OGH 15Os27/21s

OGH15Os27/21s31.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. März 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinksi, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen L***** D***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 vierter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 14. September 2020, GZ 22 Hv 3/20m‑26, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0150OS00027.21S.0331.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde L***** D***** des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (A./) und des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 vierter Fall StGB (B./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in L*****

A./) gegen seine Ehefrau Z***** A***** eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er ihr von etwa Ende Mai 2014 bis 23. Februar 2019 mindestens zwei Mal im Monat Fußtritte gegen die Oberschenkel, das Gesäß oder gegen den Rücken, leichte Schläge mit der Hand gegen den Hinterkopf sowie unvermittelt Stöße gegen den Körper versetzte, wodurch sie teilweise Hämatome an diesen Körperstellen sowie am 23. Februar 2019 durch Faustschläge gegen den Rücken eine Prellung der linken Brustkorbhälfte erlitt, sowie dadurch, dass er sie zumindest einmal mit der Hand am Hals so fest packte, dass sie Krämpfe erlitt;

B./) im Juni 2018 Z***** A***** mit Gewalt zur Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich zur Durchführung eines Oralverkehrs genötigt, indem er sie an den Schultern und am Hals packte, auf ein Sofa drückte und sie durch einen festen Griff im Bereich des Nackens zwang, den Mund zu öffnen, ihr seinen Penis in den Mund drückte und sie zwang, einen Oralverkehr an ihm vorzunehmen, wobei er sie dadurch in besonderer Weise erniedrigte, dass er ihr in den Mund ejakulierte.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf Z 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

[4] Eine unter Nichtigkeitsdrohung stehende Begründungspflicht besteht ausschließlich für den Ausspruch über entscheidende Tatsachen (RIS‑Justiz RS0099497, RS0117499). Entscheidend ist eine Tatsache dann, wenn die Feststellung ihres Vorliegens oder Nichtvorliegens entweder die rechtliche Entscheidung über Schuld‑ oder Freispruch oder – im Fall gerichtlicher Strafbarkeit – darüber beeinflusst, welche strafbare Handlung begründet wurde (RIS‑Justiz RS0117264).

[5] Die Konstatierungen des Erstgerichts, dass ein (früheres) Strafverfahren gegen den Angeklagten eingestellt bzw eine weitere Anzeige wegen Körperverletzung diversionell erledigt wurde (US 3), betreffen keine in diesem Sinn entscheidende Tatsache, sodass die Kritik einer offenbar unzureichenden Begründung (Z 5 vierter Fall) ins Leere geht.

[6] Gleichfalls keine entscheidenden Tatsachen betreffen die Feststellungen, wonach der Angeklagte und seine Ehefrau dem Alkohol „zusprachen“ (US 3) und er sie wiederholt als Alkoholikerin „diffamiert“ und „dadurch eingeschüchtert“ habe (US 4). Wieso diese Aussagen „undeutlich, unvollständig oder mit sich selbst im Widerspruch“ sein sollten (Z 5 erster, zweiter und dritter Fall), macht die Beschwerde im Übrigen nicht klar.

[7] Weshalb eine von der Rüge behauptete Alkoholabhängigkeit der A***** den erstgerichtlichen Konstatierungen erörterungsbedürftig entgegenstehen sollte (Z 5 zweiter Fall), vermag der Rechtsmittelwerber mit dem allgemeinen Hinweis, dass Alkoholsucht Verhaltensstörungen verursache, nicht darzulegen.

[8] Mit eigenständigen Erwägungen zum Alkoholkonsum der Zeugin sowie mit Spekulationen darüber, dass die von ihr geschilderten Verletzungen Folge von durch ihren Alkoholmissbrauch verursachten Stürzen sein könnten, vermag die Rüge keinen Begründungsmangel im Sinn des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes aufzuzeigen, sondern kritisiert lediglich die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Berufung wegen Schuld.

[9] Der exakte Tatzeitpunkt (zu B./) betrifft gleichfalls keine entscheidende Tatsache (RIS‑Justiz RS0098557; Lendl, WK‑StPO § 260 Rz 14). Im Übrigen wird nicht klar, weshalb die Feststellungen dazu („zu einem unbestimmten Zeitpunkt im Juni 2018“ [US 1] und „im Juni 2018“ [US 4]) im Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zu den beweiswürdigenden Überlegungen („entweder am 4. Juni 2018 oder an einem anderen Tag im Juni, jedenfalls vor dem 11. Juni“ [US 8]) sein sollten.

[10] Die Subsumtionsrüge (Z 10) vermisst zu A./ ausreichende Feststellungen zu den einzelnen Tathandlungen und zur Eingriffsintensität, „auch speziell für die subjektive Tatseite“.

[11] Sie vernachlässigt dabei aber – entgegen den Anforderungen für die Geltendmachung materiell‑rechtlicher Nichtigkeit (vgl RIS‑Justiz RS0099810) – die bezughabenden Feststellungen, wonach der Angeklagte seiner Ehegattin mindestens zweimal im Monat, im Jahr 2018 fast täglich, Stöße gegen den Körper versetzte, wodurch sie gegen Möbel prallte oder zu Boden stürzte, ihr weiters Fußtritte mit und ohne Schuhe gegen den Oberschenkel, das Gesäß und den Rücken sowie leichte Schläge mit der Hand gegen den Hinterkopf versetzte, wodurch sie fallweise Hämatome und einmal eine Brustkorbprellung erlitt (US 3 f). Zur subjektiven Tatseite konstatierten die Tatrichter, der Angeklagte habe es ernstlich für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, dass er fortgesetzt Gewalt gegen seine Ehegattin ausübte und sich seine wiederholten Misshandlungen über längere Zeit erstreckten und in einer gewissen Regelmäßigkeit vorkamen (US 4). Welche weiteren Feststellungen zur rechtsrichtigen Subsumtion unter den Tatbestand des § 107b Abs 1 StGB erforderlich wären, sagt die Rüge nicht.

[12] Zu B./ bekämpft der Beschwerdeführer die Annahme der Qualifikation des § 201 Abs 2 vierter Fall StGB (Z 10), weil die Ejakulation mit der Befriedigung des Geschlechtstriebs „einhergeht“ und „für sich keine Qualifikation darstellen kann“.

[13] Indem die Beschwerde das Erkenntnis 15 Os 14/07h (dort wurde die Erfüllung der Qualifikation durch Ejakulieren in den Mund angenommen) als „Einzelfallentscheidung“ bezeichnet, die gefestigte ständige Rechtsprechung, nach deren Maßstäben das vom Erstgericht konstatierte Verhalten jedenfalls die Qualifikation des § 201 Abs 2 vierter Fall StGB erfüllt, jedoch außer Acht lässt (vgl die zu RIS‑Justiz RS0095315 [T6] angeführten Entscheidungen), verfehlt sie die gebotene Orientierung an der Verfahrensordnung (RIS‑Justiz RS0116565; 13 Os 20/12h). Im Übrigen wird nicht klar, weshalb das Ejakulieren in den Mund notwendige, nicht mit einer zusätzlichen Demütigung des Opfers verbundene Begleiterscheinung des Oralverkehrs sein sollte (vgl RIS‑Justiz RS0095315; Philipp in WK2 StGB § 201 Rz 33 mwN; Fabrizy StGB13 § 201 Rz 13; Hinterhofer in SbgK § 201 Rz 65).

[14] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sogleich zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen ergibt (§ 285i StPO).

[15] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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