Spruch:
Es verletzen
l./ der Beschluss der Ratskammer des Landesgerichtes Linz vom 20. Februar 2002, AZ 23 Ur 31/02y, §§ 41 Abs 3 und 220 Abs 3 StPO;
2./ die Unterlassung der Zustellung einer Ausfertigung dieses Beschlusses an den Angeklagten Roland P***** §§ 77 Abs l, 79 Abs 1 StPO.
Text
Gründe:
Im Strafverfahren AZ 28 Hv 9/02m (vormals 16 Ur 4/02t) des Landesgerichtes Linz gab der Untersuchungsrichter mit Beschluss vom 8. Jänner 2002 dem wegen des Verdachtes des Verbrechens des versuchten Raubes nach §§ 15, 142 Abs l StGB am selben Tag in Untersuchungshaft genommenen Roland P***** einen Pflichtverteidiger nach § 42 Abs 2 StPO und ersichtlich von Amts wegen (§ 41 Abs 4 StPO) einen Verfahrenshilfeverteidiger gemäß § 41 Abs l Z 3, Abs 2 StPO bei (S 3). Hierauf bestellte der Ausschuss der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer mit Bescheid vom 11. Jänner 2002 Rechtsanwalt Mag. Klaus H***** zum Pflichtverteidiger (S 105) und mit Bescheid vom 16. Jänner 2002 gemäß § 45 RAO zum Verfahrenshilfeverteidiger (ON 18).
Nachdem Roland P***** am 16. Jänner 2002 auf Einspruch gegen die Anklageschrift verzichtet hatte, übermittelte der Untersuchungsrichter den Akt sogleich dem Vorsitzenden des Schöffengerichtes (§ 210 Abs l StPO; S 3 verso), der am 21. Jänner 2002 die Hauptverhandlung für l. März 2002 anordnete (S 3a verso).
In einer am 22. Jänner 2002 bei Gericht eingelangten, gegen die Verteidigerbeigebung nach § 41 Abs 2 StPO erhobenen Beschwerde beantragte Mag. H*****, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass für den wirtschaftlich leistungsfähigen Angeklagten ein Amtsverteidiger gemäß § 41 Abs 3 StPO bestellt werde (ON 11).
Nach Anhörung der Staatsanwaltschaft und Einholung einer Lohnauskunft änderte die Ratskammer in Stattgebung dieser Beschwerde mit Beschluss vom 20. Februar 2002, AZ 23 Ur 31/02y (ON 17), den angeführten Beschluss des Untersuchungsrichters dahin ab, dass Roland P***** sofern er bislang selbst keinen Verteidiger gewählt hat von Amts wegen ein Verteidiger beigegeben wird, dessen Kosten er zu tragen hat (Amtsverteidiger gemäß § 41 Abs 3 StPO), weil der nicht sorgepflichtige Angeklagte hiezu auf Grund seines (bis zur Verhaftung bezogenen) monatlichen Nettoeinkommens von 1.450 Euro ohne Beeinträchtigung des zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhaltes in der Lage sei (S 141).
Diese Entscheidung wurde über Verfügung des Vorsitzenden des Schöffengerichtes vom 20. Februar 2002 nur dem vormaligen Verfahrenshilfeverteidiger Mag. H***** zugestellt und dem Ausschuss der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer ua mit dem Hinweis übermittelt, dass der Angeklagte (obwohl er nach Aktenlage zur Bestellung eines Wahlverteidigers nicht aufgefordert wurde) selbst keinen Verteidiger gewählt habe (S 3 b verso). Mit Bescheid vom 27. Februar 2002 bestellte der genannte Ausschuss Mag. H***** nunmehr zum Amtsverteidiger gemäß § 41 Abs 3 StPO (ON 24), der den Angeklagten im weiteren Verfahren verteidigte und seiner Darstellung zufolge dem Genannten anlässlich einer Intervention am 26. Februar 2002 die vorerwähnte Ratskammerentscheidung ausgehändigt habe (ON 47).
