Spruch:
Den Nichtigkeitsbeschwerden wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch A, ferner hinsichtlich des Angeklagten S***** in der Annahme gewerbsmäßiger Begehung sowie in der rechtlichen Unterstellung der zu B I 1 bis 6 festgestellten Tatsachen unter § 130 erster Fall StGB, demgemäß auch in dem beide Angeklagte treffenden Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten S***** und H***** auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Marcel S***** und Gennadi H***** wurden (A) des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB, Marcel S***** weiters (B I 1 - 6) des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall StGB sowie der Vergehen (C I 1 - 2, II) des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 StGB, (D I und II) der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und (E) der Amtsanmaßung nach § 314 StGB; Gennadi H***** auch (B II) des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB schuldig erkannt.
Danach haben sie, soweit für das Nichtigkeitsverfahren von Relevanz, in Wien und Neusiedl am See teils allein, teils im bewussten und gewollten Zusammenwirken (§ 12 StGB) als Mittäter
A) Marcel S***** und Gennadi H***** mit dem zum Tatzeitpunkt
strafunmündigen Aron Arik D***** am 30. Jänner 2001 mit Gewalt gegen eine Person und durch gefährliche Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89) dem Paul P***** fremde bewegliche Sachen, nämlich 3,64 Euro mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, indem der Strafunmündige den Paul P***** gegen eine Wand drückte, durchsuchte und das Bargeld wegnahm, während Marcel S***** drohend mit einer Kette herumspielte und Gennadi H***** das Mitführen einer Waffe vortäuschte;
B) Marcel S*****
I) fremde bewegliche Sachen anderen mit dem Vorsatz, sich durch deren
Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, gewerbsmäßig weggenommen, nämlich
1) mit den diesbezüglich nicht verfolgten Daniel Ro***** und Roman L***** am 28. November 2000 dem Tobias O***** 152,62 Euro Bargeld;
2) am 21. April 2001 dem Johannes B***** ein Mobiltelefon im Wert von 363,37 Euro, indem er ihm das Handy unter Ausnützung des Überraschungseffektes aus der Hand riss;
3) am 22. April 2001 dem Andrzej Pi***** eine Brieftasche mit 254,36 Euro;
4) am 10. August 2001 Verfügungsberechtigten der Fa. T***** 145,35 Euro;
5) am 2. November 2001 dem Phillip M***** ein Mobiltelefon im Wert von 145,35 Euro;
6) im Sommer 2000 in ca 7 weiteren Angriffen unbekannt gebliebenen Eigentümern Mobiltelefone in nicht mehr feststellbaren Wert.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen je aus Z 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen, getrennt ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden beider Angeklagter (Gennadi H***** bekämpft überdies auch den Sanktionsausspruch aus Z 11 leg cit) erweisen sich im Ergebnis als berechtigt.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S*****:
Die Rechtsrüge (Z 10) moniert, dass der Schöffensenat rechtsirrtümlich die Punkt A des Schuldspruchs zugrundeliegende Tat als Raub nach § 142 Abs 1 und nicht als (minderschweren) Raub nach Abs 2 dieser Gesetzesstelle beurteilt hat.
