Spruch:
I. Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben; es werden das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in seinen Schuldsprüchen 1 und 2 sowie demgemäß auch im Strafausspruch und das Adhäsionserkenntnis aufgehoben; im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
II. Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.
III. Mit ihren Berufungen werden die Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
IV. Gemäß § 390a StPO fallen der Angeklagten auch die durch den erfolglos gebliebenen Teil ihrer Nichtigkeitsbeschwerde verursachten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Dagmar S***** der Verbrechen des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB (1), der Erpressung nach § 144 Abs 1 StGB (2) und der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren als Beitragstäterin nach §§ 12 dritter Fall, 209 StGB (3) schuldig erkannt.
Danach hat sie im Raum Sulz-Rankweil
1. in der Zeit zwischen August 1997 und 11. März 1998 mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Franz G***** durch Täuschung über Tatsachen zu Geldzahlungen in unerhobener (gemeint wohl: nicht feststellbarer), jedoch 500.000 S sicher übersteigender Gesamthöhe, sohin zu Handlungen verleitet, welche Franz G***** in dieser Höhe an seinem Vermögen geschädigt haben, indem sie
a) Stefan H***** in mehreren Fällen anstiftete, gegenüber Franz G***** wahrheitswidrig zu behaupten, er habe strafbare Handlungen begangen, nämlich einen fremden Personenkraftwagen der Marke Mercedes beschädigt, einem anderen bei einer Rauferei einen Zahn oder mehrere Zähne ausgeschlagen und zusammen mit zwei anderen Burschen den Vater eines von ihnen Pistolen widerrechtlich weggenommen und damit in Feldkirch auf Tauben geschossen, wobei sie selbst diese falschen Behauptungen gegenüber Franz G***** bestätigte und vortäuschte, daß wegen dieser strafbaren Handlungen bereits Anzeigen erstattet worden seien oder solche drohen würden und daß mit einer Unterbringung des Stefan H***** im Landesjugendheim Jagdberg zu rechnen sei, daß sie jedoch bei Bezahlung bestimmter Beträge in der Lage wäre, die Angelegenheit in Ordnung zu bringen und die nachteiligen Folgen für Stefan H***** abzuwenden, worauf Franz G***** zu diesem Zweck mehrere Geldbeträge an sie bezahlte,
b) Franz G***** vortäuschte, daß er die in nächster Zeit freiwerdende Wohnung der Familie H***** in Rankweil, Churerstraße 34/22, in seinem Namen für den Jugendlichen Stefan H***** erwerben könne, wobei sie ihm wiederholt hohe Geldbeträge nannte und teilweise durch Stefan H***** nennen ließ, welche für diesen Zweck erforderlich seien, worauf Franz G***** mehrere hohe Geldbeträge an sie bezahlte;
2. im Sommer bzw Herbst 1997 zumindest einmal mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Genötigten unrechtmäßig zu bereichern, Franz G***** mit dem Hinweis darauf, daß sie Kenntnis von dessen sexuellen Handlungen mit dem am 9. September 1982 geborenen Jugendlichen Stefan H***** habe, die Bereinigung dieser Angelegenheit für ihn nicht gerade billig sei und er erhebliche Schwierigkeiten bekommen würde, falls er der Bezahlung der von ihr geforderten Geldbeträge nicht zustimme, womit sie ihm zu verstehen gab, daß er diesfalls mit der Erstattung einer Strafanzeige wegen eines Sexualdeliktes zu rechnen habe, sohin durch gefährliche Drohung zu einer Handlung, nämlich zur Bezahlung zumindest eines Geldbetrages von unerhobener (gemeint wohl: nicht feststellbarer) Höhe an sie genötigt, die ihn an seinem Vermögen geschädigt hat;
3. von Herbst 1997 bis März 1998 dadurch, daß sie wiederholt Treffen zwischen Franz G***** und dem am 9. September 1982 geborenen Jugendlichen Stefan H***** vermittelte und teilweise letzteren mit ihrem PKW zu den vereinbarten Treffpunkten brachte, zur Ausführung des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren des Franz G*****, der mit Stefan H***** gleichgeschlechtliche Unzucht trieb, vorsätzlich beigetragen.
