OGH 15Os168/93

OGH15Os168/9323.12.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 23.Dezember 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner, Dr.Kuch, Dr.Schindler und Dr.Ebner als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Straßegger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Johann P* wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom 23.September 1993, GZ 20 Vr 741/93‑52, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Erster Generalanwalt Dr.Strasser, und des Verteidigers Dr.Maxl, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1993:0150OS00168.930000.1223.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Verfahrens über seine Rechtsmittel zur Last.

 

 

Gründe:

 

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Johann P* auf Grund des Wahrspruches der Geschworenen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB (1) und des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB (2) schuldig erkannt:

Darnach hat er am 3.März 1993 in Hall in Tirol

(zu 1) Melanie D* durch Versetzen eines Messerstiches gegen das Gesicht, der eine kratzerförmige oberflächliche Schnittwunde am Kinn rechts zur Folge hatte, vorsätzlich am Körper verletzt, sowie

(zu 2) Gertraud P* durch mehrere massive, gegen Hals und Oberkörper gerichtete Messerstiche, die eine Stichverletzung in der linken mittleren Rückenregion, verbunden mit einer Eröffnung der linken Brusthöhle und Gasbrustbildung, eine weitere Stichverletzung im Oberbauch mit Eröffnung der Bauchhöhle und einer oberflächlichen Verletzung der Leber, verbunden mit einer Blutung in die freie Bauchhöhle, eine Stichverletzung an der Hinterseite des rechten Oberschenkels, eine Schnittverletzung am zweiten Gelenk des rechten Ringfingers, eine oberflächliche Stichverletzung im unteren Drittel des linken Unterarmes und zwei oberflächliche kratzerförmige Schnittwunden am Hals zur Folge hatten, zu töten versucht.

Die Geschworenen hatten die Hauptfragen I und II (nach dem Vergehen der Körperverletzung und nach dem Verbrechen des versuchten Mordes) stimmeinhellig bejaht, die Zusatzfragen I und II (nach Zurechnungsunfähigkeit) sowie III (nach freiwilligem Rücktritt vom Mordversuch) einstimmig verneint. Demgemäß blieben die Eventualfragen I (nach versuchtem Totschlag), II (nach absichtlicher schwerer Körperverletzung), III (nach schwerer Körperverletzung) sowie IV und V (nach Begehung der strafbaren Handlungen im Zustand voller Berauschung) unbeantwortet. Die Beantwortung der Zusatzfrage IV (nach freiwilligem Rücktritt vom Mordversuch im Zustand voller Berauschung) unterblieb gleichfalls.

 

Rechtliche Beurteilung

Nur den Schuldspruch wegen versuchten Mordes (Punkt 2 des Urteilssatzes) bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde, die auf die Gründe der Z 8, 9, 10 a und 13 des § 345 Abs. 1 StPO gestützt wird.

Die Instruktionsrüge (Z 8) ist nicht begründet. Denn Gegenstand der den Geschworenen gemäß § 321 StPO zu erteilenden Rechtsbelehrung ‑ deren Unrichtigkeit den Nichtigkeitsgrund bildet ‑ können nur rechtliche Umstände sein, nicht aber solche, die sich aus dem Beweisverfahren ergeben (vgl Foregger‑Serini, StPO5, Erl II zu § 321). Der Beschwerde zuwider wurde daher im Zusammenhang mit der zur Eventualfrage I nach Totschlag zutreffend erteilten Belehrung (vgl Leukauf‑Steininger, Kommentar3 § 76 RN 12 f), wonach eine allgemeine Begreiflichkeit einer heftigen Gemütsbewegung im Sinn dieses Tatbestands voraussetzt, daß dem Täter kein sittlicher Vorwurf gemacht werden könne, daß er in den psychischen Ausnahmezustand geraten ist (siehe S 10 der Rechtsbelehrung), auf die konkret‑individuelle Situation des Angeklagten vor und bei der Tat zu Recht nicht eingegangen. Umstände, die auf Ergebnisse der Hauptverhandlung Bezug nehmen, sind daher mit Recht nicht in die schriftliche Belehrung aufgenommen worden. Die Zurückführung der in der Fragestellung aufgenommenen gesetzlichen Merkmale auf den konkreten Fall ist vielmehr der vom Vorsitzenden im Anschluß an die Rechtsbelehrung mit den Geschworenen abzuhaltenden Besprechung (§ 323 Abs. 2 StPO) vorbehalten, auf die sich das Nichtigkeitsverfahren nicht bezieht.

Der Niederschrift der Geschworenen (§ 331 Abs. 3 StPO) kommt nicht die Funktion einer anfechtbaren Begründung des Wahrspruchs zu (erneut Foregger‑Serini, aaO, Erl II zu § 331). Sie scheidet daher schon aus diesem Grund als Anfechtungsgrundlage und unter dem Gesichtspunkt eines bei Undeutlichkeit, Unvollständigkeit oder einem inneren Widerspruch der Fragebeantwortung gegebenen Mangels des Wahrspruches (Z 9) aus.