Zur Privilegierung des minderschweren Raubes müssen (kumulativ) folgende Voraussetzungen vorliegen:
Die angewendete Gewalt darf nicht erheblich sein. Erhebliche Gewalt ist dann anzunehmen, wenn der Täter beachtliche physische Kraft in vehementer Weise einsetzt, wobei die Belastung des Opfers im Vergleich zu Durchschnittsfällen nicht als geringfügig einzustufen ist; ob dies zutrifft, ist nach einem objektiven individualisierenden (strengen) Maßstab unter Berücksichtigung aller konkreten Fallgegebenheiten zu beurteilen. Da § 142 Abs 2 StGB sowohl auf das Mittel der Tat als auch auf die Tatfolgen abstellt, hängt die Beurteilung einer Gewaltanwendung als unerheblich nicht davon ab, ob damit Verletzungsfolgen einhergehen (Leukauf/Steininger Komm3 § 142 Rz 28 und 29). Weil die Bestimmung unter den Tatmitteln nur bei jenen der Gewalt abstuft, schließt eine Raubdrohung, auch wenn mit dem Tod gedroht wird, die Anwendung der Privilegierung nicht aus, es sei denn, dass (iSd § 143 StGB) mit einer Waffe gedroht wird (Leukauf/Steininger aaO Rz 30; Eder-Rieder in WK2 § 142 Rz 62). Im Übrigen darf der Raub nur an einer Sache geringen Wertes begangen worden sein und nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen haben. Nach den Urteilsfeststellungen umstellten S***** und H***** die beiden Burschen (Paul P***** und Martin K*****) Arik D***** verlangte von Paul P***** urspünglich ein Handy und griff ihn dann ab, wobei er seine Geldbörse ertastete. Während dieser Aktion stand Marcel S***** im unmittelbaren Nahebereich und spielte mit seiner Schlüsselkette, während Gennadi H***** seine Hand von oben in seine Daunenjacke gesteckt hatte und zu dem Burschen sagte: "Du wirst schon sehen, was ich darunter habe." Sie vermittelten dem Zeugen den Eindruck, dass womöglich unter der Jacke eine Pistole verborgen wäre. Auch empfand er das Schwingen der Kette als ausgesprochen bedrohlich. K*****, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits sehr fürchtete, sprach P***** noch zu, doch sein Geld herzugeben, was dieser letztendlich auch tat. D***** entriss ihm die herausgenommene Brieftasche und entnahm dieser eine 50 S Banknote (US 7 und 12). Auf S 18 führt das Urteil weiter aus, für den Schöffensenat habe kein Zweifel bestanden, dass "D***** den P***** an der Jacke festhielt und sein Handy verlangte, während S***** und H***** in unmittelbarer Nähe dazu standen, S***** eine Kette schwang und H***** mit der Tasche in der Hand vortäuschte, etwas darunter zu verbergen, was aus dem Zusammenhalt der Situation und der Äußerung, 'er werde schon sehen, was das sei' nur als Hinweis auf eine Waffe verstanden werden konnte". Rechtlich beurteilte das Tatgericht "das Umstellen durch mehrere Personen, das Vortäuschen des Besitzes einer Waffe und das bedrohliche Drehen mit einer Kette im Zusammenhalt als durchaus geeignet, die damit Bedrohten in Furcht und Unruhe zu versetzen, um sie zur Herausgabe des Geldes zu veranlassen", und somit als Verbrechen des Raubes.
Inwieweit durch das Zusammenwirken der Täter erhebliche Gewalt angewendet wurde, lässt sich dem Urteil des Erstgerichtes nicht entnehmen. Weil nähere Feststellungen über Substanz und Ausmaße der Kette fehlen, kann auch nicht beurteilt werden, ob diese als Waffe iSd § 143 StGB anzusehen ist (vgl dazu die Aussage des Angeklagten S***** in der Hauptverhandlung, S 321). Als Waffe wäre eine Kette anzusehen, wenn sie nach Anwendbarkeit und Wirkungsweise einer Waffe im technischen Sinn gleichkommt (vgl Eder/Rieder in WK2 § 143 Rz 18). Das Vortäuschen einer Waffe verwirklicht hingegen nicht diese Qualifikation (Leukauf/Steininger aaO Rz 14; Eder/Rieder aaO Rz 21). Damit reichen die Kostatierungen des Schöffengerichtes nicht zur Beurteilung der Frage aus, ob infolge Drohnung mit einer Waffe recte ein schwerer Raub iSd § 143 StGB vorlag, der eine Privilegierung nach § 142 Abs 2 StGB ausschließen würde. Im Übrigen mangelt es auch an jeglicher Feststellung, ob die Tat allenfalls nur unbedeutende Folgen (vgl dazu Eder/Rieder in WK2 § 142 Rz 60) nach sich gezogen hat. Da derartige Feststellungen vom Obersten Gerichtshof nicht nachgetragen werden können, war das angefochtene Urteil bereits in diesem Punkt aufzuheben und die Neudurchführung des Verfahrens anzuordnen.
