OGH 15Os22/23h

OGH15Os22/23h24.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Mai 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz, Dr. Mann und Dr. Sadoghi in Gegenwart des Mag. Wunsch als Schriftführer in der Strafsache gegen * S* wegen des Vergehens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Schöffengericht vom 3. November 2022, GZ 38 Hv 29/22p‑46, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00022.23H.0524.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Krems an der Donau verwiesen.

Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld wird zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird der Angeklagte auf die aufhebende Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * S* des Vergehens des (richtig:) schweren und gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er im Zeitraum von August 2018 bis Jänner 2022 in G* „gewerbsmäßig Verfügungsberechtigte der Bezirkshauptmannschaft G* mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen verleitet, die das Land Niederösterreich in einem 50.000 Euro nicht übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten, nämlich zur Gewährung und Auszahlung von Sozialleistungen in Form von bedarfsorientierter Mindestsicherung und Heizkostenzuschüssen in einer Gesamthöhe von 37.141,72 Euro, indem er diese Leistungen beantragte und bezog, obwohl er nachweislich seinen ständigen Aufenthalt in Tschechien und nicht im Inland hatte, wobei er verschiedene Scheinwohnsitze in G* anmeldete und diese bei der Beantragung als seine tatsächlichen Wohnsitze auswies bzw seine Lebensgefährtin bei ihm wohnte und über ein regelmäßiges und ausreichendes Einkommen verfügte.“

Rechtliche Beurteilung

 

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, „9a“ und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der Berechtigung zukommt.

[4] Vorauszuschicken ist, dass die (täuschungsbedingte Gewährung und) Auszahlung von Sozialleistungen insoweit einen (nach § 146 StGB tatbestandsmäßigen) Schaden begründet, als die materiellen Leistungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind (RIS‑Justiz RS0133929).

[5] Anspruchsberechtigt nach dem Niederösterreichischen Mindestsicherungsgesetz (NÖ MSG) bzw dem am 1. Jänner 2020 in Kraft getretenen Niederösterreichischen Sozialhilfe-Ausführungsgesetz (NÖ SAG) sowie den jeweiligen Richtlinien für den NÖ Heizkostenzuschuss waren bzw sind – soweit hier relevant – Personen, die ihren Hauptwohnsitz (zum Begriff vgl Art 6 Abs 3 B-VG und § 1 Abs 7 und 8 MeldeG) oder mangels eines solchen ihren Aufenthalt in Niederösterreich haben (§ 5 Abs 1 Z 2 NÖ MSG) bzw die ihren Hauptwohnsitz und ihren tatsächlichen dauernden Aufenthalt in Niederösterreich haben (§ 5 Abs 1 Z 2 NÖ SAG) und die ihren Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln decken können und diesen auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhalten (§ 4 Abs 1 Z 1 NÖ MSG bzw NÖ SAG). Bezüglich der Höhe der Leistungen ist das Einkommen einer im gemeinsamen Haushalt lebenden (hier:) Lebensgefährtin insoweit zu berücksichtigen (§ 8 Abs 2 NÖ MSG bzw NÖ SAG), als es den für diese Personen maßgebenden Mindeststandard (§ 11 Abs 1 NÖ SMG) bzw Richtsatz (§§ 14 bis 17 NÖ SAG) übersteigt.

[6] Für die Frage der Subsumtion unter den Tatbestand des Betrugs nach § 146 StGB ist daher eine (eindeutige) Feststellungsbasis zum Hauptwohnsitz und dem tatsächlichen Aufenthalt der die Sozialleistungen beziehenden Person entscheidend. Im Fall eines hinreichenden örtlichen Anknüpfungspunktesund des Bestehens einer Lebensgemeinschaft ist für die Bejahung eines Vermögensschadens und eines Bereicherungsvorsatzes in Ansehung der in Rede stehenden Versorgungsleistungen zu klären, inwiefern eigenes Einkommen (hier:) einer Lebensgefährtin einen Leistungsanspruch allenfalls ausschließt oder betragsmäßig reduziert.

[7] Im vorliegenden Fall ging das Erstgericht davon aus (US 3), dass der Angeklagte in den von ihm ausgefüllten Anträgen an die Bezirkshauptmannschaft diverse Scheinwohnsitze in G*, und zwar von August 2018 bis 28. Juli 2021 in der *, anschließend bis 7. September 2021 in der * und danach am *, angegeben hat.

[8] Vor diesem Hintergrund zeigt die Mängelrüge einen im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 dritter Fall StPO beachtlichen Widerspruch (RIS‑Justiz RS0117402) auf zwischen der Urteilsaussage, dass sich der Beschwerdeführer „zwischen August 2018 und 2022, vor allem aber zwischen 2019 und 2020“ „nahezu ständig“ im Hotel L* in Tschechien aufhielt, dort auch nächtigte und „faktisch“ die Rolle des Hotelleiters erfüllte (US 5) und den Konstatierungen, wonach er im Juni 2019 „mit einer seiner anderen Lebensgefährtinnen, * M*, zurück in die genannte Wohnung“ (gemeint: in der *) zog, bis sie im Sommer 2021 gemeinsam „in das von * M* offiziell käuflich erworbene Haus“ in der * umzogen, wo er mit dieser im Obergeschoß lebte (US 4).

[9] Dieser Widerspruch zum tatsächlichen Aufenthalt des Angeklagten im Tatzeitraum kann auch nicht durch eine Gesamtschau der Urteilsausfertigung klarstellend aufgelöst werden, vielmehr schlägt er auf die von den Tatrichtern des Weiteren angenommene Täuschungshandlung, dieser habe ferner „das Zusammenleben mit diversen Lebensgefährtinnen, die jeweils über ein eigenes ständiges Einkommen verfügten“, verschwiegen (US 3), durch.

 

[10] Dies erfordert die Aufhebung des Schuldspruchs, womit sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen erübrigt.

[11] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war daher das angefochtene Urteil in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten bereits bei der nichtöffentlichen Beratung aufzuheben (§ 285e StPO), eine neue Hauptverhandlung anzuordnen und die Sache an das Erstgericht zu verweisen.

[12] Dieses wird im zweiten Rechtsgang zu beachten haben, dass hinsichtlich der von der Anklage (ON 18) weiters umfassten Tatvorwürfe im Tatzeitraum von 2014 bis Juli 2018 den Feststellungen zufolge de facto ein – von der Staatsanwaltschaft unbekämpfter – Freispruch erfolgte (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 526; RIS‑Justiz RS0099646), sodass insoweit bereits eine (zum Vorteil des Angeklagten) rechtskräftig entschiedene Rechtssache vorliegt (§ 17 Abs 1 StPO).

[13] Im kollegialgerichtlichen Verfahren ist eine Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld nicht vorgesehen (§ 283 Abs 1 StPO), weshalb auch diese in nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen war (§§ 285d Abs 1, 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO).

[14] Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe war der Angeklagte auf die aufhebende Entscheidung zu verweisen.

[15] Weil der gesamte Schuldspruch zu kassieren war, fallen dem Angeklagten auch keine Kosten des Rechtsmittelverfahrens im Sinn des § 390a Abs 1 StPO zur Last (vgl Lendl, WK-StPO § 390 Rz 7).

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