Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Gemäß § 390a StPO fallen der Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Zvezda S***** wurde des Verbrechens der Tötung eines Kindes bei der Geburt nach § 79 erster Fall StGB schuldig erkannt und zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt, weil sie am 18. März 1997 in Puch bei Hallein ihr Kind während der Geburt getötet hat, indem sie ihre Hand gegen Mund und Nase des Kindes drückte.
Den Schuldspruch bekämpft die Angeklagte mit einer nominell auf Z 4, 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde; gegen den Strafausspruch erhebt sie Berufung.
Rechtliche Beurteilung
Die Nichtigkeitsbeschwerde versagt.
In der Hauptverhandlung am 6. Juli 1998 beantragte der Verteidiger die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Bereich der Gynäkologie zum Beweis dafür, daß bei einer (in der Praxis allerdings äußerst selten vorkommenden) "Sturzgeburt" - ganz allgemein - das Kind einer besonders risikoreichen Streßsituation ausgesetzt sei, die zur Verhinderung eines letalen Ausgangs rasche und gezielte Gegenmaßnahmen erfordere (234 f).
Nach Beratung des Gerichtshofes verkündete der Vorsitzende den Beschluß auf Vertagung der Hauptverhandlung zur Erörterung eines schriftlichen psychiatrischen Gutachtens und auf Abweisung des gestellten Beweisantrages - jedoch entgegen der ausdrücklichen Bestimmung des § 238 Abs 2 StPO nur - mit der Erklärung: "Begründung dazu in der schriftlichen Urteilsausfertigung" (235 f).
In der am 13. Juli 1998 fortgesetzten Hauptverhandlung verlangte der Verteidiger erneut die Beiziehung eines gynäkologischen Experten sinngemäß zum Beweis dafür, daß das Kind durch die überstürzte Geburt bei gleichzeitigem Austritt von Plazenta, Nabelschnur und Körper unter einem sehr starken Sauerstoffzufuhrdefizit leidet und ohne sofortige intensiv medizinische Versorgung in diesem Fall keine Überlebenschance hat. Es stelle sich in diesem Zusammenhang die Frage der Kausalität, ob der Mutter eine Hilfeleistung überhaupt noch hätte zugemutet werden können. Es genüge dabei, wie auch der SV Dr. T***** ausgeführt hat, daß das Kind dabei auf dem Gesicht liegend ersticken und versterben kann (247 iVm dem am 5. Oktober 1998 anher übermittelten aufklärenden Bericht des Vorsitzenden ON 4a des Os-Aktes).
Diesen Antrag wies das Schöffengericht sogleich ab, weil zunächst überhaupt nicht feststehe und nicht indiziert sei, daß eine Sturzgeburt vorgelegen sei und nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. T***** das Kind zumindest fünfzehn Minuten gelebt habe (247). In den Entscheidungsgründen wird dazu ergänzend auf die wesentlichen Teile der Expertise Dris. T***** verwiesen und dem Verteidiger zum Vorwurf gemacht, er gehe von unbewiesenen und nicht indizierten Sachverhalten aus, zumal sich (im aktuellen Fall) keinerlei Hinweise für eine "Sturzgeburt" fänden (US 8).
Der dagegen erhobenen Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurde die Nichtigkeitswerberin in ihren Verteidigungsrechten nicht beeinträchtigt. Ihr wird nicht die Unterlassung einer Hilfeleistung zur Last gelegt, worauf der Beweisantrag abstellt, sondern die (aktive) Tötung des Kindes durch Ersticken, indem sie ihre Hand gegen Mund und Nase des Kindes drückte. Insoweit bekämpft die Verfahrensrüge demnach überhaupt nicht das vom Gerichtshof gefällte Urteil. Daß es sich um keine Sturzgeburt handelte, das lebensfähige Kind lebend geboren, geschrien und rund 15 Minuten bis zum Tatzeitpunkt gelebt hat (Leukauf/Steininger Komm3 RN 3 zu § 79 mwN), konnte das Erstgericht dem für schlüssig und unbedenklich beurteilten Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Dr. T***** entnehmen. Demnach stellt sich die begehrte Beweisaufnahme in Ansehung der Behauptung einer "Sturzgeburt" überdies als (unzulässiger) Versuch, die Durchführung eines Erkundungsbeweises zu erreichen dar.
Soweit die weitwendigen Beschwerdeausführungen aber über das konkrete - für die erforderliche Relevanzprüfung allein maßgebliche - Vorbringen in erster Instanz hinausgehen, müssen sie als prozessual verspätet unberücksichtigt bleiben.