Gleichfalls im Recht ist die Beschwerde mit dem Einwand, für die Unterstellung der dem Angeklagten S***** angelasteten Diebstähle in Form gewerbsmäßiger Begehung mangle es an Feststellungen. Gewerbsmäßige Begehung einer strafbaren Handlung erfordert die Absicht, sich durch ihre wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen; sie setzt somit die qualifizierte Vorsatzform im Sinn von § 5 Abs 2 StGB voraus. Dem gewerbsmäßig Handelnden kommt es darauf an, sich durch die ins Auge gefasste Tatwiederholungen eine fortlaufende Einnahmequelle zu öffnen (Jerabek in WK2 § 70 Rz 2). Bei absichtlichem Handeln setzt sich der Täter die Verwirklichung des tatbildmäßigen Unrechts direkt zum Ziel (Mayerhofer StGB5 § 5 E 5).
Die Konstatierung, S***** "habe mit dem Vorsatz gehandelt, sich seine Lehrlingsentschädigung aufzubessern und sich durch die Diebstähle ein Einkommen zu verschaffen" US 21, stellt keine ausreichende Grundlage dar, welche den rechtlichen Schluss auf absichtliches Handeln im Sinn von § 5 Abs 2 StGB gestattet, vielmehr lässt die Konstatierung, dass er mit "Vorsatz" gehandelt habe, die zur absichtlichen Tatverübung erforderliche Zielsetzung im Dunkeln.
Die getroffene Annahme (der Angeklagte hätte sich zur Tatbegehung entschieden, weil er seine Lehrlingsentschädigung aufbessern und sich durch die Diebstähle ein Einkommen verschaffen wollte), stellt ferner keineswegs klar, die Zielsetzung des Angeklagten wäre dahin gegangen, sich durch wiederkehrende Tatbegehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, es ihm also darauf ankam, sich durch die Wiederholung der strafbaren Handlung eine zumindest für einen längeren Zeitraum wirksame Einnahmequelle zu erschließen (Jerabek aaO Rz 7). Damit ist das Urteil auch zu diesen Fakten mit einem Feststellungsmangel behaftet, der Nichtigkeit des Schuldspruchs im Ausspruch der gewerbsmäßigen Begehung bewirkt und daher im genannten Umfang zur Kassierung des Urteils (samt Strafausspruch) führen musste.
Da somit die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist, war die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Im erneuten Verfahren werden die Tatrichter zu Faktum B durch Vernehmung des Angeklagten dessen Zielsetzung bei Tatbegehung zu klären, sodann den Sachverhalt in subjektiver Richtung neu zu beurteilen und entsprechende Feststellungen zu treffen und zu begründen haben.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten H*****:
Im Ergebnis als berechtigt erweist sich die Rechtsrüge (Z 10), welche ebenfalls die Subsumtion des Tatverhaltens zum Spruchfaktum A unter § 142 Abs 2 StGB begehrt. Mit seinem Beschwerdevorbringen ist der Angeklagte auf die Ausführungen in Erledigung der Einwände in der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S***** zu verweisen. Auch in seinem Fall mussten die genannten Feststellungsmängel zur Kassierung des Schuldspruchs zu Punkt A (samt Strafausspruch) führen, wobei gleichfalls im Umfang der Aufhebung die Verfahrenserneuerung anzuordnen war.
Die Erörterung der Einwände zur Z 11 ist im Hinblick auf die Aufhebung des Strafausspruchs entbehrlich.
Mit ihren Berufung waren die Angeklagten auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
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