Soweit der Beschwerdeführer zu dem zuletzt genannten Nichtigkeitsgrund aus dem in der Niederschrift enthaltenen Hinweis auf "Anzahl und Wucht der Stiche in die betroffenen Körperpartien" abzuleiten sucht, daß die Geschworenen bei ihrer Entscheidung lediglich auf den objektiven Tatablauf, nicht aber auf die innere, Tötungsvorsatz erfordernde Tatseite abstellen, vermag er erneut keine Urteilsnichtigkeit aufzuzeigen. Mängel des Wahrspruchs müssen nämlich aus diesem selbst hervorgehen, wofür auch nach dem Beschwerdevorbringen selbst kein Anhaltspunkt besteht. Mit der Bejahung der Hauptfrage II nach versuchtem Mord haben die Laienrichter auf Grund der ihnen hiezu völlig richtig erteilten Belehrung (vgl deren Seiten 3 ff, 7) auch den Tötungsvorsatz (§ 5 Abs. 1 StGB) bejaht (vgl Mayerhofer‑Rieder, StPO3, ENr 22).

Die Tatsachenrüge (Z 10 a) zielt auf freiwilligen Rücktritt vom Versuch ab und stellt den Tötungsvorsatz in Frage. Nach eingehender Prüfung der hiezu vorgebrachten Argumente gelangte der Oberste Gerichtshof jedoch zur Überzeugung, daß sich aus den Akten keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der diesbezüglich im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen ergeben. Vielmehr unternimmt der Angeklagte mit seinem Vorbringen nur den ‑ im Rechtsmittelverfahren gegen geschworenengerichtliche Urteile nach wie vor unzulässigen ‑ Versuch, die Beweiswürdigung der Tatrichter in Zweifel zu ziehen.

Letztlich versagt auch die Strafzumessungsrüge (Z 13). Der Nichtigkeitsgrund einer Gesetzwidrigkeit der Strafbemessung setzt in jedem Fall eine Rechtsfehlerhaftigkeit des Strafausspruches voraus. In der bloßen Nichtberücksichtigung weiterer Milderungsgründe und deren angeblich nicht entsprechende Gewichtung, wie dies in der Beschwerde reklamiert wird, ist der erwähnte Nichtigkeitsgrund nicht gegeben. Über dieses Vorbringen wird vielmehr im Rahmen der Berufungsentscheidung zu erkennen sein.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verhängte über den Angeklagten nach § 75 StGB unter Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Jahren.

Es wertete bei der Strafbemessung als erschwerend die (nicht gewichtige) Vorstrafe und das Zusammentreffen zweier strafbarer Handlungen, als mildernd hingegen die verringerte Dispositionsfähigkeit, daß sich der Angeklagte selbst gestellt hat, obwohl er leicht hätte entfliehen können, und daß das Verbrechen des Mordes beim Versuch geblieben ist.

Der Angeklagte begehrt mit seiner Berufung eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe unter Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung, die Staatsanwaltschaft hingegen zielt auf eine Erhöhung der Freiheitsstrafe ab.

Keine der Berufungen ist im Recht.

Dem Angeklagten ist zu erwidern, daß bei einem im 49.Lebensjahr stehenden Menschen eine unverschuldet vernachlässigte Erziehung keinen Milderungsumstand darstellt.

Da der Vorabstrafung durch das Bezirksgericht Hall in Tirol zu U 654/91 eine Tätlichkeit des Angeklagten im alkoholisierten Zustand zugrunde lag, fällt nach Lage des Falles die Vorwurfsabwägung im Sinn des § 35 StGB zu seinem Nachteil aus, sodaß seiner Alkoholisierung zur Zeit der Tatbegehung in diesem Verfahren keine strafmildernde Wirkung zukommt.

Die eingeschränkte Dispositionsfähigkeit des Täters und der Umstand, daß im Mordfaktum lediglich Versuch vorliegt, wurden von den Tatrichtern bei der Strafzumessung ohnedies berücksichtigt.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft ist zu entgegnen, daß das Beweisverfahren keinen Anhaltspunkt dafür erbracht hat, daß der Angeklagte gezielt und gewollt sein Opfer in einen qualvollen Zustand versetzt hat. Demnach wird mit diesem Umstand für sich allein ein Erschwerungsgrund nicht aufgezeigt.

Dem weiteren Vorbringen der Anklagebehörde zuwider ist in der Selbststellung des Angeklagten sehr wohl ein strafmildernder Umstand zu erblicken. Ungeachtet des Umstandes, daß die Täterschaft des Angeklagten bereits kurz nach der Tat feststand, ist bei Prüfung des Vorliegens dieses Milderungsgrundes auf das Vorhaben des Täters abzustellen. Da der Angeklagte sich vorliegend freiwillig selbst gestellt hat, wurde ihm dies zu Recht zugute gehalten.

Sonach haben die Tatrichter die besonderen Strafzumessungsgründe vollständig angeführt. Eine Abwägung dieser Umstände zeigt einerseits, daß von einem ‑ dem Gewicht nach ‑ beträchtlichen Überwiegen der Milderungsgründe keine Rede sein kann, sodaß für die Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung kein Raum ist. Andererseits ist nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes mit der Verhängung einer zehnjährigen Freiheitsstrafe sowohl dem Verschulden des Angeklagten als auch dem Unrechtsgehalt der von ihm begangenen Taten ausreichend Rechnung getragen, so daß auch zu einer Erhöhung der vom Erstgericht gefundenen Strafe kein Anlaß besteht.

 

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