Die undifferenziert, nominell auf § 281 Abs 1 Z 5 und Z 5a StPO gestützten Beschwerdeeinwände werden der Rechtsnatur dieser eigenständigen formellen Nichtigkeitsgründe nicht gerecht. Diese können nur dann zum Erfolg führen, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Entscheidungsgründe formale Begründungsfehler (Z 5) oder schwerwiegende, unter Außerachtlassung der Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung zustande gekommene Mängel in der Sachverhaltsermittlung aufzeigen oder auf aktenkundige Beweisergebnisse hinweisen, die nach den Denkgesetzen oder nach der allgemeinen menschlichen Erfahrung erhebliche Zweifel gegen die Richtigkeit der Beweiswürdigung in entscheidungswesentlichen Fragen aufkommen lassen (Z 5a). In keinem Fall dürfen unter diesen Gründen jedoch die Erwägungen, von denen das Gericht bei Entscheidung der Rechtsfrage und bei Beseitigung der vorgebrachten Einwendungen geleitet wurde, bekämpft werden; noch viel weniger ist es gestattet, den zur Überzeugung der Erkenntnisrichter von der Glaubwürdigkeit einzelner Beweismittel auf Grund des in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks führenden kritisch-psychologischen Vorgang anzufechten. Solcherart wird nämlich bloß nach Art einer in den Verfahrensgesetzen gegen kollegialgerichtliche Urteile nicht vorgesehene Schuldberufung - daher unzulässig - die schöffengerichtliche Beweiswürdigung in Zweifel gezogen (vgl Foregger/Kodek StPO7 S 422 ff; Mayerhofer StPO4 § 281 Z 5 E 1, 6a, 26; § 281 Z 5a E 1 ff).
Gegen eben diese prozessualen Gebote und Verbote verstößt die Rechtsmittelwerberin aber, indem sie
* die Beweiswürdigung des Erstgerichtes als "fragwürdig" bezeichnet, weil es den Schuldspruch einerseits "großteils" auf die von ihr bei der zweiten Vernehmung vor der Gendarmerie ohne Anwesenheit eines Dolmetsch "angeblich" gemachten Angaben (53) gründe, es diese Beantwortung als "bedenkenloses" Geständnis qualifiziere (was in dieser Form gar nicht stimmt - vgl US 8 unten), andererseits auch auf die Zeugenaussagen der erhebenden Gendarmeriebeamten M***** und E***** verweise, welche sie grundlos ohne richterliche Anordnung und ohne Anwesenheit eines Dolmetsch ein zweites Mal befragt hätten, wobei "man vermuten" könne, daß es dabei zu "gesetzwidrigen Vorhaltungen" gekommen sei;
* die entscheidenden Urteilsfeststellungen über den Tötungsvorgang (US 5 zweiter Absatz) als "mit den Beweisergebnissen nicht in Einklang zu bringen" und durch kein Beweismittel gedeckt kritisiert, weil dafür nur offenbar unzureichende Gründe vorlägen und überdies dagegen erhebliche Bedenken bestünden, zumal Fragen und Antworten anläßlich der zweiten sicherheitsbehördlichen Vernehmung nicht mehr nachvollzogen werden könnten und diese Aussage zufolge der Umstände, unter denen sie zustandegekommen sei, "unklar" und "nicht brauchbar" sei;
* auch den "anderen Beweisen" - isoliert betrachtend - für sich allein taugliche Beweiskraft abspricht und aktenfremd behauptet, der gerichtsmedizinische Sachverständige (Dr. T*****) habe nur festgestellt, daß das Neugeborene lebensfähig war, nicht aber, ob es tatsächlich gelebt habe und ob der Tod des Kindes durch ein Zutun (oder auch nur Unterlassen) der Mutter eingetreten sei (vgl hiezu S 77, 79 f, 105; 230 f, 233 iVm US 6 f, 8 f);
* unter wiederholter und nachdrücklicher Zugrundelegung ihrer vom Schöffengericht als unglaubwürdig verworfenen gerichtlichen Verantwortung im Zusammenhang mit einer vom gerichtsmedizinischen Sachverständigen vorgelegten Belegstelle aus einem medizinischen Fachbuch andere "Möglichkeiten der Kausalität, die den festgestellten durchaus gleichwertig sind" ins Spiel bringt und daraus mit spekulativ-hypothetischen Überlegungen (welche in den verschiedenen Geschehensvarianten der Angeklagten keine Stütze erfahren) für sich die Anwendung des Zweifelsgrundsatzes, somit einer Beweiswürdigungsmaxime, beansprucht und
* dem Erstgericht wegen Abweisung ihres Antrages auf Beiziehung eines gynäkologischen Sachverständigen eine Pflichtverletzung zur amtswegigen Wahrheitsforschung vorwirft.