Rechtliche Beurteilung
Gegen dieses Urteil richtet sich eine auf die Z 3, 4, 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten; ihr kommt teilweise Berechtigung zu.
Unter dem erstangeführten Nichtigkeitsgrund (Z 3) macht die Beschwerdeführerin geltend, ihr Antrag in der Hauptverhandlung vom 9. Juli 1998 auf Ausschließung der Öffentlichkeit während ihrer Einvernahme sei zu Unrecht abgelehnt worden.
Nach der Z 3 des § 281 Abs 1 StPO liegt dann eine Nichtigkeit vor, wenn in der Hauptverhandlung eine Vorschrift verletzt oder vernachlässigt worden ist, deren Beobachtung das Gesetz ausdrücklich bei sonstiger Nichtigkeit vorschreibt. Die im Gesetz enthaltene Anführung der Vorschriften, deren Verletzung diesen Nichtigkeitsgrund bewirkt, ist taxativ (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 3 E 2 und 3).
Die Bestimmung des § 229 StPO enthält keine ausdrückliche Nichtigkeitssanktion und ist im § 281 Abs 1 Z 3 StPO nicht erwähnt. Deren allfällige Verletzung bewirkt daher keine Nichtigkeit nach der genannten Gesetzesstelle.
Aber auch die hiezu erhobene Verfahrensrüge (Z 4) versagt. Der zu überprüfende Antrag muß nämlich nicht nur in der Hauptverhandlung gestellt werden, sondern hat auch die Gründe für seine Relevanz zu enthalten. Nach dem Hauptverhandlungsprotokoll beantragte der Verteidiger den Ausschluß der Öffentlichkeit ohne weitere Begründung (165/IV). Es fehlt daher an einen auf seine Berechtigung überprüfbaren Antrag. Erst in der Nichtigkeitsbeschwerde vorgebrachte Erwägungen können keine Berücksichtigung finden, weil bei der Prüfung eines Antrages stets von der Verfahrenslage im Zeitpunkt von dessen Stellung auszugehen ist (Mayerhofer aaO § 281 Z 4 E 40 und 41).
Keine Berechtigung kommt auch der Mängel- (Z 5) und der Rechtsrüge (Z 9 lit a) betreffend den Schuldspruch wegen des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren als Beitragstäterin (Schuldspruch 3) zu.
Entgegen den Rechtsmittelausführungen hat das Schöffengericht die subjektive Tatseite nicht nur ausdrücklich festgestellt (US 16), sondern diese auch denkrichtig und den Erfahrungen des täglichen Lebens entsprechend aus dem objektiven Sachverhalt abgeleitet (US 29/30). Die dagegen erhobenen Einwände, "die Zeugen" hätten übereinstimmend ausgesagt, "daß die Angeklagte nicht wußte, ob oder daß es zu weiteren geschlechtlichen Handlungen anläßlich dieser Treffen gekommen sei", versagen, weil Zeugen nur über äußere Vorgänge Angaben machen können, nicht jedoch über das Wissen oder das Wollen einer Person, außer diese hätte ihre Gedanken durch Worte geoffenbart, was jedoch vorliegend nicht der Fall ist. Zu einer (denkmöglichen) Schlußfolgerung vom äußeren Tatgeschehen auf die innere Tatseite ist das Schöffengericht berechtigt.
Die Rechtsrüge ist nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt. Die gesetzmäßige Darstellung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes erfordert nämlich das Festhalten an den gesamten Urteilsfeststellungen, also auch an jenen zur subjektiven Tatseite. Die Beschwerdeführerin übergeht aber die zu ihrem Vorsatz getroffenen Konstatierungen und behauptet nur, auf Grund der Aussagen der Zeugen H***** und G***** hätte dieser Vorsatz "nicht festgestellt werden müssen".
Die Nichtigkeitsbeschwerde zum Schuldspruch 3 war daher teils als unbegründet, teils als nicht dem Gesetze gemäß ausgeführt bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 1 und 2 iVm § 285a Z 2 StPO).
Im übrigen kommt aber der Verfahrensrüge (Z 4) Berechtigung zu.