Mit dem nach erfolgloser Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten am 19. November 2002 rechtskräftig gewordenen Urteil des Landesgerichtes Linz vom l. März 2002, GZ 28 Hv 9/02m-22, war über Roland P***** wegen des Verbrechens des versuchten Raubes nach §§ 15 Abs l, 142 Abs l StGB eine Freiheitsstrafe von 2 1/2 Jahren verhängt worden, aus der er am 24. März 2003 bedingt entlassen wurde. Mit Beschluss vom 24. Oktober 2003 bestimmte das Landesgericht Linz die Kosten des Amtsverteidigers Mag. H***** mit 5.316,00 Euro (ON 50). Über Beschwerden des Verteidigers und des Roland P*****, der den Erhalt der oben angeführten Ratskammerentscheidung in Abrede stellt (unjournalisiertes Schreiben nach ON 51), hat das Oberlandesgericht Linz noch nicht entschieden.
Rechtliche Beurteilung
Wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde in den wesentlichen Punkten zutreffend aufzeigt, stehen der Ratskammerbeschluss und die Unterlassung der Zustellung einer Beschlussausfertigung an Roland P***** mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Gemäß § 41 Abs l StPO bedarf der Beschuldigte/Angeklagte ua für die Dauer der Untersuchungshaft (Z 3), in der Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht (Z l) sowie zur Ausführung einer Nichtigkeitsbeschwerde und für den Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über eine solche oder über eine Berufung gegen ein Urteil des Schöffengerichtes (Z 4) eines Verteidigers (notwendige Verteidigung). Diesfalls ist der unvertretene Beschuldigte/Angeklagte gemäß § 43 Abs 3 erster Satz StPO (unter Bestimmung einer Frist; vgl Danek, WK-StPO § 220 Rz 11 und EvBl 2004/25) zunächst aufzufordern, einen Verteidiger zu wählen oder die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers (Abs 2) zu beantragen. Unterlässt er dies, so ist ihm bei aktenkundigem Vorliegen der in § 41 Abs 2 StPO normierten Verfahrenshilfekriterien nach § 41 Abs 4 StPO von Amts wegen ein Verfahrenshilfeverteidiger beizugeben, dessen Kosten er nicht oder nur zum Teil (§ 393 Abs 1a StPO) zu tragen hat (13 Os 90/03). Kommt das Strafgericht zur Auffassung, dass die Verfahrenshilfevoraussetzungen von Anfang an nicht vorlagen oder zufolge der verbesserten Einkommens- und Vermögenssituation des Beschuldigten/Angeklagten nicht mehr gegeben sind, so ist die Beigebung im Sinne des § 41 Abs 2 StPO zu widerrufen (dh die Verfahrenshilfe zu entziehen), der beigestellte Verfahrenshilfeverteidiger („ex nunc") zu entheben und dem Beschuldigten/Angeklagten bei notwendiger Verteidigung nach vorheriger Aufforderung und Verstreichen der zur Bestellung eines Wahlverteidigers bestimmten Frist mit neuem Beschluss ein (kostenpflichtiger) Amtsverteidiger nach § 41 Abs 3 zweiter Satz StPO beizugeben (Achammer, WK-StPO § 41 Rz 21, 47; § 42 Rz 6). Ohne ordnungsgemäß erfolgte Aufforderung ist die dem Angeklagten Kosten verursachende Beigebung eines Amtsverteidigers nicht zulässig (Danek, WK-StPO § 220 Rz 11; EvBl 2004/25).
Die Kompetenz zur Bestellung eines Verfahrenshilfe- oder Amtsverteidigers obliegt im Vorverfahren dem Untersuchungsrichter. Im Zwischenverfahren (Prozessstadium nach rechtskräftiger Versetzung in den Anklagestand bis zum Beginn der Hauptverhandlung) hat gemäß § 220 Abs 3 StPO der Vorsitzende des Schöffengerichtes für die Bestellung eines Verteidigers (§ 41 StPO) Vorsorge zu treffen (vgl Achammer, WK-StPO § 41 Rz 33, 45; SSt 51/37).