Demgegenüber hat das Schöffengericht in einer ausführlichen, sorgfältigen und kritischen Gesamtschau aller maßgebenden Verfahrensergebnisse sowie unter Verwertung des gewonnenen persönlichen Eindrucks getreu den Vorschriften über die freie Beweiswüdigung (§ 258 Abs 2 StPO) alle entscheidenden Feststellungen unbedenklich getroffen und auch zureichend, denkmöglich, plausibel und mit Bestimmtheit - demnach formal einwandfrei - dargelegt, warum es die anläßlich einer zweiten niederschriftlichen Vernehmung (in Abwesenheit eines Dolmetsch - beachte hiezu auch S 219 unten -, aber in Gegenwart ihres Ehegatten) deponierte Verantwortung als beweiskräftiges Geständnis beurteilt hat, welches nach eingehender Erörterung und einverständlicher Verlesung in der Hauptverhandlung (215 f, 219, 221 f; 248) im Urteil sehr wohl verwertet werden durfte, zumal eine Verletzung der Vorschrift über die Beiziehung eines Dolmetsch für sich allein keine Nichtigkeit bewirkt (vgl Mayerhofer aaO § 281 Z 4 E 145; § 281 Z 2 E 4, 11), und aus welchen Gründen es überzeugt war, daß Zvezda S***** durch bewußtes Zuhalten von Nase und Mund den Tod des lebenden Neugeborenen vorsätzlich verschuldet hat (US 4 ff iVm 8 ff).
Dabei waren die Tatrichter - durch keine gesetzlichen Beweisregeln beschränkt - berechtigt, ja sogar verpflichtet, nicht nur aus zwingenden, sondern auch aus Wahrscheinlichkeitsschlüssen Tatsachen festzustellen (Mayerhofer aaO § 258 E 26 ff); sie konnten - der Beschwerde zuwider - insbesondere das Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen, welches bloß mangels objektivierbarer Strang-, Würge- oder Drosselmarken am Hals des teilweise verwesten Körpers zum Ergebnis kommt, daß das Neugeborene "sehr wahrscheinlich" auf Grund eines Verschlusses der Atemöffnungen mit einer "weichen Bedeckung" an Ersticken eines "gewaltsamen" Todes verstorben ist (77 f, 230, 233, 242 f), als Schuldspruchsbasis heranziehen (Mayerhofer aaO E 125).
Angesichts eines verfehlten Beschwerdeeinwandes ist anzumerken, daß Sachverständige unparteiische (von den Prozeßobjekten verschiedene) Personen sind, die unter gerichtlicher Kontrolle auf Grund ihrer Fachkenntnisse über rechtserhebliche (hier: sich aus der Leichenöffnung ergebende) Umstände vor Gericht unter Wahrheitspflicht auszusagen und aus den Tatsachen begründete Schlüsse zu ziehen haben (Foregger/Kodek aaO Anm I. und Mayerhofer aaO § 118 E 1, 4), während die Entscheidung über Rechtsfragen, Täterschaft und Schuld ausschließlich dem Erkenntnisrichter zukommt.
Die verweigerte Beweisaufnahme hinwieder darf nur mit einer (hier ohnehin erhobenen) Verfahrensrüge nach Z 4 des § 281 Abs 1 StPO angefochten werden und nicht auch noch zusätzlich mit Z 5 oder/und Z 5a leg cit.
Zusammenfassend gesagt, ist daher dem Erstgericht weder ein formaler Begründungs- (Z 5) noch ein Plausibilitätsfehler unterlaufen, noch hat es gegen seine Verpflichtung zur amtswegigen Wahrheitsforschung verstoßen (Z 5a).
Das ziffernmäßig auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO gegründete Vorbringen enthält keine gesetzmäßige Darstellung des geltend gemachten materiellen Nichtigkeitsgrundes. Hiefür wäre nämlich nicht nur ein striktes Festhalten an den gesamten objektiven und subjektiven Tatsachenfeststellungen erforderlich, sondern - fallbezogen - auch die Erbringung des Nachweises, daß das Erstgericht eine Feststellung unterlassen hat, der zufolge die Unterstellung der Tat unter die konkret angewendete Strafnorm ausgeschlossen ist.
Indem die Beschwerdeführerin aber die ausdrücklichen und unbedenklichen Urteilskonstatierungen über ihre vorsätzlich und aktiv unternommene Tötungshandlung (US 5, 11) als nicht tragfähig, zufolge Abweisung ihres Antrages auf Beiziehung eines gynäkologischen Experten als durch keinerlei Verfahrensergebnisse belegt, überhaupt nicht begründet und lediglich auf ein bedenkliches "Geständnis" stützend kritisiert, bekämpft sie abermals nach Art einer Schuldberufung in Wahrheit erneut bloß unzulässig die sachgerechte Beweiswürdigung der Tatrichter, ohne einen Begründungsfehler oder Feststellungsmangel prozeßordnungsgemäß darzulegen.
Sonach war die Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285d Abs 1 Z 1 und Z 2 iVm § 285 a Z 2 StPO teils als offenbar unbegründet, teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt bei einer nichtöffentlichen Sitzung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die zudem erhobene Berufung der Angeklagten folgt (§ 285i StPO).
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