Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Artur J***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter (und dritter) Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG (I./) und des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG (II./) schuldig erkannt.
Danach hat er im Frühjahr 2007 in Wien und an anderen Orten vorschriftswidrig „Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge und zwar ca 30 bis 40 kg Cannabisharz und eine nicht mehr feststellbare Menge Kokain mit einem jeweils handelsüblichen Reinheitsgehalt“,
I./ in zumindest zwei Angriffen von den Niederlanden nach Österreich eingeführt;
II./ in zumindest zwei Angriffen den abgesondert Verfolgten Paula L*****, Gertrude V***** und Ludwig S***** durch Bekanntgabe des Standorts des Schmuggelfahrzeugs und Übergabe des PKW-Schlüssels an Ludwig S***** überlassen, wobei er die Straftaten nach § 28a Abs 1 SMG als Mitglied einer kriminellen Vereinigung und überdies in Bezug auf Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge beging.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen wendet sich die auf Z 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der Berechtigung zukommt.
Die Tatrichter gingen davon aus, dass der Angeklagte im Frühjahr 2007 zumindest 30 bis 40 kg Cannabisharz und eine nicht mehr feststellbare Menge Kokain „von durchschnittlicher Straßenqualität“ aus den Niederlanden nach Österreich einführte und in der Folge weiteren Personen überließ (US 6 f). Die - in der rechtlichen Beurteilung getroffene - Feststellung eines mit 5 % angenommenen Reinheitsgehalts des Cannabisharzes gründeten die Tatrichter offenbar auf Erfahrungswerte bezüglich des durchschnittlichen Reinheitsgrades von Cannabisharz in Straßenqualität (US 16), ohne diese als gerichtsnotorische Tatsachen in der Hauptverhandlung erörtert zu haben. Der Angeklagte hat jedoch ein aus dem fair-trial-Gebot des Art 6 MRK erfließendes Recht darauf, nicht von einer ihm unbekannten Gerichtsnotorietät im Tatsachenbereich überrascht zu werden. Auch das, was gerichtskundig ist, muss in der Hauptverhandlung vorkommen, um zur Grundlage von Feststellungen werden zu können. Hat aber das Erstgericht die Feststellung einer durchschnittlichen Wirkstoffkonzentration - wie hier - auf eine von ihm angenommene Gerichtsnotorietät gestützt, über die der Angeklagte nicht informiert wurde, so hat es - wie die Rüge zutreffend aufzeigt - gegen seine aus Z 5 vierter Fall relevierbare Erörterungspflicht verstoßen (RIS-Justiz RS0119094).
Der aufgezeigte Mangel zwingt zur Aufhebung der Unterstellung der dem Schuldspruch zugrunde liegenden Taten unter § 28a SMG bereits bei nichtöffentlicher Beratung.
Da nach Aufhebung eines Schuldspruchs nach § 28a SMG, weil die Beurteilung der Suchtgiftmenge als groß (§ 28b SMG) oder übergroß (§ 28a Abs 4 Z 3 SMG) fraglich ist, auch jene Annahmen, die einen - insoweit nicht erfolgten - Schuldspruch nach § 27 SMG allenfalls zu tragen vermögen, nicht bestehen bleiben, ist die Kassation des gesamten Schuldspruchs erforderlich (RIS-Justiz RS0115884; Ratz, WK-StPO § 289 Rz 18).
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese kassatorische Entscheidung zu verweisen.
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