigung wäre sie im Übrigen auch bei Rechtzeitigkeit zuzuführen gewesen, da sie zum Teil (Z 4 und 5) offenbar unbegründet ist bzw sich unter Anführung selektiv herausgegriffener Aussageteile und spekulativer Erwägungen in der Bekämpfung der formell einwandfreien Beweiswürdigung des Erstgerichts erschöpft, zum Teil (Z 9 lit a) die zur prozessordnungsgemäßen Ausführung dieses Nichtigkeitsgrundes notwendige Orientierung am Urteilssachverhalt vermissen lässt. Für ein amtswegiges Vorgehen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO) bietet das angefochtene Urteil keinen Anlass.
Zur Entscheidung über die Berufung ist somit das Oberlandesgericht Wien zuständig (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)