OGH 15Os173/94

OGH15Os173/941.12.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 1.Dezember 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch und Mag.Strieder als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr.Hobel als Schriftführerin, in der beim Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 7 c Vr 8946/94 anhängigen Strafsache gegen Helmut K***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren und gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 vierter Fall und § 15 StGB über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten K***** gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 12.Oktober 1994, AZ 26 Bs 486/94 (GZ 7 c Vr 8946/94-46), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Durch den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 12.Oktober 1994, AZ 26 Bs 486/94, wurde Helmut K***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Dieser Beschluß wird aufgehoben.

Gemäß § 8 GRBG wird dem Bund der Ersatz der Beschwerdekosten von 8.000 S, zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer, aufgetragen.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Inhaltlich einer (rechtswirksamen) Anklage der Staatsanwaltschaft Wien ist Helmut K***** des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren und gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127 (zu ergänzen: 128 Abs 1 Z 4), 129 Z 1, 130 vierter Fall und § 15 StGB dringend verdächtig, weil er zwischen 14. Jänner und 28.September 1993 - also vor einem gegen ihn am 2. Dezember 1993 ergangenen Strafurteil - in Wien zusammen mit (dem Mitangeklagten) Wilhelm J***** als Mittäter gewerbsmäßig 27 vollendete und mehrere versuchte Einbruchsdiebstähle an Sachen, deren Wert 25.000 S übersteigt, verübt haben soll, indem sie mit widerrechtlich erlangten Schlüsseln (sogenannten: "Paßschlüsseln des E-Werkes") in die Kellerräume gelangten und sodann teils nach Durchzwicken und Aufbiegen der Arben zu den Vorhangschlössern in Kellerabteile eindrangen (ON 47 des angeschlossenen Kopienaktes). Die Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht ist für den 5.Dezember 1994 anberaumt (ON 50).

Nachdem Helmut K***** auf Grund des am 14.August 1994 vom Journalrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien erteilten Haftbefehls (ON 2 iVm S 73) am Nachmittag des 16.August 1994 an seinem Arbeitsplatz verhaftet worden war (75), leitete der Untersuchungsrichter über Antrag des öffentlichen Anklägers am 18. August 1994 gegen ihn die Voruntersuchung wegen des oben bezeichneten Verbrechens ein und verhängte über ihn die Untersuchungshaft aus den Gründen des § 180 Abs 2 Z 2 und Z 3 lit b StPO (3 a verso iVm ON 8), wobei er diesen Beschluß bis längstens 30. August 1994 für wirksam erklärte. Der vom (damaligen) Beschuldigten dagegen erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluß vom 26.August 1994 nicht Folge, bestätigte darin die Gesetzmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses und führte Umstände an, auf welche es die Annahme des dringenden Tatverdachtes sowie der herangezogenen Haftgründe stützte (ON 23).

Nach Durchführung einer Haftverhandlung am 29.August 1994 beschloß der Untersuchungsrichter die Fortsetzung der Untersuchungshaft - mit Wirksamkeit bis längstens 29.September 1994 nur mehr - wegen Vorliegens der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO (ON 20 und 21) und verlängerte sie in der Folge mit dem in der Haftverhandlung vom 28.September 1994 gefaßten Beschluß bis längstens 28. November 1994 (ON 35 und 36).

Eine dagegen ergriffene Beschwerde entschied der Gerichtshof zweiter Instanz mit Beschluß vom 12.Oktober 1994, AZ 26 Bs 486/94 (= ON 46), abschlägig und setzte das Ende der Haftfrist mit 12.Dezember 1994 fest, wobei er zum Fortbestehen sowohl des dringenden Tatverdachtes als auch des Haftgrundes im wesentlichen auf die Ausführungen in seiner vorangegangenen Entscheidung (ON 23) verwies, seit der sich "nichts geändert" habe. Zum Vorliegen der Tatbegehungsgefahr (§ 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO) führte das Beschwerdegericht noch zusätzlich aus: "Daran vermag auch das zuletzt bezogene Einkommen des Beschwerdeführers nichts zu ändern, weil das Erstgericht im angefochtenen Beschluß ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß das zuletzt vom Beschwerdeführer bezogene Einkommen ihn von der Tatbegehung nicht abzuhalten vermochte". Davon ausgehend verneinte es einerseits die Substituierbarkeit des aktuellen Haftgrundes, andererseits die Unverhältnismäßigkeit der Aufrechterhaltung der Haft zum Zwecke der Maßnahme und zu der im Falle eines Schuldspruchs zu erwartenden Strafe.

Durch diese Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichtes erachtet sich Helmut K***** in seiner (fristgerecht erhobenen) Grundrechtsbeschwerde (ON 51) im Grundrecht auf persönliche Freiheit deshalb verletzt, weil die Annahme des dringenden Tatverdachtes ungenügend begründet und das Fortbestehen des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr zu Unrecht angenommen worden sei, ferner weil die Haft bzw deren Fortdauer in keinem Verhältnis zu der zu erwartenden Strafe stünde, wobei - nach seiner Meinung - mit der Anwendung gelinderer Mittel das Auslangen zu finden gewesen wäre.

Die Beschwerde ist teilweise im Recht.