Dem im Vorverfahren nach § 45 RAO bestellten Verfahrenshilfeverteidiger steht wegen seines rechtlichen Interesses (kein Honoraranspruch) jedenfalls prozessrechtlich das unbefristete (Fabrizy, StPO9 Rz la; Tipold, WK-StPO Rz 14 jeweils zu § 113 StPO) Beschwerderecht gemäß § 113 Abs l StPO an die Ratskammer zu (Achammer, WK-StPO § 41 Rz 38; EvBl 2001/24; RZ 2002/1; 11 Os 161/00), womit dies sei zur Vermeidung von Missverständnissen beigefügt über standesrechtliche Anfechtungsschranken zB aus Treue- und Verschwiegenheitsverpflichtungen (§§ 9, 16 Abs 2 RAO; § 10 RL-BA) keine Aussage getroffen ist. Gegenstand eines solchen Beschwerdeverfahrens ist die Überprüfung des Bestellungsbeschlusses dahin, ob der Untersuchungsrichter auf Basis der damals aktuellen Einkommens- und Vermögenssituation des Beschuldigten das Vorliegen der in § 41 Abs 2 StPO genannten Verfahrenshilfevoraussetzungen zu Recht oder zu Unrecht angenommen hat.
Die Entscheidung der Ratskammer war im vorliegenden Fall im Umfang der Beseitigung des angefochtenen Ausspruchs auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers nach § 41 Abs 2 StPO zulässig.
Soweit die Wahrungsbeschwerde dementgegen vermeint, eine reformatorische Entscheidung, welche die Kompetenz zur Abänderung einer verfügten Verfahrenhilfeverteidigung voraussetzt, könne die Ratskammer im Beschwerdeverfahren angesichts der nach Verfahrensabschnitten differenzierenden Zuständigkeitsregelung nur solange treffen, als auch dem Untersuchungsrichter die Befugnis zur Entscheidung über die Verteidigerbeigebung nach § 41 Abs 2 oder Abs 3 StPO (noch) zukomme, weil aber vorliegend das Vorverfahren mit Rechtskraft der Anklageschrift am 16. Jänner 2002 beendet gewesen sei, sei gemäß § 220 Abs 3 StPO die Kompetenz zur Verteidigerbeigabe nach § 41 Abs 2 oder Abs 3 StPO im daran anschließenden Zwischenverfahren ausschließlich dem Vorsitzenden des Schöffengerichtes zugekommen, sodass die Ratskammer in ihrer Funktion als dem Untersuchungsrichter übergeordnete Beschwerdeinstanz nicht mehr zur Aufhebung der bis dahin wirksam gewordenen (rückwirkend nicht abänderbaren [vgl Achammer, WK-StPO § 41 Rz 20; SSt 46/27]) Verfahrenshilfeverteidigung legitimiert gewesen sei, sie vielmehr die Beschwerde entweder abweisen, oder bei der (fallaktuell im unbeanstandbaren Ermessensrahmen vorgenommenen) Annahme, dass der Untersuchungsrichter auf Grund der damals aktuellen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Roland P***** das Vorliegen der Verfahrenshilfevoraussetzungen zu Unrecht bejaht habe, mit einem Feststellungsbeschluss nach § 113 Abs 2 StPO vorgehen und den (Beschwerde-)Antrag des Verfahrenshilfeverteidigers auf Beigabe eines Amtsverteidigers nach § 41 Abs 3 StPO zurückweisen hätte müssen (vgl Achammer, WK-StPO § 41 Rz 21), wird diese Rechtsansicht vom Obersten Gerichtshof nicht geteilt.