In einem schriftlichen Beweisantrag vom 25. Juni 1998 (ON 47) hat der Verteidiger unter anderem die Vernehmung der Zeugen Nada Ha*****, Boris Josef P*****, Stefan H*****, Egon H***** und Markus Pe***** (jeweils mit genauer Adresse und weiterer Begründung) zum Beweis dafür beantragt, "daß Franz G***** diejenigen Beträge, die er an die Beschuldigte bezahlt haben will, tatsächlich nicht an die Beschuldigte sondern unter anderem an Stefan H***** bezahlt hat". In einem weiteren Beweisantrag (ON 50a) hat er die Einvernahme der Zeugin Evelyne N***** (mit detaillierter Anschrift) zum Beweis dafür beantragt, "daß diejenigen Beträge, von denen Franz G***** behauptet, sie an die Beschuldigte bezahlt zu haben, in Wirklichkeit an Achmed A***** bezahlt wurden, da er von diesem erpreßt worden war". Zur Untermauerung des letzteren Antrages legte er eine eidesstättige Erklärung der Zeugin vor, in welcher diese bestätigte, über ein Wissen im Sinne des Beweisthemas zu verfügen.
Den erstgenannten Antrag wiederholte der Verteidiger in der Hauptverhandlung vom 9. Juli 1998 (215/IV), den zweitgenannten in jener vom 24. Juli 1998 (501/IV). Die Tatrichter lehnten sie im wesentlichen mit der Begründung ab, es handle sich um Erkundungsbeweise.
Ein Erkundungsbeweis liegt indes nur dann vor, wenn das Gericht lediglich zur Vornahme von Ermittlungen veranlaßt werden soll, um die Frage zu klären, ob von bestimmten Beweisen eine Förderung der Wahrheitsfindung zu erwarten ist, oder ob überhaupt Beweismittel auffindbar sind, deren Heranziehung der Wahrheitsfindung dienlich sein könnte. Ein solcher liegt aber dann nicht vor, wenn der Verteidiger konkrete Behauptungen aufgestellt und auch dargelegt hat, daß von namentlich und mit genauer Adresse angeführten Zeugen zu ganz bestimmten Punkten Aufklärung zu erwarten sei (Mayerhofer aaO § 281 Z 4 E 88 und 90m).
Die namhaft gemachten Zeugen sollten der Antragsbegründung zufolge als Alibibeweis dienen, der nur dann abgelehnt werden darf, wenn sich aus dem Verfahren zweifelsfrei ergibt, daß er keinesfalls zum Erfolg führen kann. Eine vorgreifende Beweiswürdigung ist unzulässig (Mayerhofer aaO E 82).
Im aktuellen Fall hat der Verteidiger konkret behauptet, die angeführten Personen könnten bezeugen, daß die von den Schuldsprüchen 1 und 2 umfaßten Gelder vom Tatopfer an andere Personen als die Angeklagte bezahlt worden wären. Unter der Voraussetzung der Wahrheit dieser Behauptung könnte die Beschwerdeführerin damit aber entlastet werden. Auf die Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit des in Beweisanträgen enthaltenen Vorbringens ist bei deren Beurteilung noch keine Rücksicht zu nehmen, sondern nur darauf, ob durch die angebotenen Beweise eine andere Lösung der Schuldfrage möglich wäre. Dies ist aber vorliegend nicht auszuschließen, sodaß durch die Beweisanträge Verteidigungsrechte beeinträchtigt wurden und der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund vorliegt.
Daraus folgt aber gemäß § 285e StPO die Aufhebung des Urteiles im angeführten Umfang und insoweit die Anordnung der Verfahrenserneuerung, weshalb sich ein Eingehen auf die weiter zu diesen Fakten geltend gemachten Nichtigkeitsgründe erübrigt.
Im neu durchzuführenden Verfahren werden daher die angeführten Zeugen zu vernehmen und dann im Rahmen der Beweiswürdigung die Beweiskraft ihrer Aussagen an den Angaben der anderen (schon bisher vernommenen) Zeugen zu messen sein.
Mit ihren Berufungen waren die Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.
Im Falle eines neuerlichen Schuldspruches oder einer Straffestsetzung betreffend das Urteilsfaktum 3 wird vom Erstgericht auch die von der Angeklagten in Untersuchungshaft verbrachte Zeit auf die Strafe anzurechnen sein.
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