Sie versagt zunächst zwar mit den Einwänden gegen den dringenden Tatverdacht, weil sie an der Tatsache vorbeigeht, daß das Oberlandesgericht in seiner Entscheidung vom 26.August 1994 (ON 23), auf den der angefochtene Beschluß ausdrücklich Bezug nimmt, eine Mehrzahl (und nicht nur den "ähnlichen modus operandi") von gewichtigen Indizien anführt, die in ihrer Gesamtheit die Annahme erhöhter Wahrscheinlichkeit, daß der Angeklagte (auch) an den in Rede stehenden Einbruchsdiebstählen als Mittäter mitgewirkt hat, zu tragen vermögen und denen der Beschwerdeführer bloß solche Verfahrensergebnisse - isoliert betrachtet - entgegenstellt, deren Gesamtwürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) gemäß den in den Verfahrensgesetzen verankerten Grundsätzen der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit ausschließlich dem angerufenen Schöffengericht vorbehalten bleiben muß. In diesem Umfang ist daher der Argumentation des Gerichtshofes zweiter Instanz zu folgen.

Begründet ist hingegen die Grundrechtsbeschwerde, soweit sie gegen die vom Oberlandesgericht angenommene Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO remonstriert.

Die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft aus dem zitierten Haftgrund setzt - neben anderen Erfordernissen, insbesondere dem dringenden Tatverdacht - voraus, daß auf Grund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, der Beschuldigte (Angeklagte) werde auf freiem Fuße ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens (abermals) eine strafbare Handlung mit nicht bloß leichten Folgen begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die ihm angelastete strafbare Handlung, wenn er entweder wegen einer solchen strafbaren Handlung bereits verurteilt worden ist oder wenn ihm nunmehr wiederholte oder fortgesetzte Handlungen angelastet werden.

Eine solche Gefahr bestand jedoch bei Helmut K***** am 12.Oktober 1994 - also zum Zeitpunkt des in Beschwerde gezogenen Beschlusses des Oberlandesgerichtes Wien - nicht (mehr), zumal ausreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen der - vom Gesetz geforderten - bestimmten Tatsachen, die befürchten lassen, der Beschwerdeführer könnte trotz des laufenden Strafverfahrens in Freiheit neuerlich Eigentumsstraftaten mit nicht bloß leichten Folgen begehen, weder der bekämpften Beschwerdeentscheidung noch der Aktenlage zu entnehmen sind.

Mag in manchen besonders gelagerten Fällen aus dem Umstand, daß jemand - so wie hier - trotz gegebener, üblicherweise tatverhindernd wirkender sozialer Faktoren (Arbeit, Einkommen, Unterkunft) über einen relativ langen Zeitraum gewerbsmäßig eine Vielzahl von Einbrüchen der geschilderten Art mutmaßlich verübt hat, der Schluß auf eine dadurch manifestierte Charakterschwäche und eine verfestigte kriminelle Neigung zur Begehung gleichartiger Delikte - somit auf eine vorhandene Tatbegehungsgefahr - zulässig sein, so darf in dem hier zu beurteilenden Fall aber nicht außer Betracht bleiben, daß der nunmehr 52 Jahre alte Beschwerdeführer bis Jänner 1993 einen ordentlichen Lebenswandel geführt, sich seit 29.September 1993 wiederum wohlverhalten und er in geordneten Verhältnissen gelebt hat; ferner wurde über ihn mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 2.Dezember 1993 (AZ 7 c E Vr 14.364/93-Hv 8153/93) wegen eines auf frischer Tat betretenen, im zeitlichen Zusammenhang mit den anklagegegenständlichen Straftaten stehenden versuchten Einbruchsdiebstahls (in ein Kellerabteil) eine sechsmonatige, gemäß § 43 Abs 1 StGB bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe verhängt (15 iVm 93), wobei der Einzelrichter - freilich in Unkenntnis der später hervorgekommenen Verdachtslage weiterer Einbruchsdiebstähle - davon ausging, daß die bloße Androhung des Vollzuges der ausgesprochenen Freiheitsstrafe genügt, K***** künftighin von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Hinzu kommt noch, daß der Beschwerdeführer seit 18.August 1994 in Untersuchungshaft angehalten wird.

Alle diese bedeutsamen - in ihrem Zusammenhang zu sehenden - Tatsachen, die im bekämpften (auch die Tatbegehungsgefahr bejahenden) Beschluß des Oberlandesgerichtes - worauf die Beschwerde zutreffend hinweist - weitgehend unberücksichtigt geblieben sind, sprechen nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes fallbezogen mit erheblichem Gewicht gegen die Wahrscheinlichkeit, Helmut K***** werde ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens erneut strafbare Handlungen vergleichbarer Art gegen fremdes Eigentum begehen. Andernfalls würde man vor allem auch die (vom Gesetzgeber angenommene) rückfallhemmende und bessernde Wirkung der dem Beschwerdeführer vom Einzelrichter gewährten bedingten Strafnachsicht sowie die Möglichkeit einer Beeindruckung eines Ersttäters durch eine abgeführte Hauptverhandlung schlichtweg verneinen.

Da sonach am 12.Oktober 1994 bei Helmut K***** kein Haftgrund mehr vorlag, hätte das Oberlandesgericht Wien dessen Enthaftung verfügen müssen. Der in Beschwerde gezogene Beschluß auf Verlängerung der Untersuchungshaft hat demnach Helmut K***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt (§ 2 Abs 1 GRBG).

Auf die weiteren Beschwerdeeinwände war demnach nicht mehr einzugehen.

Da der Beschwerde - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - stattgegeben wurde, sind die Gerichte verpflichtet, mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Obersten Gerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen (§ 7 Abs 2 GRBG). Allfällige noch formal aufrechte entgegenstehende Beschlüsse wären unbeachtlich.

Die Kostenentscheidung gründet sich dem Grunde nach auf § 8 GRBG, der Höhe nach auf die Verordnung des Bundesministers für Justiz, BGBl 35/93.

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