Ist eine nach § 113 Abs 1 StPO zulässige Beschwerde berechtigt, so hat ihr die Ratskammer Folge zu geben und den angefochtenen Beschluss abzuändern oder aufzuheben (Tipold, WK-StPO § 113 Rz 22). Lediglich dann, wenn die Beschwerde berechtigt war, aber inzwischen gegenstandslos geworden ist, beschränkt sich die Entscheidung auf die bloße Feststellung einer Verletzung oder unrichtigen Anwendung des Gesetzes (§ 113 Abs 2 StPO). Demnach war die über das Rechtsmittel des Verteidigers entscheidende Ratskammer im konkreten Fall ungeachtet dessen zur Beseitigung der noch nicht gegenstandslosen, sondern fortwirkenden Beigebung eines Verteidigers nach § 41 Abs 2 StPO legitimiert, dass sich das Strafverfahren bereits im Stadium des Zwischenverfahrens befand.
Jedoch widersprach die sofortige Beigebung eines Amtsverteidigers gemäß § 41 Abs 3 zweiter Satz StPO mit der „Auflage", „sofern er (Roland P*****) bislang selbst keinen Verteidiger gewählt hat", dem Gesetz, weil eine solche wie ausgeführt nur nach ordnungsgemäß erfolgter Aufforderung zur Namhaftmachung eines Wahlverteidigers (§ 41 Abs 3 erster Satz StPO) und Verstreichen der hiefür gesetzten Frist zulässig ist (Danek, WK-StPO; § 220 Rz 11; EvBl 2004/25), demnach aber auch nicht der Ratskammer, sondern im vorliegenden Verfahrensstadium ausschließlich dem nach § 220 Abs 3 StPO zuständigen Vorsitzenden des Schöffengerichts zukommen konnte. Die Entscheidung der Ratskammer hätte sich daher im konkreten Fall ohne formelle Zurückweisung des im Rahmen der als berechtigten erkannten Beschwerde gestellten Antrags auf Beigebung eines Verteidigers nach § 41 Abs 3 StPO darauf zu beschränken gehabt, den Beschluss nach § 41 Abs 2 StPO aufzuheben.
Mit dieser von der Ratskammer am 20. Februar 2002 der Sache nach beschlossenen Beseitigung des Beschlusses nach § 41 Abs 2 StPO einschließlich der wenngleich gesetzwidrig beschlossenen Beigebung eines Amtsverteidigers erlosch die Vertretungsbefugnis des bisherigen Verfahrenshilfeverteidigers Mag. H***** (Achammer, WK-StPO § 42 Rz 7). Bis zu dessen Bestellung als Amtsverteidiger mit Bescheid der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 27. Februar 2002 (ON 24) war demnach Roland P***** unvertreten und es war für diesen Zeitraum die Bestimmung des § 79 Abs 4 erster Satz StPO (Zustellung an den Verteidiger) nicht anwendbar. Deshalb hätte der Vorsitzende des Schöffengerichtes in seiner am 20. Februar 2002 getroffenen Verfügung (S 3b verso) gemäß §§ 77 Abs l, 79 Abs 1 StPO die Zustellung einer Ausfertigung des entgegen der Meinung der Generalprokuratur im Umfang der Beigebung nach § 41 Abs 3 StPO anfechtbaren (§ 41 Abs 7 StPO) Ratskammerbeschlusses an Roland P***** (zu eigenen Handen) veranlassen müssen (vgl Achammer, WK-StPO § 41 Rz 60).
Die mit der Beigebung durch die Ratskammer erfolgte Vertretung des Angeklagten durch den kostenpflichtigen Amtsverteidiger kann als faktischer Vorgang nicht rückgängig gemacht werden (vgl 13 Os 19/74); die aufgezeigten Gesetzesverletzungen waren festzustellen und werden vom Oberlandesgericht Linz bei der Entscheidung über die Beschwerden gegen den Kostenbeschluss zu berücksichtigen sein (vgl OLG Wien 19 Bs 520/96).
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